„Kino der Einzigartigkeit“
Nebel zieht auf. Drei verlassene Reklametafeln, die schon ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel haben, tauchen aus dem Dunst auf. Es sind drei Monumente, die seit langem ignoriert werden. Seit 30 Jahren durften sie nichts mehr anpreisen. Aber das wird sich nun ändern, Ereignisse werden durch ihre Neuplakatierung ausgelöst und sie werden Zeugen der Trauer, des Zorns und vieler Schimpfworte. THREE BILLBOARDS OUTSIDE EBBING, MISSOURI ist viel mehr als ein lockerer Film am Sonntagnachmittag. Es wird einer der besten Filme in diesem noch frischen Kinojahr sein und hoffentlich viel Aufmerksamkeit bei den Oscarverleihungen erhalten. Ich möchte unbedingt, dass Frances McDormand mit ihrem breiten Grinsen auf der Bühne steht und einen der begehrten goldenen Trophäen in ihren Händen hält. Sie hat es verdient.
Inhalt
Mildred Hayes (Frances McDormand) lässt die im Titel genannten Tafeln plakatieren, mit einem Weckruf der harten Sorte gerichtet an den Sheriff von Ebbing. Sie klagt an, dass seit einem halben Jahr, nachdem ihre Tochter vergewaltigt und umgebracht wurde, der Täter immer noch nicht gefasst ist. Mildred ist keine Frau, die sich leicht einschüchtern lässt, schon gar nicht von Sheriff William Willoughby (Woody Harrelson) und seinem „Hilfssheriff“ Officer Dixon (Sam Rockwell). Die Kette der Ereignisse nimmt nun ihren Lauf und schlägt viele unerwartete Haken durch die schöne Landschaft des mittleren Westens in den USA.
Die beste Schauspielmischung
Ich möchte gar nicht mehr von diesem einfallsreichen Drehbuch verraten, das von Martin McDonagh (BRÜGGE SEHEN … und STERBEN?, 7 PSYCHOS) stammt, der auch gleichzeitig die Regie übernommen hat. Wie der Trailer erahnen lässt, ist es eine Komödie der bitterbösen Sorte mit einer ordentlichen Portion Gesellschaftskritik, trotz eines sehr emotionalen Themas. Das Drama holt die Hauptfiguren des kleinen Ortes aber dann doch noch ein. Das gelingt dem Film bemerkenswert unbemerkt, was nicht nur dem Autor zu verdanken ist, sondern auch den talentierten Hauptdarstellern. Sam Rockwell wirkt wie aus IDIOCRAZY (2006) nach Missouri gebeamt, nur mit Colt und Sheriffstern geschmückt.
Woody Harrelson (PLANET DER AFFEN – SURVIVAL) verkörpert routiniert den angesehenen Sheriff, der seine Cops unter Kontrolle hält, viel toleriert, aber am meisten mit seiner Gesundheit zu kämpfen hat. Er ist beinhart, aber nichts im Gegensatz zu Frances McDormands Mildred. Sie teilt nicht nur die besten Sprüche aus, sondern ist weit von der üblichen Opferrolle einer trauernden Mutter entfernt. Selbst drohenden Zahnärzten bohrt sie knallhart durch den Daumennagel. McDormand hatte bereits in FARGO (1996) eine starke Frauenrolle verkörpert. Sie war als schwangere Polizistin taffer als alle Männer im Film zusammen. Aber was sie in THREE BILLBOARDS OUTSIDE EBBING, MISSOURI leistet, ist nicht nur originell, sondern setzt ihr schauspielerisches Spektrum komplett frei.
Eine Geschichte die alles richtig macht
Es ist vor allem die Geschichte von McDonagh, die überzeugt. Schnell wird dem Zuschauer klar, dass hier alles passieren kann, Hauptfiguren können sterben, Bedrohungen sind real und nicht nur die Dialoge sind ausgesprochen knackig geschrieben, sondern es sind Themen die auch die Gedanken der Kinobesucher ankurbeln und zur Meinungsmache anstiften. Beim Trailer hatte ich gedacht, die originelle Handschrift der Coen-Brüder zu erkennen, aber das Einzige, was hier auf das kreative Brüderpaar zurückführt, ist Frances McDormand, die Ehefrau von Joel Coen und die wunderschöne Musik vom Stammkomponisten Carter Burwell. THREE BILLBOARDS OUTSIDE EBBING, MISSOURI fehlt das Surreale der Coens und ist trotz der altmodischen Szenerie eine Geschichte in unserer Gegenwart.
In der auf Zielgruppen angepassten Filmlandschaft ist THREE BILLBOARDS OUTSIDE EBBING, MISSOURI eine Erleuchtung für alle Kinoliebhaber. Endlich riskiert ein Filmteam wieder etwas, beweist cleveren Witz und zeigt, dass die Rollen mehr sein können als gut oder böse. Es ist eine Erlösung vom wirtschaftlichen Kalkül der Filmindustrie, die ihr unbedingt sehen müsst!
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter