Zum Inhalt springen

The Band – The Last Waltz (1978) | Filmkritik

„Rock’n Roll forever“

Winterland Ballroom, Thanksgiving ’76

The Band: die Formation mit diesem Understatement als Namen existierte in ihrer berühmten Phase von 1967 bis 1976 (das war übrigens exakt die Zeit des New Hollywood). The Band – das waren Robbie Robertson (Gesang, Gitarre), Rick Danko (Gesang, Bass, Geige), Levon Helm (Gesang, Schlagzeug, Mandoline), Richard Manuel (Gesang, Keyboard, Piano, Perkussion) und Garth Hudson (Orgel, Saxophon). Drei der Mitglieder sind mittlerweile verstorben, während Robbie Robertson bis heute (Film-)Musik macht, u. a. für Martin Scorsese, der auch der Regisseur dieses legendären Konzertfilms ist. THE BAND – THE LAST WALTZ erschien 1978 weltweit in den Kinos, aber die Aufnahme des Abschiedskonzerts war am 25. November 1976 im Winterland Ballroom, San Francisco. Dieser Abend war legendär: in einer unvergesslichen letzten Show würdigten The Band der Treue ihrer Fans und realisierten eine mehrstündige Tour de Force des Rock’n Roll.

© Justbridge Entertainment

Zahlreiche berühmte Gastmusiker, gleichsam Freunde der Band, traten an dem Abend mit auf. Zuvor gab es, typisch für Thanksgiving, Truthahn und vor dem Konzert sogar klassische Walzermusik, bei der die Gäste im Saal stilvoll das Tanzbein schwingen konnten. Es war für alle Beteiligten ein Abend der Superlative und der Ort ein ganz bestimmter: der Winterland Ballroom war der erste Ort, an dem die The Band unter ihrem offiziellen Namen auftrat – und sollte also auch der letzte sein. Ein Kreis wurde geschlossen, eine Ära besiegelt. Für die filmische Dokumentation dieses ganz besonderen Zeitfensters engagierte man Martin Scorsese. Hinter den Kameras standen ein halbes Dutzend Fachmänner, u. a. Michael Chapman (TAXI DRIVER, 1976; WIE EIN WILDER STIER, 1980), und für das Bühnenbild wurden sogar alte Kronleuchter ausfindig gemacht, die bei VOM WINDE VERWEHT (GONE WITH THE WIND, 1939) zum Einsatz kamen.

© Justbridge Entertainment

Die Gaststars

The Band waren zeitlebens mit vielen Musikern verbunden, besonders mit Bob Dylan und Ronnie Hawkins, die natürlich auch hier zu sehen und zu hören sind. Doch ihre musikalische Bandbreite – vom Blues, Bluegrass, Gospel, Country und Rock – brachte sie über die Jahre mit vielen Bedeutenden ihrer Zunft zusammen. Für die überschaubare, fertige Filmfassung von THE LAST WALTZ (117 Minuten) musste fast die Hälfte der Performances dieses Abends herausgeschnitten werden. Fast jedem Gastmusiker wurden von vornherein zwei Song-Beteiligungen eingeräumt, Dylan brachte es gar auf sechs Titel an dem Abend. Insgesamt dauerte das Konzert über vier Stunden. „It began as a concert. It became a celebration“, lautete die Tagline auf den Ankündigungen.

© Justbridge Entertainment

Zu den weiteren hochrangigen Beiträgern zählten: Eric Clapton, Dr. John, Joni Mitchell, Paul Butterfield, Neil Diamond, Van Morrison, Ringo Starr, Muddy Waters, Ron Wood und Neil Young. Zusammen mit Emmylou Harris spielte The Band das schöne Stück „Evangeline“ zusätzlich für den Filmsoundtrack ein, was auf einer Studiobühne live von Scorseses Team mitgefilmt wurde und, obwohl nicht Bestandteil des Konzerts, in den Film integriert wurde. Gleiches gilt für den Song „The Weight“, den The Band zusammen hier mit The Staple Singers neu einspielt; war noch die Originalversion aus ihrem Debütalbum The Band (1968) ein Jahr später in Dennis Hoppers Kultfilm EASY RIDER zu hören, coverten The Staple Singers den Song im gleichen Jahr 1969 und landeten einen Superhit. Die komplette Songauswahl mitsamt der Konzertbeiträge, zusätzlichen Filmmusik und Studio-Zugaben sind übrigens auf dem Deluxe-Set des Soundtracks in (fast) voller Länge nachzuhören.

© Justbridge Entertainment

Die Produktion

THE LAST WALTZ war also von Beginn an auf mehr als ein „reiner“ Konzertfilm ausgelegt. Er sollte ein Zeitdokument werden. Auf drei audiovisuellen, medialen Ebenen – Konzert, inszenierte Livemusik (Studio) sowie diversen Interview-Zwischenschnitten an verschiedenen Orten – fängt der Film ein ganzes musikalisches Lebensgefühl ein, samt Drogen, persönlichen Geschichten und Eskapaden. Martin Scorsese selbst fungiert als Interviewer und ist auch im Bild zu sehen. Doch im Vordergrund steht immer die Musik, ihre Geschichte und Bedeutung für die Künstler. Etwa 80 Prozent des Films sind reine Musik, vorgetragen auf der Bühne, der Rest sind Dialog und mehr oder weniger persönliche Einblicke in das Leben der Bandmitglieder.

© Justbridge Entertainment

Bei der Postproduktion gab es diverse Schwierigkeiten – kein Wunder, wenn man so viele Stars samt einigen Allüren an Bord hat. Bob Dylan etwa diskutierte noch wenige Minuten vor Konzertauftritt bestimmte Einstellungen mit Scorsese durch, bei Muddy Waters ging bei allen Kameras (bis auf eine) der Film leer, daher besteht seine Performance bis kurz vor dem Ende nur aus einer einzigen Einstellung – tja, und bei Neil Young musste wochenlang in der Postproduktion weißes Pulver zwischen Nase und Oberlippe wegretuschiert werden. THE LAST WALTZ mäandert beständig zwischen technischer Raffinesse und musikalisch-menschlichem Exzess. Auch darüber berichtet der Film bis heute. Das war eine Zeit, das Ende des klassischen Rock(’n Roll), die so niemals wiederkehren würde. Eric Clapton sagte in einem seiner Statements zum Film bezeichnenderweise: „It was something, wasn’t it? I don’t think there will anything quite like this ever again.“[1]

© Justbridge Entertainment

Das Vermächtnis / Mediabook

THE LAST WALTZ dokumentierte 1978 das Ende einer musikalisch-kulturellen Ära – nicht nur von The Band selbst. Die beteiligten Musiker huldigten in ihren Beiträgen den vielleicht aufregendsten, vergangenen 15 Jahren Musikgeschichte. Sex, Drugs, and Rock’n Roll als Lebensgefühl. Durch Scorseses akribische Technik-Vision – gedreht auf 35mm aus vielen Kameraperspektiven, perfektioniert in monatelangem Schnitt sowie in Nachbearbeitungen bei Bild und Ton – bleibt die Musik stets im Vordergrund, was diese Rockumentary auch durchweg jugendfrei macht. THE LAST WALTZ ist ein Monument der Musikfilmgeschichte, für Viele zusammen mit WOODSTOCK (1970) der beste Konzertfilm, der je gedreht wurde. Dank des hochqualitativen Bild-Negativ-Materials konnte der Film 2016/2017 sorgfältig restauriert und auf hochauflösendem Heimkinomedium (Blu-ray) in Bild und Ton neu erstrahlen. Das aktuelle deutsche Mediabook von justbridge übernimmt die herausragende Restauration von Eureka! (UK) einschließlich dem sagenhaften 5.1-Surround-Mix, der tatsächlich originalgetreu und auf Referenzniveau – gegeben des Alters des Films – satt und klar aus den Boxen kommt. „This Film should be played loud!“ erscheint noch vor dem United Artists-Logo ganz zu Beginn, eine Meldung, die damals auch für die Vorführer im Kino als entscheidender Hinweis galt.

© Justbridge Entertainment
Das Mediabook

An Bonusmaterial konnte man die 22-minütige Featurette „Revisiting The Last Waltz“ lizensieren, ebenso das sehr sehens- und hörenswerte Archiv-Outtake „Jam Session #2“ mit Neil Young, Ron Wood, Eric Clapton, Stephen Stills, Paul Butterfield, Dr. John, Carl Radle und Ringo Starr, das auch auf der erweiterten Deluxe-4-CD-Box des Soundtracks enthalten ist. Die beiden Audiokommentare (u. a. mit Martin Scorsese) der britischen VÖ haben es leider nicht aufs europäische Festland geschafft. Der edlen Digipak-Version im Hardcover-Schuber mit 100-seitigem Book(let) von Eureka! setzt justbridge ein schickes Mediabook mit Blu-ray und DVD entgegen, wobei bei der britischen VÖ lediglich 1x Blu-ray enthalten war. Christoph N. Kellerbach liefert ein ausgiebig recherchiertes, 28-seitiges Booklet im Mediabook ab. Er konzentriert sich auf die Produktionsgeschichte und die Macher des Films vor und hinter der Kamera. Zugleich gelingt es dem Autor, das besondere kulturelle Lebensgefühl dieser Ära in seinen Zeilen einzufangen, eine stimmungsvolle und schöne Zeitreise erwartet den Leser. Die Bebilderung des Booklets ist vorbildlich, zahlreiche wichtige Künstler werden in hochqualitativen Fotografien an den entsprechenden Stellen des Texts porträtiert. Lediglich die Papierstärke hätte einen Grad höher sein dürfen (das war beim Booklet zu DER KOCH, DER DIEB, SEINE FRAU UND IHR LIEBHABER vom selben Label auch schon so). Der Mantel des Mediabooks ist edel, im üppigen Titelschriftzug sowie den beiden stilvollen Grafiken – auf dem Backcover thront eine glänzende Fender Stratocaster – tiefengeprägt und mit Goldfolie verziert. Ob dies letztlich den etwas höheren Gesamtpreis von UVP 26,- rechtfertigt, muss jeder für sich selbst entscheiden (bisher lag justbridge immer bei etwa 20,-). Dieser wichtige Film allein in seiner tollen Restauration ist die Taler aber allemal wert.

© Justbridge Entertainment

Fazit

Mit der restaurierten HD-Auswertung von THE BAND – THE LAST WALTZ liegt nun endlich auch hierzulande einer der größten, wenn nicht vielleicht der größte Musikfilm aller Zeiten für das Heimkino vor. Bild und Ton sind berauschend, der Film unter der Regie von Martin Scorsese zeitlos faszinierend und voller leidenschaftlicher, handgemachter Musik, die es so schon lange nicht mehr gibt. Das Mediabook erhält viele Punkte auf unserem Fluxkompensator-Zähler. Für jahrelange, aktive Fans wie auch für interessierte Zeitreisende ist dieses Mediabook von THE LAST WALTZ ein wahres Goldstück – und lädt zum Mitsingen und Mittanzen für die Ewigkeit ein!

[1]    THE LAST WALTZ, Production Notes, in: Eureka, The Masters of Cinema Series, Booklet, S. 54.

© Stefan Jung

Titel, Cast und CrewThe Band (1978)
OT: The Last Waltz
Poster
Releaseab dem 23.10.2020 im Mediabook (Blu-ray + DVD)

Ihr wollt den Film bei Amazon kaufen?
Dann geht über unseren Treibstoff-Link:
RegisseurMartin Scorsese
Trailer
BesetzungRick Danko
Levon Helm
Garth Hudson
Richard Manuel
Robbie Robertson
Eric Clapton
Neil Diamond
Bob Dylan
Joni Mitchell
Neil Young
Emmylou Harris
Ringo Starr
Paul Butterfield
Dr. John
Van Morrison
Ronnie Hawkins
The Staple Singers
Muddy Waters
Ronnie Wood
Michael McClure
Lawrence Ferlinghetti
Martin Scorsese
Jim Gordon
DrehbuchMardik Martin
KameraMichael Chapman
SchnittJan Roblee
Yee Yeu-Bun
Filmlänge117 Minuten
FSKab 6 Jahren

Ein Gedanke zu „The Band – The Last Waltz (1978) | Filmkritik“

  1. Hab den Film als Teenager im Kino in der DDR gesehen, weiß aber leider nicht mehr wann das war und er hat mich wohl in die richtige musikalische Richtung gebracht, also zu handgemachter Musik .Blues, Country, Rock bis zum Metal !
    Also den eben gelesenen Beitrag kann ich nur loben, sehr gut geschrieben !!!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert