„Der Manipulator“
Endlich eine frische Geschichte im Kino. Das Science-Fiction-Spektakel THE CREATOR hat keine Vorlage und ist kein Remake, ausgedacht und geschrieben direkt für die große Leinwand. Regisseur und Co-Autor Gareth Edward erfüllt sich einen Traum mit diesem epochalen Actionfilm. Ungefähr mit dieser Stimmung begegnet man den ersten Minuten des Films. Doch dann keimt ein ungutes Gefühl beim Erlebnis auf, als ob man im falschen Film sitzt. Besser gesagt, es ist der richtige Film, jedoch ist das Drehbuch so offensichtlich manipulativ und oberflächlich wie ein Apple-Werbespot, dass man seinen Augen und Ohren nicht traut. THE CREATOR setzt sich zwar für Realismus ein, der Cast kämpft sich durch weite Landschaften und das physikalische Empfinden ist permanent vorhanden, aber die Story fühlt sich wie eine manipulative Aneinanderreihung von Altbekanntem an. Science-Fiction ist nicht nur etwas für die Sinne, sondern auch für den Geist. Wer nicht mit philosophischen Themen eine Geschichte erzählen kann, hinterlässt im Genre keinerlei bleibenden Eindruck. Doch bevor wir das näher ausführen, ein Blick in die ersten Drehbuchseiten.
Handlung
Die Menschheit hat sich bereits Mitte des 20. Jahrhunderts mit Künstlicher Intelligenz arrangiert. Androiden werden in die Gesellschaft integriert, führen den Haushalt oder gehen einer Arbeit nach. Doch dann explodiert in L.A. ein nuklearer Sprengkopf, Millionen sterben und die US-Regierung sieht die Schuld bei den Maschinen. Ab sofort ist jeder Android dem Tode geweiht, im Vokabular der Amerikaner: Sie werden ausgeschaltet. Es sind schließlich nur Dinge und keine Lebewesen. Die Menschen auf dem asiatischen Kontinent leben mit den K.I. weitestgehend harmonisch zusammen. Doch die Amerikaner haben weiterhin Angst und sorgen für militärische Übermacht in Form der suborbitalen Station namens NOMAD. Sie ist bestückt mit einer Vielzahl an nuklearen Raketen und einem präzisen Zielerfassungssystem. Mit dieser fliegenden Festung und enormen militärischen Ressourcen kämpft die westliche Welt gegen den sogenannten „New Asia“ Kontinent.
Das Jahr 2060: Joshua (John David Washington), der auf einer Undercover-Mission im asiatischen Raum agiert, versucht an den militanten Separatisten-Untergrund heranzukommen, angeführt von Harun (Ken Watanabe), ein Android. Joshua lebt dort in einer (Schein)-Ehe mit Maya (Gemma Chan). Bei einem Angriff wird er durch eine Explosion von seiner Frau getrennt. Es scheint keine Überlebenden zu geben. Fünf Jahre später lebt Joshua seinen posttraumatischen Alltag in L.A. und beseitigt Roboterwracks aus der radioaktiven Zone. Die beiden amerikanischen Militärs Andrews (Ralph Ineson) und Howell (Allison Janney) brauchen jedoch seine Fähigkeiten. Er soll eine Waffe finden, die die Menschheit vernichten kann. Doch dann stellt sich heraus, die Waffe ist ein Kind (Madeleine Yuna Voyles).
Der Drill
Soweit die ersten 30 Minuten des Films. Die Einführung in eine Parallelwelt macht von Anfang an neugierig auf dieser Zukunftsversion. Wie hat sich die K.I. entwickelt? Wie leben sie miteinander? Welche Lebensdauer hat sie? Kann sie fühlen und träumen? Solche und weitere Fragen werden nicht beantwortet und später oberflächlich angekratzt. Wir müssen erst einmal auf eine geheime, menschenverachtende US-Marines-Mission. Auch wenn unser Sympathieträger, von dem wir nicht wissen, ob wir ihm trauen können, dabei ist, erleben wir Unterdrückungskrieg in Reinform, einen zweiten Vietnamkrieg. Stumpfe Soldaten werden von einer rachsüchtigen Kommandantin– „ich habe meine Söhne verloren“ – angeführt. Die Zivilbevölkerung wird drangsaliert und gefoltert, um den Zugang zum Geheimlabor zu erhalten. Dort werden weiter unbewaffnete Wissenschaftler über den Haufen geschossen. Die Comfortzone haben wir also verlassen und sind im Kriegsmodus, von dem wir bereits in unsere Realität die Nase voll haben. Okay, begriffen, der Westen – offensichtlich die US-Streitkräfte – sind die Bösen in diesem Szenario. Doch warum müssen wir das mit diesen ganzen Copy-Roger-Militär-Killer-Typen miterleben? Vor allem, wenn sie so belanglos sterben. Unsere Sympathien haben sie bereits beim ersten Schuss verspielt.
Es ist eine dunkle und freudlose Welt in die THE CREATOR uns hineinstößt, auch wenn immer wieder die futuristischen Bilder von Kameramann Greig Fraser und Oren Soffer begeistern. Die eigenen Emotionen verschließt man lieber nach dem ersten Akt, denn hier scheint man nur verletzt zu werden. Und in dieser emotional gerüsteten Situation wird uns ein Kind als Waffe präsentiert, die Auserwählte, der Messias. Joshua, der vom rückblenden-getränkten Verlust-Rache-Cocktail nicht wegkommt, nennt das Mädchen Alphie. Sie ist der Weg zu seiner todgeglaubten Frau Maya, die vielleicht doch noch lebt. Alphie scheint reinen Herzens, aber bei ihrem Begleiter sind wir uns nicht sicher. Die Aufgabe ist klar, Joshua braucht seinen Lebenssinn zurück und das gelingt durch die Fürsorge eines Androidenkinds. Jetzt beginnt eine Art Roadtrip durch ein futuristisches Asien, eine fremde Welt, die dennoch vertraut wirkt und im Schlepptau die raketenwerfende Kriegsmaschinerie des Westens.
Das Leben
Der Wille um einen emotionalen Zugang zu THE CREATOR stellt sich nicht ein, da kann Filmkomponist Hans Zimmer noch so filigran an den Synthesizern drehen. Die Welt der Zukunft birgt so viel narratives Potential, doch sie bleibt Hintergrund, liebevoll visualisiert, aber insgesamt nur Tapete hinter der Action. Das Leben in einem Krieg unter diesen Umständen bekommt keinerlei Details. Es scheint ein mühsamer Untergrund-Kampf zu sein, der mit harmonischen Szenenmomenten lebendig gehalten werden soll, doch es verpufft an der Verfolgungsjagd. Die zelebriert THE CREATOR geradezu mit ihrer militärischen Fetischisierung: „Wir brauchen größere Panzer“. Die suborbitale Raketenabschussstation NOMAD erinnert auch an das Verlangen der Heeresführer in unserer Gegenwart nach immer größeren Flugzeugträgern. Sie zeigen Stärke, sind aber am Ende nur große Zielscheiben. Außerdem zerreißen Logikfehler immer wieder das Sehvergnügen. Schießen Androiden permanent daneben? Vor allem die Polizei-Roboter verkommen zu Karikaturen wie die Star-Wars-Droiden. Man will ihnen ein gesellschaftliches Existenzrecht zusprechen, doch Bilder von trauernden Menschen um ihre K.I.-Freunde kaufen wir im Jahre 2023 noch nicht leichtgläubig ab. Und dabei hat Film doch bereits vielfach bewiesen Roboter menschlicher wirken zu lassen als ihre Erfinder selbst – siehe EX MACHINA oder WALL-E. Aber von dieser Nähe spürt man in THE CREATOR nichts und deswegen fällt es schwer sich in die Rollen hineinzufühlen.
Das Manifest
Science-Fiction sind Überlegungen, wie sich unser Leben durch naturwissenschaftliche Entdeckungen verändern würde. Viele glauben, und wahrscheinlich auch Regisseur Gareth Edwards, dass Science-Fiction unweigerlich der Action zugetan ist. Dabei ist Science-Fiction viel eher mit der Philosophie verwachsen. Was ist das für eine Welt, in der Geld keine Rolle mehr spielt (STAR TREK)? Was bedeutet es, wenn ein faschistischer Krieg von Klonkriegern geführt wird (STAR WARS)? Was ist, wenn die K.I. die Menschheit als unnütz ansieht (2001: ODYSSEE IM WELTRAUM) oder K.I. für tausende Jahre verbannt wird (DUNE). In THE CREATOR soll das Zusammenleben mit K.I.-Androiden verhandelt werden. Doch es ist ein reiner Kampf aus naiven Gut- und Böse-Definitionen. Selbst wenn der Protagonist eine Entwicklung zum vermeintlich Guten vollführt, werden kein einziges Mal die Missionen hinterfragt, die Story bleibt im Videogamemodus. Der Westen will den Tod der K.I.s um jeden Preis und der Osten führt ein harmonisches Zusammenleben auf, das sogar mit religiösen Geschichtsbildern plakativ unterfüttert wird (z. Bsp. unterdrückte, tibetische K.I.-Mönche). Künstliche Intelligenzen dürfen sich natürlich mit religiösen Fragen auseinandersetzen, aber das naheliegende – der Mensch als göttlicher Erschaffer – wird nicht erwähnt oder der technische Glaube an etwas Höheres (kleine Empfehlung nebenbei MARS EXPRESS, 2023) fehlt.
Ein weiterer oberflächlich behandelter und philosophischer Aspekt ist das Kind. Die Superwaffe wird zu Beginn noch vor dem Fernseher geparkt und darf dann die Menschheit retten. Die nächste Generation benötigt man erst, wenn es ernst wird. Zu gern wird in Filmen einem unschuldigen Kind die Last der ganzen Zivilisation aufgebürdet. Der Gedanke drängt sich auf, dass es nur eine Person braucht, die reinen Herzens ist, um den Lauf der Geschichte zu ändern. Doch das ist ein Wunsch aus Hollywood. Große gesellschaftliche Veränderungen geschehen durch neue Denkweisen vieler. Es braucht eine Revolution. // Anmerkung: Weil hier Gemma Chan mitspielt, muss man auf die sehr gut durchdachte Webserie EXTRAPOLATIONS (2023) hinweisen, die zeigt welcher Quell inspirierende Zukunftsszenarios für unsere Gegenwart darstellen können – Gemma spielt in der besten Episode mit. Folge 1 ist jedoch furchtbar.// Nach THE CREATOR fühlt man sich ausschließlich an den gegenwärtigen Konflikt zwischen USA und China erinnert. Die Diskussionen über K.I. werden in THE CREATOR zu keiner Zeit weitergeführt, was nicht schon in der Filmgeschichte verhandelt wurde.
Referenzen
Und da kommen wir zum Thema, der eigentlichen Stärkte von THE CREATOR. Wenn man den Film unter dem Aspekt einer Hommage an die Filmbildung eines jungen Briten (*1975) sieht, funktioniert er auf ganzer Linie. Das Zukunftsszenario ist extrem militärisch-materiell aufgeladen, wie es James Cameron gern in seinen Filmen nutzt. Hinzukommt eine effiziente Inszenierung der Actionsequenzen, die an Neil Bloomkamp denken lässt. Die kriegsverbrecherischen Szenen bereits zu Beginn sind stark von APOCALYPSE NOW (1979) und PLATOON (1986) inspiriert. Spätestens zu Beginn der nuklearen Explosion in L.A. denkt man an AKIRA (1988), wie auch dank des asiatischen Settings an dutzende andere Anime-Klassiker. Und über all dem schwebt BLADE RUNNER (1982), der den Konflikt Mensch und Künstliche Intelligenz maßgeblich im Kino prägte – das ist aber vor allem der Romanvorlage zu verdanken. Wenn man THE CREATOR als Medley dieser filmhistorischen Science-Fiction-Meilensteine akzeptiert, kann man definitiv seine Freude damit haben. Jedoch wird es den meisten, bei diesem faszinierenden World-Building aus dem Trailer bzw. allein schon vom Poster, am Ende zu wenig sein.
Fazit
Unter der Prämisse endlich wieder einen originellen Science-Fiction-Film mit ausreichend Budget erleben zu wollen, ist THE CREATOR erschreckend blutarm an Eigenständigkeit. Der grobe Kampf aus Gut gegen Böse lockt niemanden mehr ins Kino. Visuell wird man sich noch lange an Momente erinnern können, aber Gefühle sind dabei nicht im Spiel. Leider eine herbe Enttäuschung für das zeitgenössische Science-Fiction-Genre.
Titel, Cast und Crew | The Creator (2023) |
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Poster | |
Release | Kinostart: 28.09.2023 |
Regie | Gareth Edwards |
Trailer | |
Besetzung | John David Washington (Joshua) Madeleine Yuna Voyles (Alphie) Gemma Chan (Maya) Allison Janney (Colonel Howell) Ken Watanabe (Harun) Sturgill Simpson (Drew) Amar Chadha-Patel (Omni / Sek-on / Sergeant Bui) Marc Menchaca (McBride) Robbie Tann (Shipley) Ralph Ineson (General Andrews) Michael Esper (Captain Cotton) Veronica Ngo (Kami) Ian Verdun (Daniels) Daniel Ray Rodriguez (Hardwick) Rad Pereira (Lambert) Syd Skidmore (Bradbury) Karen Aldridge (Dr. Thankey) |
Drehbuch | Gareth Edwards Chris Weitz |
Kamera | Greig Fraser Oren Soffer |
Musik | Hans Zimmer |
Schnitt | Hank Corwin Scott Morris Joe Walker |
Filmlänge | 133 Minuten |
FSK | ab 12 Jahren |
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter