Zum Inhalt springen

The Fall Guy (2024) – Filmkritik

„Ein Typ für alle Fälle“

Es ist eine Herzensangelegenheit. Regisseur David Leitch (DEADPOOL 2, BULLET TRAIN) verbringt seine Filmkarriere nicht nur hinter der Kamera, sondern führt ein actionreicheres Leben davor. Er ist hauptberuflich Stunt Performer und Stunt Koordinator bei aktuell über 70 Filmen. Die Gewerke in der Filmbranche sind bekanntlich fließend und ein Berufswechsel geht schnell von der Hand, so auch bei Leitch. Für ihn ist es jetzt an der Zeit seiner Lieblingszunft, die tagtägliche ihre Knochen am Filmset riskiert, ein cineastisches Denkmal zu setzen. Aber keins von der langweiligen und staubigen Sorte, sondern eins auf dem fruchtbarsten Spielfeld im Genre, der Actionkomödie. THE FALL GUY glänzt, neben einem Regisseur mit Insiderwissen, auch noch mit einer Besetzung, die dem Publikum von Grund auf sympathisch ist: Ryan Gosling und Emily Blunt. Da kann eigentlich nichts schief gehen. Es kommt jedoch auf die eigenen Ansprüche an.

© Universal Studios. All Rights Reserved.

Handlung

Mit seinem gefährlichen Beruf hat sich Colt Seavers (Ryan Gosling) bestens arrangiert. Seavers ist die erste Wahl als Stuntdouble des beliebten Actionschauspielers Tom Ryder (Aaron Taylor-Johnson). Er kann seinem Stuntteam vertrauen, bekommt ausreichend Kaffee am Set und führt eine inoffizielle Beziehung mit der Kamerafrau Jody Moreno (Emily Blunt). Bei einem an Drahtseilen befestigten Sturz in eine Bürolobby bricht sich Seavers den Rücken und fällt für mehrere Monate aus. Die Branche wartet nicht und fürs erste ist er raus aus dem Business. Neuer Job: Autos einparken für ein Restaurant in Los Angeles. Jody ist hingegen die Karriereleiter ordentlich hinaufgeklettert, auch Dank der Produzentin Gail (Hanna Waddingham). Jetzt dreht Jody ein epochales Multi-Millionen-Dollar-Science-Fiction-Abenteuer in Australien. Doch wie es das Schicksal will, landet Seavers für einen gefährlichen Cannon-Roll-Stunt genau an ihrem Set. Zum Glück ist Stunt Koordinator Dan Tucker dabei (Winston Duke).

© Universal Studios. All Rights Reserved.

Ein Mann für alles

Alle, die zwischen den 1980ern und 1990ern ihre Zeit vor der Glotze verbracht haben, sagt die Serie EIN COLT FÜR ALLE FÄLLE sicherlich etwas. Die Hauptfigur heißt Colt Severs, offiziell Stuntman und nebenbei Kopfgeldjäger. Aus dieser Serie ist THE FALL GUY entstanden. In den 2000ern plante man bereits eine Filmadaption, aber die Idee wurde jahrelang weitergereicht, bis es in David Leitchs dankenswerten Händen landet und ausreichend Budget (ca. 125 Mio. Dollar) zur Verfügung stand. Was sich der Film aus dieser langen Produktionseskapade bewahrt hat, ist der Zeitgeist des ersten Konzepts, die 2000er Jahre. Das mag vielleicht auch an der Generation der Besetzung und des Filmteams liegen, aber THE FALL GUY ist optisch, inhaltlich und unterhaltungstechnisch ein Kind dieses Jahrzehnts. Junge liebt Mädchen, ist aber in krumme Geschäfte verstrickt, sie ist eigentlich auch noch in ihn verliebt, zieht aber die Karriere vor. Auf seinen Schultern lastet nun der ganze Konflikt: Herzschmerz, Killerkommando, Intrigen und möglicher Karrieretod. Das passt auch hervorragend zur geliebten Filmcrew-Jacke von MIAMI VICE (2006) im Film. Dass es sich im Konzept auch um ein Kind der 2000er Jahre handelt, erkennt man ebenfalls im Rollenverständnis der Frau, aber zuerst zum Showrunner Ryan Gosling.

© Universal Studios. All Rights Reserved.

Eine Volltrefferbesetzung mit dem schmucken Schauspieler als Stuntman, das kann eigentlich nur von Brad Pitt in ONCE UPON A TIME IN HOLLYWOOD (2019) übertroffen werden. Gosling spielt Seavers mit solch einer Passivität und Ergebenheit, dass man nur noch vor sich hin schmunzelt. Vielleicht ist der berufliche Stuntalltag genau so: Puls unten halten, durch Fensterscheiben springen, keine Diskussionen anfangen. Mit dieser Einstellung manövriert sich der Protagonist durch die recht vorhersehbare Geschichte. Man muss schon unweigerlich lachen, wenn ein Benzintank im Szenenbild auftaucht, den Colt Seavers in den nächsten Sekunden garantiert in einem Feuerball mit irgendeinem Fahrzeug überspringen wird. Manche Witze funktionieren jedoch nicht oder sind viel zu lang (Analyse des Scripts während des Drehs, aber eigentlich Abfrage des Beziehungsstatus), oder man riecht sie wie das Filmende schon meilenweit gegen den Wind. Aber das schweißt uns mit der Titelfigur nur noch mehr zusammen. Wir müssen uns diesem vorhersehbaren Drehbuch einfach ergeben: anzünden und gegen Plastikfelsen schmeißen lassen.

© Universal Studios. All Rights Reserved.

Frauen am Set

Die Diskussion wird zu Recht weitergeführt und vor allem in der Filmbrache gibt es noch enorme Unterschiede nicht nur bei den Jobs zwischen Männern und Frauen, sondern auch in der Bezahlung. THE FALL GUY wollte hier etwas moderner sein und zeigt eine Regisseurin von einem großen Blockbuster. Emily Blunt kann die Rolle natürlich locker abspulen, aber es bleibt immer wieder ein fader Beigeschmack. Auch wenn sie um sich herum ein fast weibliches Filmteam scharrt, ist sie erstaunlich passiv. Sie erfüllt auch perfekt das Klischee der Karrierefrau, wenn da nicht noch ihre offensichtliche Verliebtheit wäre. Dennoch ist ihre Rolle immer wieder zu unsicher und fragt auch schon einmal gern, was jetzt getan werden soll. Dabei ist sie die Regisseurin und hat, abgesehen von der Produzentin, das letzte Wort. Dem Film gelingt es aber dennoch, mit zuckersüßen Rückblicken und dem verheulten Swiftie Gosling, uns diese Liebe ans Herz zu kleistern, auch wenn der Film den Bechdel-Test nur hauchdünn besteht. Aber was beschweren wir uns, der Film hat in seiner Ankündigung nie damit geworben besonders zeitgenössisch zu sein. Die Zielgruppe von THE FALL GUY ist ganz klar über 30 Jahre alt, männlich, und hat eine Schwäche für Emily Blunt.

© Universal Studios. All Rights Reserved.

Selbstreferenzielle Stunts

Der Film scheitert neben seinem flachen, aber soliden Unterhaltungswert genau an dem, was eigentlich das Herzstück sein sollte: den Stunts. Es gibt natürlich einiges zu bestaunen und ein Weltrekord mit sogenannten „Cannon rolls“ (Überschläge mit einem Fahrzeug) wurde auch aufgestellt: 8,5-mal um die eigene Achse. Aber explizit diese Stuntszene funktioniert nur, wegen dem ganzen Drumherum. Den Trucks mit Kameraauslegern, die am Strand nebenherfahren, die Drohnen und der Helikopter in der Luft wie auch die Perfektion fürs Timing – AMBULANCE (2022) lässt grüßen. Nach den aktuellen digitalen Fake-Stunts aus dem Hause Marvel oder Filmen wie REBEL MOON ist dies hier eine Wohltat. Es reicht aber weder an den besten Stuntman der Filmgeschichte heran (Jackie Chan) oder den Schauspieler, der seine Stunts wie kein anderer fürs Marketing nutzt (Tom Cruise). Der Abspann mit den Making-of-Szenen stimmt uns bei diesem Urteil jedoch milde, aber auch nur, weil man sieht, welchen Spaß das Team an dem ganzen Rummel hat.

© Universal Studios. All Rights Reserved.

Ein weiterer Störfaktor ist der unsägliche Trend, dass sich Filmfiguren über ihre eigene fiktive Existenz lustig machen müssen oder ironische Kommentare über sich selbst ablassen. Ja, ich rede von dir Ryan Reynolds, du hast uns diesen ganzen Käse eingebrockt und ein Großteil denkt, es ist so witzig, sich über den eigenen Schwachsinn lustig zu machen. Sicherlich auch ein mediales Phänomen, wenn sich YouTube-User Videos ansehen, in denen sich andere YouTuber und YouTuberinnen andere Videos ansehen. Herrjeh! Aber zurück zu THE FALL GUY, der natürlich auch eine Parodie auf sein Genre sein darf und Gosling zum Glück auch nicht in die Kamera spricht, aber: Ein guter Stunt ist in gewisser Weise auch ein guter Zaubertrick. Und hier wird man nicht nur auf nachträgliche Effekte und Drahtseile hingewiesen, der Zauberer – in diesem Fall der Stuntman – verrät uns auch noch alles während der Show.

© Universal Studios. All Rights Reserved.

Fazit

Wenn Tom Cruise all seine Stunts selbst macht, haben eine Menge Stunt-Leute hierfür Zeit. THE FALL GUY stimmt uns mit Emily Blunt und Ryan Gosling auf der Leinwand einfach fröhlich. Wer die 2000er-Jahre liebt, bekommt hier zusätzlich feinste Pollen aus diesem Jahrzehnt in die Augen gestreut. Aber beim Kerngeschäft ist der Film dann doch erstaunlich austauschbar.

Kann aus Liebe zur Stunt-Performer-Branche ohne Probleme durch die Fensterscheibe geschmissen werden.

© Christoph Müller

//Gesehen bei einer Pressevorstellung am 22.04.2024

 

Titel, Cast und CrewThe Fall Guy (2024)
Poster
ReleaseKinostart: 30.04.2024
RegisseurDavid Leitch
Trailer
BesetzungRyan Gosling (Colt Seavers)
Emily Blunt (Jody Moreno)
Aaron Taylor-Johnson (Tom Ryder)
Hannah Waddingham (Gail)
Winston Duke (Dan Tucker)
Stephanie Hsu (Alma Milan)
DrehbuchDrew Pearce
KameraJonathan Sela
MusikDominic Lewis
SchnittElísabet Ronaldsdóttir
Filmlänge127 Minuten
FSKab 12 Jahren

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert