Zum Inhalt springen
Willkommen in Marwen (2018) Review

Willkommen in Marwen (2018) – Filmkritik

„Die Geschichte in der Geschichte“

Viele Menschen kommen über Schicksalsschläge hinweg, aber viele bleiben bei der Bewältigung auf der Strecke. Ein Verlust, eine Nahtoderfahrung oder ein Trauma können Persönlichkeiten vernichten. Filme haben sich schon immer mit diesem Thema auseinandergesetzt, denn gerade hier kann vielfältig visuell dargestellt werden, welche Qualen das Opfer leidet. Durchlebt es die schreckliche Situation immer und immer wieder oder bringen kleinste Details die Angst an das einschneidende Erlebnis zurück? Mark Hogancamp hat das Schicksal grausam mitgespielt. Eine Gruppe von Schlägern verprügelte ihn vor einer Kneipe fast zu Tode. Er überlebte, verlor jedoch alles: sein Talent zu Zeichnen und seine Erinnerungen an die Zeit vor dem Angriff. Ein bisschen ungewöhnlich, dass sich Robert Zemeckis (ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT, FORREST GUMP) für diese dramatische Geschichte interessierte und noch viel ungewöhnlicher war seine Besetzung der Hauptrolle mit Steve Carell (BATTLE OF THE SEXES, CRAZY, STUPID, LOVE). Man wird diesem Wort nicht müde – am ungewöhnlichsten ist jedoch die Umsetzung der Film-Biografie. WILLKOMMEN IN MARWEN ist liebevoll inszeniert, wunderbar quer durch den Protagonisten und ergreifender als so manch anderes Drama, welches für die Oscar-Saison zusammengezimmert wurde.

Willkommen in Marwen (2018) Review
© Universal Pictures

Inhalt

Mark Hogancamp (Steve Carell) spielt noch mit Puppen. Nicht im kindlichen Sinne, denn seine Figuren, die ein weiträumiges Areal in seinem Garten und Teile seines Bungalows in Beschlag nehmen, haben ein Eigenleben entwickelt. Die Geschichten spielen in der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Haupt-„Figur“ Captain Hogie kämpft zusammen mit ein paar starken Frauen in einem verlassenen belgischen Dorf gegen die Nazis. Die spektakulären und dramatischen Kapitel in diesem Ort Marwen, so scheint es, werden nur noch von Mark mit dem Fotoapparat dokumentiert. Der Kampf seiner Puppen scheint jedoch seinen Ursprung im besagten Schicksalsschlag Marks zu haben. Sein Alltag, der von Panikattacken begleitet wird, ist von der kommenden Urteilsverkündung, die in seiner Anwesenheit erfolgen soll, auf eine harte Probe gestellt. Ihm passiert aber auch viel Gutes: Seine Fotos sollen in einer Galerie in New York ausgestellt werden und eine Traumfrau in Form von Nicol (Leslie Mann) zieht in das Haus gegenüber ein.

Willkommen in Marwen (2018) Review
Nicol (Leslie Mann) und Mark Hogencamp (Steve Carell) // © Universal Pictures

Genau anders als erwartet

Wenn man den Trailer zu WILLKOMMEN IN MARWEN vielleicht schon gesehen hat, kommt das ungute Gefühl auf, bereits den ganzen Film danach zu kennen. Man ahnt die üblichen Spannungsbögen, dramatischen Wendungen und erkennt Charaktere, die nur für bestimmte handlungsrelevante Zwecke da sind. Mark soll sein Trauma mit Hilfe der Geschichte verarbeiten, kommt wieder in eine ähnliche Situation, verkörpert durch Nicol’s Ex (Neil Jackson), er wächst über sich hinaus und bekommt die Rothaarige mit dem tollen Fahrgestell zum Filmende. Genau dies passiert eben nicht.

Willkommen in Marwen (2018) Review
© Universal Pictures

Auch wenn die Geschichte immer wieder in die animierte Welt von Hogie und seinen Frauen in Marwen abdriftet, dort spektakulär geschossen und gekämpft wird, erzeugt der Film ein schon fast penetrant gutes Realitätslevel. Alles bleibt zwar in schönes Licht getaucht, perfekt ins Bild gesetzt und selbst Nachbarin Nicol scheint aus einem Modemagazin der 50er Jahre entsprungen zu sein, aber die Dialoge, die Ereignisse und das Verhalten streben nach Realität. Dies ist ein interessanter Widerspruch: Eine strahlende künstliche Hollywood-Inszenierung zeigt inhaltlich das echte harte Leben. Und genau dieser Gegensatz findet sich auch in den Fotografien von Mark Hogancamp wieder. Es sind Puppen in grober Kleidung und selbstgebauten Häusern, aber der Lichteinfall, die Perspektiven und das Arrangement wirken wie Reportage-Fotografien aus dem Zweiten Weltkrieg.

Willkommen in Marwen (2018) Review
Steve Carell und Robert Zemeckis am Filmset // © Universal Pictures

Inszenierung geglückt

Was besonders bei WILLKOMMEN IN MARWEN auffällt, ist der für einen Film ungewöhnliche Umgang mit PTBS (posttraumatische Belastungsstörung). Mark erzählt seiner Nachbarin fast im Nebenbei von dem brutalem Angriff auf ihn und wird jedoch von einer neuen detailreichen SS-General-Puppe im Modell-Laden fast in ein Angstkoma getrieben. Es ist ein Film der Gegensätze. Die Szenen mit den CGI-animierten Figuren haben eine hohe Detailverliebtheit und gehen immer wieder fließend in die reale Welt über. Aber diese Mikrowelt zeigt die korrekte Physik, zum Beispiel in der Bewegung von Wasser, lässt seine Figuren sich dennoch lebensecht und leicht bewegen. Ein paar Puppen-Witze kann sich Regisseur Zemeckis nicht verkneifen und eine Zeitmaschine darf auch nicht fehlen (ja, sie kann auch fliegen). Wenn man in den spannenden Kämpfen der Figuren versunken ist, sterben sie auch im Gefecht wie es nur Puppen können: Die Gliedmaßen fallen einfach ab und sie werden zu dem steifen Spielzeug, welches wir aus dem Kinderzimmer kennen. So holt Zemeckis uns immer wieder in die Welt seines Films zurück.

Willkommen in Marwen (2018) Review
© Universal Pictures

Kommen wir zu dem wohl sperrigsten Thema von WILLKOMMEN VON MARWEN, was vielleicht noch so manchem Zuschauer vor den Kopf stoßen wird: Marks Vorliebe für Damenschuhe, die frivole Kleidung der Puppen und die manchmal an der Grenze zur Naziploitation (Wikipedia) rangierenden Szenen. Es wird vielleicht zu oft auf die Leidenschaft des Protagonisten für Damenschuhe hingewiesen, aber sein offener Umgang damit, ist bei einer amerikanischen Produktion extrem erfrischend. Die manchmal schrägen Folter-Gewalt-Erotik-Andeutungen wollen dann aber doch nicht so ganz zum Gesamtbild Drama passen. Der Film bleibt jungendfrei (FSK 12), aber das konservative Publikum wird hier wohl sicherlich auf die Probe gestellt. Für Filmfans ist es aber eine schöne Abwechslung, die so gar nicht zu erwarten ist und die Rechtfertigung „beruht auf wahren Begebenheiten“ setzt alle Gegen-Argumente auf null. Die Schauspielerin Leslie Mann (BEIM ERSTEN MAL, IMMER ÄRGER MIT 40) stellt ebefalls unter Beweis, dass sie trotz ihrer anstrengenden quietschigen Stimme und Komödien-Dauerbesetzung auch ernste Rollen spielen kann.

Willkommen in Marwen (2018) Review
Foto vom Filmdreh Robert Zemeckis (rechts) // © Universal Pictures

Fazit

WILLKOMMEN VON MARWEN wird seine Kinozuschauer genauso in zwei Lager spalten, wie die Frage am Kinotresen nach süßem oder salzigem Popcorn. In Deutschland kann man sich sicher sein, dass nur der kleinere Anteil (salziges Popcorn) den Film mögen wird. Wer sich von einer Geschichte auch gern neue Perspektiven zeigen lassen kann und vor allem auch möchte, der sollte für diese Fantasiestadt ein Ticket lösen. Dann geht man beeindruckt wie der Autor dieser Zeilen nach der Vorstellung nach Hause.

Wer den echten Mark Hogancamp kennenlernen möchte, sollte einen Blick auf seine Website werfen.

 

Titel, Cast und CrewWillkommen in Marwen (2018)
Welcome to Marwen
Poster

Release
ab dem 28.03.2019 im Kino
ab dem 01. August auf Blu-ray und DVD
Bei Amazon bestellen:
RegisseurRobert Zemeckis
Trailer
DarstellerSteve Carell (Mark Hogancamp / Cap. Hogie)
Leslie Mann (Nicol)
Eliza González (Carlala)
Diane Kruger (Deja Thoris)
Leslie Zemeckis (Suzette)
Merritt Wever (Roberta)
Gwendoline Christie (Anna)
Janelle Monáe (GI Julie)
DrehbuchRobert Zemeckis
Caroline Thompson
MusikAlan Silvestri
KameraC. Kim Miles
SchnittJeremiah O'Driscoll
Filmlänge116 Minuten
FSKFSK 12

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert