“The CITIZEN KANE of the concert movies” – The Face
Remain in Light. Die erste Einstellung von STOP MAKING SENSE zeigt einen hell erleuchteten Bühnenboden: ein erst durch das Licht entstandener Weg, worauf von Hand gestaltete Vorspanntitel erscheinen. Mit bedächtigem Herauszoomen werden die Titel zunehmend von tiefschattigen Rändern gerahmt, bleiben aber selbst im Licht. In Anlehnung – siehe auch Trailer und Plakat zum Film – an Stanley Kubricks DR. STRANGELOVE (1964) wurden diese markanten Titelschriftzüge von ebenjenem Bildgestalter Pablo Ferro kreiert. So besitzt der bis heute außergewöhnliche und mitreißende Konzertfilm von Beginn an etwas auffällig Filmisches. Weitere Formen der Bildhaftigkeit werden hinzugefügt, etwa in Anlehnung an eine Theaterbühne. Dabei bekommt man als Zuschauer vor allem das Gefühl, mitten beim Konzert dabei zu sein, der Band hautnah und live beim Spielen beizuwohnen. Von Beginn an wirkt es so, als würden wir mit den Künstlern auf der Bühne stehen. Making Flippy Floppy.
So fängt die Kamera nach den Vorspanntiteln keine bereits final gestaltete Bühne aus Zuschauerperspektive ein, sondern heftet sich in Nahaufnahme an die schlichten weißen Turnschuhe des Frontmans der Band, David Byrne, der als kreatives Mastermind das Bühnen- und Designkonzept federführend betreute und auch beim Sounddesign mitmischte. Wir betreten mit ihm die leere Bühne, unbebaut, von allen Seiten noch offen und einheitlich beleuchtet, das Equipment am Rand lediglich vorbereitet. Da schlurft also eher ein in hellen Zweiteiler gepackter Student mit seiner Akustikgitarre auf die Bühne, stellt den als Boombox getarnten Taperecorder auf den Fußboden und spricht pragmatisch „Hi! I’ve got a tape I wanna play.“ Was folgt, sind schon fünf Minuten Essenz des Konzertfilms und doch nur ein vager Vorgriff auf das kommende audiovisuelle Kunststück, das auf pompöse Stadionbeleuchtung ebenso verzichtet wie auf Spezialeffekte wie Nebelmaschinen, Laser oder Pyrotechnik. Im Vordergrund steht das simple, aber effektive Bühnenkonzept, eine beschauliche filmische Lichtdramaturgie und vor allem die Musik selbst.
Der Film
Das Konzept ist bis heute originell und einfach zugleich. Es folgt den Prinzipien von Wachstum und Unmittelbarkeit und erzählt mit der von Byrne „gespielten“ Hauptfigur im Korpus der Melodien und Lyrics gewissermaßen auch eine persönliche Story, bei der die in den Songs verhandelten Themen um Liebe, Gesellschaft und Medien bis hin zu philosophischen Narrativen um das Vergängliche („Once in a Lifetime“) und Verruchte („Swamp“) einen bis heute gültigen Zustand des New Wave-Zeitbilds abbilden. Zunächst wird aber das Konzert selbst, die Musik in ihrer Ausformung inszeniert. Nach Byrnes legendärem „Psycho Killer“-Solo, einer Akustikvariante des frühen Hits vom Debütalbum „’77“, kommt zum zweiten Song „Heaven“ (1979) Bassistin Tina Weymouth hinzu, zum dritten Song „Thank You for Sending Me An Angel“ (1978) ihr Ehemann Chris Frantz am Schlagzeug und zu „Found A Job“ (1978) schließlich Multiinstrumentalist Jerry Harrison an der Gitarre. Über vier Songs baut sich so die Kern-Gruppe um die vier Musiker auf und performt konsequent vier Songs aus ihrer Frühphase, als sie noch den eher rohen Post Punk-/Rocksound als 4-piece-Band auf kleineren Bühnen vermittelte.
Das Konzert baut sich in der Folge weiter auf, die Bühne wächst mit einigen ab 1980 aktiven Tour-Musikern weiter an. Es folgen damals aktuelle Songs des 1983er-Albums „Speaking In Tongues“, das stärker als zuvor vom Funk geprägt war, und wofür das hier zu erlebende Konzert einen Teil der Promo-Tour darstellte. Spätestens bei „Burning Down The House“, dem größten Hit der Band, ist die 9-piece-Tourband der Talking Heads komplett und die Hütte brennt sprichwörtlich, natürlich in ausschließlich positiver Energie.
STOP MAKING SENSE war ein Gemeinschaftsprojekt der Band Talking Heads und Regisseur Jonathan Demme, im Vorspann wie allen Plakaten als „A Film by Jonathan Demme and Talking Heads“ tituliert, und zeigt die Musiker auf dem Höhepunkt ihres Schaffens. Die Fachzeitschrift Uncut bezeichnete den Film als „the most extraordinary rock movie ever made“. Nun erlebt er dank Filmstudio A24 seine würdige Wiederauferstehung zum 40-jährigen Jubiläum und erstrahlt visuell und vor allem klanglich in neuem Glanz. Heaven.
Den noch jüngeren Zuschauern, die nicht unmittelbar mit der Musik der 1970er und 1980er aufwuchsen, geschweige denn STOP MAKING SENSE bei der Original-Veröffentlichung erleben konnten, bleibt zunächst der Name des Regisseurs ein Begriff: Jonathan Demme, Oscar-prämierter Filmemacher von modernen Klassikern wie THE SILENCE OF THE LAMBS (1991) und PHILADELPHIA (1993). Bevor seine große Zeit kam, drehte der frühere Protegé von Roger Corman anfangs kleine, zunächst wenig beachtete Werke. Es war um 1979 – die Talking Heads hatten gerade eines ihrer besten Alben, „Fear of Music“, veröffentlicht – da plante Demme seine Bühnenadaption MELVIN AND HOWARD (1980), ein Film, der David Byrne nach eigenen Aussagen sehr gefiel. In einem selbst gedrehten Promo-Clip und der anlässlich des 15. Jahrestags (1999) gefilmten Pressekonferenz erwähnt der damalige Frontman der Band deutlich seine Rezeption von Demmes Werk.
Demme kam, anders als die meisten Musikregisseure jener Zeit, von selbst auf die Band zu. Er sah sie zunächst einige Abende lang bei der Tournee anlässlich ihres erfolgreichsten Albums, „Speaking in Tongues“, dem ersten, mit dem die Talking Heads einen Top-Ten-Hit in den Charts verbuchen konnten („Burning Down The House“). So wurde Demme in nächtlicher Teilzeitarbeit zum Projekt hinzugezogen, während er tagsüber den für damalige Verhältnisse teuren und kaum geförderten SWING SHIFT (1984) drehte, zu dem John Cale die Musik beisteuerte. Cale und Byrne waren bereits bekannt und so schließt sich über die beiden der Kreis zu Demme. Doch was machte – und macht immer noch – STOP MAKING SENSE so bemerkenswert, dass er seit mittlerweile vier Jahrzehnten als Kult-Event im filmisch-musikalischen Bereich gilt?
Sieht man den Film in voller Länge, fällt der durchkonzipierte Aufbau der Bühnenshow auf: Byrne performt zunächst solo, ausgestattet lediglich mit Gitarre und Boombox, die den Beat vorzugeben scheint (tatsächlich eingespielt über eine Roland TR-808 Drum Machine). Bereits hier erschließt sich dem Zuschauer das Konzept der Show: Wachstum und Unmittelbarkeit. Wir sehen dabei zu, wie die Performance auf der Bühne wächst. Während Byrne noch in seinen gezielten Slapstickeinlagen zwischen Kabeln und Mikrofonständer stolpert, stecken Techniker bereits neue Schaltstellen zusammen. Dann kommen die anderen drei Mitglieder wie beschrieben sukzessiv hinzu. Ihnen genügt zunächst, dass jeder Ton und jedes Riff synchron zum tanzbaren Beat fallen. Dass die Mitglieder der Band damals tatsächlich alle irgendetwas mit Kunst studiert hatten, störte zwar die eisernen Anhänger der Rockmusik, doch es war dieser Freiraum, der es den Talking Heads ermöglichte, sich zu entdecken und musikalisch Neuland zu betreten. Viele bezeichneten sie als Pioniere des New Wave, doch sie wurden immer auch in Zusammenhang mit Punk genannt (gemeinsame Konzertabende mit den Ramones oder The Police waren üblich). Sich selbst bezeichneten die Mitglieder jedoch zumeist als Funk-Band.
Mit dem Hinzukommen der Live-Mitglieder, ausnahmslos Musiker afro-amerikanischen Ursprungs (Bernie Worrell und Lynn Mabry von Parliament-Funkadelic, Alex Weir an der Gitarre, Ednah Holt mit Lynn Mabry als kraftvolle Background-Sängerinnen sowie Steve Scales als virtuoser Perkussionist) sowie dem insgesamt sehr poppigen Sound von „Speaking in Tongues“ wird dies überdeutlich. „They did their thing to ‘keep dah funk alive’“ statuiert Bootsy Collins in seinen kurzen Liner Notes zur Neuveröffentlichung des fünften Studioalbums, von dessen Tracklist sechs Songs Eingang in das Konzert finden. STOP MAKING SENSE ist somit auch eines der kommerziellsten Werke der Band. Doch die Verbindung zur Kunst bleibt bestehen und das macht den Film bis heute zeitlos – und kaum so „typisch 80ies“ wie vieles von damals.
Schlichtheit ist sein Kennungsmerkmal. Zunächst entspricht die Kadrage in vielen Totalen tatsächlich der Bühne selbst. Das Bühnendesign wirkt dabei auffällig flach, fast zweidimensional, eher wie Kino als Theater, vor allem wenn im Hintergrund plötzlich Standbilder oder einfarbige Tableaus projiziert werden und die Beleuchtung auf die Bandmitglieder völlig entfällt. Auf eine extravagante Lichtshow – essenziell für große Rockkonzerte – wird merklich verzichtet. Vielmehr wird ein Wechsel von Vorder- und Hintergrundbeleuchtung (in den Basisfarben Blau, Rot und Weiß) fokussiert; er verstärkt dabei das Figurenhafte der „Darsteller“, wenn sie einzig als Schatten oder Silhouetten erkennbar bleiben.
Besonders intensiv kommt dies bei den beiden Tracks „What a Day That Was“ (von David Byrnes „Catherine Wheel“-Album, 1981) und „Once in a Lifetime“ („Remain in Light“, 1980) zur Geltung. Bei letzterem bleibt die Kamera, eine Entscheidung des Regisseurs, ausnahmslos auf Byrne haften, der in intensiver körperlicher Performance die Bedeutung des Songs, unterstützt durch eine kontrastreiche Noir-Lichtstimmung, direkt auf den Zuschauer überträgt. Ähnlich verhält es sich beim monologischen „Swamp“, wenn Byrne mit markant tief verstellter Stimme und in knallrot illuminiertem Setting eine diabolische Geschichte erzählt. In diesen Momenten verliert man sich völlig im filmmusikalischen Erlebnis. Für die damalige Zeit untypisch, gibt es kaum Einstellungen, in denen man das Publikum sieht, und wenn doch, dann aus großer Distanz. Erst im Finale, beim letzten Song („Crosseyed and Painless“), erfolgen wiederholt Zwischenschnitte direkt ins Publikum, erst hier sollen wir ihm nahe sein, was den Konzertfilm feierlich beschließt. Ebenso wurden keine Interviews mit den Bandmitgliedern zwischen die Songs montiert, was dem Gefühl von Unmittelbarkeit – die Teilnahme an einem durchgängigen Konzert – seine Wirkung genommen hätte.
Der Bildhaftigkeit kommt noch zugute, dass, hier wieder ähnlich einem Theaterstück, Verbindungen zu den Figuren aufgebaut werden. Die Kamera fängt die Bandmitglieder in ihren Blicken und Gesten ein, die beständig miteinander zu kommunizieren scheinen. Dies geschieht durch das Performance-Konzept der Band selbst, wenn beispielsweise zum Track „This Must Be The Place (Naive Melody)“ songimmanente Strukturen von Häuslichkeit – alle vorderen Mitglieder stehen um eine Wohnzimmerlampe, die zeitweilig als einziges Beleuchtungsmittel dient – und Privatsphäre dargestellt werden. Der folgende Lamp-Dance Byrnes ist ebenso simpel wie effektiv, einmal mehr haben wir das Gefühl, auf der Bühne zu stehen und mit ihm um die Lampe herum zu tänzeln. Eine zärtliche Direktheit, geboren aus den Lyrics und der Melodie, überträgt sich direkt auf die Zuschauer. Man ist im wahrsten Wortsinn bewegt.
Ein entscheidender Verdienst der filmischen Ästhetik, die manchem Song seinen durchaus stolzen Kitsch nehmen (Tom Tom Clubs eher austauschbares Zwischenspiel „Genius of Love“), ist die Kameraführung und der Schnitt. Jordan Cronenweth, Director of Photography bei BLADE RUNNER (1982), sprach sich mit Demme ab, die Band an vier Abenden von jeweils einer anderen Perspektive zu filmen, was die Durchführung von Nahaufnahmen, seitlich versetzten Bühnenansichten und Weitwinkel-Totalen terminlich strikt trennte. Das Ergebnis, das nur zusammen mit der akribisch gefertigten Montage von Lisa Day (EDDIE MURPHY RAW, 1987) und der Band selbst zur Geltung kommen konnte, ist die augenscheinliche Absenz filmischer Geräte selbst. Mit Ausnahme einer Einstellung sind keine Kameras zu sehen. Dies bleibt wohl der bemerkenswerteste Aspekt mit dem Resultat von Unmittelbarkeit, der mediale Filter fällt für das Zuschauerauge weg. Am Ende steht, wenngleich sorgfältig choreographiert, montiert und (neu) abgemischt, das Gefühl eines ganzheitlichen Konzerterlebnisses. Wir fühlen uns mittendrin, statt nur dabei, wie es so schön heißt. Kein Wunder, dass die Zuschauer – damals wie heute – im Kino zu den Songs tanzen. Das macht immer noch Sinn, das bringt die Hütte zum Lodern und die Talking Heads sind für 90 Minuten einmal mehr die beste Band der Welt. Same as it ever was.
Sound of Music
In Anlehnung an Robert Wises Musicalverfilmung THE SOUND OF MUSIC (1965) benannten die Talking Heads ihr drittes, sehr elementares und merklich von Disco, Rock und World Music beeinflusstes Album „Fear of Music“. Es sollte den Sound der Band für den kommenden Jahre maßgeblich prägen, ein Jahr später wurde Zusammenarbeit mit Brian Eno noch einmal intensiviert (er produzierte die drei Heads-Alben zwischen 1978 und 1980, wobei „Remain in Light“ den Höhepunkt darstellt), anschließend kam wie erwähnt der Funk hinzu. All diese Elemente, auf dem Nährboden des New Wave, beeinflussen die Setlist von STOP MAKING SENSE – dabei tatsächlich die letzte Konzertreihe der Band überhaupt, nachdem David Byrne fortan ausschließlich im Studio mit der Band arbeiten wollte und diese für ihre Fans nach außen hin nur noch hör-, aber nicht mehr sichtbar blieb. Im Folgenden soll es kurz um das generelle Sounddesign des Films gehen sowie auf bisherige (Audio-)Versionen der einzelnen Tracks sowie des Konzertfilms eingegangen werden.
STOP MAKING SENSE war das erste Live-Programm, das ganzheitlich digitale Tonverarbeitung benutzte. Das macht sich bereits im Original-Abspann bemerkbar, in dem vier Personen für das Re-Recording verantwortlich zeichnen, darunter Jerry Harrison und David Byrne von der Band. Im Zuge der Zusammenfügung aus vier aufeinanderfolgenden Shows und mit qualitativ teils schwankendem Audiomaterial einigte man sich auch auf hörbarer Ebene auf einen Post-Mix der Live-Spuren. Das Ergebnis enthält durchgängig Overdubs, Wiederholungen, Verstärkungen und Filter. Gut zu erkennen ist dies im vierten Song, „Found a Job“, wenn wiederholt die Crashs von Chris Frantz’ Drumming asynchron zum Bild laufen (in beiden Variationen: mal zu sehen, aber nicht zu hören, mal zu hören, aber nicht zu sehen). Das heißt kurzum, dass STOP MAKING SENSE selbst bei seiner Erstaufführung 1984 im Kino noch nie das ungefilterte Gefühl einer einzelnen Performance bieten wollte, sondern im Ergebnis einen hörbaren Upmix bot. (Als passendes Gegenbeispiel kann man hier den Konzertfilm „Alchemy“ der Dire Straits nennen, ebenfalls 1983 gedreht, der genau das zeigt, was man auch hört.) Die Möglichkeit der komplett digitalen Tonverarbeitung bot für STOP MAKING SENSE dabei über die Jahrzehnte immer wieder Optimierungspotenzial.
Nach einer anfänglich stark gekürzten CD-Version des Konzertfilms (nur 9 Tracks, zudem in vertauschter Reihenfolge) kam 1999, zum 15-jährigen Jubiläum und parallel zur ersten DVD, eine klanglich verbesserte und um alle bislang fehlenden Tracks (in der richtigen Reihenfolge) ergänzte Edition heraus, die als „Special New Edition“ vermarktet wurde – und aktuell, Stand April 2024, auf Platz 1 der Amazon-Verkaufscharts in Filmmusik (symphonisch) steht, obwohl mittlerweile eine neue, nochmals erweiterte Version auf Doppel-Vinyl existiert. Letztere erschien im Herbst 2023, als STOP MAKING SENSE seine jüngste Neuveröffentlichung als Film und als Soundtrack feierte. Dazu gleich mehr.
Für Neulinge wie auch Fans der Musik der Band sei noch darauf hingewiesen, dass sich die Live-Versionen einiger der hier zelebrierten Songs stark von den Studioversionen der originalen Alben unterscheiden. Ein halbes Dutzend Songs (u. a. „Psycho Killer“, „Slippery People“, „Crosseyed and Painless“) wurden für die Live-Erfahrung merklich um- oder komplett neu arrangiert, sodass sie als ergänzende Versionen zu den Studio-Standards gesehen werden dürfen. Auch wurden einige Songs live deutlich länger gespielt, etwa erreicht das beliebte „Life During Wartime“ beim Konzertfilm ganze sechs Minuten (im Gegensatz zu dreieinhalb Minuten der Studioversion). Es wurden, wie es sich für eine virtuose Live-Band gehört, stimmungsvolle Variationen innerhalb der Songs geschaffen: Breaks, Erweiterungen, Soli und Repeats. Der Konzertfilm hatte schon immer eine Lauflänge von gut 87 Minuten, die jeweils unterschiedlichen Studiologos (Vertrieb) sind mit ein paar Sekundenlängen Unterschied insgesamt vernachlässigbar. Zieht man noch die knapp fünf Minuten von Vor- und Abspann ab, kommt man auf über 80 Minuten reines Konzert-Audio, verteilt über 16 Tracks. Die ursprüngliche LP-/CD-Version bot gerade einmal die Hälfte, nämlich 40 Minuten über 9 Tracks; die 1999er Version immerhin 74 Minuten aller 16 Songs, wobei hier im direkten Vergleich auffällt, dass nicht nur die Pausen zwischen den Songs herausgeschnitten wurden, sondern auch einige der Tracks selbst im Film länger zu hören sind, die Musik also für die Soundtrack-Versionen außerhalb des Films – bis heute – immer leicht gekürzt ist (etwa 10-30 Sekunden pro Song). Konzertfilm und Soundtrack bleiben demnach eigenständige Werke.
Die Neuveröffentlichung von A24
Im Zuge des 40-jährigen Jubiläums von STOP MAKING SENSE wurde rechtzeitig, also bereits 2023 eine nun komplett in 4K vom Filmnegativ restaurierte Version des Films produziert, die aktuell von A24 international in den Kinos gezeigt wird. Diese Version bietet drei signifikante Vorteile gegenüber allen bisherigen Fassungen.
Zum einen sieht der Film fantastisch aus. STOP MAKING SENSE wurde wie erwähnt in 4K vom Originalnegativ gescannt und filmgerecht – ein feines Filmkorn durchzieht im brillanten neuen DCP das Bild, das Material wirkt altersgemäß, aber klar und detailreich – restauriert. Nie zuvor, vermutlich nicht einmal bei den ersten 35mm-Filmkopien, sah man das Bühnenbild und die Kontraste bzw. Farben in solcher Klarheit wie jetzt. Die DVD, obschon einst filmhistorisch sehr relevant, und selbst die vor zehn Jahren erschienene Blu-ray (via Arthaus/Studiocanal), müssen nunmehr als veraltet gelten, auch wenn auf ihnen bislang sehr interessantes Bonusmaterial zu finden ist. Eine limitierte 4K UHD-Special Edition ist ab Mai direkt via A24 erhältlich, außerhalb der USA ist die neu restaurierte Version bislang ausschließlich in einer Blu-ray-Variante (hierzulande im Herbst via 375 Media/good!movies) angekündigt und dürfte für hiesige Käufer mit seinem guten Preis-Leistungsverhältnis attraktiv werden. Das Besondere an der exklusiven A24-Variante ist, dass der Konzertfilm erstmals in seiner vollständigen, um zwei Tracks erweiterten Fassung erscheint, die das „Fear of Music“-Album noch einmal stärker vertreten lassen und mit „Cities“ und „Big Business/I Zimbra“ insgesamt 10 Minuten mehr Material bieten, das seit 2023 nunmehr auch auf der neuen Soundtrack-Variante vertreten ist. Dieser nicht im Kino zu sehende „Restored Extended Cut“ wurde von den Talking Heads persönlich überwacht und orientiert sich, wenngleich neu editiert und mit neuem Material, auf der eigenen Version von Regisseur Jonathan Demme, die er 1985 erstellte, die 1989 erstmals auf LaserDisc veröffentlicht wurde und als Bonus ebenfalls enthalten ist.
Doch zunächst, und das ist aktuell der schönste Vorteil, kann man den Film endlich wieder im Kino erleben (hierzulande im Verleih von Piffl Medien) und mit Publikum sehen, so wie vom Regisseur und der Band intendiert. A24 waren es schließlich, die dem Jubiläumskonzept einer echten Kino-Wiederaufführung zustimmten bzw. diese von Beginn unterstützten, damit es eben nicht bei einer bloßen Neuveröffentlichung im Heimmedien-Bereich bleibt. Die besondere Erfahrung, STOP MAKING SENSE nach bereits zehn Sichtungen endlich auch einmal im Kino zu sehen, ihn in seiner visuellen und musikalischen Kraft am ganzen Leib zu spüren, den Körper im Kinosessel – und dann beim Tanzen – mitzubewegen, bei den Songs mitten im Publikum mitzusingen, diese Erfahrung jagt einem starke Glückgefühle durch den Organismus, wofür es keine logische Erklärung gibt, sondern nach wie vor das eine: Emotion, pure Liebe. Besonders schön ist es, den Film in angenehmer Begleitung zu erleben und dieses besondere Gefühl zu teilen. Tatsächlich ist dies ein sehr körperlicher Film, der aktuell von vielen Zuschauern auf der ganzen Welt noch einmal genauso gelebt und gefeiert wird, wozu sich auch die Band bei der Premiere im September 2023 beglückt äußerte, als sie erstmals nach 20 Jahren gemeinsam öffentlich als Band in Erscheinung trat (wenngleich, ohne zu performen).
Der dauerhaft größte Vorteil ist der sensationelle neue Soundmix. Der Film ist Musik pur. Jerry Harrison, der von Anfang an beim Soundmix des Konzertfilms dabei war sowie als Sound Engineer nicht nur die eigenen Talking Heads-Alben mitbetreute, sondern zudem ununterbrochen für andere Künstler arbeitet, ließ für die Neuveröffentlichung von STOP MAKING SENSE einen brandneuen, deutlich verbesserten Soundmix erstellen. Die seither grundlegende digitale Tonverarbeitung für das Werk sowie der neueste Stand der Technik bescheren uns nun einen dynamisch volleren Dolby Atmos-Mix, der in jedem modern ausgestatten Kinosaal (ab 7.1 Kanälen) eine völlig neue Hörerfahrung bietet. Dabei sei anzumerken, dass die Songs nicht ihres ursprünglichen Charmes beraubt wurden, also kein gänzlich neuartiger Sound an sich erstellt wurde. Harrison, der einzelne Alben zugleich in verbessertem Original-Stereomix sowie in berauschendem Surround-Mix auf den Markt bringt, bleibt stets dem Geist und dem Gefühl der ursprünglichen Musik treu. Im neuen, zusätzlichen Abspann von STOP MAKING SENSE sind zudem mehrere Verantwortliche für den neuen Atmos-Mix des Films genannt. Im Ergebnis hört sich das so an: Jede Einzelspur (aller Stimmen und Instrumente) wurde hinsichtlich Dynamik und Klarheit neu angefasst und schließlich als musikalische Gesamtspur(en) feiner ausbalanciert und kraftvoller gemischt. Das Schlagzeug klingt sonorer, die Resonanzkörper der Tom Toms und Snare Drum sind besser zu spüren, im Tieftonbereich sorgt der Bass (teils E-Bass, teils Synth-Bass) für einen insgesamt besseren Raumklang, wirkt jedoch nie übersteuert.
Insbesondere die Mitten, die melodische Füllung, gewinnen enorm. Mit bisweilen sieben Musikerinnen und Musikern, die gleichzeitig für Gesang und Klänge durch Gitarren (in manchen Stücken drei gleichzeitig) und Keyboards/Synthesizer sorgen, stellt diese „auditive Mitte“ das Herzstück von STOP MAKING SENSE dar, bei der viele Klangschichten übereinanderliegen und dennoch differenziert voneinander wahrnehmbar sind. Der neue Atmos-Mix bietet hier eine gänzlich neue Qualitätserfahrung, wenn bislang eher gedämpft gemischte Passagen – etwa der Beginn von „Life During Wartime“ mit diversen Keyboard-Schichten oder die Uptempo-Version von „Slippery People“ mit David Byrnes treibender Gibson im Funk-Riff-Modus – plötzlich kristallklar aus den Boxen tönen. Auch die Live-Geräusche des Publikums, wenngleich während der Songs bewusst ausgeblendet, erklingen in den Übergängen zwischen den Songs raumfüllend (leicht in den hinteren Bereich versetzt). Als ultimative Hörproben seien hier die beiden Songs „Burning Down The House“ und „Take Me To The River“ empfohlen, bei denen die Band vielleicht nie besser klang. Allein dafür lohnt sich das Kinoticket, das einmal im Leben ordentlich gehört zu haben. Once in a Lifetime. Fest steht: Hier wurde ein neuer Remix-Standard im musikalischen Bereich geschaffen, der das Original mehr als würdig verbessert.
Fazit
Mit der Neuveröffentlichung von STOP MAKING SENSE, einem der besten Konzertfilme aller Zeiten, wird alten und jungen Fans das musikalische Genie und die Performance-Kraft der Talking Heads noch einmal so nah wie nur möglich gebracht. Das Werk unter der Regie von Jonathan Demme sah nie besser aus und hörte sich, nicht zuletzt dank des neuen Atmos-Soundmix, noch nie so gut an. Einmal mehr wird deutlich, warum diese Momentaufnahme zu den bedeutendsten und populärsten der Musikgeschichte zählt. Am Ende gibt es nur Gewinner: die Musik, das Publikum und die Band – auch wenn sie seither nie wieder getourt hat, sich mit STOP MAKING SENSE ihren eigenen Höhe- und Endpunkt zugleich geschaffen hat.
Liebt Filme und die Bücher dazu / Liest, erzählt und schreibt gern / Schaltet oft sein Handy aus, nicht nur im Kino / Träumt vom neuen Wohnzimmer / Und davon, mal am Meer zu wohnen