„Spannungsarm“
Spätestens jetzt mit dem 33. Marvel-Superheldenfilm sollte man im Serienmodus sein. THE MARVELS stellt eine Fortsetzung von CAPTAIN MARVEL (2019) dar, ist aber auch eine Weitererzählung der Webserie MS. MARVEL. Keine Sorge, einen Rückblick gibt es in Form von Alpträumen bei Carol – nur eben ohne Skip-Funktion an der Fernbedienung, denn wir sind ja im Kino. Noch ein paar Wochen, dann wird das starke Frauentrio seinen Weg direkt in die Wohnzimmer finden. Viele werden schon gar nicht mehr die Reise zu den Leinwandspielstätten antreten, wenn das Bezahlabo gewissenhaft in wenigen Monaten liefert. Dabei ist THE MARVELS bestes Material für die große Leinwand: überlebensgroßes 3D-IMAX-Format, aufwändiger 3D-Sound und unermessliche Kräfte bei Captain Marvel, die es problemlos mit ganzen Planten aufnehmen kann. Kino ist für den luftleeren Weltraum wie geschaffen, das Dunkel zieht uns in seinen Bann. So die Theorie: luftleer und übersichtlich sind die Eigenschaften, die einem hier durch den Kopf schweben, jedoch nicht im positiven Sinne. Der Science-Fiction-Actionfilm fühlt sich viel mehr wie eine weitere Episodenfolge des MCUs an, und die Latte liegt nicht gerade hoch – oder ANT-MAN Nummer 3? Neue Charakterentwicklungen, spannende Wendungen und fantastische Unterhaltungswerte … überall Fehlanzeige. Lediglich visuell werden die Synapsen des Publikums ab und zu zum Leuchten gebracht, dabei hat doch alles so gut angefangen!
Handlung
Diesen Armreif kennen wir doch. Dar-Benn (Zawe Ashton), die Anführerin der militanten Kree und Nachfolgerin von Ronan (siehe GotG Vol.1) findet auf einem Mond einen machtvollen Armreifen. Aber eben nur einen, den anderen hat Kamala Khan alias Ms. Marvel (Iman Vellani) von ihrer Großmutter geerbt. Der Einsatz des energiereichen Körperschmucks durch Dar-Benn öffnet einen Spalt in der Raumzeit. Der Zufall will es so, dass Monica Rambeau alias Photon (Teyonah Parris) und Carol Danvers alias Captain Marvel (Brie Larson) wie auch Ms. Marvel von einem Universum umspannenden Wurmloch getroffen werden. Ab sofort tauschen sie, beim Einsatz ihrer Kräfte, ungewollt die Plätze. Das führt im Kampf unweigerlich zu einem wilden Durcheinander – nicht Speed-Dating, sondern Speed-Fighting. Es wird Zeit, dass sich die Drei zusammentun, denn Dar-Benn will den zweiten Armreif und hat einen Heimatplaneten, der hungrig nach Ressourcen ist.
Checkliste
Den anderen Filmen der MCU-Reihe kann man immer leicht vorwerfen, dass sie nur ein weiterer Baustein in einer größeren Saga sind und deswegen kaum Eigenständigkeit besitzen. THE MARVELS geht hier ganz anders vor. Es wird sich eher an vergangenen Taten abgearbeitet: Ronan, die oberste Intelligenz, der Blip von Thanos und Nick Fury (Samuel L. Jackson), der eine neue Organisation im Weltall aufbaute (S.W.O.R.D.) – inklusive Orbitalfahrstuhl. Vielleicht ist es von Vorteil, wenn man die Serie MARVEL’S SECRET INVASION auch gesehen hat. Wir sind also ein bisschen am MCU dran, aber vom neuen Mulitiverse – bis zur Hidden Credit Scene – weit entfernt. Das lässt Raum für die drei sympathischen Titelheldlinnen. Die Chemie zwischen ihnen passt, auch wenn die Teenagerin zu viel kommentiert und Tante Danvers mit ihrer Nichte vielleicht etwas zu sehr auf die emotionale Tränendrüse drückt.
Die Gegnerin Dar-Benn bedient sich zu vieler bekannter Eckpunkte einer Schurkin. Geradezu belanglos steht sie in den Szenen herum, mit Hammer in den Händen und Grillz im bösartigen Lächeln, so dass man nur müde die Augen reiben kann. Selbst ihrem Assistenten sieht man die Dialoge bereits Minuten vorher an. Ist das überhaupt ein Muss, als Bösewicht einen Diener zu haben? Vielleicht hat die Autorin schlechte Erfahrungen mit Führungskräften gemacht? So etwas könnten wir doch mittlerweile in der Story-Schublade lassen.
Zusätzlich werden noch aktuelle Trend-Themen im Drehbuch abgehakt: Völkerkonflikt, in dem es der westlichen Welt nicht gelingt zu vermitteln, KI-Kritik als Ursprung des Bösen, Ressourcendiebstahl im Zuge der Klimakrise und die gute alte Sitcom-Familie.
Die Arroganz
Wenn man sich das ganze Treiben und flackernde Effektfeuerwerk der Titelfiguren ansieht, driften die Gedanken hinfort. Warum wird man nicht in dieses Abenteuer hingezogen? Zu austauschbar? Zu vorhersehbar oder zu irrelevant? Die Erkenntnis stellt sich ein, dass der grundlegende Konflikt in dieser Geschichte – die Kree vom Planeten Hala und die Skrulls, wie auch das Bestehlen ganzer Welten – gar nicht richtig im Mittelpunkt des Films stehen. Die Bedrohung kommt nie wirklich in den Vordergrund, die Handlung bleibt beim Trio, das zu keinem Zeitpunkt wirklich ums eigene Leben fürchten muss. Dass die Kräfte am Ende gebündelt werden, ist jedem nach dem Trailer bereits klar und somit verschenkt der Film komplett seine Spannung bis ins Finale hinein. Neue Welten werden auf Kosten von flachen Musical-Witzen geopfert und die STAR TREK Folge „Kennen Sie Tribbles?“ bekommt eine Katzenvideo-Neuauflage. Erschreckenderweise sind diese Momente des flachen Witzes das, was in Erinnerung bleibt. THE MARVELS bekommt in seinen glücklicherweise nur 105 Minuten die eigene Arroganz gegenüber seinem Publikum nicht los. Man hört förmlich den Marktschreier am Einlass: Kommt herein und seht, was ihr schon einmal gesehen habt! Zahlt viele Taler und ihr kommt völlig unverändert wieder aus der Vorstellung.
Fazit
Wie cool Superheldinnen sein können, hat man bereits einige Male vorgemacht. Und auch hier fühlt es sich richtig an, dass weibliche Charaktere dynamisch zusammenarbeiten anstatt sich gegenseitig zu sabotieren. Der einzige männliche Charakter bleibt in der Raumstation und hütet die Katzen. Doch das Scheinwerferlicht ist zu sehr auf das Trio Infernale eingestellt und interessiert sich für das Umfeld gar nicht. Doch ohne einen ernsthaften Konflikt und wirkliche Bedrohung ist THE MARVELS eine lahme Kaffeefahrt zum nächsten Kostümladen. Verdammt schade!
Titel, Cast und Crew | The Marvels (2023) |
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Poster | |
Release | Kinostart: 07.11.2023 |
Regie | Nia DaCosta |
Trailer | Auf YouTube ansehen |
Besetzung | Brie Larson (Carol Danvers / Captain Marvel) Teyonah Parris (Monica Rambeau / Photon) Iman Vellani (Kamala Khan / Ms. Marvel) Samuel L. Jackson (Nick Fury) Zawe Ashton (Dar-Benn) Park Seo-joon (Prinz Yan) |
Drehbuch | Megan McDonnell |
Kamera | Sean Bobbitt |
Musik | Laura Karpman |
Schnitt | Kirk Baxter |
Filmlänge | 105 Minuten |
FSK | ab 12 Jahren |
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter