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Seneca (2023) – Filmkritik

So ein gesitteter Selbstmord kann schon seine Zeit dauern – besonders, wenn man sich dabei in Szene setzen möchte und nicht aufhört zu quasseln. Seneca war einer der berühmtesten Redner im Alten Rom. Er war Politiker und Philosoph, schrieb Dramen und unterrichtete den berüchtigten Kaiser Nero, was ihm schon zu Lebzeiten den Vorwurf des Opportunismus einbrachte. Der deutsche Regisseur Robert Schwentke hat daraus nun eine Farce mit John Malkovich in der Titelrolle gemacht.

© Filmgalerie 451

Schwentke ging nach dem Erfolg seiner schwarzhumorigen Auseinandersetzung mit dem eigenen Hodenkrebs in EIERDIEBE nach Hollywood und drehte dort z.B. FLIGHTPLAN und R.E.D. – ÄLTER. HÄRTER. BESSER. (bereits mit Malkovich). Nun scheint er zwischen Deutschland und den USA zu pendeln: Seine letzten Filme waren die böse Köpenick-Variation DER HAUPTMANN, das Action-B-Movie SNAKE EYES: G.I. JOE ORIGINS und nun eben SENECA – ODER: ÜBER DIE GEBURT VON ERDBEBEN mit einem gemischt deutsch-amerikanischen Cast. Neben John Malkovich tritt Geraldine Chaplin auf sowie Lilith Stangenberg („Wolf“) als Senecas deutlich jüngere Ehefrau Pompeia Paulina.

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Nero, selbstgefälliger „Präsident“ mit Sonnenbrille und I-love-Mom-Tattoo, hört sich eine Zeitlang die schöngeistigen Vorträge seines Erziehers über Mildtätigkeit und Imagepflege an, stutzt ihn aber unmissverständlich zurecht, als Seneca darauf beharrt, der Kaiser möge auch einmal entsprechend handeln. Seneca fügt sich in die eigene Irrelevanz bei fürstlicher Bezahlung, ballt die Faust in der Toga und lebt seinen Zorn in Theaterstücken aus, die er auf seinem Landgut vor auserwählten Mitgliedern der high society selbst zur Aufführung bringt. Als die Quittung vor der Tür steht, versucht er wechselweise dieser in immer absurderen rhetorischen Auftritten zu entgehen oder sie in grenzenloser Selbstdarstellung zu feiern.

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Charaktere und Orte sind durchgehend verfremdet. Ein Erzähler kommentiert das Geschehen, das hin und wieder ins Essayistische springt (daher auch der Untertitel „über die Entstehung von Erdbeben“). Nero steht dabei natürlich Pate für alle heutigen (Möchtegern-)Autokraten, insbesondere Donald Trump. Der Ukraine-Krieg begann wahrscheinlich zu kurzfristig, um Aufnahme in den Film zu finden, denn eigentlich würde man nun eine Putin-Parodie erwarten. Zumindest das Graffiti eines Panzers mit Z-Logo hat es auf eine Stadtmauer geschafft. Seine Funktion als Blaupause hat leider den Nebeneffekt, dass Nero mal wieder als das – bei allen tatsächlichen Gräueltaten – Zerrbild dargestellt wird, als das er von seinen überlebenden Gegnern denunziert wurde; da war eigentlich Peter Ustinov 1951 in QUO VADIS schon weiter.

Die Historie bietet hier aber auch eine prächtige Vorlage für eine groteske Umsetzung. So hat Nero zwar nicht eigenhändig seine Mutter mit einem Stein erschlagen, aber der erste Versuch, sie loszuwerden, scheiterte tatsächlich daran, dass sie völlig überraschend das Versenken eines präparierten Schiffes überlebte und ans Ufer schwamm.

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Hauptfigur ist jedoch Seneca, das eigentliche Thema des Films die Frage nach seiner moralischen Korrumpierung. Malkovich spielt auch in der satirischen Überhöhung brillant die Ambivalenz zwischen intellektuellem Anspruch und Anbiederung an die Gewaltherrschaft aus. Den Höhepunkt des Films bildet die Theaterinszenierung, für die Schwentkte den bereits vielfach ausgezeichneten jungen Theaterregisseur Ersan Mondtag an Bord geholt hat. Wikipedia beschreibt Senecas Dramen als „in der Weltliteratur nahezu beispiellos drastische Darstellung extremer Gewalt“, und der Film geht hier in die Vollen. Die Aufführung der Thyestes-Tragödie – inklusive Verspeisen der eigenen Kinder – ist dabei wahrscheinlich sogar erschreckend nah an der damaligen Realität.

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Ähnlich wie in FELLINIS SATYRICON beschleicht einen das Gefühl, hier der wahren Antike näher zu sein als in allen Historienschinken. Die Schönen und Reichen durchschauen Senecas simples Lehrstück, das seine Kritik an kaiserlichem Machtmissbrauch in privatem Kreis hinausschreit: „Seneca ist mal wieder einen Schritt zu weit gegangen.“

Senecas Selbstmord, ein Klassiker der Kunstgeschichte, bildet das langgezogene Finale und treibt in einer Mischung aus (erneut auf Fakten basierendem) Slapstick und bissigen Kommentaren endgültig Scherze mit dem Schrecken. Eine Farce hat es erfahrungsgemäß schwer beim Publikum, viele mögen es anscheinend nicht, wenn ein Film konsequent die vierte Wand durchbricht. Aber auch wenn sich der Regisseur auf etwas ungewohntem Terrain bewegt und einige Szenen wiederholen, fühlte ich mich gut unterhalten.

© Franz Indra

Titel, Cast und CrewSeneca – Oder: Die Geburt von Erdbeben (2023)
OT: Seneca - On the Creation of Earthquakes
Poster
ReleaseKinostart: 23.03.2023
RegisseurRobert Schwentke
Trailer
BesetzungJohn Malkovich (Seneca)
Tom Xander (Nero)
Louis Hofmann (Lucilius)
Geraldine Chaplin (Cecilia)
Wolfram Koch (Fabius)
Lilith Stangenberg (Paulina)
Samuel Finzi (Statius)
Andrew Koji (Felix)
Mary-Louise Parker (Agrippina)
Julian Sands (Rufus)
Alexander Fehling (Decimus)
Nadia Benzakour (Poppea)
Samia Muriel Chancrin (Balbina)
DrehbuchRobert Schwentke
Matthew Wilder
KameraBenoît Debie
MusikMartin Todsharow
SchnittMichal Czarnecki
Filmlänge112 Minuten
FSKab 16 Jahren

2 Gedanken zu „Seneca (2023) – Filmkritik“

  1. Beste Filmkritik ever! Leider werden die Meisten überhaupt nichts mit dem Film anfangen können. Er ist viel zu intellektuell und ganz klar an kontemplative Menschen gerichtet, so wie auch alle philosophischen Werke. Philosophie wird in der Zukunft noch ein Thema werden, aber leider jetzt noch nicht.
    Ich fand es sehr erfrischend, dass die Menschlichkeit eines Weisen gezeigt wird <3

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