„Tomaten aus der Dose“
Es wird immer schwerer über Superheldenabenteuer zu schreiben, denn man möchte möglichst wenig über die Handlung verraten und das Abenteuer vorwegnehmen. Bei THE FLASH spoilert der Trailer erfolgreich seinen eigenen Film und es ist zu erkennen, dass auch das DCU eine der vielzähligen Abbiegungen in narrative Paralleluniversen einschlägt. Klingt kreativ, ist es aber selten. Für Comicleser sowieso nichts Neues – niemand stirbt wirklich und Kostüme können auch von anderen getragen werden. Aber aktuell ist es auffallend inflationär im Kino zu erkennen (Marvels Multiverse-Saga, das animierte Spider-Verse). DC hat den Vorteil, sich bei ihren eigenen langjährigen Comichelden-Verfilmungen bedienen zu können und so von den eigenen cineastischen Parallelwelten zu erzählen, solange einer der alten Herren oder Damen mitmacht. Mit Michael Keaton und seinem herrlich gotisch-comicesken 90er-Jahre-Tim-Burton-Batman haben wir das Vergnügen im ersten Stand-Alone-Film des schnellsten Superhelden der Detective Comics: THE FLASH. Das war eine gute Entscheidung, den die Figur Barry Allen/The Flash mag nun wirklich zu wenig Substanz für eine Originstory hergeben. Außerdem wurde die Rolle, dank Ezra Miller, bereits in diversen DCU-Beiträgen definiert und dann ist ja noch das Problem mit dem anderen Serien-Flash-Schauspieler. THE FLASH ist kein absoluter Reinfall geworden und dank einer Pop-Art-Referenz bietet es sogar noch etwas künstlerisches Fleisch auf den Rippen, aber dazu später mehr.
Handlung
The Flash (Ezra Miller) bleibt die Zweitbesetzung. Während Batman (Ben Affleck) die Diebe tödlicher Viren in Gotham City verfolgen muss, ist die Aufgabe des schnellen Jungen dutzende Menschen aus einem einstürzenden Gebäude zu retten. Nach einer kalorienreichen Kettenreaktions-Action-Zeitlupe und geretteter Babyleben später, kehrt er zurück in seinen Laboralltag. Das Revisionsverfahren seines Vaters (Ron Levingston) hat keinen Erfolg, er muss weiterhin im Gefängnis verweilen, wegen des Mordes an Barrys geliebter Mutter. Beide wissen aber, dass er unschuldig ist. Es fehlt ihnen jedoch an Beweisen für seine Unschuld. Durch einen emotionalen Zusammenbruch in Flash-manier, rennt er so schnell, dass er in einer Art Zeitkapsel landet. Jetzt ist es ihm möglich, die Zeit zurückzudrehen und sein Kindheitstraumata zu vermeiden, nur mit Hilfe einer Dose gehackter Tomaten im Einkaufwagen seiner Mutter Nora (Maribel Verdú). Wir wissen alle, dass kleine Veränderungen in der Vergangenheit weitaus größere in der Gegenwart hervorrufen, Barry anscheinend nicht. Als er in seine Zeit zurückkehren will, wird er von einem fremden Wesen aus der Kapsel geschleudert und landet bei seinem 18-jährigen Ich. Es ist der Tag, an dem er seine Kräfte erhalten soll und dafür muss Barry erst einmal sorgen. Doch damit beginnt das Chaos erst in dieser fremden Welt, in der seine Mutter noch lebt, sein Vater nicht im Gefängnis sitzt und es auch keinen Superman gibt, der die Menschheit rettet.
Ensemble
Dass Hauptdarsteller:in Ezra Miller sich in den Medien der letzten Jahre nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat, wollen wir hier beiseiteschieben. Das Werk muss man bekanntlich vom Künstler oder der Künstlerin trennen. Ezra Miller gibt den Barry schüchtern, clever und überdreht. Wenn er in seinem Anzug steckt, wagt er mehr aus sich herauszugehen. Die emotionale Backstory der Familientragödie kann man Miller abkaufen, die verstorbene Mutter als Heilige ist eine gern gespielte Karte im Autorenalltag und wir erinnern uns, dass sogar der gleiche mütterliche Vorname zum Waffenstillstand zwischen Batman und Superman führte. Da Barry aber nicht in seine Zeit zurückkehrt, sondern in die, in der er 18 Jahre alt ist, beginnt man sich doch etwas veralbert vorzukommen. Ezra Miller (*1992) kauft man den Teenager nicht mehr ab, da kann die Einzelkind-Loser-Dummie-Parodie noch so stark ausgespielt werden, das Brusthaar ist nicht zu leugnen. Wenn die Zwillinge (Brain vs. Power) sich gegenseitig ihre Gegensätze aufzeigen, beginnt THE FLASH langsam zu nerven. Vor allem derjenige, der jetzt die Kräfte hat, aber nicht weiß damit umzugehen ist wie das Kind, das man lieber nicht auf die Geburtstagsfeier eingeladen hätte. Miller spielt ihn knapp am geistig eingeschränkten Erwachsenen und auch die lehrreichen Tipps des älteren Barry helfen dem Unterhaltungswert nicht weiter. Es wird Zeit Miller die Show zu stehlen.
Ich bin Batman
Für viele wird es nur einen wahren Batman-Darsteller geben, aber man darf sich einig sein, dass Michael Keaton bei allen in den Top 3 rangiert. Keaton ist sich aktuell nicht zu fein in Superhelden-Blockbustern mitzuspielen (SPIDER-MAN: HOMECOMING) und bei THE FLASH rettet er das Filmvergnügen. Ob das seiner Rolle, die er nach 30 Jahren neuinterpretieren darf, zu verdanken ist oder dem Umstand, dass Keaton gegenüber der restlichen Besetzung ein gestandener, fähiger Schauspieler ist, kann man nicht beantworten. Man beginnt einfach unvermeidlich zu grinsen, wenn er den berühmten Erkennungssatz des dunklen Ritters etwas peinlich berührt zum Besten gibt. Subtext: „Okay, ich bin Batman, was soll’s und ja, ich bin es wieder.“ In dem digitalen Eintopf, was sich heute Actionfilm nennt, macht es einfach Spaß, wenn Keaton den Staub vom Gummikostüm abklopft, halb-analog Passwörter hackt und mit dem Zollstock noch einmal die kinetische Explosionsenergie berechnet. Da steigt der innige Wunsch in die heimische Filmsammlung zu greifen und das nächste Abendprogramm mit Danny De Vito, Michelle Pfeiffer, Jack Nicholson, Kim Basinger und Christopher Walken zu verbringen. Diese Besetzung der ersten beiden BATMAN-Filme muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Was können wir in THE FLASH bieten? Michael Keaton und ein Michael Shannon, der aber unangenehm digitalisiert wirkt. Vielleicht hat man seine Texte per Voice-Call aufgenommen und der Rest macht die CGI-KI. Zur Verteidigung der hiesigen Besetzung: Sasha Calle als Supergirl ist definitiv eine Erscheinung, hoffentlich auch für das junge Publikum und die Rolle hat Potential für weitere Filme/Serien im DCU-Kosmos. Frauen sind sowieso die eleganteren Flieger. Im Zuge des Cast fällt auf, dass es an einem ernstzunehmenden Gegner fehlt, der einen Superheldenfilm auszeichnen und dieser hier, der bereits in der ersten Stunde zu erkennen ist, zählt nicht. Aber genug geschimpft, denn es gibt nerdiges Kunstgeschwafel zu verbreiten.
Konsumgüter
Der folgende Aspekt mag vielleicht nicht jeden erfreuen oder zum Nachdenken anregen, aber das Internet ist nun einmal dazu da, Gedanken zu teilen. THE FLASH ist klare Konsumunterhaltung. Die Hyperserialität der Superheldenfilme hat das Konsumieren der Filme, Serien, Crossover, Prequels und Sequels noch einmal verstärkt und beschleunigt. Selbst Multiplexkinos jammern, dass kaum noch Platz für andere Filmware im umfangreichen Saalangebot herrscht.
„Pop Art ist: populär, flüchtig, überflüssig, mit geringen Kosten verbunden, massenproduziert, jung, witzig, sexy, voller Tricks, glamourös und Big Business.“
Dieses Zitat stammt von Andy Warhol, der mit der Abbildung einer Dose Tomatensuppe, den Kunstmarkt und die Szene auf den Kopf stellte. Zugegeben Superheldenfilme haben keine geringen Kosten – THE FLASH kostete geschätzte 200 Mio. US-Dollar – aber der Rest trifft ziemlich den Nagel auf dem Kopf, was die Filme von DC und Marvel auszeichnet. Umso treffender ist es, dass sich in THE FLASH das ganze Spagetti-Paralleluniversum-Kuddelmuddel um eine explizite Dose gehackter Tomaten dreht. Es muss eine bestimmte Sorte sein und von der Existenz dieser, hängen unzählige andere Existenzen ab. Wenn Warhol damals den Wert von Konsumgütern hervorhob, indem er sie durch den Prozess des Kreativen laufen ließ, so dass sie zu etwas Wertvollem wurden, dann kann eine Dose Tomaten doch ohne Zweifel, Familienidyll in Tragödie, Intelligenz in Stumpfsinn und Superhelden in Superheldinnen verwandeln. Das muss man THE FLASH hoch anrechnen, dass er sein ganzes Kartenhaus der Zeitreise-Story auf einen alltäglichen Gegenstand aufbaut und für ausgewogene Unterhaltung in den 154 Minuten sorgt.
Nerd-Pausenraum
THE FLASH ist voll von Filmreferenzen, die sich bei der thematischen Filmparallelwelt geradezu anbietet. Regisseur Andrés Muschietti (MAMA, IT) und Drehbuchautorin Christina Hodson (BUMBLEBEE, BIRDS OF PREY) scheinen Filmnerds zu sein. Ein paar Beispiele: Als Flash zum ersten Mal sein molekulares Vibrieren vorstellt, geht er durch die Wand mit einem Poster darauf, um beim Nachbarn ein paar Bier zu „leihen“. An der Wand hängt ein Poster von Raquel Welch aus EINE MILLION JAHRE VOR UNSERER ZEIT (ONE MILLION YEARS B.C., 1966). Hinter genau dem gleichen Poster versteckt Andy (Tim Robbins) seinen Geheimtunnel in DIE VERURTEILTEN (THE SHAWSHANK REDEMPTION, 1994).
Nicolas Cage wollte bekanntlich schon immer einmal Superman spielen, hier ist es so weit.
Großartig, wie Barry erfährt, dass sich diese Welt von seiner unterscheidet. In der fremden Welt hat Eric Stoltz die Hauptrolle in ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT (BACK TO THE FUTURE, 1985) und nicht Michael J. Fox. Robert Zemeckis und Steven Spielberg haben tatsächlich mit Eric Stolz als Marty McFly angefangen zu drehen, merkten aber, dass es nicht funktionierte und somit kam Fox an die Hauptrolle. Es passt also, dass ausgerechnet der Zeitreisefilm schlechthin, der uns allen begreiflich machte, dass man nichts in der Vergangenheit verändern darf, Barry in THE FLASH die Erkenntnis gibt, dass er in der falschen Realität gelandet ist. Keaton gibt dann noch eine Spagetti-Metapher zu Zeitreisen zum Besten, die Emmet L. Browns Flipchart köstlich neuinterpretiert.
Und beim finalen Witz des Films, darf sich der Schauspieler präsentieren, der in der Batman-Riege wohl als am umstrittensten gilt. Nach dem dünnen Ende aber leider nur ein entkoffeinierter, nerdiger Schenkelklopfer.
Fazit
THE FLASH ist selten langweilig, was man nicht gerade von den letzten Filmen aus dem DCU-Hangar behaupten kann. Auch wenn Ezra Miller immer wieder die Gewichtung der sympathischen Hauptfigur abhandenkommt, kann es Michael Keaton auffangen. Man ist am Ende doch etwas verwundert, den x-ten Superheldenfilm mit Zeitreisen und Paralleluniversen ohne Zornesadern auf der Stirn überstanden zu haben. Aber dennoch sei hiermit erneut der Aufruf: Bitte lasst euch endlich wieder etwas Neues einfallen.
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter