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The First King: Romulus und Remus (2019) – Filmkritik

Mythologie und Geschichte sind seit jeher eng miteinander verbunden. Der Mythos ist die ewige Sehnsucht des Menschen nach einer überhöhten Wahrheit seiner selbst. Eine Suche nach seinen göttlichen Wurzeln in einer unübersichtlichen Welt. Je stärker der Mythos, desto bedeutender die eigene Geschichte.

Was die Nibelungen für Deutschland sind Romulus und Remus für Italien und seine ewige Stadt Rom. Die von einer Wölfin gesäugten, halbgöttlichen Brüder zieren seit zweieinhalb tausend Jahren antike Bauwerke und sind Hauptfiguren der bildenden Kunst. Doch wenn wir ehrlich sind, wissen wir kaum mehr von dieser wirklich alten Geschichte. Und noch weniger von den unterschiedlichen Quellen ihrer Herleitung. Was ist also wahr, was nur Fiktion?

Es macht daher durchaus Sinn, diesen Fragen mit einer filmischen Entsprechung nachzugehen. Um so erstaunlicher, dass dies seit Sergio Corbuccis unfreiwillig komischer Sandalenschlachtplatte DUELL DER TITANEN von 1961 niemand mehr wirklich getan hat.

Die aktuelle Verfilmung THE FIRST KING: ROMULUS UND REMUS von Matteo Rovere nimmt dabei einen ganz eigenen Blickwinkel ein. Ein Blick ohne Wölfin und monumentale Kulissenoptik. Er erzählt eine mögliche, „echte“ Geschichte. Doch auch hier wird das Göttliche zum Wegweiser in eine bessere Zukunft. In lateinischer Sprache mit einem Höchstmaß an äußerlicher Authentizität gedreht, erzählt der Film eine Parabel über den Missbrauch von Macht und Religion.

Die Handlung

Gleich zu Beginn werden die Schafhirten Romulus (Alessio Lapice) und Remus (Alessandro Borghi) zu Opfern einer gigantischen Flutwelle. Die Wassermassen töten nicht nur ihre Tiere, sondern ziehen sie selbst in einem reißenden Strom mit sich. Dabei wird Romulus schwer verletzt und kann von Remus nur mit großer Anstrengung gerettet werden. Halbtot werden sie an Land direkt von Fremden auf einen Wagen gepackt und als Gefangene in eine größere Siedlung gebracht. In dieser Situation zeigen die gegensätzlichen Brüder ihren jeweiligen Charakter. Der gottgläubige Romulus sieht in der Katastrophe eine Abkehr der Götter von den Menschen und fügt sich in das Schicksal eines Totgeweihten. Dagegen wächst der kämpferische Überlebenswille seines Bruders. Dieser führt dann listenreich zu ihrer Rettung. Dabei befreien sie ihre Mitgefangenen. Zusammen töten sie ihre Entführer und fliehen mit deren Hohepriesterin Satnei (Tania Garriba) als Geisel in die Wälder.

© Capelight Pictures

Dabei wird Romulus erneut schwer verletzt. Die von abergläubischer Religiosität geprägte Gruppe ehemaliger Sklaven sieht darin eine Strafe der Götter und will ihn in der Wildnis zurücklassen. Doch Remus beschützt seinen Bruder bis aufs Blut. So steigt er in der Gunst der Geflohenen schnell zum Anführer auf und ruft sich selbst zu ihrem König aus. Dabei nutzt er die sonst verachtete Religion seines Bruders zur Stärkung seiner neuen Machtposition. Damit zieht er auch Satnei auf seine Seite. Er sieht sich nun als legitimen Befreier gegen unrechtmäßige Herrscher. Doch seine anfänglichen Erfolge verändern ihn. So wird aus dem Helden immer mehr ein rücksichtloser Eroberer. Der langsam genesene Romulus tut sich schwer, seinen Bruder vom wachsenden Größenwahn seiner Natur abzubringen. Erst das Leid des von Remus unterdrückten Waldvolks der Velienser lässt ihn umdenken.

Die Passion Roms

Durch maximales Leid in eine neue Welt. Tief im Geiste von Mel Gibsons DIE PASSION CHRISTI (2004) schickt Regisseur Matteo Rovere seine Helden auf eine Reise zwischen Schmerz und Neuanfang. Dabei wird die Qual zum Schlüssel ins Paradies. Der Weg dorthin scheint nur über geschundene Körper und gemarterte Seelen zu führen. Hier ist der Himmel ein noch ungeborenes Rom. Und der Erlöser einer von zwei schicksalshaft verbundenen Brüdern. Auch sie sprechen die Sprache ihrer Zeit. Doch keine akademisch entrückten Worte aus ungeliebten Klassenzimmern, sondern ein Latein „Straße“. In einer urzeitlich strahlenden Welt wird die Sprache unseres Abendlandes durch unzählige Dialekte und Akzente lebendig.

The First King: Romulus und Remus (2019)
© Max Malatesta

Im Look eines weiteren Gibson Werks reisen wir zurück ins achte Jahrhundert vor Christus. Wie in APOCALYPTO schaffen die glasklaren Digitalbilder eine unmittelbare Verbindung mit Menschen einer längst vergangen Epoche.  Auch hier werden weitestgehend unbekannte Darsteller zu Reiseführern durch ihr entbehrungsreiches Leben. Doch ROMOLUS UND REMUS möchte mehr sein als bloßes Spektakel. Zwar wird auch hier blutig und schmerzvoll gekämpft, doch insgesamt ist der Rhythmus ein anderer. Beim Schnitt verlässt Rovere den actiongeladenen Pfad von Mad Mel in Richtung Werner Herzogs entschleunigten Guerilla-Dokumentarismus. In elegisch gezogenen Szenen, in den die Figuren ihr qualvolles Schicksal bedeutungsschwanger vor sich hin monologisieren, überträgt sich ihr Leid langsam auf unser Geduldszentrum.

Ambitionierte Langeweile

Der Grundton von ROMOLUS UND REMUS ist von Anfang bis Ende durchgehend der gleiche: quälend ernsthaft und mitleidlos leidvoll. In dieser Epoche scheint es weder Humor noch den Wunsch nach körperlicher Nähe gegeben zu haben. Auch wenn es tatsächlich so war, dass niemand Zeit für innere Einkehr hatte und seine Energie rein aufs Überleben hin ausrichten musste, ist diese Tonalität für einen Film, der uns unterhalten soll, deutlich zu entrückt.

The First King: Romulus und Remus (2019)
© Fabio Lovino

Trotz eines immensen körperlichen Einsatzes der Darsteller bleiben uns die Motivationen ihrer Figuren fremd, ihr Handeln für eine Identifikation zu weit entfernt von unserer eigenen Sicht auf das Leben. Für eine spannende Fallhöhe fehlen Kontraste und klar definierte Konflikte. Stattdessen waten wir wie die Figuren durch eine schwer durchdringliche Moorlandschaft ohne Lachen und schützenswerte Schönheit. Die Hoffnung auf ein besseres Leben ist zu keiner Zeit wirklich greifbar, noch erhält sie Raum zur Entfaltung. Romulus Machtansprüche verlieren sich in verbalen Behauptungen, statt Bilder zu schaffen, die diese rechtfertigen würden. Wir sehen keine Momente, in denen er wirklich Glück empfindet, welches er dann gegen drohende Gefahren schützen müsste. Was genau wünscht er sich und vor allem für wen? Die Beziehung zu seinem Bruder wirkt dabei eher als Pflichterfüllung als tief empfundene Liebe. Eine wirkliche Heimat, oder eine Frau, deren Erhalt und Überleben er für sein eigenes Seelenheil beschützen will, erhält kaum bildliche Entsprechung. Ehrliche Empathie für sein Handeln bleibt so schnell auf der Strecke. Ebenso, warum Remus so lange zu seinem machtbesessenen Bruder hält, wird von keiner tiefer gehenden Psychologie gehalten als der Rettung aus den Fluten am Anfang des Films.

The First King: Romulus und Remus (2019)
© Fabio Lovino

Eine kurze Rückblende in die Zeit ihrer Kindheit soll die Motivation für ihr Handeln auf den Punkt bringen. Für ein Geschichte über zwei Brüder, die am Ende zu Feinden werden, ist das deutlich zu wenig. Für eine Entmystifizierung der Sage von den Gründern Roms hält diese bewusst realistisch gehaltene Geschichte zu wenig erzählenswerte Episoden bereit. Stattdessen mutet uns das Drehbuch künstlich in die Länge gezogene Momente, ohne wirklich spürbare Dramatik zu. Dadurch entsteht oft eine unfreiwillige Pathetik, die der sonst so nüchtern inszenierten Geschichte in die Parade fährt.

Die fast gleichbleibende Tonalität aller Szenen, führt zwangsläufig dazu, dass wir die wirklich prägnanten Wendepunkte fast nicht mehr erkennen wollen.

Die Musik – aka Sounddesign

Der sphärisch-perkussiv dröhnende Synthi-Sound des jungen Komponisten Andrea Falli tut dem Gesamteindruck des Films ebenfalls keinen Gefallen. Auch er bedient sich einer schon tausendfach ertragenen Library-Retorten-Klangfarbe. Dadurch nimmt er der sonst so akribischen Handarbeit des Films einiges an Glaubwürdigkeit. Dabei hat die Musik in kurzen Momenten sogar den Hauch einer eher avantgardistischen Auslegung. Leider muss sich diese schnell dem üblichen Konzept eines musikverneinenden Sounddesigns fügen. In Kombination mit den sehr stimmungsvollen Bildern einer unberührten Natur hätte eine souveräner entwickelte Musiksprache, mit echten Instrumenten, der Idee von einer archaischen Welt vor unserer Zeit noch mehr allgemeingültiges Gewicht geben können. Wie so eine urtümliche Welt klingen kann, haben Filme wie Jean Jacques Annauds AM ANFANG WAR DAS FEUER (Musik: Philip Sarde), oder auch 2001 von Stanley Kurbrick (adaptierte Musik: György Ligeti) nachhaltig bewiesen. Doch das waren Zeiten in denen Musik noch als eigene Erzählsprache eingesetzt werden durfte. Das wagen heute leider die wenigsten Filmerzähler.

© Capelight Pictures

Auch das Fehlen nahezu jeglicher historischen Orientierung macht den Film noch schwerer greifbar. Zwar ist grundsätzlich klar wann die Handlung spielt, es fehlen jedoch Eckdaten zur politischen und sozialen Beschaffenheit jener Zeit. So bleibt die Geschichte irgendwo in den sumpfigen Wäldern Italiens zurück, statt den glaubhaften Weg hin zum römischen Weltreich erlebbar zu machen.

Die Blu-Ray

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In einem sehr schön gestalteten Steelbook bekommt der Film eine sehr hochwertige Verpackung. Das Bild ist fast schon zu klar für unsere Sehgewohnheiten einer so weit zurückliegenden Geschichte. Doch das liegt eben an der Art seines Films. Ich persönlich hätte mit eine stärkere Zelluloid-Optik gewünscht. Doch dafür kann die aktuelle Blu-Ray nichts. Das größte Plus der Veröffentlichung ist die Original-Tonspur in Latein. Wer den Film also so erleben möchte, wie er erdacht wurde, sollte sich diese erfrischende Wiederbelebung der Wiege unserer Sprache unbedingt gönnen.

Die Extras

In insgesamt drei Dokus erleben wir die Umsetzung des Films. In entlegenen Landstrichen Italiens entstanden die authentisch greifbaren Drehorte. Regisseur Rovere lässt uns anschaulich an seiner Vision einer urzeitlichen Welt teilhaben. Auch die handgemachten Make-Up Effekte werden dabei sehr anschaulich ins Bild gerückt. Spätestens hier vervollständigt sich der Eindruck im Film, dass hier mit großer Liebe zu greifbaren Schauplätzen und Handlungen gearbeitet wurde. Das versöhnt am Ende gegenüber der dem leider sehr bescheidenen Drehbuch.

Was bleibt?

Zunächst geht diese Verfilmung einen deutlich seriöseren Weg als die von 1961. Statt einer monumentalen Fantasy-Bodybuilder mit Fönfrisur-Operette sehen wir eher ein dokumentarisches Survivalabenteuer. Realistische Schauplätze, von Dreck zerfurchte Darsteller, handgemachte Make-Up Effekte und CGI freie Kampfszenen heben sich zunächst wohltuend ab, gegenüber immer aufgeblaseneren und aberwitzigeren Historienbuffets im Stile EXODUS (Ridley Scott) oder GODS OF EGYPT (Alex Proyas). Auch die religiöse Symbolik einiger Handlungen erzeugt eine interessante Verbindung zum viel später entstandenen Christentum und weiteren Weltreligionen. Hier begegnen wir bereits einem „ewigen Licht“ als Entsprechung elementar gewordener Göttlichkeit. Ihr Missbrauch durch den Machthunger des Menschen zeugt von zeitloser Aktualität.

© Capelight Pictures

Wer sich durch die quälend gezogen Erzählsprache nicht entmutigen lässt, kann durchaus eine ernst gemeinte Botschaft aus der Vergangenheit erkennen. Vieles ist in sich stimmig, lässt sich aber nur schwer herauslesen. Die fehlende Identifikationsmöglichkeit mit den Figuren macht es da nicht leichter. Wer also eher einen Film im Stil von CENTURION (Neil Marshall, 2010) oder der aktuellen Serie BRITANIA erwartet, muss auf halber Strecke enttäuscht zurückbleiben.

Am Ende bleibt ein eher unbefriedigendes Gefühl zurück. Hier wäre deutlich mehr möglich gewesen. Schade um das spürbare Herzblut aller Beteiligten.

© Andreas Ullrich

Titel, Cast und CrewThe First King – Romulus & Remus (2019)
OT: Il primo re
Poster
Releaseab dem 15.11.2019 im Steelbook (Blu-ray) und DVD

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RegisseurMatteo Rovere
Trailer
BesetzungAlessandro Borghi (Remo)
Alessio Lapice (Romolo)
Fabrizio Rongione (Lars il Vecchio)
Massimiliano (Rossi Tefarie)
Tania Garribba (Satnei la Vestale)
Michael Schermi (Arant la Bestia)
Max Malatesta (Veltur)
Vincenzo Pirrotta (Cai il Sabino)
Vincenzo Crea (Elaxantre il Ragazzo)
DrehbuchFilippo Gravino
Francesca Manieri
Matteo Rovere
MusikAndrea Farri
KameraDaniele Ciprì
SchnittGianni Vezzosi
Filmlänge127 Minuten
FSKab 18 Jahren

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