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The Virgin Suicides (1999) – Filmkritik

„Forever Young“

Die Jugend ist die beste Zeit des Lebens. Von wegen: Ständige Unsicherheit, körperliche Veränderung, sinnlose Verbote und die ewige Persönlichkeitssuche machen diese Zeit zum Grauen. Hinzu kommt das Umfeld mit Freunden und Mitschülern, die alle gerade das gleiche durchmachen. Die Erwachsenen verstehen einen schon gar nicht mehr, man schweigt am besten beim Abendessen. Und in dieser schwierigen Zeit soll man auch noch die erste Liebe unterbekommen? Von der alle als eine Art heiligen Mythos sprechen. Ganz schön viel Druck in dem kurzen Lebensabschnitt. THE VIRGIN SUICIDES nimmt sich dieser komplexen Phase an, verlagert sie in die 70er Jahre und lässt eine Düsternis über allem schweben, so dass man nicht wegschauen kann. Ein Film so wunderschön und bitterböse traurig zugleich.

© Capelight Pictures

Handlung

Die Familie Lisbon lebt in der ruhigen Gegend einer Vorstadt. Mrs. und Mr. Lisbon (Kathleen Turner und James Woods) ziehen ihre fünf Töchter in einem religiös geprägten und strengen Elternhaus auf. Cecillia, 13 (Hanna R. Hall); Lux, 14 (Kirsten Dunst); Bonnie, 15 (Chelse Swain); Mary, 16 (A. J. Cook) und Therese, 17 (Leslie Hayman) sind alle zusammen auch noch wunderschön anzusehen, was den Nachbarjungen nicht entgeht. Die Lisbon-Schwestern werden nicht nur durch ihre Schönheit bei den jungen Herren zur Legende, sondern auch durch ihre Art des Protests gegen ihre Abschottung in den eigenen Wänden. Der Film beginnt mit einem gescheiterten Selbstmordversuch von Cecilia. Der Psychologe (Danny DeVito) empfiehlt einen normalen Umgang mit Jungs in ihrem Alter. Die Familie gibt eine gemäßigte Party im Keller des Hauses, was als bedeutungsschwerer Abend endet.

© Capelight Pictures

Sofia Coppolas Geniestreich

Sofia Coppola, Tochter von Francis Ford Coppola und Teil einer der kreativsten Familien Hollywoods, zeigt mit THE VIRGIN SUICIDES ihr Spielfilm-Regiedebüt. Es gibt keinen Grund auf den familiären Rückenwind neidisch zu sein, denn Sofia Coppolas erster Film ist so einzigartig und individuell, dass diese Verbindung gänzlich in den Hintergrund der Geschichtsbücher verschwindet. Stilsicher fängt sie das Leben junger Mädchen simpel, aber stimmungsvoll ein. Mit nur wenigen Einstellungen ist man direkt in der Welt der jungen Erwachsenen, voller Langweile, krampfhafter Coolness und träumerischen Schwärmens. Vor allem die Musikauswahl des Soundtracks ist so persönlich wie feinfühlig gewählt, dass sich alles symbiotisch ineinander verzahnt. Die Darsteller, die sonnendurchfluteten Szenen und der groovende Score der französischen Band Air machen die Erfahrung des Films zu einer wahren Zeitreise ins Jahr 1975. Auch im Bereich der Requisite, Mode und Ausstattung kommen kaum Zweifel an Authentizität auf, was verwundert, weil Sofia Coppola Jahrgang 1971 und eher ein Kind der 1980er-Jahre ist.

© Capelight Pictures

Sofia wird eine behütete Kindheit in der Fabrik Hollywood erhalten haben, trotz des präsenten Vaters. Das zeigt sich vor allem in ihren späteren Filmen, wo Häuser als Sinnbild für ein Zuhause eine wichtige Rolle spielen: das Park Hyatt Hotel in Tokio (LOST IN TRANSLATION), Versailles (MARIE ANTOINETTE), das Chateau Marmont Hotel in Hollywood (SOMEWHERE) oder die Villen der Reichen in L.A. (THE BLING RING). Auch in THE VIRGIN SUICIDES ist das Haus der Lisbons von außen schon ein ungewöhnlicher Bau und die Innenräume sind der einfachen Lebensweise der Familie angepasst, aber mit vielen kleinen Details versehen, wie zum Beispiel die Sticker an den Zimmertüren der Töchter. Durch das Feeling eines perfekten Frühsommers in Kombination mit der detailverliebten Ausstattung kommt die Tragik nur umso härter und überraschender.

© Capelight Pictures

Der Mythos

Viele werden ihn aus der eigenen Jugend kennen: den Schwarm. Gefühlt willkürlich fällt eine bestimmte Person auf, welche das Interesse und leidenschaftliche Gefühle weckt. Aus Angst vor Ablehnung traut man sich gar nicht sie oder ihn anzusprechen. Die eigene Fantasie bekommt Flügel. Welche Persönlichkeit schlummert hinter dieser fremden Person, die man schon zu kennen meint? Bei THE VIRGIN SUICIDES wird man durch die Rolle der schwärmenden Jungen in der Nachbarschaft in eine solche Perspektive hineinversetzt. Die Lisbon-Schwestern werden durch ihre Verehrung zu einem Mythos mit fast schon religiöser Anbetung. Nicht nur durch den Selbstmord der Schwester, sondern auch durch ihre Gefangenschaft im heimischen Domizil.

© Capelight Pictures

Die Fahrt zum Abschlussball der vier Schwestern, mit einer Auswahl von vier Jungs, wird für alle zu einem nervenaufreibenden und unvergesslichen Erlebnis. Man schwitzt förmlich mit den jungen Männern im Cadillac die Sakkos voll. Keiner von ihnen hat einen geübten Umgang mit Frauen seines Alters und keiner kennt die Schwestern wirklich. In der Schule sind sie immer zusammen anzutreffen und verströmen eine Aura von Löwinnen, die gelangweilt auf ihre Beute warten. Da blitzt auch ein Trip Fontaine, gespielt von Josh Hartnett, in der Hofpause gnadenlos ab. Über die Wochen hinweg werden Gegenstände der Lisbon-Schwestern bei den Nachbarsjungen wie Relikte behandelt und das Tagebuch von Cecillia gibt ihnen Einblick in Welt eines eingesperrten Mädchens. Wunderschön inszeniert treffen beide Welten an einem Nachmittag aufeinander als sich Jungen und Mädchen über die Telefonleitung ihre emotionalen Zustände und Gefühle füreinander mit Schallplatten gegenseitig vorspielen.

© Capelight Pictures

Der Genre-Mix

Sofia Coppolas Film funktioniert auf vielen Ebenen und für ein erstaunlich breites Publikum. Im Kern ist es eine Coming-Of-Age-Geschichte, die sich gar nicht an ihre eigenen Regeln hält. Es gilt in der Handlung kein Hindernis zu überwinden, über sich hinauszuwachsen, keine konkrete Beziehung zu erreichen oder gar ein Happy End zu finden. Die Grundstimmung bleibt düster und aussichtslos, aber in bildschönen, sonnendurchfluteten Szenen. Ein Erzähler aus dem Off (Antonino Giovanni Ribisi) hält die Geschichte zusammen. Kurz vor dem Filmende rückt die Beziehung von Lux und Trip Fontaine in den Vordergrund und macht THE VIRGIN SUICIDES für einem Wimpernschlag zu einer Romanze. Aber zum Finale hat man das Gefühl einer Tragödie beizuwohnen und sich zu fragen, wie hätte alles verhindert werden können. Das verbindet den Zuschauer auch mit den Zurückgeblieben, die versuchen mit jedem Detail das Geheimnis über die Lisbon-Schwestern auch 25 Jahre später noch zu lösen.

© Capelight Pictures

Zur Gesellschaftskritik führt die letzte Szene, wenn die Nachbarsjungen ihren Abschlussball feiern. In einer herrschaftlichen Villa ist die Themenparty mit dem Algengestank der angrenzenden Seen zur Sommerzeit verbunden. Ballkleid trifft auf Gasmaske. Ein surrealer Abschluss, wenn die reiche Oberklasse sich selbst feiert, in Belanglosigkeiten bei Champagner dahinschwafelt und an die Tragödie in der Nachbarschaft keiner mehr denkt. Es zeigt das Kleinbürgertum mit dickem Bankkonto, was auch immer wieder durch Tratsch der Hausfrauen im Umkreis während des Films eingespielt wird. Keiner war bereit sich bei der Familie einzumischen, außer den Stahlzaun gemeinsam abzureißen.

Die Blu-ray

Die Blu-ray von Capelight Pictures

Capelight Pictures veröffentlichte THE VIRGINS SUICIDES zum ersten Mal in Deutschland in High-Definition auf Blu-ray. Das Bild ist stimmig abgetastet und auch der Farbfilter wurde kaum bewegt, so dass die überstrahlten Farben erhalten bleiben. Etwas Filmkorn bleibt zurück, was für einen Film, der in den 70ern spielt, umso wichtiger ist. Der Originalton ist etwas schwankend in seiner Lautstärke und leider gibt es nur deutsche Untertitel. Die deutsche Tonspur ist solide abgemischt. Das Bonusmaterial ist übersichtlich, aber gehaltvoll. Neben dem Musikvideo „Playground Love“ der Band Air (Stichwort: Singender Kaugummi) gibt es ein halbstündiges Making-of von Eleanor Coppola (REISE INS HERZ DER FINSTERNIS). Das ist wirklich sehenswert, allein schon dafür, wenn Vater Francis am Set rumhängt, sich am Catering vergreift und in Erinnerungen schwelgt wie seine Eltern an seinen Sets dasselbe getan haben.

Fazit

Die gefühlvolle Bildkomposition mit Einstellungen, die man sich am liebsten an die Wand hängen möchte, ist nur einer der vielen Gründe sich THE VIRGIN SUICIDES immer wieder anzusehen. Die hypnotische Musik der Band Air und die geistig fordernde Schnittfolge ziehen einen sofort in den Bann. Man will vom ersten Moment an das Rätsel lösen, ohne überhaupt die Fragestellung zu kennen. Eines der bemerkenswertesten Regiedebüts der Filmgeschichte, mit stimmigem 70er-Flair und einem Inszenierungscharakter, welcher seinesgleichen sucht.

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewThe Virgin Suicides (1999)
Poster
Releaseab dem 28.02.2020 auf Blu-ray erhältlich

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RegisseurSofia Coppola
Trailer
BesetzungJames Woods (Mr. Lisbon)
Kathleen Turner (Mrs. Lisbon)
Kirsten Dunst (Lux Lisbon)
Josh Hartnett (Trip Fontaine)
Michael Paré (erwachsene Trip Fontaine)
Scott Glenn (Father Moody)
Danny DeVito (Dr. Horniker)
A.J. Cook (Mary Lisbon)
Hanna Hall (Cecilia Lisbon)
Leslie Hayman (Therese Lisbon)
Chelse Swain (Bonnie Lisbon)
Anthony DeSimone (Chase Buell)
Lee Kagan (David Barker)
Robert Schwartzman (Paul Baldino)
FourTee als Noah Shebib (Parkie Denton)
Jonathan Tucker (Tim Weiner)
DrehbuchSofia Coppola
BuchvorlageNach dem Roman DIE SELBSTMORD-SCHWESTERN von Jeffrey Eugenides
KameraEdward Lachman
FilmmusikAir
SchnittMelissa Kent
James Lyons
Filmlänge97 Minuten
FSKab 12 Jahren

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