„Kommt ein Zombie ins Diner…“
Was will man dem Zombiefilm noch Neues beibringen? Jedes Jahr kommt ein gutes Dutzend neue Filme und Serien zu den menschenfleischgierigen Untoten auf die Bildschirme. Jim Jarmusch, als einer der bedeutendsten Autorenfilmer des amerikanischen Indie-Films, macht nicht einmal Anstalten dieses Genrerad neu zu erfinden. Jarmusch bündelt sein Interesse für diese lahmende Horde in THE DEAD DON`T DIE und verpasst dem Film seinen unverkennbaren Drive. Slow Down heißt es hier im Auge der Apokalypse, schreiend wegrennen hat noch nie viel gebracht. Die Geschichte zeichnet aber auch Gesellschaftskritik, jede Menge popkulturelle Anspielungen und den Fokus auf den Zombie als Konsumsüchtigen aus, wie es George A. Romero in seiner ursprünglichen Living-Dead-Filmreihe verfolgte. Somit wird THE DEAD DON`T DIE nicht nur für Horrorfans etwas zum Lachen, Nachdenken und Gruseln. Vor allem die Besetzung ist ein Genuss, aber dafür hatte Jarmusch schon immer ein Händchen, wie auch für die ruhigen Orte im Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
Handlung
Centerville, ein Dorf mitten im grünen Inland der USA, was sich über die letzten Jahrzehnte kaum verändert hat. Jede Entwicklung ist ein langwieriger, generationsübergreifender Prozess. So ein Generationswechsel geht auch im Fahrzeug des ortsansässigen Sheriffs langsam vonstatten. Chief Cliff Robertson (Bill Murray) und Officer Ronald Peterson (Adam Driver) gondeln über die weitläufigen Straßen und klären höchstens einen Fall von Hühnerdiebstahl zwischen Farmer Miller (Steve Buscemi) und Einsiedler Bob (Tom Waits) auf. Aber das hat Zeit.
Doch globale Änderungen haben sogar Einfluss auf Centerville: Durch Fracking an den Polarkappen ist die Erdrotation verlangsamt worden und die Neigung der Erdachse aus dem Gleichgewicht. Das hat nicht nur zur Folge, dass alle Tiere flüchten, sondern auch die Toten unter ihren Laken hervorkriechen und ihren Gräbern entsteigen. Bei den naiven Einwohnern stellt sich der Gedanke des Zombies nur sehr langsam ein, aber so viele wilde Tiere kann es auch nicht geben, wie angefressene Leichen gefunden werden. Es stellt sich noch die Frage, wer jetzt langsamer ist: die Zombies oder die Menschen von Centerville.
Best-of by Jim Jarmusch
Langsam ist eines der ersten Adjektive, welches den Zuschauern von THE DEAD DON´T DIE einfallen wird. Aber „entschleunigt“ trifft es wohl besser. Und welches Erzähltempo würde wohl besser zu dieser Art von Untoten passen? Vor allem die beiden Sheriffs haben die Gemütlichkeit fest verinnerlicht. Die Figuren im Filmkosmos von Jim Jamrusch hatten schon immer genug Zeit: DEAD MAN (1995) bebilderte eine lange Nahtoderfahrung im Westernstil, GHOST DOG (1999) ist die meditative Reise eines Auftragskillers und MYSTERY TRAIN (1989) ist das Rumhängen eines asiatischen Pärchens mit Leidenschaft für Elvis Presley. Das Gute an seinen Filmen ist, wenn man einen liebt, liebt man auch seine anderen Werke. Auch wenn immer wieder die gleichen Elemente in seinen Drehbüchern auftauchen, scheut er sich nicht etwas Neues zu wagen, wie zum Beispiel der vorherige Film PATERSON in dem Adam Driver das fiktive Leben eines Poeten bebildert. In THE DEAD DON´T DIE wagt er einen erneuten Schritt ins Horrofilmgenre.
THE DEAD DON`T DIE wird schon wegen der vielen Referenzen zu Jarmuschs Filmografie ein Spaß für Fans des Autorenfilmers: Iggy Pop ist immer noch kaffeeabhängig wie in COFFEE & CIGARETTES, Adam Drivers Rollenname ist nur einen Buchstaben von PATERSON entfernt und Tilda Swinton ist immer noch nicht von dieser Welt wie in ONLY LOVERS LEFT ALIVE. Aber hier scheut er sich nicht auch der Geschichte des Horrorfilms seine Aufwartung zu machen. Vor allem beim Nerd Bobby Wiggins (Caleb Landry Jones) in seiner Tankstelle, wo es wirklich alles gibt, möchte man durch die Regale stöbern.
Eine der schönsten und stilvollsten Aufwartungen macht der Wagen der Hippster (Selena Gomez, Luka Sabbat und Austin Butler) aus Cleveland. Sie fahren einen 1967er Pontiac LeMans, dasselbe Automodell wie in der Eröffnungssequenz von DIE NACHT DER LEBENDEN TOTEN (NIGHT OF THE LIVING DEAD, 1968). Nicht nur inhaltlich gibt es Vertrautes zu sehen, sondern auch in der Besetzung.
Die Darsteller
Die Besetzung liest sich wie eine feine Auswahl an Arthausfilmen, aber noch viel mehr wie das Kontaktbuch von Jim Jarmusch. Iggy Pop und Tom Waits sind so gut wie immer in seinen Filmen vertreten. Der Einsiedler Bob wird durch den baritonrauen Musiker Tom Waits vortrefflich verkörpert, der auch ein bisschen an seine vorherige Rolle des Schatzsuchers in THE BALLAD OF BUSTER SCRUGGS (2018) von den Coen Brüdern erinnert. Bill Murray scheint satirisch schon immer mit dem Regisseur und Drehbuchschreiber auf einer Wellenlänge zu liegen wie auch Tilda Swinton, die stets für eine Rolle zu haben ist. Ihre schottische Zelda ist nicht nur ein schmunzelnder Kulturen-Clash, sondern auch eine Kämpferin im KILL-BILL-Gewand. Manche Darsteller dürfen ein paar Seitenhiebe auf die Rollen einstecken, die sie in großen Produktionen gespielt haben. Adam Drivers roter Smart klingt nicht nur zufällig wie Kylo Rens Shuttle aus der dritten Star-Wars-Trilogie. Wer es da noch nicht geschnallt hat, bekommt noch den Autoschlüssel mit einem Sternenzerstörer in einem Dialog präsentiert. Aber auch Tilda Swintons Frisur sieht nicht willkürlich elbenhaft aus. Und dass Bill Murray Untoten wie in GHOSTBUSTERS hinterherjagt, braucht keinen weiteren Hinweis.
Schein und Sein
Ein paar stilvolle Computeranimationen, die Untoten haben zum Beispiel nur noch Staub in den Venen, treffen auf praktische handgemachte Effekte, die die Darsteller in rotes Gedärmgelee beißen lassen. Streng genommen muss man jedoch jeden Zombiefilmfan warnen, denn in THE DEAD DON´T DIE werden keine Erwartungen erfüllt. Ein Spannungsbogen ist kaum vorhanden und auch die Fiktion wird immer wieder durch Meta-Dialoge „Ich weiß wie es ausgeht. Ich habe das Drehbuch gelesen“ aufgelöst. Es macht jedoch einen Heidenspaß sich an den Darstellern und dem Kampf des einfachen Bürgers gegen den Weltuntergang zu erfreuen. Wer gern noch etwas mehr interpretieren möchte, wird fündig und kann neben Umweltverschmutzung, Passivität der Menschheit, Konsumabhängigkeit und Rassismus viele Andeutungen finden.
Fazit
Für Genrefans, die sich über Satire an ihren murmelnden untoten Kannibalen erfreuen können, ist THE DEAD DON’T DIE definitiv einen Blick wert und für Jim-Jarmusch-Fans ein Blindkauf. Er kommt vielleicht nicht an die letzten genialen Werke wie PATERSON und ONLY LOVERS LEFT ALIVE heran, aber so eine unterhaltsame Parodie, die wie aus dem Handgelenk geschüttelt zu sein scheint, will man ihm einfach gönnen. Der stets so ernst schauende Autorenfilmer hat nämlich einen verdammt feinen Sinn für Humor.
Titel, Cast und Crew | The Dead Don't Die (2019) |
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Poster | |
Release | Kinostart: 13.06.2019 ab dem 24.10.2019 auf Blu-ray und DVD Ihr wollt den Film bei Amazon kaufen? Dann geht über unseren Treibstoff-Link: |
Regisseur | Jim Jarmusch |
Trailer | |
Besetzung | Bill Murray (Chief Cliff Robertson) Adam Driver (Officer Ronnie Peterson) Tom Waits (Hermit Bob) Chloë Sevigny (Officer Mindy Morrison) Steve Buscemi (Farmer Frank Miller) Tilda Swinton (Zelda Winston) Eszter Balint (Fern) Danny Glover (Hank Thompson) Caleb Landry Jones (Bobby Wiggins) RZA (Dean) Iggy Pop (Kaffee Zombie) Selena Gomez (Zoe) Austin Butler (Jack) Luka Sabbat (Zack) |
Drehbuch | Jim Jarmusch |
Kamera | Frederick Elmes |
Musik | SQÜRL (Jim Jarmusch & Carter Logan & Shane Stoneback) |
Schnitt | Affonso Gonçalves |
Filmlänge | 103 Minuten |
FSK | ab 16 Jahren |
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter