„Es grüßt die Spinne aus der Nachbarschaft!“
Das Gesicht unter der Maske ändert sich auf der Kinoleinwand bereits zum dritten Mal. Ich hole kurz filmgeschichtlich aus, um SPIDER-MAN: HOMECOMING ein bisschen mehr Verständnis in der aktuellen Kinolandschaft zu verschaffen:
In den 90ern waren die Marvel Studios ein kleines Licht an der Kinokasse und haben die Spider-Man-Filmlizenzen an Sony Pictures verkauft. Das hatte sich für Sony finanziell erheblich gelohnt und die ersten Spider-Man-Filme brachten es zu einer unterhaltsamen Trilogie mit Tobey Maguire als Peter Parker. Nachdem Sam Raimi als Regisseur wegen kreativen Differenzen das Handtuch warf und seine halbe Schauspielbesatzung gleich mit, wurde es 2012 der THE AMAZING SPIDER-MAN mit Andrew Garfield an den Spinnweben. Auf einen guten ersten Teil folgte eine schwache Fortsetzung mit wenig Kreativität und Investition in die neue Filmreihe – trotz hoher Einspielergebnisse. Disney hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits mit dem Marvel Cinematic Universe erfolgreich etabliert und Sony erkannte, wie viel wirklich mit Comicverfilmungen zu verdienen ist. Sony machte daraufhin ein Tauschgeschäft mit Disney und „verlieh“ den Spinnenmann an das Team Iron Man (CAPTAIN AMERICA: CIVIL WAR). Und als Gegenleistung (Ausgezeichnete Entscheidung!) gibt es das kreative Ideenspektrum der Heldenschmiede Marvel für einen Neustart der Spider-Man-Filmreihe.
Nach dem ersten Trailer, stellten sich mir allerdings folgende Fragen: Ist es sinnvoll, Robert Downey Jr. als Tony Stark so viel Screen-Time hierbei zu geben? Wird die Neuauflage nur eine Fußnote im Avengers-Kosmos und verliert an Eigenständigkeit?
Mit diesen skeptischen Erwartungen spielen die Autoren jedoch perfekt und verwenden sie zu Gunsten der Spannung in diesem spaßigen und blendend geschriebenen Unterhaltungsfilm. Downey Jr. erhält Verstärkung von jemanden, der ebenfalls hinter der Figur des Iron Man steckt: Jon Favreau (Regisseur der ersten beiden IRON-MAN-Teile), wiederbelebt als Tony Starks Leibwächter Happy Hogan. Beide geben abwechselnd den vielbeschäftigten und leicht genervten Ziehvater Peter Parkers ohne zu sehr ins Geschehen einzugreifen. Sicherlich kann SPIDER-MAN: HOMECOMING eine zu hohe Joke-Quote zu Lasten der Charaktere vorgeworfen werden. Jedoch machen die Schauspieler ihre Sache ausgezeichnet und somit wird man der Witze nie müde bis zum letzten Joke nach Abspann über den Zuschauer selbst.
SPIDER-MAN: HOMECOMING beginnt schon mit dem ersten Lacher nach dem Marvel-Intro: Eine schwarze Tafel, worauf zu lesen ist: A film by Peter Parker. Wir sehen das sympathisch trottelige Videotagebuch eines 15-Jährigen, der nach Berlin fliegen muss, um gegen Captain America zu kämpfen und als Belohnung seinen neuen Hightech-Spinnenanzug – entwickelt von Stark Industries – behalten darf. Der „neue“ Peter Parker, glaubhaft besetzt mit Tom Holland, ist wie man sich einen schüchternen Streber mit immensen Spinnenkräften im 21. Jahrhundert vorstellt: Ein nerdiger Außenseiter mit einem guten Freund (mehr als ein korpulent sympathischer Sidekick, gespielt von Jacob Batalon), jeder Menge Cleverness und dem Körperbau eines schlaksigen Schülers, der es kaum erwarten kann, nach der Schule für Gerechtigkeit zu sorgen. Neben seinen Spinnenkräften kommen die vielfältigen Superheldenfähigkeiten allein durch technische Spielereien aus seinem Anzug. Schon entdeckt man sich selbst wieder beim Kritisieren: Es ist ja doch nur ein Iron-Man-Film! Es macht alles nur der verdammte Anzug! Wo ist Spider-Man?
Nach zwei Dritteln Spielzeit eines temporeichen, bunten Chaoslebens eines High-School-Schülers mit Superheldenidentität, biegt Peter Parker – auch bildlich – mit einem Cabrio, Marke Iron Man, ab und schrottet es. Das war´s. Neustart. Ab jetzt ohne Mentor Stark.
Es geht von nun an nur noch um Peter Parker gegen Adrian Toomes: Spider-Man gegen Vulture. Michael Keaton spielt den geflügelten Schurken, denn mit Schwingen hat es Keaton anscheinend (BATMAN und BIRDMAN). Er spielt seine Szenen wie gewohnt bestens mit einer ordentlichen Portion Herablassung, kombiniert mit amerikanischer Stahlarbeitermentalität. Den Rest macht sein virtuelles Effektteam großartig mit einem groben und pragmatischen Kampfanzug, der ihn in Vulture verwandelt. Das Finale kommt etwas ungewohnt unspektakulär um die Ecke, was jedoch auch ein Segen nach diversen opulenten Superheldenfilmen ist. Es muss nicht immer die Menschheit oder das ganze Universum auf Messers Schneide stehen. Es reicht, die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft 130 min bei ihren Abenteuern zu begleiten.
Der Kinosommer hat begonnen!
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter