„Fluchtpunkt: Weinberg“
Ich habe keine Ahnung, was mich 2004 dazu bewegt hatte mir SIDEWAYS im Kino anzusehen. Ich kannte weder die Schauspieler, noch den Regisseur und mit Wein konnte ich mit 21 Jahren auf dem jungen Buckel wirklich noch nix anfangen. Ich denke, es war das Kinoplakat, das mich in den Film gelockt hatte. Außerdem sah der Trailer nach einem lockeren Buddy-Movie aus und da kann man ja bekanntlich nicht viel falsch machen. In der Kinovorstellung, mit vielleicht einer Hand voll weiterer Zuschauer, ging mir allmählich ein Licht auf, dass Komödien uns doch manchmal mehr über das Leben erzählen können als große Dramen. 14 Jahre und viele leckere Weine später bekam ich wieder die Chance mit den beiden Protagonisten Miles und Jack ins Auto zu steigen, auf dem Weg in die kalifornischen Weinberge. Dieses Mal hatte ich aber einen guten Tropfen im Glas, den richtigen Menschen an meiner Seite und das schöne Mediabook von FilmConfect in den Händen.
Handlung
Miles (Paul Giamatti) ist ein Schreiberling, wie man ihn sich vorstellt: Optisch keine imposante Erscheinung, ein gutes aber schwieriges Manuskript zum Erstlingswerk auf dem Schreibtisch, jede Menge Absagen von Verlagen im Briefkasten und eine gescheiterte Beziehung, der er immer noch Jahre später nachtrauert. Um über die Runden zu kommen, ist er Englischlehrer an einer High-School. Aber dieses Leiden soll vergessen werden und zwar mit den besten Weinen, die die kalifornische Sonne hervorgebracht hat. Er macht einen Junggesellen-Trip mit seinem besten Freund Jack (Thomas Haden Church) kurz vor dessen Hochzeit.
Miles fantasiert von einer kulinarischen Reise mit etwas Golfspiel und jeder Menge Entdeckungen neuer Weine. Als Jack zu Miles ins Auto springt und den erstbesten lauwarmen Schampus von der Rückbank öffnet, ist das schon ein kleiner Hinweis, welchen erlesenen Gaumen er auf diese Reise mitgebracht hat. Jack hat jedoch andere Pläne und will unbedingt vor seiner Hochzeit „nochmal eine flachlegen“, was Miles mit seiner zynisch grummeligen Art auf keinen Fall versauen soll. Die beiden Freunde, die unterschiedlicher nicht sein könnten, treffen auch auf die zwei richtigen Frauen für eine Woche in den Weinbergen: Maya (Virginia Madsen) und Stephanie (Sandra Oh). Es läuft natürlich nicht alles so wie geplant, vor allem weil Miles schon immer den Drang zur Selbstzerstörung hat.
Paynes Drahtseilakt der Dramödie
Was SIDEWAYS so leicht zugänglich macht, sind die beiden Freunde Jack und Miles. Miles steht klar im Mittelpunkt der Geschichte und, auch wenn er nicht das richtige Verlangen besitzt aus seinem Loch voll Selbstmitleid herauszukommen, ist er die Figur an die wir uns halten. Jack, ehemaliger Serienschauspieler, der nur noch für Werbespots gebucht wird, hat seine besten Zeiten bereits hinter sich. Er heiratet sich praktischerweise in eine gut situierte Familie ein. Dass er kurz vor der Hochzeit noch einmal fremdgehen möchte, nimmt man ihm kaum übel, weil er ein sympathischer Kerl ist und man die Zukünftige kaum kennt. Durch ihn schlägt die Geschichte erst einen interessanten Weg ein und führt auch Miles zu Maya. Außerdem kennt Jack seinen Freund gut, weiß wann er ausflippt und verpasst ihm in den entscheidenden Momenten ein Tritt in den Hintern. Dafür hat er aber keine Ahnung von Wein.
So verschieden wie die beiden Hauptfiguren sind, so balanciert der Film von Regisseur und Drehbuchautor Alexander Payne (THE DECENDANTS, NEBRASKA) auch zwischen den unterschiedlichen Filmgenres – Komödie und gesellschaftkritischem Drama. Dies gelingt ihm perfekt in den Dialogen und den lächerlichen Situationen, in die sich beide manövrieren. Wenn Miles zum Beispiel von seiner Agentin die Nachricht erhält, dass sein Buch nicht verlegt wird und er sich nicht in einer Touristenfalle getarnt als Weinprobe volllaufen lassen kann, schüttet er sich einfach den Eimer mit Resten in den Hals. Gleiches gilt für seinen Freund Jack, der zum Ende zu Recht böse eins auf die Nase bekommt, immer noch nichts daraus gelernt hat und sich in eine noch schlimmere Situation bewegt. Manchmal muss man eben ganz unten ankommen, um zu erkennen, welcher Weg einen aus der Krise führt.
Das Mediabook von FilmConfect
Ich persönlich freue mich, dass es auch einmal neben meist Horror-, Kult- oder B-Movies, ein Film wie SIDEWAYS zu einem Mediabook gebracht hat. Die Blu-ray ist die bereits veröffentlichte Scheibe von 20th Century Fox von 2009. Der gut zwei Stunden lange Film und eine knappe halbe Stunde Extras sind auf der Scheibe zu finden. Das Bonusmaterial sind entfallene Szenen (17 min) mit einer Anmerkung von Alexander Payne und einem Mini-Hinter-den-Kulissen-Bericht (6 min). Wer Lust hat, kann den Film mit dem Audiokommentar von Paul Giamatti und Thomas Haden Church ansehen, was auf jeden Fall gut unterhaltsam ist. Das Mediabook von FilmConfect verfügt über ein 20-seitiges Booklet mit einem Aufsatz von Dr. Kai Naumann, welcher einen Einblick in die Arbeit von Payne gibt und SIDEWAYS mit seinen anderen Filmen vergleicht.
Fazit
Wer gern auch einmal eine Flasche Wein aus dem oberen Regal im Supermarkt nimmt und eine Schwäche für gut erzählte Filme mit ehrlichen Dialogen hat, ist bei diesem Mediabook von FilmConfect an der richtigen Adresse. In meinen Augen ist es selten, dass ein Film eine so simple Geschichte und Freundschaft zwischen zwei unterschiedlichen Typen so perfekt erzählt. Ganz nebenbei bekommt man noch einen Wink mit dem Zaunpfahl, wie man sich am besten aus dem Loch der Depression herausholt. Nicht mit teurem Wein und Fastfood, sondern mit dem Verlassen der eigenen ausgetreten Pfade.
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter