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The Green Knight (2021) – Filmkritik

„Alles Lüge?“

As Nische as Nische gets: Kino für Mediävistiker:innen. Die unbekannterweise verfasste mittelenglische Ritterromanze SIR GAWAIN AND THE GREEN KNIGHT zählt zu den definierenden Texten der Artus-Epik und wird nun von Kinoexzentriker David Lowery fürs Kino adaptiert. Aber irgendwie auch nicht, denn ehrlich gesagt hat THE GREEN KNIGHT mehr von einer Essayarbeit übers Erzählen in Artus-Romanen als von einer lupenreinen aventiure Abenteurerei.

©Telepool/A24

England, Mittelalter. König Artus ist alt geworden und die Ritter der Tafelrunde lümmeln auch mehr rum, als dass sie große Abenteuer bestreiten würden. Gawain (Dev Patel) passt sich da gerne an und lebt ein mittelenglisches Slackerleben, das sich zwischen Bordell und Weinflasche abspielt. Bis am Heiligabend der unheimliche „Grüne Ritter“ Camelot betritt und den tapfersten der Tafelrundenritter zum Duell fordert. Heißspornig nimmt Gawain die Offerte an und schlägt, nach viel zu einfachem Kampfe, dem Eindringling den Kopf ab. Doof nur, dass der grüne Ritter eben jenen Kopf kurzerhand wieder aufhebt und Gawain zur Revanche fordert, exakt ein Jahr später, in der mystischen Grünen Kapelle. Ängstlich macht der junge Mann sich schließlich am nächsten Heiligabend auf die beschwerliche Reise.

The Green Knight (2021)
©Telepool/A24

Der Artushof kann nur existieren, wenn von ihm erzählt wird. Deshalb dürfen die Ritter in den Artusromanen auch nach getanen Aventiuren selten zufrieden auf den Burgen verweilen (die sog. Todsünde des Verlierens), sondern müssen schnell wieder nach draußen, Drachen töten und Burgfräulein retten gehen.

Lowery siedelt seinen THE GREEN KNIGHT diegetisch wie auch metadiegetisch also in einer Zeit an, die schon lange nichts mehr von arthurischen Heldentaten gehört hat, Strohfeuer und Blindgänger wie Guy Ritchies idiosynkratisches, aber letztendlich unfokussiertes Werk KING ARTHUR oder auch der grandios bekloppte 2018er ROBIN HOOD vermochten nicht gerade, die ganz großen Publikumsmassen in die Lichtsäle zu locken. Demensprechend ergibt es dann auch nur Sinn, in der filmischen Diegese einen sich selbst überlebten Artushof präsentiert zu bekommen. Man sieht das Grinsen auf Lowerys Gesicht förmlich vor sich, wie er hier mit den Grundpfeilern des GREEN-KNIGHT-Mythos nonchalant den Boden wischt und aus dem in der Vorlage tugendhaften und überaus vortrefflichen Gawain einen lasterhaften Slacker mit Hang zur Hurerei macht. So richtig ernst nimmt die Ritter hier sowieso keiner. Der einfachen Bevölkerung dienen sie mehr als abstrakte Symbole und Actionfiguren, die beim Mysterienspiel geköpft werden. Legenden, die ihrer Autofiktion in der echten Welt nicht gerecht werden können. Was auch das zentrale Thema von Lowerys Film ist.

©Telepool/A24

Wer erzählte eigentlich die Geschichten, die das Rückgrat für ein englisches Nationenverständnis lieferten? Ein ähnlicher Ansatz in etwa, wie Clint Eastwood ihn in seinem Oscarpreisträger UNFORGIVEN verfolgte. Der Gawain-Figur beraubt Lowery all ihrer Superiorität und statt sie sich im Laufe seiner Aventiure zu verdienen, behauptet sie der Film am Ende seiner Reise einfach. Gawain wird geglaubt, denn ein nichterfolgreicher Ritter, dass würde ja das gesamte narratologische und mythologische Konzept des Artushofes durcheinanderbringen. Dev Patel präsentiert seinen Gawain somit als tieftraurigen Gefangenen der Regeln seiner eigenen diegetischen Welt, er ist sich bewusst, nur eine Figur in einer Geschichte zu sein, versucht sich aber gleichzeitig als Autor eben jener Geschichte. Dass er durchgängig an sich und der Welt scheitert, macht ihn zu einem der interessantesten Protagonisten dieses Kinojahres.

The Green Knight (2021)
©Telepool/A24

Nebst dieses arg literaturtheoretischen Überbaus bietet THE GREEN KNIGHT aber auch ganz offenkundige viszerale Reize. Kameramann Andrew Droz Palermo gelingt die eigentlich undenkbare Leistung, die unfassbare Poesie der dichtenden Vorlage in ebenso berauschend-lähmende Kinobilder umzusetzen. Mehr als einmal fühlt man sich hier an MARKETA LAZAROWA (1967) erinnert, der ja auch mehr Rhapsodie als stringenter Film war, und auch THE GREEN KNIGHT lässt sich problemlos als elegischer Bildrausch genießen. Gerade der dramaturgische Höhepunkt in der grünen Kapelle besitzt eine fieberhafte Eindringlichkeit, die den/die Zuschauer:in für kurze Zeit förmlich in die Leinwand hineinsaugt.

The Green Knight (2021)
©Telepool/A24

Es ist schwer, den Reiz von THE GREEN KNIGHT textlich abschließend zu vermitteln, denn gerade uneingeschränktes Empfehlen fällt schwer. Wer nicht zumindest grobe Vorkenntnisse über den englischen Artushof und die literaturwissenschaftliche Forschung um eben jenen besitzt (James A. Schultz’s SHAPE OF THE ROUND TABLE sei für interessierte Neueinsteiger:innen besonders empfohlen), für den wird ein großer Teil von THE GREEN KNIGHT enigmatisch-unverständlich bleiben. Was ja auch seinen Reiz haben kann, wie gesagt, die audio-visuelle Gestaltung alleine rechtfertigt ein Kinoticket, eine gewisse Frusttoleranz sollte aber wohl allerdings mitgebracht werden.

©Telepool/A24

Fazit

THE GREEN KNIGHT ist ein überaus poetischer und stellenweise überragend schöner Film geworden, der aber auch ebenso komplex wie verkopft ist. Mit seinen außertextlichen Überlegungen über Heldentum und Autofiktionalität passt er aber auch perfekt in eine unsichere Zeit, die sich nach klaren Narrativen sehnt, die aber ob der fortschreitenden Komplexität der Welt nicht mehr bedient werden können. Interessant als Essayfilm für aufgeschlossene Zuschauer:innen, die bereits Fans von UNFORGIVEN und MARKETA LAZAROVA oder ANDREJ RUBLEV waren.

© Fynn

Titel, Cast und CrewThe Green Knight (2021)
Poster
RegisseurDavid Lowery
ReleaseKinostart: 29.07.2021
ab dem 09.12.2021 auf Blu-ray und DVD

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Trailer
BesetzungDev Patel (Gawain)
Alicia Vikander (Essel / The Lay)
Sarita Choudhury (Mother)
Sean Harris (King)
Kate Dickie (Queen)
Donncha Crowley (Bishop)
Barry Keoghan (Scavenger)
Emilie Hetland (First Thief)
Anthony Morris (Second Thief)
Erin Kellyman (Winifred)
Joel Edgerton (The Lord)
DrehbuchDavid Lowery
FilmmusikDaniel Hart
KameraAndrew Droz Palermo
SchnittDavid Lowery
Filmlänge125 Minuten
FSKAb 16 Jahren

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