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VIY (1967) – Filmkritik

Im Jahre 1835 verfasste der russische Schriftsteller Nikolai Wassiljewitsch Gogol seine fantastische Erzählung, die auf den Namen Wij, auch Vij hört. Der hier vorliegende Film VIY basiert genau auf dieser Geschichte und ist von den Ereignissen her deckungsgleich mit Gogols Erzählung. Schon mehrfach wurde seine Novelle verfilmt, bereits Anfang des 20. Jahrhunderts durch zwei russische Filmpioniere (1909 durch Wassili Gontscharow, 1911 von Wladyslaw Starewicz), doch beide gelten bis heute als verschollen. Es folgten weitere Produktionen, die sich des Themas annahmen, die bekannteste dürfte davon Mario Bavas DIE STUNDE, WENN DRACULA KOMMT (LA MASCHERA DEL DEMONIO, 1960) sein, mit der Horror-Ikone Barbara Steele in ihrer berühmten Doppelrolle. Übrigens hat die junge Hexe in VIY (1967) eine verblüffende Ähnlichkeit mit eben jener Barbara Steele. Auch wenn Bava sich nur von Gogols Erzählung inspirieren ließ, sind bei einem näheren Blick auf den Klassiker deutlich die Spuren seiner Herkunft erkennbar. Doch bleiben wir bei diesem VIY, einer düsteren Geschichte voller Metaphern, Andeutungen und Geheimnissen.

Handlung

Der junge Philosophiestudent Choma (Leonid Kuravlyov) verläuft sich mit zwei seiner Kollegen auf dem Heimweg in den beginnenden Semesterferien. Eine alte Frau (Nikolay Kutuzov) gewährt ihnen eine Übernachtung auf ihrem armseligen Hof. Doch sehr schnell findet Choma heraus, dass die Alte eine Hexe ist. Bei dem Versuch zu entkommen, schlägt Choma sie halb tot. Im Sterben liegend, verwandelt sie sich in eine bildhübsche junge Frau. Choma flüchtet in die Klosterschule. Kurz darauf bekommt er den Auftrag für die schwer misshandelte Tochter (Natalya Varley) eines reichen Gutsherrn das Totengebet zu sprechen. Bei seiner Ankunft ist sie jedoch bereits verschieden, und Choma erkennt bei der ersten Gegenüberstellung, dass es sich um jene Hexe handelt, die ihm damals so sehr zugesetzt hatte. Und auch die Hexe hat diese denkwürdige Nacht nicht vergessen und sinnt auf Rache.

Eine Heldenreise ohne Helden

Gogols Schauermär spielt zu einer Zeit, in der Religion für die Menschen die einzige Hilfe bot, die Rätsel ihrer Umwelt zu deuten. Somit verwundert es auch nicht weiter, dass Glauben, Volkssagen, Folklore und eine große Portion Mystik hier im Mittelpunkt stehen, die heutzutage nur noch eine untergeordnete Rolle in der aufgeklärten Welt spielen. Wie bei Märchen üblich, ist die Handlung verschlüsselt und mit Metaphern bestückt. Und es dreht sich nicht nur um böse Hexen und Dämonen, die über das Land kommen. Nein, es ist vielmehr ein Test für den Protagonisten und seine Gottesfürchtigkeit, mit der es nicht allzu weit her ist. Dreh- und Angelpunkt ist zu Beginn die Nacht auf dem Bauernhof mit der alten, mysteriösen Frau. Als sie des Nachts in die Scheune kommt und sehr zudringlich gegenüber dem jungen Choma wird, nur um ihn anschließend zu verhexen und auf ihm durch die Lüfte über das Land reitet. Dieser Ritt ist eine Metapher für den nicht dargestellten Geschlechtsverkehr. Das Choma sie kurz darauf halb tot schlägt, bringt uns zu einem weiteren Thema, nämlich sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen. Somit stellt sich schon sehr früh die Frage, was für eine Art von Film wir hier eigentlich haben? Zum einen ist es ein klassisches Horrormärchen, doch darunter verbirgt sich ein „Rape and Revenge Movie“ der besonderen Art.

Der Schauplatz dieser Rache findet sich in der zweiten Hälfte in einer alten heruntergekommenen Kirche, die mehr an ein englisches Geisterschloss erinnert. Beim Anblick dieser unheimlichen Umgebung verwundert es, wenn man bedenkt, wie gottesfürchtig die Menschen jener Zeit waren, und man fragt sich, was verdammt noch mal zuvor dort geschehen ist. Wieso wurde dieser Ort des Glaubens so vernachlässigt? Doch genau diese Verwahrlosung bietet die perfekte Atmosphäre für den finalen Kampf. Und wenn es dann in der entscheidenden Nacht zur letzten Schlacht kommt, wird alles aufgefahren, was die slawisch-russische Mythologie zu bieten hat, mit der ultimativen Waffe, den Viy am Ende, der das Schicksal Chomas besiegelt und sein wahres Antlitz entblößt. Es wird eine unglaubliche Atmosphäre entfesselt, in der sich die Armeen der Finsternis um unseren Protagonisten versammeln. Trotz des sehr gemächlichen Tempos der Story schaffen es die beiden Regisseure Ershov und Kropachyov den Spannungsbogen bis zur letzten Filmsekunde aufrecht zu erhalten.

Das Mediabook und die Effekte

Das Mediabook von Camera Obscura

Einige der vielfältigen Themen und Aspekte in VIY, die hier lediglich angerissen wurden, führt Chris Schinke in seinem spannenden Booklet genauer aus. Das Bild der restaurierten Fassung ist hervorragend geworden, kein Vergleich zu den verschiedenen DVD-Versionen, die es am Markt gibt.

Die Sets sind für damalige Verhältnisse großzügig und sehr detailreich ausgeführt worden. Einige Tricks und Kniffe sind mit dem heutigen Wissen darüber leicht zu durchschauen, wie etwa Rückprojektionen, „Matte Painting“, drehbare Bühnen und dergleichen. Doch sie verfehlen noch immer nicht ihre beeindruckende Wirkung, ebenso trifft das auf die zahlreichen Effekte zu. Zu großen Teilen wurde an realen Örtlichkeiten gedreht, der Rest, wie etwa der Kampf gegen die Hexe und den Heerscharen der Hölle im Studio. Die Szenen sind zu jeder Zeit perfekt ausgeleuchtet, der Kontrast stimmig. Die sehr bewegliche Kamera verleiht dem Film eine ungeahnte Dynamik, die für damalige Produktionen selten zu finden ist. Statische Aufnahmen sind nur spärlich vorhanden, und wenn, dann aus teils ungewöhnlichen Winkeln. Die großartigen Bilder begeistern von Beginn an, doch gerade in der zweiten Hälfte des Films wird diese Qualität noch einmal gesteigert. Dazu erklingt ein imposanter Sound, der perfekt das fantastische Geschehen auf der Leinwand begleitet.

 Fazit

VIY ist ein Unikat in der sowjetischen Kinogeschichte, sowohl was die Produktion betrifft wie auch ganz besonders von der Thematik her. Lange Zeit außerhalb der Wahrnehmung bekannter Genre-Historiker, gilt er heute über ein halbes Jahrhundert nach seiner Entstehung als wichtiger Klassiker des Gothic-Kinos.

© Stefan F.

Titel, Cast und CrewVIY (1967)
OT: WIJ
Poster
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RegisseurKonstantin Ershov
Georgiy Kropachyov
Trailer
BesetzungLeonid Kuravlyov (Choma)
Natalya Varley (Pannochka)
Aleksey Glazyrin (Sotnik)
Nikolay Kutuzov (Vedma)
Vadim Zakharchenko (Khalyava)
DrehbuchKonstatin Ershov
Nikolay Gogol
Georgiy Kropachyov
Aleksandr Ptushko
KameraViktor Pishchalnikov
Fyodor Provorov
MusikKaren Khachaturyan
SchnittR. Pesetskaya
Tamara Zubova
Filmlänge77 Minuten
FSKab 16 Jahren

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