„Nichts Neues im Puppenhaus“
Es hat in diesen (hoffentlich sich so langsam im Auslauf befindenden) unsteten Zeiten etwas seltsam beruhigendes, zu mindestens im Kino eine gewisse Art von Sicherheit zu erfahren, wenn man in THE FRENCH DISPATCH genau das bekommt, was man sich vom neuen Wes-Anderson-Film erwartet hat.
Wes Anderson, der, wie es bei den Jungs von den Honest Trailers so treffend hieß, einen Stil pflege, den man nur als „Wes Andersonesque“ bezeichnen könnte. Damit zählt er sicherlich zu den radikalsten Auteuren, die gerade im Kino arbeiten, höchsten noch vergleichbar mit Michael Bay oder Til Schweiger, wenn man nur den Willen zur totalen Inszenierung betrachtet. Aber darum soll es hier nur am Rande gehen. Es soll eher gehen um das bereits erwähnte, merkwürdige Gefühl, im Kinosessel die Erwartungen komplett erfüllt zu bekommen und dennoch enttäuscht zu werden. Eben, weil man genau das bekommen hat, was man erwartete.
Andersons Filme zeichneten sich schon immer auch durch eine alles umschlingende Nostalgie aus. Selbst wenn die Filme in einer behaupteten Gegenwart spielten (was in etwa die erste Schaffensphase von Anderson abdecken dürfte, also von BOTTLE ROCKET bis DARJEELING LIMITED), dann schwebte durch sie doch immer so eine gewisse Atmosphäre des Vergangenen und Vergänglichen hindurch. Die Handlungsorte hatten ihre besten Tage schon immer hinter sich, die (ausnahmslos männlichen) Hauptfiguren sowieso: die einst brillanten Tennenbaum-Kinder, der abgehalfterte Dokufilmer, in ihren verfallenen Häusern und Schiffen. Die Historie und Figuren waren so zutiefst depressiv, dass Andersons idiosynkratische Inszenierung willkommene Verfremdungen war, die die Schicksale halbwegs goutierter machten. Mit MOONRISE KINGDOME kam dann der endgültige Sprung ins Vergangene, ins memorierte Vergangene, wo es tatsächlich ist, wie es nie war, wie es nur in der glorifizierenden Erinnerung sein kann. Das gelang in MOONRISE KINGDOME hervorragend, in dem veranschaulicht wurde, wie so ein eigentlich trister Aufenthalt im Fähnlein-Fieselschweif-Camp im Rückblick zum magischen Abenteuer wurde. Bei GRAND BUDAPEST HOTEL ist es da schon komplizierter. Intersexualität war schon immer ein großes Thema bei Anderson, doch hier wurde sie erstmals Plot relevant. Klar war auch DIE TIEFSEETAUCHER eine Hommage an Costeau, in erster Linie aber die Geschichte eines einsamen Mannes, der mit seiner eigenen Irrelevanz klarkommen musste. In GRAND BUDAPEST HOTEL rückte das Stefan Zweigsche so sehr in den Vordergrund, dass Anderson unter all den erzählperspektivisch-theoretischen Spielereien fast vergaß, eine Geschichte zu erzählen und man es alleine Ralph Fiennes zu verdanken hatte, dass noch irgendwas emotional-greifbares im Bildformate-Wirrwarr zu finden war.
Handlung
THE FRENCH DISPATCH ist die konsequente Weiterentwicklung des Grand Budapest Hotels. Noch komplizierter ist die Erzählsituation: Arthur Howitzer (Bill Murray), Gründer und Herausgeber der legendären (aber natürlich fiktiven) Boheme-Zeitschrift „The French Dispatch“ ist verstorben. Seine Mitarbeiter:innen stellen nun die letzte Ausgabe zusammen, und als solche präsentiert sich auch der Film: Als Anthologie, deren einzelne Segmente die Artikel der Zeitschrift darstellen. Und auch diese Artikel sind nochmals metadiegetisch gebrochen, sehen wir doch nicht nur die Narration eben jener, sondern auch, als doppelte Rahmung fungierende, Podiumsdiskussionen oder Lektoratssitzungen. Die größten Teile des Filmes machen aus: Tilda Swinton als J.K.L. Berensen, Kunstkritikerin, die sich in ihrem Artikel „The Concrete Masterpiece“ dem eigenwilligen Aktionskünstler Moses Rosenthaler (Benicio Del Toro) widmet, der während seiner Haftstrafe, dank einer Liaison mit Wärterin und späterer Muse Simone (Lea Seydoux) und auch des PR-Geschickes von Galerist Julian Cadazio (Adrien Brody) zum gefragtesten Künstler seiner Generation wurde.
In „Revisions to a Manifesto“ erzählt Lucinda Kremenz (Frances McDormand), wie der Student Zeffirelli (Timotheé Chalamet) aus Versehen zum kommunistischen Aufrührer wurde (die bestimmt nichts mit den 68er Pariser Aufruhen zu tun haben, wie auch Kremenz bestimmt nichts mit der legendären Autorin Mavis Gallant gemein hat).
Roebuck Wright (Jeffrey Wright) berichtet in „The Private Dining Room“ von einer recht absurden Entführungsgeschichte, in denen ein Gefängniskoch (Stephen Park) und eine animierte Verfolgungsjagd im schönten Hergé Zeichenstil eine wichtige Rolle spielen. Jegliche Ähnlichkeiten mit James Baldwin oder Tennessee Williams sicherlich unbeabsichtigt.
Die Agenda
THE FRENCH DISPATCH (der Film, nicht die Zeitschrift) zerbricht fast unter seiner Starpower. Der sowieso arg aseptische Film wird noch um einiges künstlicher dadurch, dass wirklich jede kleinste Nebenrolle mit der Art von Schauspieler:in besetzt ist, die sonst einen eigenen Film tragen. Das ist man von Anderson gewohnt, das ist auch häufig Teil seiner Komik, nur bisher hatte ein Teil am Cast irgendein Alleinstellungsmerkmal (Königsklasse: Jason Schwartzman als Campleiter/Pfarrer in MOONRISE KINGDOME), eine Dringlichkeit. In FRENCH DISPATCH hat man eher das Gefühl, als seien die Darsteller:innen wie Farbe an die Wand geklatscht worden. Dass das Showgirl, welches genau einen Satz sagt, mit Saiorse Ronan besetzt ist, wirkt beliebig, nur auf den Namen geachtet. Noch ärgerlicher bzw. verwerflicher ist das im Falle von Lea Seydoux, die, außer nackt gutauszusehen, wirklich gar nichts zu tun hat.
Im Text bereits erwähnt: Die Intertextualität, das Dechiffrieren der Symbolfiguren ist hier keine nette Dreingabe, sondern fast schon sehgenuss-relevant. Wer kein umfassendes Wissen über die Zeitungs- und Autor:innen-Szene der 1960er Jahre hat, der dürfte sich hier zunehmend vorkommen wie als säße man als Anglistikstudent:in in einem Proseminar über Wirtschaftsrecht. Ohne die Intertextkenntnis geht, die ohnehin schon dürftige erzählerische Agenda von THE FRENCH DISPATCH völlig verloren. Und es gibt, mit Verlaub und Ausrufezeichen, nichts Unbefriedigenderes, als auf die Frage „Warum sehe ich mir das hier gerade an?“ vom filmischen Text keine echte Antwort zu bekommen. In seinen ärgsten Momenten erinnert der neue Anderson frappierend an Helmut Dielts ROSSINI, als man hier wenig mehr als einen verfilmten Insiderwitz präsentiert bekommt, in den man eine Gesamtausgabe der Gala gepackt hat.
Das Problem ist, dass THE FRENCH DISPATCH vielleicht gar kein schlechter Film ist. Die Mise en Scène ist erwartungsgemäß herausragend, die Sprache geschliffen und fast schon eine Symphonie für sich, und wie hier das geschriebene Wort ins Äußerste fetischisiert wird, dürfte jedem bibliophilen Menschen das Herz wärmen. Das alles ist aber in den Film eines Regisseurs gepackt, der mittlerweile seinen eigenen Hype glaubt und nur noch das zu liefern scheint, was Presse und Publikum von ihm zu erwarten scheinen. Ein merkwürdiges „Kenn ich schon“ stellt sich über die Laufzeit von THE FRENCH DISPATCH ein. Die Erzählebenenspielereien, die vom high-brow in wüstes Fluchen wechseln, das Puppenspielerhafte: Alles schonmal da gewesen.
Pauschal formuliert: Wer Spaß an erzähltheoretischen Spielereien hat, wer den „guten alten Zeiten“, als Truman Capote für den New Yorker schrieb, hinterhertrauert oder wer erst oder noch seit GRAND BUDAPEST HOTEL Wes-Anderson-Fan ist, der kann bedenkenlos eine Kinokarte lösen. Für alle anderen dürften es nahezu unerträgliche zwei Stunden werden.