Macht ist eine Sucht. Das ist eine Erkenntnis, die ohne Zweifel der Tragödie von William Shakespeare entnommen werden kann. Hoffentlich bleibt den Deutsch- und Englischschülern aus den vielen zähen Unterrichtsstunden zum Theaterstück „Macbeth“ zumindest diese Erkenntnis im Geiste. Lernt man jedoch aus dem über 400 Jahre alten Werk mehr als über Machtgier? In der Tat, man muss jedoch seine Ohren, Augen und Synapsen darauf einstellen, um sich durch die mit Metaphern gespickten Verse zu lesen. Gut, dass bereits unzählige Verfilmungen versuchen diesen Prozess zu erleichtern. Trotz altbackener Dialoge wird uns durch inszenatorische und schauspielerische Leistung die Rezeption dieser intrigenhaften Geschichte eines Königsmörders nähergebracht. 2021 war es an der Zeit für Regisseur Joel Coen, der erstmals unabhängig von seinem Bruder Ethan arbeitete, mit THE TRAGEDY OF MACBETH die Geschichte eines Mannes zu erzählen, der glaubt seinem prophezeiten Schicksal folgen zu müssen und über den Kampf seines Machterhalts den Verstand verliert.
Handlung
Macbeth (Denzel Washington) ist ein Held zur Schlacht. Er drängte erfolgreich die Norweger zurück und der schottische König Duncan (Brendan Gleeson) sieht sich in der Pflicht eine „Beförderung“ auszusprechen. Von nun an soll er sich Thane von Cawdor nennen dürfen. Das wurde ihm aber bereits nach der Schlacht von drei Hexen bzw. Schicksalsschwestern (Kathryn Hunter) vorhergesagt. Zudem prophezeien sie, dass er König von Schottland wird. Sein treuer Banquo (Bertie Carvel) erlebt die Erscheinung mit ihm zusammen und auch er soll mehreren Königen dienen. Macbeth schreibt seiner Frau (Frances McDormand), dass er den Willen hat, dem Schicksal behilflich zu sein. Beide schmieden den Plan König Duncan während seiner Übernachtung auf ihrer Burg zu erstechen und den Mord dessen Dienern anzuhängen. Der Plan ist erfolgreicher als gedacht, denn die Söhne Duncans fliehen aus Angst um ihr eigenes Leben und so wird es gedeutet als hätten sie die mörderische Intrige am Vater gesponnen. Somit ist Macbeth der wichtigste Mann Schottlands und wird zum König gekrönt. Jedoch ist es nicht leicht Neider und potenzielle Verräter im Zaum zu halten. Die Paranoia nimmt von ihm Besitz, während seine Lady Macbeth dem Wahnsinn verfällt.
Licht und Schatten
Die Darsteller sind großartig und starke Handwerker ihres Fachs, jedoch steht bei THE TRAGEDY OF MACBETH vor allem die Optik im Vordergrund. Was kann Joel Coen und Kameramann Bruno Delbonnel (DIE DUNKELSTE STUNDE, 2017; DIE FABELHAFTE WELT DER AMÉLIE, 2001) leisten, um sich von den vielen anderen Verfilmungen zu unterscheiden? Zwei bewusste Faktoren drängen sich in den Vordergrund: das Bildformat 4:3 und die schwarzweißen Bilder. Das baut eine gewisse Distanz zum Stück und den Darstellern auf, gibt der Szenerie etwas Bühnenhaftes und der Handlung etwas Träumerisches. Schnell wird klar, man ist vollkommen der kreativen Vision eines ausgeprägten Geistes unterworfen. Die Coen-Brüder waren schon immer starke visuelle Erzähler, aber viel mehr noch sind sie Experten des Drehbuchschreibens, was hier jedoch wegfällt. Joel Coen gelingt es, seinen künstlerischen Fokus voll und ganz in den Bildern von THE TRAGEDY OF MACBETH zu bündeln, die sich noch für Tage im fotografischen Gedächtnis von uns Zuschauerinnen und Zuschauern verankern.
Das ist auch dem Einsatz von scharfem Lichteinfall – meist Spotlights wie bei einem Konzert – und wenigen Grautönen – es scheint wirklich nur Schwarz oder Weiß zu geben – zu verdanken. Das Szenenbild ist offensichtlich vom Deutschen Expressionismus (DAS CABINET DES DR. CALIGARI, 1920 oder FAUST, 1926) inspiriert, die Kleidung der Darsteller wie auch die Requisiten gehen eine perfekte Symbiose aus genutzt und frisch hergestellt ein. Unweigerlich beginnt man zu interpretieren, wann und warum die Figuren ins Licht treten oder sich im Schatten verstecken. Eine grandiose Meisterleistung, dass trotz der strengen monochromen Linien und Schatten der Aufnahmen, es genug Raum gibt, damit die Darsteller diese Tragödie mit Leben und Leid erfüllen.
Leistung
Dass Frances McDormand eine Shakespeare-Hauptrolle übernehmen kann, daran zweifelt kein ernsthafter Filmfan. Die vierfache Oscargewinnerin und Ehefrau von Joel Coen verleiht Lady Macbeth die Stärke und Präsenz in dieser Geschichte, die angemessen ist. Das Ehepaar Macbeth beschließt den gemeinsamen Mord an ihrem König und die Verschleierung. Der Umbruch von der starken Königin zur geisteskranken Selbstmörderin verläuft recht schnell, jedoch ist dies im Original auch nicht anders. Eine Überraschung ist die Hauptrolle von Denzel Washington, der in den vergangenen Jahren bei anspruchslosen Rollen müde geworden zu sein schien (EQUALIZER, 2 GUNS, DIE GLORREICHEN SIEBEN). Man darf aber auch nicht seine charakterstarken Rollen vergessen wie ROMAN J. ISRAEL, ESQ. (2017), FENCES (2016) oder FLIGHT (2012).
Der Autor dieser Zeilen musste die deutsche Synchronisation schauen, um besser in die Prosa eintauchen zu können. Die Synchronsprecher geben sich Mühe der Performance nahe zu kommen. Wenn man jedoch einmal ins Original umgeschaltet hat, zeigt sich noch einmal ein ganz anderes Level der Betonungen und Melodie in den Versen aus längst vergangen Wörtern. Das bringt die performative Qualität in die Oberliga = Lehrstoff für die Schauspielschulen da draußen. THE TRAGEDY OF MACBETH lohnt sich allein schon deswegen zwei Mal zu sehen, um die Synchronisationen zu vergleichen. Hinzukommt der bekannte Coen-Mix aus famosen Nebendarstellern, die zur Hälfte bekannt (Brendan Gleeson, Harry Melling) und zur anderen Hälfte unbekannt (Kathryn Hunter, Corey Hawkins) sind. Ein kurzes Wort noch zur Filmmusik, die es kaum wagt, sich in den Vordergrund zu spielen. Die Melodien von Carter Burwell, dem Haus-und-Hof-Komponisten der Coen-Filmografie, mag man erst zur Filmhalbzeit bewusst vernehmen, werden jedoch bis zum Finale immer stärker. Eine ungewöhnliche Arbeit des Musikers und Dirigenten.
Fazit
THE TRAGEDY OF MACBETH kommt einer intensiven Theateraufführung nur vordergründig nahe. Die Effekte, das hautnahe Schauspiel, die teils schwerelosen Kamerapositionen und die Vision von Joel Coen machen seine Interpretation von Weltliteratur zu einer intensiven cineastischen Erfahrung. Der Beweis ist nun auf architektonischen Schwarzweiß-Bildern erbracht, selbst nur die Hälfte des Coen-Brüderpaars vermag immer noch großartige Filmmomente zu erschaffen. Die Szenen mit den Hexen/Schicksalsschwestern sind so unvergesslich, man kann gar nicht anders als dieser machtgierigen Figur aufrichtig in deren Untergang zu folgen.
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter