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Sympathy for Mr. Vengeance (2002) – Filmkritik

„Fühlt mit dem Rächer“

Rache ist eine komplizierte Angelegenheit. Wenn sie in einen fährt, kennt sie nur eine Richtung und die ist wütend geradeaus. Wenn man sie jedoch objektiv von außen betrachtet wird, ist sie gar nicht so leicht nachzuvollziehen und rechtfertig nie die Mittel, die angewandt werden. SYMPATHY FOR MR. VENGEANCE ist kein geradliniger Rachethriller, wie sie meistens aus zwei Teilen bestehen: Verlust und Gewalt, das Opfer wird zum Täter. Der südkoreanische Film vom Cineastenliebling Park Chan-wook zeigt vielmehr, wie komplex Rache entsteht, dass sie keine Genugtuung bringt und schon gar nicht die Welt zu einem besseren Ort macht. In malerischen Bildern, wenigen Dialogen und brutalen Leerstellen, die sich in den Köpfen der Zuschauer zu grausamen Fantasien formen, ist dieser Thriller eher ein Drama, das niemanden zufrieden entlässt.

© Capelight Pictures

Handlung

Der taubstumme Ryu (Shin Ha-kyun) pflegt seine kranke Schwester (Lim Ji-Eun). Sie braucht dringend eine Spenderniere, aber Ryu hat nicht die gleiche Blutgruppe. Selbst wenn ein passendes Organ gefunden wird, braucht er immer noch 10 Mio. Won (ca. 10.000 Euro) für die Operationskosten. Eine gesetzliches Krankensystem gibt es in Südkorea nicht, auch nicht für Fabrikarbeiter wie Ryu. Er lässt sich auf Arbeit mit einer großen Abfindung kündigen und nimmt Kontakt zum Organhandel auf. Die wollen seine Niere und sein Geld. Somit steht er mit einer hässlichen Narbe und ohne Geld kurz vor dem Operationstermin seiner Schwester. Ryus Freundin, die kommunistische Bae Doo-na (Cha Yeong-mi) hat die Idee, die Tochter des reichen Geschäftsmanns Park Dong-jin (Song Kang-ho) zu entführen und Lösegeld zu erpressen. Doch jetzt geht alles schief, was schief gehen kann.

Sympathy for Mr. Vengeance (2002)
© Capelight Pictures

Der Sound

Da die Hauptfigur taubstumm ist, ist in SYMPATHY FOR MR. VENGEANCE kaum Musik zu hören. Ab und zu dröhnen Songs für einen kurzen Moment in eine Szene, um gleich darauf wieder zu verschwinden. Die Inszenierung entfernt nicht die Geräusche im Film, vielmehr verschließt sie sie, verdichtet sie und lässt sie hin und wieder dröhnend explodieren, wie auch die brutalen Szenen. Dialoge sind äußerst spärlich gesät. Immer wieder werden Texttafeln eingeblendet, um zu verstehen, wie es ist von den Lippen abzulesen. Es ist eher ein Erkunden der Geschichte mit den Augen. Nicht nur die Hauptfigur Ruy bekommt durch das fehlendes Gehör Momente in seiner Umgebung nicht mit, auch die Menschen meinen etwas zu hören, was eigentlich etwas ganz anderes ist. Kommunikation ist in dieser Welt nicht leicht und wird stetig missverstanden. Traurig-komisch in der Szene der Nachbarjungen zu sehen, wenn sich Ruys Schwester vor Schmerzen auf dem Boden windet und die Teenager in der Nachbarwohnung glauben zu einer lustvoll stöhnenden Frau zu masturbieren.

Sympathy for Mr. Vengeance (2002)
© Capelight Pictures

Wiederum bei anderen Momenten wechselt die Kameraperspektive, um von einer stillen in eine extrem laute Perspektive zu wechseln. Als Zuschauer äußerst unangenehm zu erleben in der Szene im Krematorium, wenn immer wieder die Kamera von den verzerrenden Schreien der Familie in die ohrenbetäubende Verbrennungsmaschine wechselt und dazwischen stille Perspektiven hinter Glasscheiben eingenommen werden. Der Sound ersetzt punktuell auch das Bild wie zum Beispiel in der Szene der Autopsie, wenn die Kamera auf dem Gesicht des Vaters Park bleibt und die brutalen Geräusche der Untersuchung seinen emotionalen Zusammenbruch bezeugen.

© Capelight Pictures

Die Bilder

Wie es Leerstellen im Akustischen gibt, gibt es ebenfalls welche im Visuellen. Gesichter verschwinden hinter Gegenständen oder werden verdeckt. Wir werden zum Auffüllen dieser Lücke auch bildlich aufgefordert, müssen uns an Gesichter erinnern und sie einsetzen. SYMPATHY FOR MR. VENGEANCE ist vor allem ein Film, der mit weiten Perspektiven erzählt wird. Die cinemascopen Bilder sind fein justiert, mit unterschiedlichen Ebenen versehen, fast wie Gemälde, die ein geschichtliches Epos erzählen. Die Farben sind gesättigt, grün, erdig mit ein paar Blautönen. Die Natur ist in einer trüben Zwischenphase von Herbst zu Winter, die Zeit scheint still zu stehen. Die Handlung mit ihrem stetig düster werdenden Verlauf, wird immer wieder durch pointierte Aufnahmen gebrochen. Ein Behinderter, der sich langsam ins Bild streckt oder ein frustrierter Arbeiter, der sein Messer für den Selbstmord nicht finden kann. Die größte Stärke des Films liegt vor allem in seiner Montage. Wenn man noch einen schrecklichen Moment versucht zu verarbeiten, ist man in einem Sekundenbruchteil bereits im Kinderfernsehen beim Zeichentrick oder es klingelt an der Tür und schon ist Bae Don-na mit blauem Auge an den Stuhl gefesselt. Völlig ungewöhnliche Beziehungen entstehen in solchen Schnitten und Zeit wird mit einem Fingerschnippen zusammengerafft.

© Capelight Pictures

Fehlende Geräusche, im Bild verdeckte Gesichter und Schnitte, die Momente überspringen, SYMPATHY FOR MR. VENGEANCE ist vor allem ein Film der Leerstellen, die dazu führen, dass die Akteure einander missverstehen. Die Fehlstellen bezeugen vor allem, dass es sich um eine sehr künstlerische Erfahrung handelt, vielleicht sogar eine persönliche Verarbeitung des Regisseurs Park Chan-wook.

Sympathy for Mr. Vengeance (2002)
© Capelight Pictures

Etwas anderes

Es ist vor allem ein extrem unangenehmer Film, der einen immer weiter in den Rache-Gewalt-Strudel hineinzieht, ohne überhaupt noch zu wissen, ob es die richtigen Schuldigen trifft. Die Hauptfigur Ruy ist eigentlich ein gescheiterter Künstler. Ganz zu Beginn wird erzählt, dass er sein Kunststudium beenden musste, um Geld zu verdienen und für seine Schwester zu sorgen. Seine Postkarten an die Radiostation zu Filmbeginn sind seine Aquarelle, die die Geschwister in Kindheitstagen am Fluss zeigen, aber auch den verschuldeten Unfalltod. Ruy kann sich kaum verständigen. Er ist ein sensibler Geist, der mit den Dingen, die auf ihn zukommen nicht umgehen kann und jemanden sucht, an dem er seine Wut auslassen kann. So splittet sich der Film in zwei Teile: Zuerst sucht Ruy Möglichkeiten seine Schwester zur retten und scheitert brutal, dann wechselt der Film zu Park Dong-jin, der sein normales Leben beendet und es der Rache opfert. Die Hoffnung auf ein Happy-end stirbt zur Filmmitte, wie sich auch beide Protagonisten in ihrer Persönlichkeit völlig verändern, zum Kannibalen und Foltermeister. Regisseur Park Chan-wook distanziert sich mit SYMPATHY FOR MR. VENGEANCE stark von seinem erfolgreichen JOINT SECURITY AREA (2000), der in seinen unterschiedlichen Zeitlinien auch anspruchsvoll ist, jedoch bei weitem nicht so nihilistisch wie SYMPATHY. Das Thema Rache lässt den Regisseur auch so schnell nicht los und danach entstehen noch zwei weitere sehr sehenswerte Rachetragödien, die sich zur Vengeance-Trilogie (Rache-Trilogie) zusammensetzen: OLDBOY (2003) und LADY VENGEANCE (2005).

© Capelight Pictures

Das Mediabook für die Filmsammlung

Das lange Warten hat ein Ende, SYMPATHY FOR MR. VENGEANCE ist nun endlich in Deutschland wieder auf Blu-ray in HD erschienen. Capelight Pictures, die bereits OLDBOY – den zweiten Teil der Rachetrilogie – veredelt haben, setzen sogar mit einer 4K-UHD-Disk und HDR10+ ein technisch brillantes Upgrade. Das limitierte Mediabook verfügt über ein lesenswertes 24-seitiges Booklet von Lucas Barwenczik. Außerdem gibt es noch einiges im Bonusmaterial zu entdecken wie Interviews, Audiokommentare, Storyboards und Hinter-den-Kulissen-Clips. Eine tolle Edition, die sogar wahlweise in zwei Covermotiven bestellt werden kann.

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Fazit

Mit diesem kreativen Ertasten von martialischer Selbstjustiz verdunkelt sich der Blick auf das südkoreanische Kino für die europäische Augen. Auch wenn die nächsten beiden Beiträge der Rache-Trilogie von Park Chan-Wook wesentlich stilvoller und runder anzusehen sind, gefällt bei SYMPATHY FOR MR. VENGEANCE vor allem seine Unvollkommenheit. Das Experimentieren der Inszenierung mit Ton, Bild und Schnitt lädt zu einer ganz anderen Art des Filmerlebens bei. Ein tieftrauriger und pessimistischer Beitrag zum Thema Rache, aber Genugtuung bekommt der Rächer nie ohne sich selbst zu verlieren.

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewSympathy for Mr. Vengeance (2002)
OT: Boksuneun naui geot
Poster
Releaseab dem 13.08.2021 im Mediabook (UHD + Blu-ray) und auf DVD

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RegisseurPark Chan-Wook
Trailer
BesetzungSong Kang-ho (Park Dong-jin)
Shin Ha-kyun (Ryu)
Bae Doona (Cha Yeong-mi)
Ji-Eun Lim (Ryu's Schwester)
Han Bo-bae (Yu-sun)
Lee Dae-yeon (Choi)
DrehbuchLee Mu-yeong
Park Chan-Wook
Lee Jae-sun
Lee Jong-yong
KameraKim Byeong-il
MusikKim Byeong-il
SchnittKim Jae-beom
Kim Sang-beom
Filmlänge121 Minuten
FSKab 16 Jahren

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