„Die heilende Wiederholung“
Es gibt Kultfilme, die man aufgrund ihres Flairs, ihrer Darsteller oder einfach ihres Zeitgeistes kulturell verehrt. Man kann sich solche Lieblingsfilme immer und immer wieder ansehen. Und dann gibt es die Art Lieblingsfilme, die sich als Kultfilme tarnen, weil sie ihre Spuren im Alltag hinterließen – wie in diesem Fall ein Filmtitel, der zur Redewendung wurde. Sie verkleiden sich als lockere Komödie ohne Anspruch, wickeln einen mit Witzen um den Finger und offenbaren eine Komplexität, die man nicht erwartet hat. Während man bereits die Dialoge murmelnd mitspricht, fallen einem immer wieder neue Blickwinkel auf: eine schöne Requisite, eine moralische Aussage oder ein aktueller gesellschaftlicher Aspekt. Wenn ich UND TÄGLICH GRÜSST DAS MURMELTIER sehe, erwartet mich nicht nur 38 Mal der Groundhog Day (Murmeltiertag) und eine der besten Figuren, die Bill Murray geschaffen hat, sondern auch die Gewissheit, etwas über das Leben und die Liebe zu lernen. Diese Fantasy-Liebeskomödie gibt mir das Vertrauen, dass es niemals zu spät ist sich zu ändern, zu verbessern. Meine Lebenszeit ist auf einmal wieder unbegrenzt vorhanden. Und das dank der unendlichen Zeitschleife eines Tages in der Idylle einer verschlafenen, amerikanischen Kleinstadt der 90er-Jahre.
Handlung
Phil Conners (Bill Murray) steckt in einer beruflichen Sackgasse. Als Wetteransager für Kanal 9 ist er so ziemlich am Zenit seiner Karriere angekommen und das hat ihm zu einem zynischen Egoisten werden lassen. Er sieht sich als Star, weiß aber tief in sich drin, dass er an den eigenen Ansprüchen nicht einmal nah dran ist. Aber das ist erst einmal unwichtig, denn er muss im vierten Jahr in Folge von Pittsburgh in die Kleinstadt Punxsutawney, um live vom Gobblers Knob zu berichten. Dort wird am 2. Februar traditionell das Murmeltier namens Phil aus seinem Winterschlaf geholt und wenn es seinen Schatten sieht, wird es weitere sechs Wochen Winter geben. Ist kein Schatten zu sehen, steht der Frühling vor der Tür. Neben seinem Kameramann Larry (Chris Elliott) ist dieses Mal die neue Produzentin Rita (Andi MacDowell) dabei, vor der Phil die volle Bandbreite seiner miesen Persönlichkeit entfaltet. Nach der Verkündung vom Murmeltier, dass es weitere sechs Wochen Winter geben wird, schafft es das kleine Fernsehteam wegen starker Schneefälle nicht mehr zurück. Sie übernachten ein weiteres Mal im Ort. Doch am nächsten Morgen wacht Phil in seiner Frühstückspension auf, es liegt aber keinerlei Schnee vor dem Fenster, alle Menschen, die er trifft, verhalten sich wie am Tag zuvor, denn es ist wieder? Genau, Murmeltiertag!
Zeitschleife, die
Dieses physikalische Phänomen ist immer wieder in Filmen oder Serien verwendet worden. Wenn man einen Moment – oder in diesem Fall einen ganzen Tag – ohne Konsequenzen des Vorherigen immer wieder erlebt, hört sich das doch erst einmal gar nicht schlecht an. Die Unendlichkeit der Zeit liegt einem vor den Füßen. Man wird nicht älter und wenn man stirbt, wacht man einfach wieder am Tagesanfang auf. Es ist wie ein Computerspiel-Level mit unbegrenzten Leben, was auf 24 Stunden begrenzt ist. Wenn man versagt, geht es wieder von vorn los, in diesem Fall auf der weichen Matratze einer Pension und mit dem leierndsten Liebessong, den man sich vorstellen kann: „I Got You Babe“ von Sonny & Cher aus dem Jahr 1965.
Diese Zeitschleife ist auch eine Art von Zeitreise. Es wird immer wieder dasselbe passieren und die einzige Variable ist unsere Hauptfigur Phil. Er wird durch die Wiederholung des Murmeltiertags zum Hellseher. Das Geschirr, was herunterfällt, die Vorhersage des Murmeltiers und der unerwartete Schneesturm – Phil weiß, was geschehen wird und er wird diesen Tag bis zum Exzess ausreizen, zum Guten wie zum Schlechten. Der Mensch braucht schließlich Herausforderungen im Leben.
Die Stadien von Phil Conners
Das Phänomen der Zeitschleife ist aber nicht der Kern von UND TÄGLICH GRÜSST DAS MURMELTIER, sondern die Persönlichkeitsveränderung der Hauptfigur oder viel eher die Beantwortung der Frage: Was ist nötig, um aus einem garstigen, egozentrischen Großstadtmenschen, eine liebevolle, umsichtige und herzensgute Person der Kleinstadt zu machen?
Ein traditionelles kleines Städtchen mit überwiegend freundlichen Menschen PLUS die Ewigkeit in Form der Wiederholung eines Tages PLUS die Bereitschaft sich für die wahre Liebe zu ändern.
Das dauert in unserem Fall 100 Filmminuten, aber für Phil Conners unvorstellbar lang (laut Regisseur Harold Ramis und Drehbuchautor Danny Rubin sind es insgesamt ca. zehn Jahre). Werfen wir einen Blick auf die unterschiedlichen Phasen der Hauptfigur: Nach dem ersten Überwinden des Schocks, den Tag noch einmal zu erleben, glaubt niemand seine Geschichte. Man erkennt aber die ersten Veränderungen, die Phil durch sein anderes Verhalten ausübt. Manche sind kleiner, manche sind stabiler, wie ein unausweichlicher Tritt in die Pfütze nach dem Treffen mit Versicherungsvertreter Ned Ryerson (Stephen Tobolowsky). Phil versucht die Stadt frühzeitig zu verlassen, aber auch das gelingt ihm nicht und weitere Versionen des 2. Februars folgen.
Langsam beginnt Phil sich zu langweilen, lässt seine Arbeitspflichten sein und entdeckt die Möglichkeit die Dorfschönheiten zu verführen. Danach erkundet er wie schnell er an viel Geld kommt und fährt auch mal mit dem Rolls-Royce am Kino vor. Für alle ein kleiner Gag, die UND TÄGLICH GRÜSST DAS MURMELTIER schon Dutzende Male gesehen haben, meint Phil, dass er den Film im Kino auch schon zig Male gesehen hat. Aber die Erfüllung seiner materiellen Träume machen ihn nicht glücklich und er findet die größte Herausforderung, die er sich vorstellen kann: Rita soll sich in ihn verlieben und mit ihm schlafen. Da braucht man sich hier nichts vormachen, denn Phil ist immer noch der alte Egoist und trotz detaillierter Recherche, wer Rita ist, was sie mag und nicht mag, gelingt es ihm trotz perfekt inszenierter, romantischer Abende nicht, sie zu einem „One-Night-Stand“ zu verführen.
Danach folgt die Depression in Form von vielfältigen Selbstmordversuchen. Selbst Doppelsuizid mit Murmeltier Phil bringt keine Erlösung. Er wacht immer wieder durch den Radiowecker unversehrt um 6 Uhr morgens in seinem Bett auf. Nachdem er seine Unsterblichkeit akzeptiert hat, beginnt er damit, die Ewigkeit zu nutzen und sich zu entwickeln. Über den Wunsch nach Materiellem ist er hinausgewachsen, denn das verliert er immer wieder am Ende des Tages. Was bleibt, sind seine Erinnerungen und sein Bewusstsein. Er beginnt damit Klavier zu spielen, zu lesen, Sprachen zu lernen und sich eine Art Retter-Rituale anzueignen. Vielleicht ist in ihm noch der Glaube begründet, dass wenn er viel Gutes tut, er aus dieser Hölle entfliehen darf. An Karma muss doch etwas dran sein.
Das Programm eines Heiligen ist umfangreich: Er rettet Buster (Brian Doyle-Murray, Bill Murrays Bruder) vorm Erstickungstod, fängt einen Jungen, der vom Baum fällt und wechselt ein paar alten Damen den platten Reifen. Auch wenn er es anfänglich als religiöse Befreiung sieht, wirkt sich die Wiederholung selbstlos Gutes zu tun auf seine Persönlichkeit aus. Die Bewohner von Punxsutawney wachsen ihm ans Herz und er macht den Murmeltiertag von 1993 zum Besten seiner langjährigen Geschichte.
Was das exzellente Drehbuch unter anderem auszeichnet ist, dass wir diese letzte Entwicklung nicht in einer aneinandergereihten Sequenz zu sehen bekommen, sondern durch die Augen von Rita. Wie sie, sind auch wir am Ende beeindruckt, was aus Phil innerhalb „eines Tages“ geworden ist und geben in der Junggesellen-Tombola zur Abschlussparty gern unsere 339 Dollar und 88 Cent für ihn her. Jetzt hat er Ritas Herz vollkommen gewonnen und dieser Phil darf nun auch, mit ihr zusammen, den Morgen nach dem Groundhog Day erleben.
So wohnt UND TÄGLICH GRÜSST DAS MURMELTIER auch etwas Märchenhaftes inne. Erst ein Kuss von wahrhaftiger Liebe kann den Fluch der Ewigkeit brechen.
Die Liebe zum Detail
Dreh- und Angelpunkt dieses komödiantischen Meisterwerks ist ganz klar Hauptdarsteller Bill Murray. Vor allem in der deutschen Synchronisation mit Arne Elsholtz als die Stimme von Murray ist er vielen, wie auch mir, ans Herz gewachsen. UND TÄGLICH GRÜSST DAS MURMELTIER zeichnet aber auch eine besondere Detailverliebtheit aus. Der Handlungsort – es wurde nicht in Punxsutawney gedreht, sondern in Woodstock, Illinois – ist aus der Zeit gefallen, mit dem alten deutschen Café namens Tip Top, dem gemütlichen Dekoalptraum von einer Pension und mit den kleinen Ladengeschäften in typischen Ziegelsteinbauten des Mittleren Westens. Und das ist wichtig, denn wir erleben die Handlungsorte immer wieder aufs Neue.
Es kommt auch das Gefühl auf, den Dreharbeiten direkt beizuwohnen und immer wieder eine neue Variante der Drehbuchszene zu sehen, wie eine Schauspielübung, die das Szenenspektrum immer neu auslotet. Es gibt aber auch viele inhaltliche Details zu entdecken: Phil zitiert für Rita ein französisches Lied („La bourrée du célibataire“ von Jaques Brel), was übersetzt „Das Mädchen, das ich lieben werde, wird wie ein ausgezeichneter Wein sein, der jeden Morgen ein bisschen besser schmeckt.“ bedeutet. Das Klavierstück, welches Phil als Erstes erlernt, ist „Rhapsodie über ein Thema von Paganini“ von Sergei Wassiljewitsch Rachmaninow, welches auch im Zeitreisefilm EIN TÖDLICHER TRAUM (SOMEWHERE IN TIME, 1980) genutzt wurde. Es gibt noch eine Vielzahl von Details, die es zu entdecken gibt.
Was bedeutet der Film im Heute?
Auch wenn man das Ereignis der Zeitschleife nicht teilen kann, stellt es für mich etwas dar, was ich gern erleben möchte. Sicher gibt es manche Tage, die man nicht unbedingt wiederholen möchte, aber der Film beweist, dass selbst der grausigste Tag, mit Schneesturm und allem was dazu gehört, zu etwas Wundervollem werden kann, wenn man das Positive hervorhebt. Nicht etwa mit dem Fokus auf die schönen Dinge, sondern mit aktiver Beteiligung daran. Richtig spannend wird der Aspekt zwischen Alltagstrott und ewiger Freizeit. Denn das ist es, was UND TÄGLICH GRÜSST DAS MURMELTIER so verführerisch zwiespältig macht: Endlich Zeit für die Dinge zu haben, die man gern machen möchte, aber aus Zeitmangel nie begonnen oder zu Ende geführt hat. Ein Instrument lernen, den ganzen Tag im Café ein Buch lesen oder sich Zeit für die Menschen in seinem Umfeld nehmen. Und Phil wird durch die Ewigkeit dazu gezwungen.
Aber all das geschieht in einer Art rituellem Alltagsrahmen. Wenn wir jeden Morgen zur gleichen Zeit am Fenster sitzen und einen Kaffee trinken, wird an jedem Tag auch etwas anderes zu sehen sein. Phil muss auch hier jeden Morgen um sechs Uhr aufstehen. Alltagsrituale sind wichtig für uns, denn sie geben nicht nur die Gewissheit etwas Bekanntes zu erleben, sondern nehmen jegliche Art der Spannung, des Zeitdrucks und befreien von der Aufgabe etwas Unerwartetes zu verarbeiten. Das Ganze wird verführerisch in einer Gemeinschaft dargestellt, die durch Tradition und Freundlichkeit quasi resistent gegenüber zeitlichen Veränderungen geworden zu sein scheint, das filmische Punxsutawney. Insgesamt ist es auch eine wundervolle Metapher für alte Lieblingsfilme. Diese führen an einen bekannten Ort bzw. in eine vertraute Zeit zurück. Als Zuschauer wird man zur Variable und entdeckt immer wieder Neues im Konstanten.
Fazit
Ein Film, den man immer und immer wieder sehen kann. Die Schauspieler und vor allem das Drehbuch machen diesen besonderen Tag einer amerikanischen Kleinstadt zu einer vielfältigen Wunschfantasie: ob als spirituelle Selbstfindung, Beweis für wahre Liebe, Erfüllung des ewigen Lebens ohne Verpflichtungen oder einfach als eine der besten Komödien der Filmgeschichte. Jedes Mal gibt UND TÄGLICH GRÜSST DAS MURMELTIER seinem Zuschauer etwas heilende kleinbürgerliche Gelassenheit mit auf den Weg, selbst wenn man den Film immer und immer wie schaut.
Titel, Cast und Crew | ... und täglich grüßt das Murmeltier (1993) OT: Groundhog Day |
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Poster | |
Release | Kinostart: 29.04.1993 auf DVD, Blu-ray oder 4K-UHD Ihr wollt den Film bei Amazon kaufen? Dann geht über unseren Treibstoff-Link: |
Regisseur | Harold Ramis |
Trailer | |
Besetzung | Bill Murray (Phil Conners) Andie MacDowell (Rita) Chris Elliott (Larry) Stephen Tobolowsky (Ned Ryerson) Brian Doyle-Murray (Buster Green) Marita Geraghty (Nancy Taylor) Angela Paton (Mrs. Lancaster) Rick Ducommun (Gus) Rick Overton (Ralph) Willie Garson (Kenny, TV-Mann) Robin Duke: (Doris, Kellnerin) Michael Shannon (Bräutigam Fred) Hynden Walch: (Braut Debbie) Harold Ramis (Neurologe) |
Drehbuch | Danny Rubin Harold Ramis |
Kamera | John Bailey |
Filmmusik | George Fenton |
Schnitt | Pembroke J. Herring |
Filmlänge | 101 Minuten |
FSK | ab 12 Jahren |
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter