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The Accountant 2 (2025) – Filmkritik

„Bewaffneter Autismus“

Für mich zählte THE ACCOUNTANT im Jahr 2016 zu den positiven Überraschungen des Filmjahrs. Unbeschwert sah ich einen unterhaltsamen B-Movie mit Premium-Besetzung und einigen unerwarteten Wendungen. Die Figurenzeichnung ist vielleicht nicht lehrbuchverdächtig, aber es ist mehr als das, was man sonst im Genre des Actionthrillers aufgetischt bekommt. Die Hauptfigur ist ein Geldwäsche-Buchhalter und der weiß manchmal mehr als man denkt. Al Capone ging es nicht wegen Auftragsmord an den juristischen Kragen, sondern wegen Steuerhinterziehung. Und wer hat ihn verpfiffen? Sein Buchhalter. Nebenbei findet der Autismus im Serienkiller- und Auftragsmördergeschäft Hollywoods nahrhaften Boden. Schon ein bisschen erstaunlich wie aus dem Kennenlernfilm RAIN MAN (1988) zur Darstellung von Neurodivergenz ein solides Standbein im cineastischen Killerbusiness wurde. Professionalität und Zwänge geben sich hin und wieder die Klinke in die Hand. In LÉON – DER PROFI (1994) ist zu Beginn eine Zimmerpflanze die einzige Sozialkompetenz des Auftragskillers und ein laktosereiches Regelwerk hilft ihm durchs Leben. Runde Sonnenbrille, Wollmütze und ständig wechselnde Wohnungen sind eine gute Tarnung und der Schlaf im Sessel mit der Waffe in der Hand eine weitere neurotische Verteidigung. Bei Serienkillern wird gern die Sauberkeit mit Autismus verbunden; so verbleiben keine Beweise am Tatort (MR. BROOKS, 2007), aber auch Besessenheit für bestimmte Interessengebiete werden gern zur Charakterisierung von Serienmördern genutzt (ROTER DRACHE, 2002).

THE ACCOUNTANT 2 entwickelt in diesem Umfeld aber nichts Neues oder bringt neue Perspektiven zum Vorschein. Es ist eine typische Fortsetzung, die sich am Erfolg des Originals bedient und alle Charaktere ein weiteres Mal antreten lässt. Jetzt wissen wir aber bereits, dass Christian Wolff zu den Guten gehört, da muss man den scheinbar übermächtigen Gegner, in diesem Fall eine Gegnerin, verbessern, sodass immer noch ein spannender Unterhaltungsfilm dabei herauskommt. Und gerade hier macht THE ACCOUNTANT 2 ein paar Fehler.

© 2025 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.

Handlung

Bei einem Treffen von Raymond King (J.K. Simmons) mit einer Informantin (Daniella Pineda) wird King von einem Auftragskiller erschossen. Er hinterlässt seiner ehemaligen Kollegin Marybeth Medina (Cynthia Addai Robinson) Unmengen an Hinweisen ohne sichtbaren Zusammenhang. Solche Rätsel sind eine Leidenschaft von Christian Wolff (Ben Affleck) und dieses scheint nicht schnell lösbar. Denn der sozial unbegabte Einsiedler kann sich schlecht in die Familienverhältnisse von Geflüchteten über die amerikanische Grenze hineinversetzen. Es werden anscheinend unzählige lateinamerikanische Familien beim Grenzübertritt getrennt und die Kinder als Faustpfand in einem unbekannten Gefängnis festgehalten. Nun ist es an der Zeit sich Hilfe zu holen. Der Accountant hat zum Glück einen Bruder, der ihm in seinen Fähigkeiten um nichts nachsteht: Braxton (Jon Bernthal). Doch der ist erstmal sauer, weil sich sein Bruder seit Jahren nicht mehr gemeldet hat.

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Programmierung: menschlich

Im Vorgängerfilm lernen wir Wolff erst einmal kennen. Welche Ticks hat er? Zum Beispiel pustet er vor besonderen Schreibtischaufgaben über seine Fingerkuppen. Außerdem führt er das Leben eines Einsiedlers in einem Wohnanhänger. Doch zu Beginn von THE ACCOUNTANT 2 scheint unser Protagonist nicht sonderlich zufrieden mit seiner Situation und nimmt an einer Datingveranstaltung teil. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten sich vorher digital kennenlernen und nun ist der Moment gekommen sich von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Als ob Wolff mit einem Aussehen wie Ben Affleck nicht schon genug Bonuspunkte bei den Ladys hätte, verbessert er sein digitales Profil für mehr Reichweite, sodass möglichst viele Anwärterinnen an seinem Tisch Schlange stehen. Vielleicht hat er so manches nicht ganz wahrheitsgetreu angegeben. Zum Beispiel sieht er Camping nicht als ein Hobby an, sondern er lebt in einem Camper. Über die steuerlichen Vorteile der mobilen Heimat, kann sich keine der Gesprächspartnerinnen begeistern. Es wird wie erwartet, ein Desaster.

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Der Ausflug in die normale Welt hält nicht lang an, denn die Unterwelt klopft schnell an seine Tür und zusammen mit Justin (Allison Robertson) und dem Harbor Neuroscience Institute gelangt auf illegalem Wege an Spionageinformationen. Und hier kommt sich der Film moralisch selbst in die Quere. Wenn man einmal von dem Kindereinsatz der Goonies-CIA an verbrecherischen Handlungen absieht und der damit verbundenen Ausbeutung ihrer Fähigkeiten, kann THE ACCOUNTANT 2 nie richtig definieren, was richtig und falsch. Klar ist die Realität voller Grauzonen, aber vor allem die Rolle der Ermittlerin Medina hätte ein gewichtiger Gegenpol zum illegalen Untergrundeinsatz der Wolff-Brüder sein müssen. Die Staatsbeamtin steigt letztlich aus deren Herangehensweise wie Folter, Kidnapping und Erpressung doch noch aus, jedoch werden ihrer Ermittlung kaum Punkte für den Erfolg angerechnet. Im Finale müssen tatsächlich die beiden schwerbewaffneten Männer in einer kaum durchdachten Kopf-durch-die-Wand-Aktion eine Bande Waisenkinder mit dem Schulbus retten. Das ist weder zeitgemäß noch passt es zum intellektuellen Story-Überbau.

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Schurkin

Am nachhaltigsten bleibt die Rolle von Anaïs (Daniella Pineda) in Erinnerung. Zu Beginn noch eher im T-X Modus aus TERMINATOR 3 (2003) wird ihr später eine geheimnisvollere Vergangenheit angedichtet. Ihre Hintergrundgeschichte hätte wesentlich mehr Raum einnehmen sollen und auf den Scharfschützen-Assistenten, wie auch Burke (Robert Morgan) hätte man getrost verzichten können. Solche Typen hat man spätestens seit der JOHN-WICK-REIHE weiterentwickelt. Zum Finale wird Anaïs fast vergessen und nur noch als gefühlte Hidden-Credit-Scene mit einem Hinweis auf eine „mögliche“ Fortsetzung im asiatischen Schnellrestaurant gezeigt. Ein Männerfilm – vor wie auch hinter der Kamera, dank der sehr einfallslosen Regie von Gavin O’Connor. Sein Publikum wird ACCOUNTANT 2 auf jeden Fall finden und selbst wenn es nur in die spätere Streamingauswertung ist. Für einen Kinobesuch ist es leider teilweise zu langatmig, zu gewollt und zu ideenlos. Vor allem die obligatorische Szene, in der sich die Brüder durch eine Kneipe prügeln, weil einer „die falsche Frau“ anspricht, ist seit mindestens 20 Jahren nicht mehr zeitgemäß.

© 2025 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.

Fazit

THE ACCOUNTANT 2 ist wie der digitale Nebel im finalen Kampf: gewollt, aber nicht gekonnt. Eine echte Nebelmaschine am Set hätte wesentlich mehr bewirkt als dieser unscharfe Matsch der Postproduktion. Eine authentische Geschichte über Geflüchtete, die alles hinter sich lassen, um ein besseres Leben zu führen, wäre allein schon ein Ansatz, der den Film eher im Kopf als auf der Netzhaut wirken lässt. Am Ende nur etwas für Fans der alte Actionschule und des ersten Teils.

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewThe Accountant 2 (2025)
Poster
ReleaseKinostart: 24.04.2025
RegieGavin O’Connor
Trailer
BesetzungBen Affleck (Christian Wolff)
Jon Bernthal (Braxton „Brax“)
Cynthia Addai-Robinson (Marybeth Medina)
J. K. Simmons (Raymond King)
Daniella Pineda (Anaïs)
Allison Robertson (Justine)
Robert Morgan (Burke)
Grant Harvey (Cobb)
Andrew Howard (Batu)
DrehbuchBill Dubuque
MusikBryce Dessner
KameraSeamus McGarvey
SchnittRichard Pearson
Filmlänge132 Minuten
FSKab 16 Jahren

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