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Spencer (2021) – Filmkritik

„Schicksalstage einer Prinzessin“

Diane, Princess of Wales: Eine dieser historischen Figuren, die definitiv larger than life sind, wo sich Faszination und Häme, Tragik und Euphorie, Stil und Zerbrechlichkeit treffen. Vielleicht noch schillernder als die Person an sich: das Mysterium um den Unfalltod.
Nach dem desaströs rezipierten Biopic DIANA von Oliver Hirschbiegel (2014), kann man den Werdegang von Lady Di auf der einen Seite in den neusten Staffeln der Netflix-Serie THE CROWN nachverfolgen. Die etwas artistischere Behandlung des Di-Mythos startet am 13.01.2021 in den deutschen Kinos: SPENCER, inszeniert vom stark polarisierenden Regisseur Pablo Larraín (JACKIE, EMA).

© Pablo Larraín, DCM

Tragische Frauenfiguren scheinen der Lieblingsstoff des Argentiniers zu sein. JACKIE und EMA sind Filme über Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs oder schon darüber hinaus, die immer wieder gefangen sind in ihren öffentlichen Rollen, bei denen das private so sehr in die Öffentlichkeit hineinlangt, dass ein Refugium nicht mehr möglich scheint. Und das klingt ja schon wie eine Beschreibung des Lebens von Lady Di.
SPENCER (der Familienname der Princess of Wales), schildert eindringlich Dianes (Kristen Stewart) letztes Weihnachtsfest als Mitglied der britischen Königsfamilie. Das Sandringham House in Norfolk erscheint wie ein düsterer Moloch, alle Familienmitglieder hängen sklavisch arbiträren Ritualen der Vergangenheit hinterher, man beobachtet sich stets gegenseitig, man spricht über, aber nicht miteinander. Das Diane auf dem Höhepunkt einer depressiv-bulimischen Phase ist, das registriert man, aber es passt eben nicht in das Heile-Welt-Bild, das die Royals verzweifelt versuchen aufrecht zu erhalten.

© Pablo Larraín, DCM

Die stärksten Minuten von SPENCER finden sich im atemberaubend perfekten Intro. Wie hier eine Armee aus Bediensteten das Weihnachtsessen einfliegen, ein überfahrendes Tier auf der Landstraße auf den späteren Lady Di Roadkill verweist, untermalt von Johnny Greenwoods gewohnt herausragendem Score: Das ist ganz großes Kino. Leider hapert es beim Rest ein bisschen.

© Pablo Larraín, DCM

SPENCER ist Kunstkino, mit ganz großem K. Und vielleicht scheitert der Film auch deshalb letztendlich an seinem eigenen Anspruch. Regisseur Larraín reicht es nicht, sich auf das herausragende Spiel seiner Hauptdarstellerin zu verlassen (wer nach diesem Film Kristen Stewart immer noch nicht als eine der brillantesten Darstellerrinnen ihrer Generation einordnet, dem/der ist nun wirklich nicht mehr zu helfen), er muss seinen Film zwangsweise mit allerlei intellektuellem Intertext-Gespiele aufladen. Da wirkt die royale Residenz wie aus einem Gothic-Roman entsprungen, da wird beinahe im Minutentakt Anna Boylen referenziert und auch ein erschütternd überflüssiges Hamlet-Zitat findet in diesem Film seinen unpassenden Platz. Denn der intellektuelle Überbau sabotiert zu jedem Zeitpunkt Kristen Stewarts sehr körperliches und unmittelbares Spiel. Ihre Darstellung möchte Emotionen, Larrain möchte anscheinend zeigen, dass er auch mal Anglistik studiert hat. Dank dieser kalten Inszenierung überträgt sich natürlich auch eine gewisse Kälte auf die Zuschauer:innen, aber sollte nicht eigentlich eher Mitleid mit Diane das Ziel diesen Films sein?

© Pablo Larraín, DCM

Mit dem nüchternen Blick die große Katastrophe begreifbar machen, dass gelingt häufig unvergleichlich eindringlich in der Literatur (siehe die Prosa von Elfriede Jelinek oder Joan Carrol Oats, die mit ihrem BLOND sicherlich auch eine Inspiration für SPENCER gewesen sein dürfte), im Film braucht es vielleicht doch den Mut zur emotionalen Inszenierung.

Die Bilder von SPENCER sind maximal durchkomponiert, aber irgendwie auch leer. Sie wollen schön sein, poetisch sein, aber vielleicht sollte Bulimie nicht als atemberaubendes Gemälde inszeniert werden (siehe das Poster). Auch eine depressive Erkrankung hat eigentlich nichts Schönes, nichts Gotisches an sich.

© Pablo Larraín, DCM

Man sollte diesen Text hier nicht falsch verstehen: SPENCER ist sicherlich ein lohnender Film, alleine ob dessen, um nach dem Film darüber zu diskutieren. Aber die Intention des Filmes wird nie so ganz klar, weil Schauspielleistung nicht zur Inszenierung passt, weil es vielleicht etwas pietätslos ist, Kotzanfälle als poetisches Gemälde zu inszenieren. Eine lohnendere Auseinandersetzung mit einem Königshausmitglied, dass an ihrer Rolle zerbricht, ist dann vielleicht doch eher Sofia Coppolas MARIE ANTOINETTE (2006), der sich wenigstens für das total Artistische entscheidet.

Es bleibt die alte Kinoweisheit: Lieber ambitioniert scheitern, als identitätslos zu kopieren.

© Fynn

Titel, Cast und CrewSpencer (2021)
Poster
RegiePablo Larraín
ReleaseKinostart: 13.01.2022
ab dem 01.07.2022 auf Blu-Ray und DVD

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Trailer
BesetzungKristen Stewart (Diana)
Sally Hawkins (Maggie)
Timothy Spall (Major Alistar Gregory)
Jack Nielen (William)
Freddie Spry (Harry)
Jack Farthing (Charles)
Sean Harris (Darren)
Stella Gonet (The Queen)
Richard Sammel (Prince Philip)
Elizabeth Berrington (Princess Anne)
Lore Stefanek (Queen Mother)
Amy Manson (Anne Boleyn)
DrehbuchSteven Knight
FilmmusikJonny Greenwood
KameraClaire Mathon
SchnittSebastián Sepúlveda
Filmlänge117 Minuten
FSKAb 12 Jahren

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