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Suspiria Kritik zum Film Review

Suspiria (2018) – Filmkritik

„Tanzen, Hexen, Baader Meinhof“

Remakes – DAS ewige Streitthema zwischen Filmfans. Und doppelt kontrovers, wenn ein herausragendes Werk der Filmkunst, im Falle von Dario Argentos SUSPIRIA sogar ein, aufgrund seines audiovisuellen Bombasts absolut zeitloses, wiederaufgelegt wird. Da runzelt man doch erstmal die Stirn. Wie berechtigt diese skeptische Gefühlsregung auf Luca Guadagninos neuen Film berechtigt ist, dies wollen wir in den folgenden Zeilen klären. Denkt man an Argentos SUSPIRIA (1977) als eine Art Alice im Wunderland-Variante, kommt einem sofort der Goblin-Score in den Gehörgang und die in Blau, Rot und Grün ertränkten Technicolorbilder. Man denkt an Form, nicht unbedingt an Inhalt, hat doch Dr. Marcus Stiglegger SUSPIRIA stets als Exempel für den „performativen Film“ angeführt, der mehr auf den Moment als auf das große Ganze setzt.

Suspiria Kritik zum Film Review
© Amazon Studios

Inhalt

Das 2018er Update (oder eher die Reimagination) stellt nun die absolute Antithese zu seinem Urwerk da: Statt einem farbenfrohen „Nichtort“ Freiburg präsentiert uns Guadagnino ein nur allzu deutlich im deutschen Herbst verortetes Berlin. Alles ist grau und trist, aus omnipräsenten Radios plärren fortwährend Nachrichten über die neuesten RAF-Taten. Die Mauer überragt die Szenerien und wirft unheilvolle Schatten, die Straßen der Noch-nicht-Hauptstadt sind wie leergefegt. In diese wenig einladende Welt tritt die schüchterne Amerikanerin Susie (Dakota Johnson). Aufgrund ihres schieren Tanztalentes ergattert sie einen begehrten Ausbildungsplatz an der Tanzschule der legendären Madame Blanc (Tilda Swinton). Doch hinter deren Mauern scheinen gar übernatürliche bis unheimliche Dinge vor sich zu gehen. Wohin verschwand die bisherige Meisterschülerin Patricia (Chloe Grace Moretz)? Welche obskuren Diskussionen führen die Tanzlehrerinnen bei zu vielen Zigaretten am Esstisch? Was liegt hinter den Tanzspiegeln? Und wie passt der alternde Psychiater Dr. Josef Klemperer (dessen interessante Besetzung zu den vielen Coups von Suspiria zählt, die hier auch noch nicht verraten werden soll) in diese Geschichte?

Suspiria Kritik zum Film Review
© Amazon Studios

Analyse

All das kann der Zuschauer in den 152 Minuten Laufzeit herausfinden, wenn er den gewillt ist sich auf diesen durchgängig sehr sperrigen Film einzulassen. Und ganz einfach macht der Regisseur es seinem Publikum nicht. Kameramann Sayombhu Mukdeeprom, tauchte schon Guadagninos Vorgänger CALL ME BY YOUR NAME in schwelgerische Sommerskizzen, tut mit seinen farbgesättigten Bildern wirklich alles dafür, dass man sich als Zuschauer absolut unwohl in dieser Filmwelt fühlt. Die langen, statischen Einstellungen werden dabei immer wieder von desorientieren Jumpcuts oder bedrohlich lungernden, überwachungskameraartigen Positionen unterbrochen, die die schleichende Paranoia des Konsumenten erstklassig fördern. Selten sah Tristesse so beeindruckend aus wie hier. Über den weiteren Verlauf der Geschichte wollen wir schweigen. Erneut gilt: Wer sich darauf einlassen kann, der bekommt eine unbequeme Geschichte über Okkultismus, politischen Widerstand und Vergangenheitsbewältigung serviert, die häufig nur assoziativ bleibt, im Finale vielleicht ein bisschen zu viel erklärt, auf jeden Fall nach dem Abspann weiterbeschäftigt.

Suspiria Kritik zum Film Review
© Amazon Studios

Auch Kenner des Originals betreten hier quasi komplettes Neuland. Schließlich läuft das Remake ja auch eine ganze Stunde länger als Argentos Meisterstück. Und es ist nicht dieses schön-schaurige Gefühl wie im 77er-SUSPIRIA, dass man beim Schauen hat. Über seine Laufzeit kann SUSPIRIA (2018) tatsächlich so etwas wie echte Panik auslösen. Wirklich Verstörendes und Abstoßendes bekommt man hier sehr unverhofft serviert. Gerade wenn man sich an das „gemächliche“ Tempo der ersten halben Stunde gewöhn hat, die vor allem aus vielen Tanzübungen und Zigaretten besteht, zieht die Inszenierung einem das erste Mal den Boden unter den Füßen weg. Das Übernatürliche, in dieser ja eigentlich fast schon hyperrealistischen Welt, trifft einen unverhofft und ähnlich wie Susie weiß der Zuschauer bald nicht mehr, ob er wirklich um die nächste dunkle Ecke spähen möchte.

Suspiria Kritik zum Film Review
© Amazon Studios

Soundtrack und Schauspiel

Ebenfalls berichtenswert: Der Soundtrack von Radiohead-Sänger Thom Yorcke. Passend zur Ausrichtung des Films setzen sich auch seine Kompositionen bewusst vom Goblin-Score ab. Er scheint das „Seufzen“, was ja die deutsche Übersetzung des Titels ist, vor allem in seinen gesungenen Stücken sehr wörtlich genommen zu haben. So ganz passen die Bilder und Musik deshalb nie zusammen. Das bedrückende Grau in Grau, durchsetzt von Momenten perverser Abartigkeiten, verträgt sich nicht so recht mit der unendlich traurigen Stimme Yorckes. Und gerade das macht die Paarung so reizvoll. Schauspielerisch darf besonders Tilda Swinton glänzen. Als Madame Blanc versprüht sie mit jedem Blick eine kühle Eleganz. Man schaut sie an und begreift: Diese Frau hat ihr Leben dem Tanz verschrieben, strebt nach Perfektion und ist bereit dafür alles zu tun. Dakota Johnson spielt solide, sie darf erst gegen Ende ihr Talent vollends zeigen, zu Beginn beschränkt sich ihre Rolle größtenteils darauf, mit schüchternen Rehaugen über das Parkett zu springen.

Suspiria Kritik zum Film Review
© Amazon Studios

Das Release für daheim

SUSPIRIA erscheint bei Koch Films und Capelight, zum einen in den standardisierten VÖs (DVD, Blu-ray, 4K-UHD und VOD), interessanter ist aber natürlich der Release als Mediabook, bzw. für Sammler besonders attraktiv in einer 10-Disk-Ultimate Edition.
Uns lag das Capelight Mediabook vor (es hat das bessere Cover), im Folgenden wird kurz Überblick geboten, ob sich die 24 Euro für die Buchfassung lohnen. Zunächst gefällt die generelle Haptik, das Gefühl an einen edlen Buchleineneinband wird erweckt. Wer sowieso schon Capelight Mediabooks im Regal stehen hat, wird erfreut darüber sein, dass es sich natürlich tadellos in die Reihe der übrigen Releases einfügt, nervige Formatänderungen erlebt man hier nicht.

Das Mediabook von Capelight Pictures

Ernüchternd rezipiert man dann den Buchteil. Dr. Marcus Stiglegger, gemein bekannt als der Go-To-Spezialist für abseitige Genreveröffentlichungen (besonders lobend sei sein Essay zu NACKT FÜR DEN KILLER in der EuroCult-Reihe erwähnt) und bundesweit bekannter SUSPIRIA-Enthusiast, steuert, wie soll es auch anders sein, einen Text bei. Leider entpuppt sich dieser in den ersten zwei Dritteln als ziemlich baugleich zu seinen Ausführungen zum Originalfilm in der 84’ Reihe, die Kommentare zum Remake wirken merklich unmotiviert und geradezu „herangepappt“. Spannende Denkanstöße werden sich hier für Menschen, die sich sowieso schon mit Argentos Meisterwerk auseinandergesetzt haben, nicht geliefert, für das Remake sowieso nicht. Ergiebiger ist da schon das ebenfalls enthaltene Interview mit Regisseur Guadagnino, der gut gelaunt über Casting-Entscheidungen und Konzeption seines Filmes plaudert. Das weitere Bonusmaterial präsentiert eine faszinierende Masterclass mit dem Regisseur, sowie eine spannende Featurette zum Maskenbild von SUSPIRIA (2018).

In der Ultimate Edition findet sich neben dem Remake der restaurierte Originalfilm (Gedanken zu den hitzigen Debatten um Restaurationen bezüglich der Farbwerte, die in Internet-Foren zur Genüge geführt werden, seien sich hier gespart.), ein 64-seitiger Bildband, 2 DIN A1 Poster und 8 Art-Cards. Ob einem diese Goodies 89,99 Euro wert sind, muss jedes Sammlerherz selbst entscheiden.

Die Ultimate Edition

Wer sich vom Mediabook (neue) filmwissenschaftliche Heranführungen erhofft, der wird enttäuscht werden. Da bei dieser speziellen Veröffentlichungsform für Sammler meist die Optik oder die Limitierung den Kohl macht, sind diese Einschränkungen für die sowieso schon interessierte Zielgruppe aber wohl nicht von Belang. Nach Meinung des Autors genügt die Standard-Blu-ray allerdings völlig.

Fazit

SUSPIRIA spaltet das Publikum. Mal ist vom „frauenfeindlichsten Film aller Zeiten“ die Rede, anderswo wird mit Superlativen um sich geworfen. Und zu einem Urteil zu kommen, ist in diesem Fall tatsächlich wahnsinnig schwer. Denn bei keinem anderen Film wie hier, passt das Wort „Geschmackssache“ so sehr. Entweder, das sich langsam steigernde Grauen packt einen oder eben nicht. Man kann die Geschichte um die RAF und Verbrechen aus der NS-Zeit wahnsinnig prätentiös finden oder interessiert miträtseln. Die Lösung dürfte hier sein: Anschauen, und selbst eine Meinung bilden. Denn etwas so Interessantes wie SUSPIRIA hat man im Mainstreamkino ewig nicht mehr gesehen.

Titel, Cast und CrewSuspiria (2018)
PosterSuspiria Kritik zum Film Review
Releaseab dem 15.11.2018 im Kino
ab dem 28.03.2019 auf Blu-ray/Mediabook/4K/Ultimate Edition
Bei Amazon bestellen:
RegisseurLuca Guadagnino
Trailer
BesetzungDakota Johnson (Susie Bannion)
Tilda Swinton (Madame Blanc)
Chloë Grace Moretz (Patricia)
DrehbuchDavid Kajganich
Storybasiert auf der Figuren von Dario Argento und Daria Nicolodi
KameraSayombhu Mukdeeprom
MusikThom Yorke
SchnittWalter Fasano
Filmlänge152 Minuten
FSKab 16 Jahren

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