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The Last Duel (2021) – Filmkritik

„Es gibt nur eine Wahrheit“

Immer noch nicht stehen Frauen Männern gesellschaftlich gleichberechtigt gegenüber. Im Zuge der #MeToo-Affäre, in der unzählige Frauen, meist nach vielen Jahren, ihren sexuellen Missbrauch öffentlich machten, wurde deutlich, dass es noch ein weiter Weg bis zur Gleichberechtigung ist. Dass früher alles noch viel grausamer und chauvinistischer war, ist unvorstellbar und der neuste Mittelalterstreifen THE LAST DUEL macht auch keinen Hehl daraus, welchen Status Frauen und Ehefrauen damals hatten, nämlich den des persönlichen Eigentums der Männer. Aber Regisseur Ridley Scott stellt nicht die Grausamkeit der Unterdrückung in den Vordergrund, sondern den Mut einer Frau, vielleicht eine der ersten der Geschichte, die ihre Vergewaltigung öffentlich anklagte. Natürlich ging das nur mit der Unterstützung ihres Mannes, aber wer damals vor dem Hofe des Königs als Frau log, landete auf dem Scheiterhaufen. Die Beweisfügung durfte auch nicht in Frauenhände gelegt werden, sondern in die von Gott, also dem Schwertkampf auf Leben und Tod.

© 20th Century Studios

Handlung

Ende des 14. Jahrhundert in Nordfrankreich: Der Hundertjährige Krieg tobt und verschleißt Unmengen von Soldaten. Der Rest der Bevölkerung wird durch die Pest dezimiert. Eine Freundschaft verbindet Jean de Carrouges (Matt Damon) mit Jaques Le Gris (Adam Driver), die sich gegenseitig in den Schlachten das Leben retten. De Carrouges hat einen alten ehrwürdigen Adelsnamen, jedoch durch den Tod von Frau und Sohn, keinen Erben. Zudem ist die wirtschaftliche Situation auf seinen Ländereien schlecht, so dass er im Dienst des Königs ins Gefecht zieht, um Kriegssold zu erhalten. Sein Waffenbruder Le Gris ist als Waise in kirchlicher Obhut aufgewachsen und gelangt durch erfolgreiche Kämpfe und seine belesene Art in die Kreise des Adels. Sein charmantes und fröhliches Auftreten bringt ihm vor allem die Gunst von Baron Pierre d’Alençon (Ben Affleck) ein. So geschieht es, dass d’Alençon seinem Freund Le Gris Ländereien und Posten zuschanzt, die eigentlich De Carrouges zustehen. Die Männerfreundschaft zerbricht. Jean de Carrouges heiratet erneut und nimmt die schöne Marguerite (Jodie Comer) zur Frau, die ihm, neben einer reichlichen Mitgift, einen Erben schenken soll. Le Gris ist Marguerite aber auch verfallen und glaubt, sie im Namen der Liebe von ihrem einfachen und unattraktiven Mann zu befreien. Das bedeutet, er wartet ab, bis die Ehefrau allein in ihrem Anwesen ist und vergewaltigt sie im Ehebett der Carrouges. Marguerite erzählt ihrem Mann von der Tat, der eher seine Ehre verletzt und seinen Besitz geschändet sieht. Außerdem hat er noch eine Rechnung mit dem arroganten Le Gris offen. Der Fall landet bis vor König Charles VI. (Alex Lawther) und muss mit einem Duell auf Leben und Tod entschieden werden. Wenn Carrouges gewinnt, ist der Missbrauch geschehen und mit dem Tod von Le Gris abgestraft. Sollte jedoch Le Gris im Duell gewinnen, verliert nicht nur Carrouges sein Leben im Kampf, sondern auch Marguerite wird als Lügnerin vor dem König mit einem langen qualvollen Tod auf dem Scheiterhaufen bestraft.

Jodie Comer als Marguerite de Carrouges // © 20th Century Studios

Drei Protagonisten und drei Akte

Wenn ein solcher Fall vor dem Gericht landet, wird um die Aussage des Anklägers wie auch der des Angeklagten ersucht. Da es sich um drei Figuren handelt, gibt es auch drei Versionen der Geschichte. Die Handlung von THE LAST DUEL teilt sich nun in drei verschiedene Versionen von ein und derselben Geschichte auf. Wahr ist aber nur eine Perspektive und so folgen wir zuerst der des Matt-Damon-Charakters, dann der Adam-Driver-Figur, um zum Schluss endlich die Wahrheit des Opfers (Marguerite De Carrouges) zu hören und zu sehen. Dieser umfangreiche Aufbau plus die Gerichtverhandlung und das packende Duell am Ende lässt eine Laufzeit von 153 Minuten zu Buche schlagen. Das bewegt sich auf jeden Fall entgegen den bekannten Kinokonventionen, vor allem weil THE LAST DUEL eher Darstellerkino ist und kein Unterhaltungs-Blockbuster. Dank der drei hochklassigen Darsteller tritt auch ein fein nuanciertes Spiel in allen drei Versionen zu tage. Durch die etwas unterschiedliche Inszenierung der drei Perspektiven, werden bekannte Szenen zwar nicht langweilig, können aber auch keine besonderen visuellen Reize schaffen. Kamera und -einstellungen sind sehr einfach gehalten, was von einem Regisseur dieser Klasse zu wenig ist und die gesamte Bildsprache wacht erst im Duell am Filmende richtig auf. Das hat aber noch einen anderen Grund, dazu später.

© 20th Century Studios

Der ehrenwerte Soldat

Besonders im Hinblick auf Figurenzeichnung und -charakterisierung ist THE LAST DUEL ganz große Schauspielkunst. Matt Damon erschafft allein durch sein brachiales Äußeres von Sir Jean de Carrouges enorme Leinwandpräsenz. Eine tiefe Narbe im Gesicht deutet auf die Kriegserfahrung hin und auch der Haarschnitt – vorne und oben kurz, im Nacken etwas länger – zeigt, dass ihm das praktische Tragen des Helms wichtiger ist als sein Aussehen. Mit poetischen Worten kann er nicht umgehen, jedoch weiß er, wenn ihm Unrecht zugefügt wird und tut dies lautstark kund. Ein Grobian, der nicht gern bei Adelsfeiern gesehen ist, jedoch mit seiner Wahl der zweiten Ehefrau, Glück und strategischen Verstand hat. Matt Damon verleiht seinem De Carrouges allein durch Augensprache die nötige Willensstärke im Kampf gegen Vetternwirtschaft. Eher ein Pragmatiker als ein Intellektueller, was seine Wahrheit der Geschichte direkt, grob und vor allem mit dem Unrecht auf seiner Seite prägt.

Matt Damon als Sir Jean de Carrouges // © 20th Century Studios

Der schöne Verführer

Karriere macht man im Mittelalter nicht nur durch gewonnene Schlachten, sondern auch bei abendlichen Empfängen und mit den richtigen Gönnern. Adam Drivers Jacques Le Gris hat keinen Adelstitel, jedoch durch seine belesene Art und gutes Aussehen stets einen Platz bei den Feiern des Barons Pierre – den Ben Affleck ohne Probleme hohl, arrogant und meist betrunken spielt. Jaques und Pierre teilen sich die Damen des Hofes auch gern einmal nächtelang im gleichen Bett und somit ist nicht nur eine gute Machtbeziehung geflochten, sondern Le Gris wird gezeigt, dass jede Art von Frau sich ihm zu beugen haben. Ein Nein zum Beischlaf ist ihm unbekannt. In seinem Begehren nach Marguerite ist vielleicht etwas Liebe zu erkennen, aber vor allem sexuelles Verlangen und der Neid auf den hässlichen Ehemann.

Adam Driver als Jacques Le Gris // © 20th Century Studios

Die wahre Klägerin

Die Geschichte von Marguerite setzt erst später ein, da sie bei den Schlachten der beiden Männer nicht dabei war. Übrigens wird sehr präzise darauf geachtet, dass bei den drei Wahrheiten auch immer nur Szenen zu sehen sind, in denen die jeweilige Person sich auch befindet. Um jetzt ihre Geschichte im Umfang etwas zu erweitern, bekommt sie ein paar Momente der weiblichen Entfaltung als Ehefrau auf dem Anwesen, während Sir Jean für seinen Kriegssold Köpfe einschlägt. Ihr Talent für das Wirtschaften wird gezeigt und auch ihr kluger Verstand mit dem Fokus auf das Wesentliche bekommt ein paar nette Szenen. Für heutige Verhältnisse etwas plakativ: zum Schneider gehen, aufs Geld achten und mit anderen Frauen über schöne Männer reden. Aber wir wissen nicht, wie sich Frauen damals verhalten haben oder was sie sich tatsächlich getraut haben zu sagen. Marguerites Kampf mit ihrer Schwiegermutter ist wesentlich spannender als eine der wohl hohlsten Metapherszenen, die Ridley Scott wohl niemand ausreden konnte: Jean de Carrouges denkt mit der Pferdezucht aus seinen Schulden zu kommen und kauft eine weiße Stute. Die wird aber von einem entflohenen Hengst (kein Zuchtmaterial) vor den Augen von Marguerite und Jean bestiegen – ergo vergewaltigt. Selbst Schaufelschläge von Sir Jean lassen den Hengst nicht von der Stute absteigen. Das nennt man Symbolik mit dem Vorschlaghammer.

© 20th Century Studios

In ihrer Wahrheit ist die Vergewaltigung die grausamste Version, wird aber von der Ungerechtigkeit ihr gegenüber zu Gericht noch übertroffen. Nicht nur, dass sie nicht die Klägerin ist, sondern ihr Mann Sir Jean, weil sein Besitz (die Ehefrau) geschändet wurde, sie wird auch nach ihrem Gefallen des Beischlafs mit ihrem Ehemann befragt. Der fehlende Nachwuchs möge eventuell daran liegen, dass sie im Bett keine Leidenschaft zeigt, bei der Vergewaltigung dagegen vielleicht schon. Spätestens hier möchte man aufstehen und dem versammelten Gerichtssaal auf mittelalterliche Weise den Kopf einschlagen.

Ben Affleck als Pierre d’Alençon // © 20th Century Studios

Rechtsprechung des Glaubens

Es ist absurd, wie die Menschen im Jahr 1385 glaubten die Wahrheit aufzudecken. Vor allem, wenn man bedenkt, dass sie es in dieser Zeit auch geschafft haben ohne Elektrizität so etwas wie die Kathedrale von Notre-Dame zu bauen, was auch im Film kurz gezeigt wird. Ein Ehemann klagt an, dass seine Ehefrau missbraucht wurde, der andere leugnet es. Die Ehefrau bezeugt die Tat, was aber irrelevant ist, da sie keinerlei Rechte hat. Sie wird sogar noch der qualvolle Tod ereilen, wenn sich ihre Aussage als Lüge herausstellt. Somit soll die Wahrheit durch Gott gesprochen werden, weswegen ein Kampf auf Leben und Tod stattfinden wird, denn nur Gott allein kann durch den Gewinner die Wahrheit bezeugen.

© 20th Century Studios

Das Leben von Maguerite steht auf dem Spiel und wir bangen beim Duell um jeden Schwerthieb. Als Zuschauerin und Zuschauer sind wir so perfekt emotional in den Kampf involviert wie schon lang nicht mehr, jedoch ist es bis zum tatsächlichen Drama ein weiter Weg.

Fazit

Seien wir ehrlich: Ohne den Namen des Regisseurs Ridley Scott, seine finanzstarke Produktionsfirma und die drei herausragenden Darsteller wäre THE LAST DUEL eine sehr zähe Angelegenheit bzw. hätte nicht einmal das Licht des Kinoprojektors erblickt. Dennoch hat der Film das Herz am rechten Fleck und die Würdigung einer der mutigsten Frauen des Mittelalters ist es auf jeden Fall wert. Die Kombination aus Vergewaltigungsdrama und Mittelalterepos wird das Publikum auf ein Minimum aussieben.

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewThe Last Duel (2021)
Poster
RegisseurRidley Scott
ReleaseKinostart: 14.10.2021
ab dem 06.01.2022 auf UHD, Blu-ray und DVD

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Trailer
BesetzungMatt Damon (Sir Jean de Carrouges)
Adam Driver (Jacques Le Gris)
Jodie Comer (Marguerite de Carrouges)
Harriet Walter (Nicole de Carrouges)
Ben Affleck (Pierre d'Alençon)
Alex Lawther (King Charles VI)
Marton Csokas (Crespin)
William Houston (Herald at the Duel)
Oliver Cotton (Jean de Carrouges III)
Aurélien Lorgnier (Carrogues Priester)
Nathaniel Parker (Sir Robert de Thibouville)
Tallulah Haddon (Marie)
DrehbuchNicole Holofcener
Ben Affleck
Matt Damon
KameraDariusz Wolski
FilmmusikHarry Gregson-Williams
SchnittClaire Simpson
Filmlänge152 Minuten
FSKAb 16 Jahren

Ein Gedanke zu „The Last Duel (2021) – Filmkritik“

  1. Wenn immer nur darauf geachtet wird, zu produzieren, was der breiten Masse gefällt, dann ist der gesamtgesellschaftlichen Verblödung Tor und Tür geöffnet.
    Der Film ist brilliant, die darstellerische Leistung beeindruckend.
    Wer nicht in der Lage ist, sich länger als 90 Minuten auf eine Sache zu konzentrieren, kann ja den handelsüblichen Filmmüll schauen.
    Davon gibt es mehr als genug.

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