Das Internet beeinflusst uns immer mehr bei Entscheidungen, Lebenswegen und -inhalten. Im Buch „The Circle“ soll es auf die Spitze getrieben werden und zeichnet eine Dystopie mit dem Gesicht des guten Willens. Klingt religiös? Ist es auch.
Die Geschichte ist in einer nicht weit entfernen Zukunft verortet. Keine fliegenden Autos und keine Möbelstücke, die einem Essen aus dem Nichts zubereiten. Die Handlung könnte in 10 Jahren spielen, jedoch gibt es eine gravierende Änderung in dieser Zukunftsvision: Jeder Mensch hat eine Internetpersönlichkeit. Nicht etwa einen Avatar mit dem man sich in eine virtuelle Welt einklinkt und Bedürfnisse befriedigt. Der Circle, ein 10.000 Mitarbeiter starkes IT-Unternehmen, hat es geschafft, sämtliche Internetaccounts auf ihren eigenen zu reduzieren. Keine tausend Passwörter mehr und keine Kompatibilitätsprobleme. Der „YouTru“ Account ist für alles im Internet nutzbar. Von Online-Shopping über Kommunikation bis zum Online-Gaming. Google, Facebook, Twitter etc. wurden durch den Circle ersetzt. Besonders Merkmal dieser Internetidentität ist, dass sie die eigene reale Person korrekt wiedergeben muss. Das heißt: Jeder hat nur einen Account und dieser darf nur den eigenen Namen tragen. Dieses Kommunikationsmonopol hat den Vorteil, dass die digitalen Fußabdrücke im World Wide Web komplett nachvollziehbar sind. Keine Hasskommentare, kein Onlinemobbing und keine Cyberkriminalität. Alles ist nachvollziehbar.
In diese Welt wird die junge Mae nach ihrem Studium berufen. Besser gesagt, sie bekommt durch ihre langjährige Freundin Annie einen Job in der Abteilung „Costumer Experience“ vermittelt. Die Beschreibungen des Unternehmens mit den vielen innovativen Gebäuden, seinen jungen, motivierten Angestellten (Circler) und vielen Freizeitprogrammen liest sich wie der Traum jedes Arbeitssuchenden. Jedoch bemerkt der Leser, dass es hier über das Wohlfühlen am Arbeitsplatz weit hinausgeht. Mit jedem neuen Monitor an Maes Arbeitsplatz (am Ende sind es sechs) gibt es eine Aufgabe mehr, die am besten parallel erledigt und mit Rankings belohnt wird. So lernt man das Unternehmen immer besser kennen und versteht wie beim Circle produktiv gearbeitet wird und nebenbei immer mehr Daten über die eigenen Mitarbeiter gesammelt werden.
Die Geschichte liest sich flüssig weg, jedoch fehlt etwas literarische Qualität. Sätze, die man als Leser einfach gern noch einmal liest, weil sie so schön sind, gibt es einfach nicht. Aber wir sind hier in der Welt des Internets und es geht wohl eher um kurze klare Sätze. Es passt zur Geschichte. Mae als Protagonistin führt uns gut durch die transparente Welt und weist mit eigenen Probleme auch Charaktertiefe auf. Jedoch ist sie so unglaublich naiv und passiv, dass man sich als Leser ab und zu die Haare raufen möchte. Ihre Beziehungen und auch sexuellen Erfahrungen sind sehr plump geschrieben, fast belanglos und zeigen klar, dass hier ein Mann über die Gefühle eine Frau schreibt, was leider gar nicht gelingt. Als Leser merkt man einfach, dass Dave Eggers als Autor seine Hauptfigur lustlos durch die Geschichte schleift. Die Frage aufkommt irgendwann auf: Warum weiterlesen? Ein Grund hierfür sind die vielen Ideen, die sich die Circle Mitarbeiter ausdenken um die Welt zu verbessern, jedoch alles auf Kosten der Persönlichkeitsrechte. Die Kritik am Circle wird dem Leser nur durch einen unsympathischen Ex-Freund von Mae, völlig unpassend zum Geschichtsverlauf, aufgedrückt. Die eigentliche Kritik an diesem sektenartigen Streben nach totaler Transparenz des Circles muss der Leser selbst entwickeln oder eben schon mitbringen.
Da sind wir auch schon bei der wichtigsten Frage: Was will uns Dave Eggers mit seinem Buch vermitteln? Diejenigen, die dem datensammelnden Internet skeptisch gegenüberstehen, werden weiter in ihrer Kritik bestärkt. Lesern, denen die eigene 100-prozentige Sicherheit wichtiger ist als demokratische Freiheiten, finden die Ansätze des Circles faszinierend. Eggers beeinflusst somit beide Meinungen zu ihren Extremen hin und gibt keine neue Sichtweise frei. Nach Buchende mit sperrigem, unlogischem Twist, garniert mit einer plumpen Metapher aus der Tierwelt, wird man nach dem letzten Satz allein gelassen. Die Gedanken kreisen über das Gelesene und Wut steigt in einem auf, dass man das Buch am liebsten in die Tonne werfen möchte.
Das Buch The Circle aus dem Jahr 2013 wurde ein Bestseller und die Verfilmung ließ nicht lange auf sich warten. Im Herbst 2017 startet der prominent mit Tom Hanks (Bridge of Spies) und Emma Watson besetzte Film in unseren Kinos. Die Kritiken aus dem in den USA bereits laufen Streifen, lassen jedoch keine Verbesserung zum Buch erwarten.
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter