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Welt-Theater Frankenberg

#4 FLUXVergangenheitsblicke – Welt-Theater Frankenberg

Bereits zum zweiten Mal stattete ich dem Welt-Theater in Frankenberg/Sachsen einen Besuch ab. Und dies nicht nur, da in diesem Ort mein Freund Patrick Müller wohnt, der ebenfalls seit vielen Jahren über Filme schreibt, sondern weil dort eindrucksvolle Klassiker auf 35mm gezeigt werden. Patrick ist überdies auch Filmemacher – sein aktueller Kurzfilm SÄV, SÄV, SUSA lief soeben bei den renommierten Flensburger Kurzfilmtagen und war im Oktober sogar Finalist beim New York City International Films Infest Festival / NYCIFIF (hier geht’s zu Patricks Homepage).

Das Welt-Theater besteht an seinem jetzigen Platz (Freiberger Straße 20) seit 1937, wobei der historische Bezug im Ort Frankenberg bis auf 1908 zurückgeht. Hier ein kurzer geschichtlicher Abriss ab dem Ende des Zweiten Weltkriegs, in leicht überarbeiteter und gekürzter Form durch mich auf Grundlage Notizen auf der offiziellen Website des Kinos

Welt-Theater Frankenberg
Visionsbar 1977 // © IG Welt-Theater Frankenberg/Sa. e.V.

Geschichte

Nach Kriegsende wurde das große Bildnis Adolf Hitlers in der Empfangshalle des Gebäudes sogleich gegen eines von Josef Stalin ausgetauscht. Anlässlich seines 70sten Geburtstages war auch in Frankenberg der „Stalin-Kult“ unübersehbar: zur Jahreswende 1949/50 zelebrierte man den Feiertag mit der Aufführung von Monumentalfilmen wie DER DRITTE SCHLAG (TRETIY UDAR, 1948) oder DIE STALINGRADER SCHLACHT (STALINGRADSKAYA BITVA, 1949). Da bis Ende der 40er Jahre im Kinobetrieb ausschließlich Nitrofilm, ein extrem feuergefährliches Filmmaterial, verwendet wurde, ließ der Kinoleiter mit Spitznamen „Kino-Herrmann“ eine Feuer-Nottreppe am Projektorenraum auf der östlichen Stirnseite des Welt-Theaters installieren. Filmvorführer Hanitzsch war aufgrund der katastrophalen Lebensmittelknappheit der Nachkriegszeit des Öfteren zum sog. „Hamstern“ unterwegs. Eines Tages erschien er dadurch zu spät zur Filmvorführung. Schon vor dem Kino musste er in Gegenwart einer langen Schlage wartender Besucher die Empörung des Kino-Chefs Erich Herrmann über sich ergehen lassen.

Welt-Theater Frankenberg
© IG Welt-Theater Frankenberg/Sa. e.V.

Es war bekannt, dass die Platzanweiserinnen des Welt-Theaters meist ein recht strenges Regime führten. Gerade deshalb waren sie auch ein beliebter Angriffspunkt für Streiche des jüngeren Publikums. So brachten Frechlinge mitunter Metallkugeln mit in die Vorstellung, die sie dann während der Dunkelheit von ihren Plätzen aus starteten. Durch den abschüssigen Fußboden rollten sie mit lautem Gepolter durch den dunklen Saal und keiner konnte die Witzbolde ertappen. Da „Kino-Herrmann“ bis in die 50er Jahre hinein neben dem neuen Welt-Theater auch die Apollo-Lichtspiele weiter betrieb, war aufgrund der strengen Film-Zensur oftmals nur eine Filmkopie für beide Spielstätten aufzutreiben. Deshalb kam es vor, dass die Filmvorführer selbst filmreife Leistungen vollbrachten. So wurde derselbe Zelluloidstreifen ca. eine halbe Stunde zeitversetzt erst auf der Freiberger Straße und dann am Kirchplatz gespielt. Nun schnellstens aufs Fahrrad und zurück, um vor Ablauf der nächsten Rolle wieder im Projektorenraum des Welt-Theaters zu sein, neue Rolle anspielen, abgelaufene Rolle untern Arm, und erneut los mit dem Fahrrad… Das Publikum wurde sicher nur dann auf dieses Kuriosum aufmerksam, wenn der Film riss und man einige Zeit im Dunkeln saß – und für Liebespärchen war es wohl ein besonders schöner Kinobesuch.

Welt-Theater Frankenberg
Der sannierte Neonschriftzu 1977 // © IG Welt-Theater Frankenberg/Sa. e.V.

Früher mussten abgelaufene Filme oft noch am gleichen Abend per Bahnversand zum nächsten Kino geschickt werden. So kam es nicht selten vor, dass sich Familie Koppehel noch spät in der Nacht mit einem Handwagen zum Frankenberger Bahnhof aufmachte, um das Filmmaterial persönlich auf den Weg zu bringen. Vermutlich im Zuge der Modernisierungsmaßnahmen Mitte der 70er Jahre erhielt die Hauptfront des Kinogebäudes einen recht aufwendigen und kostenintensiven Neonreklame-Schriftzug „Welt-Theater“. Die Installation war leider schon Mitte der 80er Jahre recht altersschwach. Bindestrich und die e-Buchstaben hatten keine Lust mehr zum Leuchten. Laut Kollege Kumfert hätte eine Reparatur enorme Kosten verursacht, sodass der kuriose Schönheitsfehler erst 1985 behoben wurde. Trotzdem hatte der Schriftzug kein langes Leben. Bereits in den 90er Jahren montierte man ihn ab. Seitdem ist er, wie so viele erhaltenswerte Gegenstände des Kinos, spurlos verschwunden. Einzig der letzte Leuchtkasten mit der Aufschrift „Kino-Center“ existiert noch und kann im BlueCafe hinter der Bar gesichtet werden.

Am 12./13. September 2009 kehrte das „Welt-Theater“ in die Stadt zurück. Das Haus erlebte einen Besucheransturm ungeahnten Ausmaßes. Am 03. November 2009 wurde im Frankenberger Stadtarchiv mit 12 Kinofreunden die Interessengemeinschaft Welt-Theater Frankenberg/Sa. gegründet. Ihr Ziel ist und bleibt die Rettung des historischen Filmtheaters. Die IG gab ihrem Projekt den Namen „Liebhaber-Kino Welt-Theater“.  Am 13. Dezember 2009 fand der 1. Kinotag statt. Das Interesse und die Hilfe der Bevölkerung waren überwältigend – und bleiben dies hoffentlich noch lange in die Zukunft.

Welt-Theater Frankenberg
Welt-Theater heute // © IG Welt-Theater Frankenberg/Sa. e.V.

Welt-Theater heute

Die heutigen Kino-Tage im Welt-Theater Frankenberg finden in der Regel einmal monatlich statt. Konzept ist und bleibt, einen gefüllten Wochenendtag (Samstag) ab nachmittags zu bieten. Es startet ein Kinderfilmprogramm ab ca. 15:00 Uhr, ebenfalls von 35mm-Originalfilm. Nicht selten handelt es sich um Kinder- und Jugendfilmklassiker der 1950er bis 1980er Jahre, so läuft als nächstes (am 15.12.) DIE SCHNEEKÖNIGIN (UdSSR, 1963) passend zur Jahreszeit. Aber auch ein Thementag „Science-Fiction“ wurde etwa im April dieses Jahres veranstaltet, wo nachmittags Richard Donners DIE GOONIES (THE GOONIES, 1985) und abends MATRIX (THE MATRIX, 1999), beide jeweils von 35mm gezeigt wurden. Bei den beiden von mir besuchten Vorführungen liefen im Abend- bzw. Erwachsenenprogramm DER AMPHIBIENMENSCH (1962) im September sowie Stanley Kubricks UHRWERK ORANGE (A CLOCKWORK ORANGE, 1971) im November. Die Kopien werden über ein bewährtes Netzwerk bezogen und weisen natürlich auch dem Alter entsprechende Gebrauchsspuren auf, je nachdem wie aktuell und restauriert jede Kopie beschafft werden kann.

Welt-Theater Frankenberg
Kinoprogramm von 2018 // ©

Zwischen den Filmblöcken des Kinder- bzw. Abendprogramms lassen sich die Veranstalter des Welt-Theaters stets noch ein abwechslungsreiches Zusatzprogramm einfallen: von Live-Musik über Vorträge und Kabarett bis hin zu Führungen in die Räumlichkeiten des altehrwürdigen Gebäudes – für Jeden wird immer wieder etwas Interessantes geboten. Ein Kaffee-/Kuchenbuffet sowie Häppchen und allerlei Getränke am Abend sind regulär, die Preise sehr günstig. Apropos Preise: der Eintritt ist stets umsonst, denn das Kino wirtschaftet mit Fördergeldern und den Spenden des Publikums, die ihr Kino nachdrücklich als Liebhaberstück unterstützen. So macht Kino als verzaubernder Ort vollumfänglich Spaß und ist gerade für Fans von klassischen Filmen ein absolutes Kultur-Pflichtprogramm.

Wir sehen uns im Welt-Theater Frankenberg!

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