„First-Class Hong Kong-Actionkino“
Wer asiatische Filme mag, kommt an dem Sub-Genre „Hong Kong-Actionfilm“ nicht vorbei. Vor vielen Jahrzehnten hatte die Filmproduktionsfirma „Shaw Brothers“ für dieses Genre mit einer Vielzahl von Martial-Arts-Filmen den Grundstein gelegt. Die 80er Jahre waren eine Hochzeit für Produktionen aus dem englischen Kolonial-Stadtstaat und prägten Namen wie Jackie Chan, Chow Yun-Fat und John Woo. Hong Kong konnte durch die Unabhängigkeit von der chinesischen Regierung und mit der eigenen freien Marktwirtschaft viele Filme dieser Art produzieren, die auch in den USA und Europa Anklang fanden. Während in Hollywood bereits mit Animationen und Drahtseilen gedreht wurde, flogen währenddessen die chinesischen Darsteller noch selbst durch die Luft und Filmexplosionen ereigneten sich im Minutentakt.
Ein Hong-Kong-Actionfilm hatte immer mehr von allem: mehr Statisten, mehr Schüsse, mehr Tode, mehr Kämpfe und mehr Explosionen. Auch wenn die asiatischen Schauspieltalente immer etwas ungewöhnlich für den westlichen Filmmarkt gewirkt haben, so fiel den Zuschauern bei den mutigen und aufwändigen Actionszenen mit kaum vorhandenen Sicherheitsvorkehrungen immer regelmäßig die Kinnlade runter. Mit dem Wechsel des Jahrtausends sind neue Namen an den Hong-Kong-Actionfilmhimmel gerückt und ein Stern trägt den Namen Andy Lau. Vielleicht kennen ihn manche aus der Originalvorlage zu Martin Scorseses THE DEPARTED, nämlich der INTERNAL-AFFAIRS-Trilogie, oder aus HOUSE OF THE FLYING DAGGERS. Lau ist in China ein Megastar mit über 160 abgedrehten Filmen und über 60 Musikalben. Einer seiner neuesten Filme – SHOCK WAVE – kommt nun endlich nach Deutschland und ist einer der besten Hong Kong-Actionfilme des Jahres. Er ist eine Blaupause für dieses Genre, was aber nicht bedeutet, dass alles vorausschaubar ist.
Handlung
Cheung, gespielt von Andy Lau, ist die Nummer Eins der Bomben-Entschärfungseinheit von Hong Kong. Als er bei einem Undercover-Einsatz den Bruder des berüchtigten Terroristen und Psychopathen Peng Hong aka Blaster (Wu Jiang) festnimmt, schwört dieser Rache. Nachdem ein Jahr vergangen ist, wird die Vergeltung grausame Realität und Hong nimmt mit gezielten Sprengsätzen den ganzen Cross-Harbour-Tunnel als Geisel. Dieser Tunnel ist mit bis zu 120.000 Autos am Tag, auf vier Fahrspuren verteilt, einer der größten Verkehrsknotenpunkte Hong Kongs. Der Plan Blasters ist so gut durchdacht, dass Cheung nur noch von einer Katastrophe zu nächsten eilt und trotz seiner ausgezeichneten Fähigkeiten als Bomben-Entschärfer an die eigenen Grenzen kommt.
Actionfilme leben von einem guten Gegenspieler
Problem solcher Filme sind meistens die Beziehungen der Hauptfiguren. Das ist vielleicht auch bei SHOCK WAVE größter Kritikpunkt. Die Figur Cheung hat natürlich eine Frau, die ängstlich zu Hause auf ihn wartet. Leider hat die Schauspielerin Jia Song, die Carmen Li verkörpert, nicht die schauspielerische Qualität der restlichen Filmbesetzung. Andy Lau spielt routiniert den Polizisten mit fehlendem Bewusstsein für die eigenen Gefühle. Er ist die Person, um die sich der Film dreht, aber ein Filmheld ist immer nur so gut wie sein Kontrahent. Der Bösewicht Peng Hong erhält zu Recht viel Screentime.
Der Schauspieler Wu Jiang hat bereits den silbernen Bären der Berlinale 2014 für den Film FEUERWERK AM HELLICHTEN TAGE bekommen. Er entsteigt in SHOCK WAVE einer anfänglichen Klischee-Bösewicht-Rolle und wechselt spätestens bei der Geiselnahme des Tunnels zu einem cleveren Psychopathen mit dem Namen Blaster, der, ohne mit der Wimper zu zucken Geiseln erschießt. Sein Plan ist gut durchdacht und hält den Film ordentlich auf Trab. Auch wenn das Szenario über Tage geht, bleibt es dank ihm immer spannend.
Feines Action-Spektakel
Die Action von Regisseur Herman Yau (IP MAN – FINAL FIGHT) steigert sich stufenlos bis zum Ende des Films. Wer jetzt Plansequenzen mit endlosen Kung-Fu-Kämpfen erwartet, wird enttäuscht sein, denn bei „Shock Wave“ wird scharf und effektiv geschossen. Bomben werden auch nicht durch die übliche Frage „Roter oder grüner Draht?“ entschärft. Da muss auch mal der Sprengsatz schnell zum Fluss gefahren werden, damit dessen Explosion keine Menschen verletzt. Die Stunts werden flüssig mit kleinen Computereffekten aufpoliert, was vielleicht ab und zu auffällt, sich jedoch gut bei den großen Zusammenstößen der professionellen Stuntteams unterordnet. Wenn Funderte Polizisten einen Tunnel umstellen, sind auch jene in den unscharfen letzten Reihen echte Statisten und das macht diesen Film viel realer als zum Beispiel BOSTON, der mit einer wackeligen Kameraführung versucht die Szenen spannend zu halten. Wer erwartet, hier eine Standard-Action-Geschichte präsentiert zu bekommen, der wird sich bei der einen oder anderen 180-Grad-Wendung mit Totalschaden überrascht vor dem Fernseher wiederfinden.
Fazit
Sicher muss man als Zuschauer eine gewisse Bereitschaft für chinesische Actionfilme mitbringen. Aber wer das tut, dem werden bei SHOCK WAVE ordentlich die Nerven gespannt und Kugeln um die Ohren geschossen. Die Geiselnahme in einem riesigen Verkehrstunnel ist spannend und realitätsnah erzählt, wobei kein Held auf unmenschliche Art und Weise aus Hubschraubern springt. SHOCK WAVE ist ein gut durchdachter Actionkracher, der dazu einlädt, gepflegt vor dem Fernseher zu versinken.
Titel, Cast und Crew | Shock Wave (2017) OT: Chak daan juen ga |
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Poster | |
Release | ab dem 22.03.2018 auf Blu-ray und DVD Ihr wollt den Film bei Amazon kaufen? Dann geht über unseren Treibstoff-Link: Oder direkt im Koch Films Shop bestellen >>> |
Regisseur | Herman Yau |
Trailer | |
Besetzung | Andy Lau (Cheung J.S.) Wu Jiang (Peng Hong) Jia Song (Carmen Li) Philip Keung (Kong Y.W.) Ron Ng (Ben) Leo Zi-yi Wang (Biao Hong) Felix Wong (Officer Chow) Sau Sek (Wan H.F.) Kai Chi Liu (Yim Kwok Wing) |
Drehbuch | Erica Li Herman Yau |
Kamera | Kwong-Hung Joe Chan |
Musik | Jan Hung Mak |
Schnitt | Wai-Chiu Chung |
Filmlänge | 119 Minuten |
FSK | ab 16 Jahren |
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter