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The Ballad of Buster Scruggs Review Joel Coen Ethan Coen

The Ballad of Buster Scruggs (2018) – Filmkritik | NETFLIX Original

Verrat! Verrat am Kino. Wer hätte es gedacht, dass dieser mit THE BALLAD OF BUSTER SCRUGGS gerade von den Genies Joel und Ethan Coen begangen würde, bei denen man denkt, dass sie täglich den Duft von Kinoatmosphäre schon zum Frühstück inhalieren würden. Die beiden müssen bereits so viele Filme in ihrem Leben gesehen und verinnerlicht haben, dass sie als wandelndes Filmlexikon zu gebrauchen wären. Allein, wenn man ihre Hommage THE HUDSUCKER PROXY an die Stummfilme betrachtet, könnte man ein ganzes Buch mit Referenzen allein zu diesem Film füllen. Sie sind Cineasten durch und durch. Aber nur sie allein wissen, warum sie sich dazu entschieden haben, ihr neustes Projekt exklusiv an einen Streaming-Dienst-Anbieter, welcher das Fernsehverhalten einer ganzen Generation beeinflusst, anzuvertrauen. Und dann auch noch in einem Genre, welches sie wie kaum ein anderer Regisseur so gut beherrschen: Den Western. Im August 2017 veröffentlichten sie ihr Projekt in der Pressemitteilung von NETFLIX mit ihrem Coen-typischen Humor:

„We are streaming motherfuckers! “- Joel and Ethan Coen

The Ballad of Buster Scruggs Review Joel Coen Ethan Coen
© NETFLIX

Sicherlich waren NO COUNTRY FOR OLD MEN oder TRUE GRIT keine reinen Genrevertreter in der staubigen Welt, wo Gesetze noch mit Schwarzpulver beglaubigt werden. Bei den Coen-Brüdern will man ja eigentlich immer von einzelnen Personen reden, aber laut Gerüchten funktionieren sie selbst am Set wie ein gemeinsamer Geist und beenden sogar die Sätze des anderen. Eine geschwisterliche Harmonie, die es selten gibt, aber nur sie schafft es, viele Eigenschaften von unterschiedlichsten Genres in einem Projekt zu destillieren. HAIL, CAESAR! war nicht nur ein Musical, sondern auch ein Spionagefilm im Kalten Krieg. FARGO ist nicht nur ein Krimi, sondern setzt auch der smarten, hochschwangeren Heldin im filmgeschichtlichen Almanach einen Meilenstein. Genug geschwafelt, jetzt wird aus allen Rohren geschossen, so viel die Glasfaserleitung der eigenen Internetverbindung hergibt.

The Ballad of Buster Scruggs Review Joel Coen Ethan Coen
© NETFLIX

Aufbau

Es gab bereits einige NETFLIX Originals, die auch im Kino bewundert werden durften. ROMA und BEASTS OF NO NATION konnte man zum Starttag auch in ausgewählten Kinos sehen. Warum diese Möglichkeit THE BALLAD OF BUSTER SCUGGS verwehrt blieb, ist mir ein Rätsel, denn allein schon in den ersten Minuten schnuppert man in den Weiten des Wilden Westens Lichtspielhaus-Stimmung. Es handelt sich dennoch nicht um eine in sich geschlossene Geschichte, sondern um einen Anthologie-Film, einen Episodenfilm. Dies wird noch sarkastisch auf die Spitze getrieben. Wir sehen ja bereits einen Kinofilm auf einer Filmstreaming-Plattform und jetzt werden uns auch noch die einzelnen Kapitel visuell als Buchkapitel vorgeführt. Jede Episode beginnt mit einem handgemalten Bild auf der ersten Kapitelseite hinter Pergamentpapier und endet mit den letzten Worten der Geschichte im Buch. Es geht hierbei ganz klar um das Geschichtenerzählen in Reinform, ob nun digital oder analog. Die 133 Minuten teilen sich in unterschiedliche Längen in insgesamt sechs Episoden, welche immer unterschiedliche Themen beinhalten.  Also verzeiht, wenn es etwas ausführlich werden sollte.

Episode 1: „The Ballad of Buster Scruggs“

The Ballad of Buster Scruggs Review Joel Coen Ethan Coen
Buster Scruggs (Tim Blake Nelson) // © NETFLIX

Ein Cowboy – in Kleidung die Marty McFly in ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT III Konkurrenz machen könnte – reitet durch die trockene Prärie. Er hält seine Gitarre in den Händen und singt ein fröhliches Lied. Seine abgeknickten Ohren unter dem blütenweißen Hut und sein einfaches Gesicht, lassen nicht viel Intelligenz vermuten. Aber weit gefehlt, denn Buster Scruggs, gespielt von Tim Blake Nelson (O BROTHER WHERE ARE THOU?), ist ein Revolverheld wie er im Buche steht und er weiß sich auch noch eloquent auszudrücken, sogar ungewöhnlich geschwätzig für einen Gesetzlosen. Aber mit jedem Stück Skepsis, welches wir diesem Coen-Streaming-Projekt gegenüber entgegenbringen, trauen wir auch dem kleinen Buster nicht viel zu und erwarten, dass er in jeder brenzligen Lage erschossen wird. In dieser Episode wird alles aufgefahren, was ein Western haben muss und nach dieser Folge wird einem bewusst: Willkommen im Coen-Universum. Dies sollte spätestens nach dem Duett des Ermordeten mit seinem Mörder allen klar sein.

Episode 2: „Near Algodones“

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Cowboy (James Franco) // © NETFLIX

Das erste Bild ist schon in den typischen Humor getaucht. Ein Outlaw (James Franco) steht in einem langen Mantel vor einem Gebäude im Nirgendwo. Nur ein Schild über dem Eingang deutet darauf hin, wie es nun weitergehen soll. Es ist eine Bank. Der Cowboy sieht hier eine leichte Station in seiner Bankraubkarriere, jedoch ist der alte Bankier besser auf Zack als erwartet. Zum Ende befinden wir uns in einer bekannten Coen-Schleife. In ihren Filmen nutzen sie zu gern die Wiederholung als erzählerisches Mittel. Aber hier findet es dann doch ein böses Ende, wie für die meisten Geschichten.

Episode 3: „Meal Ticket“

Ein Schausteller (Liam Neeson) zieht durch die kalten, bergigen Rocky Mountains. Er hat kein Wunderelixier oder Puppentheater dabei, sondern einen Künstler/Rezitator (Harry Melling) von ganz besonderer Art: Er hat weder Arme noch Beine und trägt wunderschöne Prosa oder Teile aus Lincolns Gettysburg-Rede vor. Ein Mensch mit diesen Einschränkungen würde allein in dieser Gegend sicherlich nicht überleben. Aber der Schausteller kümmert sich gut um ihn, er ist ja schließlich sein Ausstellungsstück und bringt Geld ein. Der Zirkusdirigent wird sich jedoch eines Tages für etwas anderes entscheiden.

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Rezitator (Harry Melling) // © NETFLIX

„Meal Ticket“ ist tief traurig und eine perfekte Analogie auf die Welt der Künste. Je einfacher die Unterhaltung, umso mehr Geld lässt sich damit verdienen. Es ist schön, Liam Neeson mal unter der Regie der Coens zu sehen und Harry Melling (HARRY-POTTER-Filmreihe) sollte man gern noch weitere Rollen anbieten. Dennoch ist diese Episode inhaltlich weit von den üblichen Themen der Coens entfernt, aber inszenatorisch umso typischer für sie. „Meal Ticket“ ist ein Lehrbeispiel im Erzählen durch Bilder, die Figuren darin treiben die Geschichte mit keinerlei Dialog voran. Es wird nur durch Gesten und Handlungen erzählt. Ein schöner Kontrapunkt zu den vorgetragenen Geschichten des Künstlers ohne Gliedmaßen, der nur mit seiner Stimme die Zuhörer in eine fremde Welt entführt.

Episode 4: „All Gold Canyon“

Was habe ich mich gefreut, endlich wieder den Namen Tom Waits auf einer Besetzungsliste zu lesen. Waits ist den meisten als Musiker mit seiner Raubeinstimme, dem Einsatz von unterschiedlichsten Geräuschen oder auch als Dauercover-Vorlage vieler Popstars bekannt. Vielleicht kennt man ihn auch aus den Filmen DOWN BY LAW oder DAS KABINETT DES DR. PANASSUS. In dieser Episode sieht man ihn auch erst nicht, sondern hört ihn ein Liedchen durch ein wunderschönes Gebirgstal brummen. Jegliche Tierwelt ergreift die Flucht vor der Figur, die Waits verkörpert: Einen Goldgräber. Er bringt uns Zuschauern bei, wie man nach einer Goldader sucht und viel wichtiger, wovor uns viele Western schon gewarnt haben, das Gold nach dem Fund auch zu behalten.

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Der Goldschürfer (Tom Waits) // © NETFLIX

Vielleicht ist diese Episode mit ihren Tieren und der satten grünen Landschaft zu gekünstelt, aber Tom Waits als verrückten Goldgräber zu sehen, macht ungeheuren Spaß und eine passende Moral wird zum Ende auch noch vermittelt. Die Episode basiert auf einer Erzählung von Jack London.

Episode 5: „The Gal Who Got Rattled“

Übersetzen kann man den Titel ungefähr mit „Das Mädchen, welches verunsichert wird”. Dabei ist sie bereits zu Beginn zaghaft und verklemmt. Alice Longabaugh (Zoe Kazan) und ihr Bruder Gilbert (Jefferson Mays) sind mit einem Wagenzug unterwegs. Der Bruder hat sie so gut wie an einen Geschäftspartner verheiratet, was auch der Grund ihrer Reise ist. Dann stirbt Gilbert unterwegs recht schnell an Cholera. Die Führer des Treks mit jeder Menge Viehwagen sind Mr. Arthur (Grainger Hines) und Billy Knapp (Bill Heck). Alice ist nun noch verunsicherter, was sie tun soll und vertraut sich bzw. ihr Herz, Billy Knapp an. Auch diese Geschichte wird nicht zu Ende gehen, wie man glaubt.

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Alice Longabaugh (Zoe Kazan) // © NETFLIX

Dies ist die längste Episode, welche aber auch inhaltlich viel zu bieten hat: Freundschaft, Religion und auch die Liebe, welche hier zum ersten und auch einzigen Mal in THE BALLAD OF BUSTER SCRUGGS vorkommt. Der Wilde Westen hat jedoch für solche Dinge nichts übrig und behandelt jeden gleich erbarmungslos. Die zögerliche Art von Alice kann in diesem Kapitel durchaus anstrengend werden, aber zu dieser Zeit wurde die Stärke einer Frau immer noch in geleisteten Geburten gemessen.

Episode 6 „The Mortal Remains“

Eine Postkutsche donnert durch die Nacht. Fünf Personen befinden sich darin. Ein Trapper (Chelcie Ross), der sich freut endlich wieder soziale Kontakte zu pflegen. Eine ältere Dame (Tyne Daly) mit moralischen Grundfesten aus der Bibel auf dem Weg zu ihrem Mann. Ein Franzose (Saul Rubinek), der beim Pokern einen Einblick in die Persönlichkeit seiner Mitspieler erhält. Und dann wären noch ein Ire und ein Engländer, die sich trotz ihrer feinen Garderobe als Kopfgeldjäger herausstellen. Jeder in dieser Kutsche hat seine Ansichten und Fehler, woraus ein spannendes Wortgefecht entsteht.

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Clarence (Brendan Gleeson) und Thigpen (Jonjo O‘Neill) // © NETFLIX

Hier beweisen die Coen-Brüder wieder ihr Geschick für spannende Dialoge, welche sich unterhaltsam für mehrere Minuten auf engstem Raum entfalten. Wunderschön ist der Einfall, dass die beiden Kopfgeldjäger Clarence (Brendan Gleeson) und Thigpen (Jonjo O‘Neill) den Übergang vom Wilden Westen in eine Art Edgar-Ellan-Poe-Szenerie beschreiten. Aber auch vor allem das Bild des Peitsche schwingenden Kutschers, der durch die dunkle Nacht fährt, bleibt einem im Gedächtnis.

Ein echter Coen oder nur Streaming-Ware?

The Ballad of Buster Scruggs Review Joel Coen Ethan Coen
© NETFLIX

Meine Skepsis gegenüber diesem Projekt war spätestens nach der ersten Folge wie weggefegt. THE BALLAD OF BUSTER SCRUGGS ist durch und durch ein Coen-Film, auch wenn es sich um einzelne Geschichten handelt. Nichtdestotrotz habe ich mir jede Streaming-Minute gewünscht, die Kapitel zum ersten Mal im Kino erleben zu dürfen. Vor allem die vorgetragenen Songs und die wieder einmal großartige Filmmusik vom Haus- und Hofkomponisten der Coens, Carter Burwell, formen es zu einem Guss. Eine Anthologie über die Pioniere des Wilden Westens. Jede Episode macht auch jetzt noch Spaß analysiert zu werden und von einem Sammelsurium von ungenutzten Ideen kann auf keinen Fall gesprochen werden. Und selbst wenn, dann wurden sie wunderschön zusammengefügt.

Fazit

THE BALLAD OF BUSTER SCRUGGS ist das Destillat aus der Coen-Denkfabrik im Wilden Westen. Selbst mit Dauer-NETFLIX-Abonnement wird dieser Film bei einem eventuellen Blu-ray-Release in der Filmsammlung stehen, der Soundtrack auf Schallplatte ist gedanklich bereits vorbestellt.

Titel, Cast und CrewThe Ballad of Buster Scruggs (2018)
Poster
Im Streambei NETFLIX
RegisseurEthan Coen
Joel Coen
Trailer
BesetzungTim Blake Nelson (Buster Scruggs)
Clancy Brown (Curly Joe)
David Krumholtz (Frenchman)
James Franco (Cowboy)
Liam Neeson (Impresario)
Harry Melling (Artist)
Tom Waits (Prospector)
Bill Heck (Billy Knapp)
Zoe Kazan (Alice Longabaugh)
Grainger Hines (Mr. Arthur)
Jonjo O'Neill (Englishman)
Brendan Gleeson (Irishman)
Saul Rubinek (Frenchman)
Tyne Daly (Lady)
Chelcie Ross (Trapper)
DrehbuchEthan Coen
Joel Coen
KameraBruno Delbonnel
MusikCarter Burwell
SchnittEthan Coen
Joel Coen
Filmlänge133 Minuten
FSKab 16 Jahren

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