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The Power (2021) – Filmkritik

Was für ältere Generationen finstere Schlösser waren, sind in der heutigen Zeit Krankenhäuser und Psychiatrien. Es gibt kaum einen unheimlicheren Ort als ein scheinbar verlassenes Krankenhaus, man denke nur an HALLOWEEN 2 – DAS GRAUEN KEHRT ZURÜCK (HALLOWEEN II, 1981) oder den japanischen INFECTION – EVIL IS CONTAGIOUS (KANSEN, 2004). Noch furchtbarer sind Psychiatrien wie in SHUTTER ISLAND (2010), THE WARD (2010), AMERICAN HORROR STORY – ASYLUM (2012) oder STONEHEARST ASYLUM (ELIZA GRAVES, 2014). Aber auch ein scheinbar harmloses Sanatorium kann zur Todesfalle werden, wie in A CURE FOR WELLNESS (2016) eindrucksvoll vorgeführt wurde. Den Spitzenplatz des modernen Grauens ist ein heruntergekommenes, verlassenes Gebäude, in dem sich vormals eine Institution von der besprochenen Art befand, wie etwa bei SESSION 9 (2001), DEATH TUNNEL (2005), THE DEVIL‘S CHAIR (2007) und GRAVE ENCOUNTERS (2011). Es veränderten sich im Laufe der Zeit immer wieder die Orte des Grauens, doch die Schrecken sind dieselben geblieben, die uns dort erwarten. Unverändert ziehen sie uns in ihren Bann, faszinieren uns mit endlosen Gängen und einer Tür nach der anderen, die einem bösartigen Labyrinth gleichen, doch keine von ihnen führt in die Freiheit. Doch das Schlimmste ist die undurchdringliche Finsternis, gepaart mit dem Wissen, dass genau hier vor nicht allzu langer Zeit unaussprechliche Dinge geschahen. Das ist der Spielplatz, auf dem sich auch THE POWER wohlfühlt.

THE POWER (2021)
© Capelight Pictures

Handlung

London, 1974: Das Land bereitet sich auf flächendeckende Stromsperren in der Nacht vor. Die angehende Krankenschwester Val (Rose Williams) tritt zur selben Zeit ihren ersten Arbeitstag in dem heruntergekommenen Royal Infirmary Krankenhaus in East London an. Die meisten Kranken werden in andere Einrichtungen verlegt, nur einige wenige bleiben zurück. Val und ein paar Kolleginnen bekommen die Nachtschicht zugeteilt, um die verbliebenen Patienten zu versorgen. Doch noch etwas anderes hält sich in den alten Gemäuern versteckt. Val muss sich nicht nur ihren größten Ängsten stellen, sondern auch ihrer eigenen Vergangenheit.

© Capelight Pictures

Nichts ist, wie es scheint

THE POWER ist nicht nur ein weiterer Geisterfilm, er beschäftigt sich vor allem mit einigen brandaktuellen Themen. Unter anderem geht es um Machtmissbrauch in vielen Formen, institutionelle Vertuschung und Missbrauch von Schutzbefohlenen. Außerdem gibt es in einer Szene einen kleinen Diskurs über die Verbindung zwischen Armut und Gesundheit. Mit der COVID-19-Pandemie vor der Brust ist diese Thematik aktueller denn je.

Hauptsächlich geht es jedoch um Macht in THE POWER. Macht in vielerlei Formen, vor allem jedoch innerhalb einer hegemonialen Männlichkeit, die wir so heute in weiten Teilen der Welt nicht mehr akzeptieren wollen und können. Unsere Protagonistin Val kennt dieses Patriarchat aus ihrer Zeit im Kinderheim in allen Facetten und kämpft bis heute mit einem schweren Trauma. Und auch an ihrem ersten Arbeitsplatz ist es nicht anders: Krankenschwestern dürfen nicht ungefragt Ärzte ansprechen, geschweige denn, sich mit ihnen offen unterhalten. Die Hierarchie ist eindeutig und Ausnahmen gibt es keine. Die Frau hat sich unterzuordnen und dem Mann zu dienen, ganz so, wie es schon in der „Heiligen Schrift“ propagiert wird. Da viele Menschen diesen Stapel Papier so sehr verehren, sollte sich auch niemand über die Zustände auf dieser Welt wundern, Amen.

© Capelight Pictures

Die britische Regisseurin Corinna Faith hat ihr Regiedebüt extrem misogyn angelegt, was jedoch notwendig war, um die Strukturen und Verhältnisse jener Zeit deutlich darzulegen und gleichzeitig die Kombination mit Machtmissbrauch zu verstärken. Im ersten Moment sind viele Szene erschreckend anzusehen, vor allem, weil sie noch nicht so lange in der Vergangenheit zurückliegen. Der moralische Kompass von Corinna Faith ist dabei messerscharf ausgerichtet und beleuchtet all diese Ungerechtigkeiten sowie den brutalen Missbrauch durch eine Männergesellschaft im Schutze einer großen Institution, in diesem Fall ein Krankenhaus und deren Verantwortlichen. Schicht für Schicht enthüllt sich das wahre Grauen hinter dem offensichtlichen Schrecken.

THE POWER (2021)
© Capelight Pictures

Drehbuchautorin und Regisseurin Faith verriet in einem Interview, das sie der Missbrauchsskandal um den britischen Moderator Jimmy Savile dazu inspirierte, das furchtbare Thema in ihrem Drehbuch zu verarbeiten. Die Parallelen zu den aktuellen Missbrauchsskandalen rund um die katholische Kirche und ihren zahlreichen Kinderheimen ist dabei frappierend. Die kleine Produktion THE LAST CONJURING (GATES OF DARKNESS, 2019), mit den beiden Horrorstars Tobin Bell (SAW, 2004) und ADRIENNE BARBEAU (THE FOG: NEBEL DES GRAUENS, 1980), hat sich ebenfalls diesem schrecklichen Thema angenommen. Nur hier sind die Schuldigen direkt in der Kirche zu suchen. Auch wenn die Produktion etwas viel Exorzist und Teufelsanbetung mit ins Boot nimmt, ist der Film durchaus sehenswert.

THE POWER (2021)
© Capelight Pictures

Neben dem gelungenen „Look and Feel“ der 1970er-Jahre wurden in THE POWER unter anderem nur echte Gaslampen in den Nachtszenen verwendet, was eine ganz besondere Ausleuchtung erschuf. Das erschwerte die komplizierten Aufnahmen wie auch die Lichtsetzung einzelner Szenen enorm. Doch das Ergebnis kann sich sehen lassen, welches sich Corinna Faith mit ihrer erfahrenen Kamerafrau Laura Bellingham (AMULET, 2020) erarbeitet haben. Von Budgetproblemen und Zeitdruck ist nichts in THE POWER zu entdecken, ganz im Gegenteil. Für den speziellen Score zeichnen die EDM-Künstlerin Gazelle Twin (alias Elizabeth Bernholz) und Max de Wardener verantwortlich. Ein stimmiger Synthesizer-Sound, vermischt mit unheimlichen Vocals bilden den gruseligen Hintergrund dieses finsteren Ortes. Die beunruhigenden Partituren gehen eine gelungene Symbiose mit den natürlichen Geräuschen des alten Gebäudes, in dem THE POWER spielt, ein. All das zusammen lässt eine außergewöhnliche Atmosphäre entstehen, die so nicht oft in einem Horrorfilm aufkommt.

© Capelight Pictures

Fazit

Neben dem sehenswerten MALASANA 32 – HAUS DES BÖSEN (MALASANA 32, 2020) erscheint in diesen Wochen mit THE POWER der zweite Geisterhorror, der den klassischen Schrecken mit unserer modernen Zeit eindrucksvoll kombiniert. Weit weg vom immer wieder gleichen, sinnentleerten Teenie-Horror der US-Produzenten werden bei Corinna Faith aktuelle Themen aufgenommen und verhandelt, um sie zu einem spannenden Cocktail zu verbinden. Es sei noch erwähnt, dass die dargestellten Stromsperren wirklich stattfanden. Schlussendlich bietet THE POWER, wie auch schon MALASANA 32, schaurig schöne Unterhaltung für einen verregneten Abend bei Kerzenschein. Angenehmes Gruseln.

© Stefan F.

Titel, Cast und CrewThe Power (2021)
Poster
Releaseab dem 28.10.2021 auf Blu-ray und DVD

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RegisseurCorinna Faith
Trailer
BesetzungRose Williams (Val)
Shakira Rahman (Saba)
Emma Catherine Rigby (Babs)
Charlie Carrick (Franklyn)
Diveen Henry (Oberschwester)
Maria Major (Gynie)
Marley Chesham (Junge Val)
Robert Goodman (Hausmeister)
Mark Smith (Direktor)
Paul Anthony-Barber (Chef)
DrehbuchCorinna Faith
KameraLaura Bellingham
MusikElizabeth Bernholz
Max de Wardener
SchnittTommy Boulding
Rebecca Lloyd
Filmlänge92 Minuten
FSKab 16 Jahren

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