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X (2022) – Filmkritik

Bevor wir uns Ti Wests neustes Werk X etwas näher ansehen, noch einige Worte zum „Retro-Wahn“, der schon seit einigen Jahren durch die Filmwelt geistert: Besonders beliebt sind gerade hierbei die 1970er und 1980er-Jahre im Horrorfilm, die für diese Art der Unterhaltung herhalten müssen. Vermutlich zum einen, weil in jenen Jahren zweifellos einige zeitlose Klassiker sowie legendäre blutige Werke das Licht der Welt erblickten. Zum anderen die großartige Musik, die weltweit aus den Boxen dröhnte. Da ich schon zu den älteren Semestern gehöre und in dieser Zeit aufgewachsen bin, weiß ich genau, wie es damals wirklich gewesen ist. Ich habe sowohl die Klassiker wie auch die bluttriefenden Schrecken italienischer Filmkunst wie etwa BLUTGERICHT IN TEXAS (THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE, 1974), HALLOWEEN – DIE NACHT DES GRAUENS (1978), AMITYVILLE HORROR (1979), WOODOO – DIE SCHRECKENSINSEL DER ZOMBIES (ZOMI 2, 1979), SHINING (1980), FREITAG, DER 13. (FRIDAY THE 13TH, 1980), MANIAC (1980) oder TANZ DER TEUFEL (THE EVIL DEAD, 1981) in schmutzigen Kinos genießen dürfen. Das alles in einer Bildqualität, die heute ein mitleidiges Lächeln bei den meisten verursachen würde. Doch wenn ich sehe, was nun alles mit dem Aufkleber „Retro“ auf den Markt geworfen wird, kann ich nur den Kopf schütteln. Etwas die Klamotten und den Haarschnitt anpassen, natürlich die Autos von damals, Set-Design und Musik aus jener Zeit übernehmen und alles ist cool. Nein, ganz und gar nicht, denn das ist nur die Optik, Oberflächlichkeiten.

Photo: Christopher Moss / © capelight pictures

Wenn ich diese „Fake-Produkte“ mit den eben erwähnten Werken vergleiche, gibt es zahlreiche frappierende Unterschiede. Besonders auffällig wie störend ist das klinisch reine Filmmaterial und das hochauflösende 4K, dass jedes Retro-Gefühl umgehend im Keim erstickt. Die Filme, um die es hier geht, hatten in jener Zeit weder ausgefallene Beleuchtungen oder großartige Sets und sehr selten standen Experten vor wie auch hinter der Kamera. Das musste zumeist schnell und billig über die Bühne gehen, weil das Budget nur minimal war. Zum anderen, und gerade das ist wie ich meine, das Wichtigste: die Stimmung, die Gemütslage und das Lebensgefühl der Menschen jener Jahre. Denn genau diese Stimmung lässt sich nicht kopieren, schon gar nicht von Personen, die diese Epoche nie miterlebt haben. Zu guter Letzt wären noch die Dialoge von heute, die leider so überhaupt nicht in die angeblich dargestellte Zeit passen wollen. Aber, und dass ist bei US-Produktionen der letzten Jahre auffällig, dass in mutmaßlich historischen Werken bekannte Personen der Weltgeschichte gerne mit afroamerikanischen Darstellern ersetzt wurden. Egal, wenn die Vergangenheit mir so nicht gefällt oder sie nicht in die Ideologie der „Political Correctness“ hineinpassen will, dann ändere ich sie nach Gutdünken ab. Ganz nach der bekannten Historikerin Pippi Langstrumpf: „Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt“. Und Ti Wests neuster Film X bildet dabei keine Ausnahme.

Photo: Christopher Moss / © capelight pictures

Inhalt

Texas 1979: Eine Gruppe junger Filmemacher macht sich auf den Weg zu einer abgeschiedenen Farm im Nirgendwo, um dort einen Sex-Film zu drehen, der ihnen zum großen Durchbruch verhelfen soll. Doch das ältere Ehepaar, denen die Farm gehört, sind nicht besonders erfreut, als sie ihren Gästen auf die Schliche kommen. Der kreative Ausflug verwandelt sich in einen Kampf auf Leben und Tod.

Photo: Christopher Moss / © capelight pictures

Alt gegen Jung

Neben der eher mäßigen Story gibt es in X ein Grundthema, dass bedeutungsschwer daherkommt, jedoch in wenigen Zügen im Pulverdampf der Morde schnell verblasst. Dieses Kernthema wird dabei recht plump in der Story verpackt und soll den Auslöser für das folgende Abschlachten bilden. Es ist der angebliche Neid und Zorn älterer Menschen auf die jüngere Generation. Das Alter wird bei Ti West als etwas schreckliches, endgültiges und leidvolles dargestellt. Als eine Zeit, in der die betroffene Person auf den erlösenden Tod wartet, ohne glückliche und zufriedene Momente, ohne Liebe und Nähe seines Partners. Das genaue Gegenteil zeigte uns vor kurzem erst Paco Plaza mit seinem schwermütigen LA ABUELA – SIE WARTET AUF DICH (2021). Eine Story, die mit dem Thema des Alterns ganz anders umgegangen ist. Auch wenn am Ende die Flucht aus dem hilflosen Körper das Ziel war, war es trotz allem eine gefühlvolle Darstellung dieser sensiblen Thematik. Ti West wischt das alles zur Seite und ersetzt es mit dem puren Bösen, dem abgrundtiefen Hass auf alles, was jung und lebenslustig ist. Auf eine einfältige Art spielt West dabei die ältere Generation gegen die Jüngeren aus. Aber auch das Entsetzen und die Zurückweisungen des Filmteams erscheinen so hochgradig übertrieben, dass der Zuschauer glauben könnte, die Farmer wären mit Lepra infiziert. Zumal sich schnell die Frage stellt, ob dieses Pärchen körperlich in der Lage ist, die Morde auszuführen. Denn genau die werden stellenweise als maßlos schwach und alt dargestellt, sie wirken in einigen Szenen wie Zombies. Aber Regisseur und Autor Ti West dachte sich wohl, dass bei einem Slasher wie auch beim Porno nicht unbedingt eine schlüssige Handlung vonnöten ist. Also warum die Sache unnötig komplizieren?

Photo: Christopher Moss / © capelight pictures

Dazu kommt, dass schnell bekannt wurde, dass ein Prequel zu X geplant ist, das auf den Titel PEARL hört. Mittlerweile braucht wohl jede nur halbwegs erfolgreiche Filmproduktion oder Serie ein Prequel, um dem Zuschauer alles bis ins kleinste Detail zu erklären. Ein weiteres überflüssiges Anhängsel moderner Zeiten. Übrigens, wenn es jemanden interessieren sollte, den Film im Film THE FARMER‘S DAUGHTERS (1976) gibt es wirklich.

Das X im Filmtitel ist eine Anspielung auf das ehemalige X-Rating für Filme und Literatur in den USA. Bei Wikipedia heißt es dazu: „Das X-Rating ist eine Altersfreigabe für Filme und Literaturwerke, die aufgrund intensiver sexueller oder gewalttätiger Inhalte als „nicht für Jugendliche geeignet“ eingestuft werden. X-Rating kam in den Vereinigten Staaten bis 1990 zur Anwendung und ist bis heute in Australien, Frankreich und Großbritannien üblich. Der Grad der Einschränkung variiert von Land zu Land.“ [1] Schauen wir nun noch einmal auf X, stellen wir zum einen schnell fest, dass wir nicht einen Horrorfilm vor uns haben, sondern eher einen Psychothriller. Besonders weil dieser Retro-Streifen damit prahlt, eine Hommage der legendären Zeiten und seiner besten Werke zu sein. Da muss aber gestattet sein nachzufragen, warum die Handlung und speziell die Morde wie auch die Sex-Szenen so harmlos dargestellt werden. Die Filme jener Dekade waren deutlich härter und nicht so soft, weder im Umgang mit seinen Darstellern noch bei seinen Dialogen. Aber da sind wir wieder bei dem Punkt, den ich schon zu Beginn erwähnte, dass Dialoge, Handlungen und Ideologien der Jetztzeit nichts in einem augenscheinlichen Retro-Film zu suchen haben.

Photo: Christopher Moss / © capelight pictures

Der Cast

Die Darstellerriege ist durchweg erfahren und schon des Öfteren vor der Kamera zu sehen gewesen. Allen voran Mia Goth, die in einer unsympathischen Doppelrolle als Maxine sowie als greise Killerin Pearl, somit als Protagonistin und Antagonistin des Films tätig ist. Die junge Goth durfte schon einige Erfahrungen mit Horrorfilmen in ihrer Filmkarriere sammeln. Zu sehen war sie unter anderem in A CURE FOR WELLNESS (2016), DAS GEHEIMNIS VON MARROWBONE (2017), SUSPIRIA (2018) und HIGH LIFE (2018). Doch nicht nur das Auftreten von Mia Goth in X ist durchweg arrogant wie unsympathisch, auch das ihrer Kollegen. Die dargestellten Charaktere sind farblos und ohne jeden Inhalt. Besonders hervorheben möchte ich den Afroamerikaner Kid Cudi, in der Rolle des Jackson. Er wirkt in X wie eine billige Sex-Kopie des genialen US-Komikers Richard Pryor (1940-2005), der einige Erfolge vor allem im Duett mit Gene Wilder vor der Kamera feierte, wie in TRANS-AMERIKA-EXPRESS (SILVER STREAK, 1976) oder DIE GLÜCKSJÄGER (SEE NO EVIL, HEAR NO EVIL, 1989).

Photo: Christopher Moss / © capelight pictures

Auch wenn US-Regisseur Ti West schon einige deutliche Spuren im Horrorgenre hinterlassen hat, der ganz große Wurf ist ihm noch nicht geglückt. Man denke dabei an THE HOUSE OF THE DEVIL (2009), CABIN FEVER 2: SPRING FEVER (2009), THE INNKEEPERS (2011), V/H/S – EINE MÖRDERISCHE SAMMLUNG (2012), THE ABCS OF DEATH (2012) oder THE SACRAMENT (2013), die von seinem Talent profitierten. Außerdem beteiligte er sich an unzähligen Horror-Serien mit diversen Beiträgen: SCREAM (2015-2019), WAYWARD PINES (2015-2016), THE EXORCIST (2016-2018) oder TALES FROM THE LOOP (2020- ), um nur einige zu nennen. Daneben ist er fast immer sein eigener Autor, Produzent, Cutter und bei Bedarf auch Gelegenheitsdarsteller. Es bleibt zu hoffen, dass West nach X und seinem Prequel PEARL ein besseres Händchen bei der Wahl seiner Stoffe beweist.

Photo: Christopher Moss / © capelight pictures

Das Mediabook

Rein visuell spielt das Mediabook geschickt mit den wichtigsten Elementen aus X, dem Horror- sowie dem Sexfilm. Auch das Booklet ist mit dem passenden Bildmaterial ausgestattet. Dazwischen befindet sich ein eher belangloses Interview mit dem Regisseur. Als Bonus bekommen wir „THE FARMERS DAUGHTER“, darin sind die wenigen Szenen aus X, die sich um den Film im Film unserer Protagonisten drehen, komplett zu sehen, allerdings ohne die angedeuteten Sexszenen. Welchen Sinn das Ganze hat, erschließt sich mir allerdings nicht. Weiterhin gibt es folgende Extras: „That X Factor“ – Making-of, „Becoming Pearl“ – Featurette und den Kinotrailer zu sehen. Die einzelnen Dokus kommen über einige wenige Minuten allerdings nicht hinaus. Daneben finden wir noch das Booklet, wie schon erwähnt, und das war es dann.

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Fazit

Auch wenn sich viele von der schönen Optik und dem Retro-Etikett blenden lassen werden, ändert es nichts an den Tatsachen. Die Story von X ist belanglos, bedeutungslos und so spannend wie die letztjährige Spargelernte. Die Originale aus jener Ära sind Ti Wests neuster „coolen Hommage“ vorzuziehen und in keiner Weise auch nur annähernd damit vergleichbar. Schade eigentlich, denn Potenzial wäre durchaus vorhanden, wenn nicht zu sehr dem teuflischen Dämon „Political Correctness“ gehuldigt worden wäre. Dadurch erblickte ein weichgespültes, seelenloses „Etwas“ das Licht der Welt, was schnell im Genre als peinliche Fußnote in Vergessenheit geraten wird.

© Stefan F.

Titel, Cast und CrewX (2022)
Poster
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RegisseurTi West
Trailer
BesetzungMia Goth (Maxine / Pearl)
Jenna Ortega (Lorraine)
Brittany Snow (Bobby-Lynne)
Kid Cudi (Jackson)
Martin Henderson (Wayne)
Qwen Campbell (RJ)
DrehbuchTi West
KameraEliot Rockett
MusikTyler Bates
Chelsea Wolfe
SchnittDavid Kashevaroff
Ti West
Filmlänge105 Minuten
FSKab 16 Jahren

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