„Freundschaft über den Stummfilm hinaus“
Die Erlebnisse berühmter Menschen sind so detailreich, dass eine Filmlänge viel zu wenig ist, um ein ganzes Leben zu erzählen. Die vielen Filmbiografien der letzten Jahre, sogenannte Biopics, versuchen sich schon gar nicht mehr an einer kompletten Abbildung der porträtierten Person. STAN & OLLIE porträtiert gleich zwei vielschichtige Karrieren des wohl berühmtesten Komiker-Duos der Filmgeschichte: LAUREL UND HARDY oder in Deutschland unter dem etwas würdelosen Titel DICK UND DOOF bekannt. Würde ist genau das richtige Stichwort, denn die britische Verfilmung zeigt nicht nur einen ehrenvollen Umgang mit diesen beiden Comedy-Ikonen, sondern wirft das Scheinwerferlicht auf das Besondere der Beiden: ihre Freundschaft.
Handlung
Stan Laurel (Steve Coogan) und Oliver Hardy (John C. Reilly) haben ihre Arbeit beim Filmstudio MGM satt. Nicht nur, dass das kreative Mitwirken von Stan kaum gewürdigt wird, werden sie für den Erfolg ihrer Filme auch noch schlecht bezahlt. Außerdem haben die Beiden erhebliche Frauenprobleme. Sie machen ihre Bereitschaft für die nächste Hollywood-Party eher von den Teilnehmerinnen abhängig und auch ein paar Ex-Frauen wollen finanziell üppig für ihre Beziehungen entschädigt werden. Stan arrangiert einen neuen Vertrag beim Fox-Studio, jedoch will Oliver nicht mit seinem alten Chef brechen und kommt nicht zur Vertragsunterzeichnung. Die Freundschaft der Beiden bricht entzwei. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs finden sie in Europa für eine Theater-Tour wieder zusammen und hier beginnt die Geschichte von STAN & OLLIE.
Eine Momentaufnahme
Wenn man allein schon die Wikipedia-Artikel des Duos durchliest, hätte ihr Leben locker für eine ganze TV-Serie gereicht. Regisseur Jon S. Baird (FILTH) entscheidet sich ganz bewusst für den späten kreativen Neuanfang von Stan Laurel und Oliver Hardy, nach deren Hollywood-Filmkarriere. Das macht dieses Portrait nicht nur durch die wiederentdeckte Freundschaft dieses fast schon alten Ehepaars spannend, sondern bringt durch die Theaterauftritte wieder den Fokus auf das geniale Komiktalent. Eigentlich ist Stan das Genie hinter den Sketchen, aber Hardy kommt hier nicht zu kurz. Schauspiel-Chamäleon John C. Reilly (THE SISTERS BROTHERS, DER GOTT DES GEMETZELS) nimmt dieser plumpen Filmfigur Ollie, der immer wieder in den Gags einstecken muss, das kantig Grobe und zeichnet eine liebenswerte Figur. Steve Coogan lässt die Genialität von Stan Laurel immer wieder aufblitzen, ist ganz klar der Kopf hinter der Marke Laurel & Hardy und schafft es selbst in schweren Zeiten, den Menschen immer noch ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Das Zusammenspiel dieser beiden Schauspieler entsteht auf ganz hohem Niveau mit viel Gefühl für kleine nuancierte Gesten der Filmrollen: Stans Augenbrauen, die stets und ständig in Bewegung sind oder Hardys ruhende Hände auf seinem fülligen Bauch. Die Beziehung zwischen ihnen ist von hohem Respekt für den anderen geprägt und macht sie durch ihr liebevolles Miteinander und ihre Gestik sehr sympathisch.
Auf dieses moderate Erzähltempo und die zu Beginn schwierige Unterscheidung zwischen den echten Menschen und ihren Figuren, muss man sich als Zuschauer erst einmal herunterpegeln. Zu schnell ist die heutige Zeit geworden, in der alles sofort passiert. Gute Sketche wollen erst einmal eingeführt werden oder leben von ihrer Wiederholung. Die verhaltene Erzählstruktur, welche die medialen Ereignisse meist außer Acht lässt, baut auch eine Beziehung vom Kinopublikum zum Film auf. Laurel und Hardy sind eben auch nur Menschen.
Sketch-Show
Das soll natürlich nicht heißen, dass STAN & OLLIE der tristen Linie eines Dramas folgt. Nicht nur Einspieler ihrer Theater-Tour bringen Humor in den Film, sondern auch der Alltag von den Beiden neben ihren Auftritten. Da haut der Produzent auch schon mal ohne zu zahlen aus der Kneipe ab oder die Empfangsdame schafft es nicht sich den Namen von Stan zu merken. Eine Spiegelung dieses ungleichen Paars (Spiegel finden immer wieder ihren Weg in die Bilder des Films) entsteht auch noch im Zusammentreffen der beiden Ehefrauen. Ida Kitaeva Laurel (Nina Arianda) und Lucille Hardy (Shirley Henderson) könnten auch kaum unterschiedlicher sein. Die liebevolle, beschützende Lucille trifft auf die trinkfeste, ehrliche Ida. Wie Hal Roach (Danny Huston) es so passend bei einem Empfang auf den Punkt bringt: Zwei Duos zum Preis von einem.
Das Mediabook
Capelight hat wieder einmal den Begriff Mediabook ernst genommen und eine wunderschöne 3-Disc-Edition zu STAN & OLLIE veröffentlicht. Der Film liegt auf DVD und Blu-ray bei. Die deutsche Synchronisation ist gelungen, auch wenn sie leider etwas schwach abgemischt ist, ruhig etwas lauter drehen. Verfechter der Originalversion werden mit der schauspielerischen Darbietung von Steven Coogan und John C. Reilly auf ihre Kosten kommen. Als Extras befinden sich ebenfalls auf der Disc:
- 2 Featurettes (6 min)
- 3 Interview (17 min)
- Eine Original-Folge STAN & OLLIE: DAS ZERMÜRBENDE KLAVIER mit deutschem Ton (24 min)
- die Folge Lachen mit Stan & Ollie (4 min)
Außerdem gibt es eine Bonus-Blu-ray mit der Dokumentation LAUREL UND HARDY: DIE KOMISCHE LIEBESGESCHICHTE VON DICK & DOOF im Director´s Cut von 105 Minuten. Dieses Portrait von Regisseur Andreas Baum lohnt sich auf jeden Fall, um das Leben der beiden Komik-Legenden kennenzulernen. Auch wenn die Hintergrundmusik etwas dick aufträgt, begeistern viele alte Fotografien und Aufnahmen. Zusammen mit einem informativen, 24-seitigen Booklet von Jenny Jecke in einem stilvollen Einband und goldgeprägten Titel, kommt keine lange Überlegung bei der Kaufentscheidung auf: Zugreifen!
Fazit
Trotz der perfekten Requisite und des authentisch designten Bühnenbilds, stört die glatte Optik ein bisschen das Zeitreisegefühl in die 50er Jahre. Das Bild ist zu sauber und das Licht zu künstlich. Es wirkt schon fast wie eine spanische Historien-Soap-Opera. Wenn man jedoch einmal begonnen hat STAN & OLLIE zu akzeptieren, erkennt man ein nahezu perfektes Künstlerportrait, welches mit seinem feinen Schauspiel mehr mit Bildern sagt als mit Dialog. Eine tiefe Verbeugung vor dem Stummfilm.
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter