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Tschitti Tschitti Bäng Bäng (1968) – Filmkritik

„Familienmusical“

Wen es nervt, dass eine interessante Handlung von Gesangs- und Tanzeinlagen unterbrochen wird, ist hier falsch. TSCHITTI TSCHITTI BÄNG BÄNG ist ein Familienmusical durch und durch. Ein bisschen Märchen und Familienzusammenführung ist auch dabei. Das Ganze wird garniert mit einer Prise Jules-Verne-Vibes und mechanischem Erfindertum à la Daniel Düsentrieb. Ein großer Kinoerfolg stellte sich Ende der 1960er Jahre für die Verfilmung von Ian Flemings Kinderbuch nicht ein. Der Schriftsteller Fleming hat also nicht nur Spionageromane geschrieben. Aber dank der VHS, der DVD, den Musical- und Theateraufführungen weltweit, bildete sich eine kleine Fangemeinde um die Familie Pott(s) und ihr eigenwilliges Gefährt. Wenn man heute auf den Rücksitz dieser phantastischen Erfindung springt, gibt es einige langweilige Szenen zu überstehen, altbackene Geschlechterrollen zu ignorieren und eine böse Monarchie zu belächeln. Damals und auch heute ist es schwer TSCHITTI TSCHITTI BÄNG BÄNG einer passgenauen Zielgruppe anzupreisen, für einen Kinderfilm zu lang und für die Erwachsenen zu verspielt. Aber vielleicht soll man das Ganze nicht zu ernst nehmen und sich an dem Abenteuer und einer der einflussreichsten Gesellschaftsveränderungen des 20. Jahrhunderts erfreuen: dem eigenen Auto.

© Capelight Pictures

Handlung

Die Kinder Jemima (Heather Ripley) und Jeremy Potts (Adrian Hall) haben ein altes Rennautowrack in ihr Herz geschlossen. Vater Caractacus (Dick Van Dyke) soll es kaufen und reparieren. Doch die Familie wohnt in einfachen Verhältnissen auf einem Hof. Der Vater tüftelt an Erfindungen in einer alten Mühle, die kein Geld einbringen und Großvater Bungie (Lionel Jeffries) ist jeden Tag auf Expedition, in sein Plumpsklo. Doch dann taucht die zukünftige Erbin eines Süßigkeitenimperiums auf: Truly Scrumptious (Sally Ann Howes). Nachdem Vater Potts für eine Gesangs- und Tanzeinlage beim Jahrmarkt das Geld für das alte Gefährt zusammensammelt, macht er sich gleich an die Arbeit. Als es fertig ist und sein eigentümliches Schnaufen und rhythmisches Motorengeräusch von sich gibt, taufen es die Kinder auf den Namen Tschitti Tschitti Bäng Bäng. Doch das Auto macht ein paar Stunden am Strand und dank der Fantasie von Caractacus den Nachmittagsausflug zum Abenteuer, das ein ganzes Königreich aus den gemeinen Fängen ihres Herrschers Baron Bomburst (Gerd Fröbe) befreit.

© Capelight Pictures

Die drei Zeitzonen

Den Film heute zu betrachten und zu beurteilen, stellt sich als schwierig heraus. Die Handlung spielt Anfang des 20. Jahrhunderts, die Produktion fand Ende der 1960er Jahre in Großbritannien statt und die heutige Perspektive im Zusammenhang mit der frisch erschienenen Blu-ray ist aus den 2020er Jahren. Die jetzige Gesellschaft ist, in Bezug auf das Auto, gespalten. Für einen Großteil bedeutet das Gefährt nicht nur Freiheit, sondern auch Wohlstand, Investition und Statussymbol. Wohingegen anderen der Individualverkehr nicht das Wichtigste ist. Man entweder eine Lösung in einem alten Gebrauchtwagen findet oder per Bahn, Rad oder Bus sich fortbewegt. Die mediale Lage tut ihr Übriges, um beide Gruppen gegeneinander aufzuwiegeln und abzugrenzen. Dieses Problem hat die Familie Potts nicht. Die Kinder „reservieren“ sich ein altes Rennauto und der Erfindervater bringt das Gefährt wieder auf Vordermann und sogar mit einigen Extras inklusive eigenen Willens.

© Capelight Pictures

TSCHITTI TSCHITTI BÄNG BÄNG zeigt die gesellschaftlichen Veränderungen aber auch anhand von Truly Scrumptious, die dank ihres Wohlstands und ihrer Unabhängigkeit ebenfalls mobil unterwegs ist. Der Film zögert aber nicht, aus ihrer Selbstständigkeit, eine Unfähigkeit mit dem Automobil zu machen, um sie die restlichen zwei Drittel des Films auf den Beifahrersitz zu verbannen. Die Rolle der Frau war in der Zeit der Handlung noch eine andere. Jedoch scheint sich das Filmteam um Regisseur Ken Hughes im Jahre 1968 nichts Zeitgenössisches zuzutrauen. Truly wird in die Rolle der Mutter verfrachtet. Ein weiterer Punkt, um den man sich vielleicht heute mehr Gedanken macht, als damals sind die Vermögensverhältnisse. Familie Potts ist hochintelligent, aber nicht gerade mit Reichtum gesegnet. Es reicht aber, um den eigenen Interessen nachzugehen. Erst zum Ende der Geschichte ist das unerwartete Vermögen durch süße Hundepfeifen, vergeben durch den zukünftigen Schwiegervater, ein bitterer Nachgeschmack des Happy-Ends. Heute fallen solche elitären Klüngeleien um Vermögen doch schon eher auf. Hätte Truly Caractacus auch heiraten können, wenn Caractacus nicht reich wäre? Hier macht es sich TSCHITTI TSCHITTI BÄNG BÄNG etwas zu leicht, versteckt sich hinter den geschichtlichen Bedingungen der Handlungszeit und hätte etwas moderner sein dürfen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Buchvorlage in den 1960er Jahren gespielt hat. Die 1968er pochten bereits an die Türen der Produzenten – übrigens ein weiterer James-Bond-Verweis: Albert R. Broccoli.

© Capelight Pictures

Britische Schrulligkeit

Wenn man die altbackenen Rollen und den schrägen Bösewicht aus Vulgaria, was ganz offensichtlich vom deutschen Kaiserreich inspiriert wurde, inklusive Schloss Neuschwanstein, hinwegsehen kann, gibt die typische britische Extrovertiertheit zu entdecken. Oder um es mit den Worten des Großvaters zu sagen: einen gewissen Exzess. Das gilt auch für die Produktion. Riesige Sets wurden in den englischen Pinewood Studios gebaut, dutzende Tänze einstudiert und keine Mühen bei der Requisite gescheut. Vor allem die vielen Erfindungen machen TSCHITTI TSCHITTI BÄNG BÄNG zu einem Hingucker. Die Frühstücksmaschine, die raketenbetriebene Skischanze und der teppichsaugende Roboter sind liebevoll mechanisch gestaltet. Kreativität und Erfindergeist gehen hier Hand in Hand. Es ist ein bisschen schade, dass diese Fähigkeiten zur finalen Schlacht kaum Verwendung bekommen. Highlight ist natürlich das Auto, was ebenfalls von jemandem aus dem James-Bond-Team entworfen wurde: Ken Adams. Autos mit besonderen Fähigkeiten (JAMES BOND Filmreihe, HERBIE Filmreihe) und eigenem Willen (CHRISTINE) haben in gewisser Weise auch Filmtradition. Aber auch die Rollennamen lassen Exzentrik erkennen. Allein schon Truly Scrumptious („wirklich lecker“) ist eine süße Art die fast einzige Frau in der Geschichte in den Mittelpunkt zu rücken.

© Capelight Pictures

Das läuft wie geschmiert, fürs Heimkino

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Das britische Kulturgut namens TSCHITTI TSCHITTI BÄNG BÄNG kann man dank der Blu-ray-Schmiede Capelight Pictures in bester HD-Qualität erleben. Das Label hat hier eine saubere Restaurierung von Bild und Ton (inklusive deutscher Original-Mono-Tonspur) auf Blu-ray und DVD gezaubert. Wer zum limitierten Mediabook greift, bekommt eine Bonus-Blu-ray mit umfangreichem Bonusmaterial und einem 24-seitigen Booklet von Rochus Wolff (Kinderfilmblog.de) dazugeliefert.

© Capelight Pictures

Fazit

Die Motivation einen britischen MARY-POPPINS-Erfolg zu erzeugen, ist nicht zu übersehen. Wer bereits damals Fan von TSCHITTI TSCHITTI BÄNG BÄNG war, wird sich über die 2024er Blu-ray-Veröffentlichung freuen. Wer jedoch noch nicht mit der Familie Potts auf Abenteuerreise war, muss sich auf eine dicke Zuckerschicht Vergangenheit einstellen, die nicht ganz so leicht zu verdauen ist.

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewTschitti Tschitti Bäng Bäng (1968)
OT: Chitty Chitty Bang Bang
Poster
Releaseseit dem 25.07.2024 im Mediabook (Blu-ray + DVD + Bonus-Blu-ray) und DVD erhältlich.

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RegieKen Hughes
Trailer
BesetzungDick Van Dyke (Caractacus Potts)
Sally Ann Howes (Truly Scrumptious)
Lionel Jeffries (Opa Bungie Potts)
Gert Fröbe (Baron Bomburst)
Anna Quayle (Baronin Bomburst)
Adrian Hall (Jeremy Potts)
Heather Ripley (Jemima Potts)
James Robertson Justice (Lord Scrumptious)
Benny Hill (Spielzeugmacher)
Robert Helpmann (Kinderfänger)
Barbara Windsor (Blondine)
Davy Kaye (Admiral)
Stanley Unwin (Kanzler)
Peter Arne (Bombursts Wachhauptmann)
Desmond Llewelyn (George Coggins)
Victor Maddern (Müllmann)
DrehbuchRoald Dahl
Ken Hughes
KameraChristopher Challis
MusikRichard M. Sherman
Robert B. Sherman
Irwin Kostal
SchnittJohn Shirley
Filmlänge144 Minuten
FSKab 6 Jahren

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