„Kriegsspiele“
Stanislaw Jewgrafowitsch Petrow, für die meisten ein unbekannter Name. Aber sein überlegtes Handeln hat im Kalten Krieg die Menschheit vor schlimmen Konsequenzen bewahrt. Am 26. September 1983 stufte er als sowjetischer Offizier eine Satellitenüberwachung korrekt als Fehlalarm ein. Die Technik vermeldet einen nuklearen Angriff der Amerikaner. Petrow verhindert, dass die Sowjets mit einem atomaren Gegenschlag reagieren. Der Mensch als letzte Sicherung vor solch gravierenden Entscheidungen ist vielleicht gar keine so schlechte Idee. Im selben Jahr, in dem Petrow die Welt rettete, erscheint dieser Film in den Kinos: WARGAMES. Der Film von John Badham thematisiert, inwieweit Computer wichtige Entscheidungen für den Menschen treffen können, wirft Fragen zum Thema KI auf und der atomaren Pattsituation im Kalten Krieg. Einen Sieger kann es hier nicht geben – die einzige Frage ist, wer als zweiter verliert. Auch wenn alles ein bisschen auf einen 80er-Unterhaltungsfilm zugeschnitten ist, greift WARGAMES erstaunlich präzise unsere heutige Situation vorweg. Es werden heute nicht nur Atombombenbestände in Europa medial diskutiert, sondern auch die Künstliche Intelligenz scheint als nächste große technologische Welle ein enormes Risiko darzustellen. Die politischen Sicherheitsvorkehrungen können kaum Schritt halten und biologische Waffen in der eigenen Garage herzustellen, scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein.

Aber für mich beinhaltet WARGAMES etwas noch viel Interessanteres. Die Hauptfigur ist der Prototyp für die heutigen mächtigen Lenker und CEOs der Technologieindustrie. Steve Wozniak, Bill Gates, Steve Jobs, Larry Page, Sergey Brin, Jen-Hsun Huang, Sundar Pichai und Elon Musk sind alles Männer, die sich vor allem in ihrer Jugend mit Technik auseinandergesetzt haben, einen Großteil ihrer Freizeit isoliert verbracht haben und zur richtigen Zeit am richtigen Ort auf die richtigen Menschen und ausreichendes Kapital getroffen haben. Das Ergebnis sind Konzerne, die mehr Macht haben als ganze Nationalstaaten zusammen. Und wir sind bereits alle ihre User und können uns nicht mehr eine Welt ohne Mikrochips, Algorithmen und Highspeed-Internet vorstellen. Auch diese Persönlichkeiten nimmt WARGAMES in gewisser Weise vorweg, mit einem jungen Matthew Broderick, der sich mit einem Dosenverschluss kostenlos ein Münztelefon hacken kann.

Handlung
Noch schnell vor der Schule den Highscore bei Space Invaders knacken. Doch die Zeit ist knapp und David Lightman (Matthew Broderick) muss zur Schule zum Biologieunterricht. Organische Themen liegen ihm ebenso wenig wie seiner Mitschülerin Jennifer Mack (Ally Sheedy), die ebenfalls im letzten Test durchgefallen ist. Für den technikaffinen David ist das aber kein Problem, denn er ist ein IT-Nerd und kann sich dank eigenem Telefonmodem und Heimcomputer in seinem Zimmer in den Schulrechner einwählen und aus der Note „F“ ganz schnell ein „C“ machen. Für Jennifer, obwohl sie es nicht möchte, gibt es ein „A“. Für David ist das alles eine leichte Übung. Als nächstes will er sich in eine Spielentwicklerfirma hacken, um das neueste Kriegsspiel zu spielen. Er lässt per Programm alle Nummern im Ortsnetz automatisch anwählen. Er trifft auf eine Spielesammlung und ein Spiel, das einen thermonuklearen Weltkrieg simuliert. Jedoch ist David nicht bei einem Spieleentwickler gelandet, sondern hat sich direkt ins amerikanische Verteidigungssystem gehackt und den dortigen selbstständig lernenden Rechner namens WORP (War Operation Plan Response) zum Spiel auf Leben und Tod herausgefordert. Während David glaubt in einem Computerspiel zu sein, zählt WARP schon einmal den Countdown für einen nuklearen Vergeltungsschlag herunter.

Prototyp: Tech-Nerd
Gleich zu Beginn muss man unweigerlich an das Buch „Ready Player One“ von Ernest Cline denken, wenn David in seinem „Kinderzimmer“ sitzt. Nicht nur wegen der einen Quest in der die Hauptfigur den Film durchspielen muss, sondern auch wegen der Liebe zur IT-Tüftelwerkstatt in der Jugend. Das Zimmer von David gleicht ebenfalls eher einer Computerwerkstatt. Wenn er seinen IMSAI-Mikrocomputer anwirft, scheint alles so simpel: ein paar Pixel, Texteingaben. Eine Maus als Werkzeug gibt es nicht und der Rechner verbindet sich mit Hilfe von Tönen über die Ohrmuschel eines Wählscheibentelefons. Für uns heute gleicht das Internet einem dreidimensionalen Netz, in dem man jederzeit an jedem Ort sein kann, Anfang der 80er ist es eher ein Taschenrechner mit Warteschleife.

WARGAMES zeigt perfekt die Welt der Regan-Ära. Die Familie Lightman lebt in den Suburbs mit großem Haus und treuem Golden Retriever – der übrigens als erster die Welt vor dem Untergang bewahrt, indem er den Müll durchwühlt und David von weiteren „Kriegsspielen“ abhält. Die Eltern scheinen einen anspruchsvollen und gut bezahlten Job zu haben. Sie wirken selbst etwas unsozial und roboterhaft. Eine romantische Beziehung zwischen ihnen ist nicht zu erkennen. Sie lassen ihrem Jungen seinen Freiraum und bezahlen seine Interessen anscheinend gern, auch wenn sein Zeugnis eher das Werk von Betrug ist. Freunde scheint David nicht zu haben und sein soziales Leben beginnt erst mit Jennifer, die hauptsächlich auf ihr Sportinteresse reduziert wird und mehr oder weniger im ganzen Film nur mitläuft. Ihre Rolle scheint auch dazu da zu sein, für uns, dem einfachen Publikum, sich den technischen Prozess zu erklären zu lassen.
Rollen aller Art
Werfen wir noch einen genaueren Blick auf die Rollenbilder in WARGAMES. In der Einleitung stellen wir die These auf, dass David die Zukunft des Silicon Valley darstellt. Technisch ist er zweifellos versiert, verfügt über ausreichend Ressourcen für Hardware und genug Ehrgeiz, wie man in seiner aufwendigen Suche nach Dr. Stephen Falken (John Wood) erkennt. Die Sequenz zeigt besonders schön, wie aufwändig eine analoge Suche vor 40 Jahren war. Heute gibt man schon nach der zweiten Seite bei Google auf. David scheint auch in Dr. Falken eine väterliche Projektionsfigur zu sehen: führend im Bereich des maschinellen Lernens mit Hilfe von Spielen. Falken scheint auch etwas sozial abgeschottet und wirkt durch den Verlust seines Kindes menschlich verwundbar. Seine Sehnsucht nach seinem verlorenen Sohn leitet er in die Entwicklung des WORP, der im Film immer wieder Joshua genannt wird.

Aber warum gibt es für David keine anderen männlichen Vorbilder? Anmerkung: Frauen bekommen im ganzen Film nur hauchdünnes Mitspracherecht zugeteilt. Die Mutter pocht auf gute Zeugnisse, Jennifer dient als Kreditgeberin und bei NORAD hat die einzige Frau eher eine Assistenzaufgabe in der Hierarchie. Zurück zu den Männern: Militärische Vorbilder gibt es nicht. Die Piloten, die zu Beginn den Raketenstart ausführen sollen, scheinen sich unsicher zu sein, ob sie für das Sterben von Millionen Menschen verantwortlich sein möchten – Zu Recht. Dieses Gewissen wird bei der Übung zu Filmbeginn als Schwäche ausgelegt. 22% haben keine nuklearen Raketen gestartet. Dieses „Versagen“ gewährt WORP überhaupt erst Zugang zur nuklearen Vernetzung. In General Jack Beringer (Barry Corbin) mit Kautabak und kessen Sprüchen finden wir nur einen weiteren kaltschnäuzigen Typen, der vor seinem Handeln kaum nachzudenken scheint. David steht in Sachen Vorbilder auf weiter Flur allein da und kann am Ende als einziger die Welt retten, indem er einer Maschine ein Unentschieden beibringt. Zum Kinostart war das damals noch nicht erkennbar, denn es ist ein Familienfilm, in dem am Ende der junge, talentierte Protagonist die Welt rettet. Seine moralischen und sozialen Fähigkeiten und die Einschätzung über Richtig und Falsch wird kaum erwähnt. Er ist die meiste Zeit in seinem Zimmer, scheint über genug Geld zu verfügen und kennt nicht die Probleme von anderen, außer sie ähneln den seinen. Auch in gewisser Weise ein Vorbote auf die Netflix-Serie ADOLESENCE (2025), die aufgreift und zeigt, wie menschliche Empathie durch digitale Isolation verkümmert. Die Eltern lassen ihren Sohn mit der technischen Entwicklung allein, ohne sich damit auseinanderzusetzen. Sicher rettet David in WARGAMES den Tag, aber einem einzigen Jungen so viel Macht zu geben ist sicherlich keine gute Idee, was sich zum Beispiel in der aktuellen Entwicklung von Mark Zuckerberg, der glaubt der nächste Imperator zu werden, widerspiegelt.

40 Jahre später

So traurig die Aktualität von WARGAMES im Jahr 2025 ist, umso wichtiger ist diese Heimkinoveröffentlichung von Capelight Pictures. Das Bild sieht dank Ultra HD Blu-ray und Blu-ray Disc sehr gut aus, wie frisch aus dem Fotolabor. Farben, Schärfe und Körnung sind sauber abgestimmt und passen zum damaligen Produktionsjahr. Den Ton gibt es wahlweise in 2.0 oder 5.1. Wie immer empfehlen wir auf dem Fluxkompensator die Mediabook-Edition, weil es hier nicht nur eine Bonus-Blu-ray Disc mit über einer Stunde audiovisueller Extras gibt, sondern auch ein 24-seitiges Booklet mit einem Text von Tobias Hohmann.
Fazit
Oberflächlich ist WARGAMES ein spannender Familienfilm mit Kalter-Kriegs-Thematik aus den tollen 1980er-Jahren. Wer jedoch ein bisschen tiefer in die Kriegsspielthematik hineinschaut, sieht eine Vorhersage auf mächtige Männer der Gegenwart, die eher in Bits als in Empathie denken. Für beide Sichtweisen ein Gewinn fürs Filmwissen.
Titel, Cast und Crew | WarGames (1983) |
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Poster | ![]() |
Release | seit dem 24.04.2025 im Mediabook (Ultra HD Blu-ray + Blu-ray + Bonus-Blu-ray) erhältlich. Direkt beim Label bestellen. |
Regie | John Badham |
Trailer | |
Besetzung | Matthew Broderick (David Lightman) Dabney Coleman (Dr. John McKittrick) John Wood (Dr. Stephen Falken) Ally Sheedy (Jennifer Katherine Mack) Barry Corbin (General Jack Beringer) Juanin Clay (Pat Healy) Dennis Lipscomb (Lyle Watson) Joe Dorsey (Colonel Joe Conley) Irving Metzman (Paul Richter) Kent Williams (Arthur Cabot) Michael Ensign (Beringers Berater) William Bogert (Mr. Lightman) Susan Davis (Mrs. Lightman) James Tolkan (FBI-Agent Nigan) John Spencer (Capt. Jerry Lawson) Michael Madsen (Lt. Steve Phelps) Maury Chaykin (Jim Sting, Informatiker) Eddie Deezen (Malvin, Informatiker) Alan Blumenfeld (Mr. Liggett, Lehrer) Stephen Lee (Sergeant Schneider) Art LaFleur (Wächter) |
Drehbuch | Lawrence Lasker Walter F. Parkes Walon Green |
Kamera | William A. Fraker |
Musik | Arthur B. Rubinstein |
Schnitt | Tom Rolf |
Filmlänge | 114 Minuten |
FSK | ab 12 Jahren |
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter