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The Iron Claw (2023) – Filmkritik

„Verfluchtes Vermächtnis“

Wrestling ist kein Sport, es ist Performance. Sicherlich müssen die Akteure athletisch fit sein, enormen Erfolgsdruck aushalten und sich gut vermarkten können, aber einen sportlichen Wettstreit als solches, gibt es nicht. Der Sieger, die Choreografie, die Griffe und die Sprünge sind im Vorhinein abgesprochen. Es ist eine Show, sozusagen moderne Gladiatorenkämpfe für Unterhaltungswillige. Film ist ebenso ein Showgeschäft, aber wenn es um wahre Begebenheiten geht, wird die Trennlinie ziemlich unscharf. Regisseur Sean Durkin zeigt uns mit THE IRON CLAW nicht die Kämpfe im Ring, sondern den wahren Wettstreit hinter der berühmten Wrestler-Familie namens Von Erich, die sehr erfolgreich war, aber auch höchst tragisch zu Grunde ging. Es ist kein rivalisierender Kampf zwischen vier genetisch bevorteilten Brüdern, sondern ein Kampf mit Unterdrückung, Kummer und dem toxischen Familienpatriarchat. Nach außen mag es wie eine melancholische Muskelparade wirken, doch das Drama entwickelt durch seine erzählerische Subtilität eine solche Anziehungskraft, dass es unsere Herzen in die Seile drückt.

© Leonine Studios

Handlung

Kevin Von Erich (Zac Efron) ist der Stolz der Familie und tritt in die Fußstapfen seines alten Herrn. Vater Fritz (Holt McCallany) war in seinen Wrestlingtagen als durchtriebener „Iron Claw“ bekannt. Doch die Bösen sind selten in diesem Gewerbe erfolgreich. Sohn Kevin ist da anders, durchtrainiert und regelkonform. Hinter seiner Karriere stecken die Pläne von Vater Fritz, dass endlich der Weltmeistertitel in Familienbesitz übergehen soll. Stück für Stück müssen auch die drei Brüder in den Ring steigen. David (Harris Dickinson) ist der perfekte Teampartner für Kevin und nicht müde um pathetischer Kampfesansagen. Kerry (Jeremy Allen White) verliert seine olympische Karriere im Diskuswerfen, weil die USA beschließt die Spiele in Moskau zu boykottieren und muss nun in den Ring. Der Jüngste ist Mike (Stanley Simons), der eher Rockmusiker werden will, aber auch er soll kämpfen. Der Vater will es so. Von Mutter Doris (Maura Tierney) ist kein Schutz und keine Wärme zu erwarten, was das Familienoberhaupt entscheidet, gilt. In der Heimat Texas werden sie schnell zu Stars, doch der Kampf um den Meistergürtel ist eher ein wirtschaftlicher. Welche Liga bringt die besten Einschaltquoten und wer hat die besten Stars?

© Leonine Studios

Von wegen Sportfilm

Bei THE IRON CLAW ist es durchaus von Vorteil nichts über diese Wrestlinggeschichte im Vorhinein zu wissen. Die Kämpfershow nahm erst hierzulande in den 1990er Jahren richtig Fahrt auf, dank Sammelkarten, Actionfiguren und Konsolenspielen. Ende der 1970er war Wrestling in den USA eher etwas, was auf Tour ging, Sporthallen und später selbst Stadien in Japan füllte. Die Fernsehübertragungen wurden danach erst wichtig und so ist Wrestling in seinen Anfängen eher ein Event. Entscheidend ist, wie das Publikum auf die Kämpfer im Ring reagiert. Wer ist in guter Form und hat die besten Bewegungen drauf? Diese Kämpfer bekommen dann auch die Siege zugeschrieben.

© Leonine Studios

Das bringt die Kämpfer in eine extrem devote Situation: kontrollierte Aggression zu simulieren und gegebenenfalls den Kampf zu verlieren, wenn es im Vorhinein bestimmt wird. THE IRON CLAW hält sich aber gar nicht groß mit diesem Luftschloss der inszenierten Kämpfe auf, die Brüder bzw. die Familie stehen im Vordergrund. Vater Fritz hat seine Söhne zu gut dressierten Muskelmännern erzogen, die Mutter sorgt hauptberuflich für proteinreiche Kost am Essenstisch. Man sieht bereits in den ersten Momenten, dass diese Zusammenstellung einem Schnellkochtopf gleicht, der kurz davor ist zu explodieren. Immer wieder muss man sich die Augen reiben wie naiv die Brüder durch ihre Karriere und durchs Leben streifen. Der einzige intellektuelle Lichtblick ist Pam (Lily James), die zukünftige Frau von Kevin.

© Leonine Studios

Schlichte Gedankenwelt

Dem Film ohne Vorurteile gegenüber der Sinnhaftigkeit von Wrestling zu begegnen, ist geradezu unmöglich. Aber Regisseur Durkin macht mit seiner Inszenierung etwas sehr Zugängliches, er erzählt bodenständig und erzeugt keine künstliche Dramaturgie. Der Ruhepuls bleibt niedrig. Die Szenen wirken nie künstlich, überstilisiert oder besonders kreativ. Sie passen sich ihren Hauptfiguren an, die nicht unbedingt über enorme geistige Kapazitäten verfügen. Aber gerade in diesen einfachen Gemütern findet THE IRON CLAW einen permanenten Konflikt mit der eigenen Situation und dem Schicksal, was ständig an die Haustüre klopft.

© Leonine Studios

Vor allem Zac Efron hätte man dieses Spiel nicht zugetraut. Den eigenen Körper aufzupumpen war sicherlich ein Leichtes für ihn, aber den stetigen hinterfragenden Blick und die Ohnmacht gegenüber der eigenen Unfähigkeit seine Familie zu schützen, beweisen viel Gespür für die eigene Rolle. Sein Kevin Van Erich kann das Unheil nicht einordnen, was vor allem dem Wrestling und seinem Vater zu verdanken ist, er suchte die Lösung im Aberglauben. Die Familie muss verflucht sein. Eine übernatürliche Macht ist für ihn viel nachvollziehbarer als die Zerstörung durch das ungesunde Training und der Leistungsdruck des Vaters. Und gerade in diesen zwischenmenschlichen Momenten spielt THE IRON CLAW seine ganze Stärke aus: einfache Szenen und geradlinige Dialoge, die ihr Ziel nicht verfehlen und das Publikum dennoch zum Mitfühlen anregen. Die stärksten Sequenzen gehören überraschenderweise der Mutter, die nicht schon wieder dasselbe schwarze Trauerkleid anziehen möchte oder ihre Befreiung im Malen findet und nicht im Kochen.

© Leonine Studios

Isolation

Durch die Konzentration auf die Familie rund um die Hauptfigur Kevin, bekommt das Publikum auch ein Gefühl dafür, was es bedeutet mit den Von Erichs zu leben. Die strenge Erziehung, die Unterstützung zwischen den Brüdern, die pathetischen Ansprachen des Vaters, der von ihnen nur als „Sir“ angesprochen wird. Widerworte werden nicht geduldet. Man muss unweigerlich an FOXCATCHER (2014) von Bennet Miller denken. Zwar ist Ringen nicht dasselbe wie Wrestling, aber diese Art von maskulinem Kampf, wer der Stärkere ist, durchzieht beide Filme. In FOXCATCHER befeuert das Ungleichgewicht zwischen dem Körperlichen (Schultz-Brüder) und dem sehr Wohlhabenden (John du Pont) den Konflikt. Bei THE IRON CLAW wird das Kräftemessen zwischen dem Regiment des Vaters zu seinen Söhnen erzeugt.

© Leonine Studios

Sehenden Auges geht er über das Wohl seiner Nachkommen hinweg, um sich seinen eigenen Traum zu erfüllen. Die sture Bereitschaft dafür ist gleich die erste Szene in Schwarzweiß, wenn man das Gesicht des jungen Fritz Von Erich als Kämpfer „Iron Claw“ sieht, wie er auf einen am Boden liegen Kämpfer eintritt. An Ehrgeiz mangelt es ihm nicht, selbst kurz nach einer Beerdigung muss beraten werden, wie die Karriere der Familie weitergehen soll. Die Option des Aufhörens wird nie verhandelt. FOXCATCHER und THE IRON CLAW spielen beide in den amerikanischen 1980er Jahren. 1981 hatte die Wirtschaft mit einer Rezession zu kämpfen. Gerade in solchen Zeiten der Not, werden Kämpfe geführt und Machtpositionen verteidigt bzw. erobert. Diese Filme stehen stellvertretend dafür und welch hohen Preis der Erfolg hat.

Fazit

Gute Filme entstehen immer, wenn nicht zu kompliziert Emotionen konstruiert werden. Wrestling ist die Nachahmung eines Kampfes um Leben und Tod. THE IRON CLAW ist der Lebenskampf einer dysfunktionalen Familie, die nur sich selbst hat und am Ende mit viel Tod ausgezahlt wird. Es ist wie bei einem Wrestlingmatch, man weiß, es ist nur Show, doch dennoch hat man schwitzige Hände oder in diesem Fall feuchte Augen.

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewThe Iron Claw (2023)
Poster
ReleaseKinostart: 21.12.2023
RegieSean Durkin
Trailer
BesetzungZac Efron (Kevin Von Erich)
Lily James (Pam Adkisson)
Jeremy Allen White (Kerry Von Erich)
Harris Dickinson (David Von Erich)
Stanley Simons (Mike Von Erich)
Maura Tierney (Doris Von Erich)
Holt McCallany (Fritz Von Erich)
Michael Harney (Bill Mercer)
Aaron Dean Eisenberg (Ric Flair)
Maxwell Jacob Friedman (Lance Von Erich)
DrehbuchSean Durkin
KameraMátyás Erdély
MusikRichard Reed Parry
SchnittMatthew Hannam
Filmlänge121 Minuten
FSKab 12 Jahren

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