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Vesper Chronicles (2022) – Filmkritik

Science-Fiction-Geschichte(n)

Begonnen hatte alles mit naiven Träumen einer grenzenlosen Utopie, von einer Welt, in der die Menschheit alles hatte, friedlich und sorglos Seite an Seite in gigantischen Städten lebte. Wir träumten davon, das Weltall mit großartigen Raumschiffen zu erobern, fremde Planeten und Kulturen zu entdecken. Das Schlimmste in jenen Jahren war ein verrückter Computer, ein durchgeknallter Wissenschaftler oder das ein oder andere schlecht gelaunte Alien. Ohne Vorwarnung überfluteten plötzlich zahlreiche außerirdische Invasionsarmeen die Erde, und die sorglose Zukunft war für alle Zeiten vom Tisch. Nur mit viel Glück und einigen Tricks wurde die Eroberung der Erde immer wieder verhindert. Zwischen all diesen Raumschlachten erreichten uns die ersten atomaren Schrecken in Form von überdimensionalen Tierarten ebenso wie finstere Dystopien einer totalen Überwachung jedes einzelnen Bürgers. Es vermehrten sich die Zukunftsängste und eine Katastrophe jagte die nächste. Vergessen waren außerirdische Invasoren, denn auf unserem Planeten gab es genügend Schrecken für alle. Erste Ideen und Ahnungen beschlichen uns über eine zerstörte Natur, eine zeugungsunfähige Menschheit oder einem entvölkerten Planeten Erde. Die Natur lehnte sich mit allem, was sie hatte, gegen die Herrschaft des Menschen auf, was bis zu einer Zukunft gereichte, in der die Affen den Menschen beherrschen. Erste Roboter und Androiden wurden entwickelt, doch auch sie lehnten sich letztendlich gegen uns auf, egal wie raffiniert die Technik auch war. Wie aus dem Nichts erreichte uns in dieser düsteren Zeit aus einer weit, weit entfernten Galaxis ein neuer positiver Impuls, ehe kurz darauf unsere Schreie im All erneut verstummten. Was folgte, war der Untergang mittels atomarer Feuer oder durch einen zerstörerischen Meteoriten. Im postapokalyptischen Inferno führten uns die letzten Überlebenden durch die Trümmer der Zivilisation. Ganze Städte wurden zu Gefängnissen, Aliens, die den menschlichen Körper übernahmen, wurden zur Tagesordnung oder jene, die ihrer Jagdleidenschaft auf unserem Planeten frönten. Visionen einer noch schrecklicheren Zukunft geisterten durch unsere Köpfe, außerirdische Angreifer wurden immer raffinierter, selbst die Hölle per Raumschiff wurde gefunden. Mit dem Erscheinen der ersten Killer-Cyborgs aus einer menschenfeindlichen Zukunft wurde aus dem hochgelobten Fortschritt endgültig eine tödliche Falle. Über viele Jahre hinweg machten sie uns das Leben schwer, ehe wir uns zum Jahrtausendwechsel in einer Simulation wiederfanden und wir nur noch als bessere Batterien für intelligente Maschinen dienten. Die künstliche Intelligenz wie auch die Umgestaltung des fehlerhaften menschlichen Körpers durch technische Gimmicks war die neuste Herausforderung auf dem Weg in eine Welt, in der selbst Gedanken nicht mehr sicher waren. Doch egal welche Route wir auch einschlugen, immer wieder entpuppte er sich als eine schmerzhafte Sackgasse. Alle Wege mündeten mit der totalen Zerstörung der Erde oder einer ökologischen Katastrophe, die alle Grundlagen der Menschheit am Ende zerstörte.

© Plaion Pictures

Handlung zu VESPER CHRONICLES

Das Ökosystem der Erde ist zusammengebrochen. Eine Natur, wie wir sie kennen, gibt es nicht mehr. Einige wenige haben sich in gigantischen Türmen, Citadels genannt, vor dem letzten Rest der Menschheit abgeschottet und leben in Luxus. Die Ausgestoßenen führen ein erbärmliches Dasein ohne jede Aussicht auf Rettung. Eine von ihnen ist die junge Vesper (Raffiella Chapman), die gemeinsam mit ihrem gelähmten Vater Darius (Richard Brake) zwischen umherwandernden Pilgern, Vagabunden und Banditen im unbewohnbaren Ödland ums Überleben kämpft. Als in der Nähe des Hauses ein Raumgleiter mit der mysteriösen Camellia (Rosy McEwen) abstürzt, sieht Vesper ihre Chance gekommen. Doch mit dem Auftauchen der mysteriösen Camellia steht nicht nur das Leben von Vesper auf dem Spiel, sondern das der ganzen Erde.

Komplex und faszinierend

Werfen wir einen genauen Blick auf die Handlung, entdecken wir schnell ein präzise angelegtes Spiegelbild unserer Gesellschaft. Auf der einen Seite finden wir die Reichen, die abgeschottet in ihren Citadels leben. Sicher behütet vor denen, die jeden Tag um eine Mahlzeit und um ihr Überleben kämpfen müssen. Und wir entdecken eine allzu bekannte Geschichte einer vom Luxus verwöhnten Person, die es durch ein Unglück zu den Ärmsten dieser Welt verschlägt und sich unvermittelt mit bisher nicht gekannten Ängsten und Sorgen konfrontiert sieht. Außerdem sehen wir einen Bruderzwist, der an Kain und Abel erinnert. Und dann wäre da noch das Geheimnis, das Camellia umgibt, was letztendlich sehr an Rachael (Sean Young) aus dem Klassiker BLADE RUNNER (1982) erinnert. All das und noch viel mehr spielt in einer trostlosen, zerstörten und lebensfeindlichen Umwelt. Einer zerstörten Welt, die von ökologischen Krisen und dem sträflichen Missbrauch von Biotechnologie, Genetik, Mikrobiologie und vielem mehr an den Rand des Abgrundes getrieben worden ist.

© Plaion Pictures

Vor dieser Kulisse verfolgen wir den tagtäglichen Kampf der Biohackerin Vesper und ihr emsiges Streben für sich und ihren Vater eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Besonders auffällig ist dabei die Drohne, die Vesper auf Schritt und Tritt begleitet. Auch wenn sie im ersten Moment an V.I.N.CENT. aus dem Disney Streifen DAS SCHWARZE LOCH (THE BLACK HOLE, 1979) oder an eine moderne Variante des Wilson aus CAST AWAY (2000) erinnert, ist er weit mehr und hat seinen ganz eigenen Charme. Daneben verfügt er über einen wichtigen Nutzen, denn es ist die einzige Verbindung zwischen Vesper und ihres gelähmten Vaters. Es ist Augen, Ohren und Mund, quasi der verlängerte Arm von Darius. Nur so ist es möglich, Vesper bei ihren Ausflügen zu begleiten und ihr mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Wer jetzt glaubt, dass die Drohne ein Computereffekt ist, den muss ich enttäuschen. Mit einer ganz simplen Lösung hat sich das „Special-Effekts-Team“ zu helfen gewusst. Zur Auflösung verweise ich auf das Interview mit den beiden Regisseuren Kristina Buozyte und Bruno Samper. Schade, dass es bei VESPER CHRONICLES nicht zu einem ausführlichen „Making Of“ gereicht hat, warum auch immer.

Im Wald, irgendwo in Litauen

Mit VESPER CHRONICLES haben wir eine europäische Co-Produktion vor uns, die es zu jeder Zeit mit den überteuerten Produktionen aus Hollywood aufnehmen kann. Bild und Ton überzeugen und ziehen den Zuschauer von der ersten Sekunde in ihren Bann. Die düstere und bedrückende Atmosphäre wird immer wieder von außergewöhnlichen Pflanzen durchbrochen, die Interesse weckend in Szene gesetzt wurden. Interessante Einblicke zur Produktion und den Schwierigkeiten, die dabei entstanden, erhält der interessierte Betrachter in dem schon erwähnten Interview. Das liegt zwar nur in Englisch vor, allerdings mit deutschen Untertiteln.

© Plaion Pictures

Die Riege der Darsteller ist sorgfältig ausgewählt. Vor allem die Engländerin Raffiella Chapman, geboren 2007, in der Rolle der Vesper überrascht und beeindruckt. Dem ein oder anderen wird das Gesicht womöglich bekannt vorkommen. Sie spielte bereits in DIE ENTDECKUNG DER UNENDLICHKEIT (THE THEORY OF EVERYTHING, 2014) oder DIE INSEL DER BESONDEREN KINDER (MISS PEREGRINE’S HOME FOR PECULIAR CHILDREN, 2016) eine Rolle. Mindestens ebenso beeindruckend ist die Leistung der britischen Schauspielerin Rosy McEwen in der Rolle der Camellia. Bereits mit 13 Jahren startete sie ihre Karriere allerdings noch unter dem Namen Rosy Byrne. Es folgten Theateraufführungen sowie Auftritte in zahlreichen TV-Serien der BBC. Doch erst mit der zweiten Staffel der US-Serie DIE EINKREISUNG (THE ALIENIST, 2018 – 2020) kam ihre internationale Karriere so richtig in Schwung. Neben den beiden hervorragenden Protagonistinnen glänzen vor allem die markanten Charakterdarsteller Eddie Marsan und Richard Brake, die bereits in zahlreichen Produktionen ihre Klasse beweisen durften. Doch auch der restliche Cast braucht sich nicht dahinter zu verstecken. Und ja, um an meine Besprechung zu RUBIKON (2022) anzuknüpfen, hier passen die beiden Hauptdarstellerinnen perfekt zur Story und zu ihren verkörperten Charakteren.

© Plaion Pictures

Doch nicht nur die Leistung der Darsteller ist überzeugend, auch die Aufnahmen, die der junge lettische Kameramann Feliskas Abrukauskas (REDIRECTED, 2014; SINEFILIJA, 2021), abliefert, sind mehr als überzeugend. Faszinierende Fahrten durch düstere Wälder und verwinkelte Gebäude, egal ob wilde Action oder ruhige Momente, Feliskas Abrukauskas beherrscht sie alle. Die ein oder anderen Szene von VESPER CHRONICLES mutet wie eine zaghafte Reminiszenz an den großen Meister des sowjetischen Films, Andrei Tarkovsky (SOLARIS, 1972; STALKER, 1979), an. Dazu kommt Abrukauskas meisterhafte Anwendung von intensivem Licht und Farben und einem Gespür für die besondere Aufnahme. Exzellente Bilder verdienen eine ebensolche Begleitung in Form eindringlicher Kompositionen. Und die liefert der Franzose Dan Levy (RAW, 2016) auf den Punkt. Dadurch entsteht eine Atmosphäre, die uns tief in die gnadenlose Welt von Vesper entführt und noch lange in uns nachwirkt.

© Plaion Pictures
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Regisseurin Kristina Buozyte, geboren in Litauen im Oktober 1982, ist einer der beiden Köpfe hinter VESPER CHRONICLES. Am bekanntesten dürften ihre bisherigen Arbeiten AURORA (2012) und ihr Beitrag für die THE ABCS OF DEATH 2 (2014), segment „K is for Knel“, sein. Ihr langjähriger Partner Bruno Samper, Baujahr 1974 in Frankreich, war bisher hauptsächlich für die Drehbücher zu Buozytes Filme zuständig, bevor er selbst auf dem Regiestuhl einen passenden Platz fand. Dass die beiden sich ausgiebig mit den Öko-Science-Fiction-Klassikern der 1970er- und 1980er-Jahre beschäftigt haben, ist deutlich in ihrem neusten Beitrag zu sehen. Es lassen sich zahlreiche Bezüge zu den großen Klassikern des Genres in VESPER CHRONICLES wiederfinden, einige habe ich weiter oben schon erwähnt. Die Handlung in VESPER CHRONICLES ist stringent aufgebaut, spannend und jederzeit hervorragend ausbalanciert. Die Charaktere entwickeln sich in ihrem Bezugsrahmen weiter und offenbaren dabei einige Geheimnisse dieser Welt vor dem neugierigen Betrachter. Das einzig Negative an VESPER wäre die zu kurze Laufzeit.

Fazit

VESPER CHRONICLES ist ein utopisches Märchen, das sich kongenial mit einer beklemmenden Dystopie verbindet. Die beiden Regisseure Kristina Buozyte und Bruno Samper erschufen eine finstere Apokalypse in berauschenden Farben und Bildern. In den wenigsten Fällen dürstet es mich nach einer Fortsetzung, doch im Falle von VESPER CHRONICLES kann ich mir diesen Wunsch nicht verkneifen. Denn es gibt noch so vieles zu entdecken und nicht alle Fragen wurden beantwortet.

© Stefan F.

Titel, Cast und CrewVesper Chronicles (2022)
Poster
RegieKristina Buozyte
Bruno Samper
Releaseab dem 26.01.2023 auf Blu-ray und DVD erhältlich, wie auch im limitierten Steelbook (UHD+BD).

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Trailer
BesetzungRaffiella Chapman (Vesper)
Eddie Marsan (Jonas)
Rosy McEwen (Camellia)
Richard Brake (Darius)
Melanie Gaydos (Jug)
Edmund Dehn (Elias)
DrehbuchBruno Samper
Kristina Buozyte
Brian Clark
MusikDan Levy
KameraFeliksas Abrukauskas
SchnittSuzanne Fenn
Justin MacKenzie Peers
Filmlänge114 Minuten
FSKAb 16 Jahren

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