„Der Bestimmung folgen“
Im 21. Jahrhundert, wo die Menschheit auf ihrem derzeitigen technologischen Höhepunkt ist, noch nie einen so hohen Lebensstandard und eine so hohe Lebenserwartung hatte, es sie in die Städte zieht, um von der Infrastruktur zu profitieren, gab es auch noch nie ein so hohes Bedürfnis nach Natur und einem einfachen Leben. Typisch Mensch, selten zufrieden, immer auf der Suche nach dem, was er gerade nicht hat. Einem Rodeoreiter geht es da aber ganz anders. Seine Passion liegt ihm im Blut, es gibt nichts anderes für ihn, nur das Ziel beim nächsten Rodeo möglichst acht Sekunden auf dem unter ihm buckelnden Pferd zu bleiben. THE RIDER könnte vielleicht als Aufruf zum Tierschutz genutzt werden, aber die Regisseurin Chloé Zhao fokussiert sich mit dem Film auf viele Themen und dies mit einer so verdammt guten Geschichte, wie sie nur das wahre Leben schreiben kann.
Handlung
Brady Blackburn (Brady Jandreau) ist ein Rodeoreiter, dem nach einem Huftritt bei einem Wettkampf eine Metallplatte in den Schädel eingesetzt werden muss. Das Rodeo ist für ihn vorbei, einen weiteren Unfall dieser Art würde er nicht überleben. Wie soll es weitergehen, wenn aber das Reiten der einzige Lebensinhalt für ihn ist und er keinerlei Perspektive in einer der ärmsten Regionen der USA, dem Pine Ridge Reservat, hat?
„A Cowboy Rides Through the Pain“
Das hört sich alles nach einem recht bekannten Erzählmuster aus über 100 Jahren Filmgeschichte an. Der Held muss sich nach einer schweren Niederlage wieder aufraffen, von ganz unten anfangen, um dann viel stärker als vorher aus diesem Schicksalsschlag hervorzugehen. Und auch zu Beginn von THE RIDER ertappt man sich selbst bei diesem ungerechten Gedanken und großspurig wissend, wie der Film wohl ausgehen wird. Was einem aber so nah geht, ist die wunderschöne einsame Landschaft und die Menschen, die in ihr leben.
Alle Darsteller spielen sich selbst. Allen voran Brady mit seinem Vater Tim und seiner Schwester Lilly, als Film-Familie Blackburn, im wahren Leben ist es Familie Jandreau. Man merkt ihnen an, dass sie nicht wissen wie sie auf der Leinwand wirken, sondern uns ihr Leben einfach vor der Kamera zeigen. Der geschickte Schnitt, die vielen schönen Momente mit den Pferden und die Einsicht in diese armen Lebensverhältnisse, wo es von einem Pferdeverkauf zum nächsten geht, machen THE RIDER, der eher ein Spielfilm als ein Dokumentarfilm ist, zu einer der schönsten und einfühlsamsten Kinoerfahrung seit Langem.
Weit ab vom Cowboy-Klischee
Wenn man mit THE RIDER einen stolzen Mann, der zwischen Bestimmung und Vernunft mit sich kämpft, begleitet hat, lohnt es sich einen Blick in die Geschichte des Pine Ridge Reservats (Wikipedia) und den dort lebenden Nachfahren der Oglala-Lakota-Indianer (Wikipedia) zu werfen. All das, was einem der Film in seinen starken, aber gefühlvollen Bildern zeigt, ergibt eine harte und traurige Bestandsaufnahme der Ureinwohner Amerikas. Diese Einsicht geschieht aber nicht mit einer Distanz, wie sie bei Dokumentarfilmen der Fall ist, sondern mit einer solchen Nähe und einem umfassenden Themenspektrum, dass sich jeder Zuschauer nach dem Film den ein oder anderen Diskussionspunkt im Herzen mitnimmt.
Es gibt viele Szenen, die meist mehr aussagen als sie uns zeigen, wie zum Beispiel die Begegnungen von Brady mit seinem besten Freund, der nach einem Unfall schwer körperlich behinderte Lane Scott. Lane ist nicht nur ein symbolisches Warnsignal für Brady, was mit ihm passieren könnte, wenn er mit dem Rodeo weitermacht, sondern zeigt im Umgang mit seinem Freund, wie universell seine Fähigkeit mit Pferden zu kommunizieren, einsetzbar ist. Es vergeht keine Filmminute ohne den Hauptdarsteller Brady Jandreau. Was bei einem Amateurdarsteller eigentlich in einem Filmdesaster enden kann, funktioniert hier ausgezeichnet. Brady zeigt seine Person immer ganz ruhig mit wenigen aber gehaltvollen Sätzen und wenn er mit den Pferden trainiert, merkt man gleich, dass hier kein anderer Darsteller in den Cowboy-Stiefeln hätte stehen können.
Fazit
In unserer Zeit, in der kaum noch jemand von einer Bestimmung oder Berufung in seinem Leben spricht, ist THE RIDER wie eine Erlösung. Ein 100-minütiger Miniurlaub in der Einsamkeit der Natur, wenn es nur darum geht seiner Bestimmung zu folgen und man am Ende erkennt, dass es doch viel einfacher ist als man denkt:
Ein Pferd ist dazu bestimmt durch die Prärie zu rennen und ein Cowboy ist bestimmt es zu reiten.
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter