Ein Film, der mit einem Queen-Song beginnt, kann kein schlechter sein. Na okay, wird nach ein paar Sekunden schon wieder abgedreht, aber immerhin, es rockt. Dieser musikalische Beginn, der nur ein kleiner Ausschnitt des Originals ist, kann für das ganze Filmkonzept bzw. die Hollywood-Dramen Ende der 1990er-Jahre herhalten. Sie sind eine zugängliche Kollektion des echten Lebens. Ich bin mir sicher, wenn ich den Vertreter SEITE AN SEITE damals im Kino gesehen hätte, wäre es ein Kampf gegen die Tränen gewesen, jedoch sind ein paar Jahre vergangen. Man selbst hat einige Schicksalsschläge im echten Leben mitgemacht und vor allem die Filme von heute trauen sich mehr. Regisseur und Autoren sind viel näher am „echten“ Drama dran und zeigen die tragischen, traurigen und fiesen Seiten des Lebens wie auch Sterbens. SEITE AN SEITE ist jedoch bei weitem kein Kitsch, denn die Schauspieler sind wundervoll, die Dialoge fein geschrieben und Regisseur Chris Columbus (KEVIN –ALLEIN ZU HAUS, MRS. DOUBTFIRE) ist ein erfahrener Erzähler, wenn es um Familiengeschichten im privilegierten, amerikanischen Vorort geht.
Handlung
Vater Luke (Ed Harris) hat nach seiner Scheidung von Jackie (Susan Sarandon) wieder eine neue Partnerin: die wesentlich jüngere Isabel (Julia Roberts). Die Kinder Anna (Jena Melone) und Ben (Liam Aiken) lieben Mutter Jackie innig und Isabel scheitert nicht nur an den Ansprüchen der Kinder, sie machen es ihr weder leicht, noch kann Isabel Erfahrungen in Kindererziehung vorweisen. Der Krach ist vorprogrammiert, während die Kinder wochenweise bei ihrer Übermutter Jackie sind oder bei Isabel, die mit ihrer Karriere voll zu tun hat. Vater Luke scheint 24 Stunden am Tag zu arbeiten. Der Zank der Scheidungskinder mit der potentiellen Stiefmutter und das Chaos, was Kinder in diesem Alter ohnehin mitbringen, verblasst auf einmal, nachdem eine schicksalsschwere Diagnose bei Jackie gestellt wird.
So ein Leben
Bevor wir uns an das eigentliche Drama wagen, läuft SEITE AN SEITE erst einmal wie auf Schienen der typischen 90er-Familienkomödie entgegen. Die Karriere kämpft mit den elterlichen Pflichten, der Terminplan ist voll und wird Dank Handyklotz bzw. Pager auf Trab gehalten. Die Arbeit gelingt in kurzer Zeit wie von selbst, vor allem Isabels Job als erstklassige Werbefotografin ist heute kaum noch glaubhaft: Sie kommt zu spät zum Shooting, 30 Leute springen im Studio herum. „Ach gib mir doch mal die digitale Kamera.“ Zack, Photoshop und der Auftrag ist gerettet. Aber das Medium Foto bekommt zur zweiten Filmhälfte wesentlich mehr Gewicht, aber dazu später mehr.
Schnell wird klar, dass es in dieser Familie keinerlei Geldsorgen gibt oder Selbstzweifel am elterlichen Dasein. Die Kinder sorgen für ausreichend vorgeschriebene Probleme: Ben versteckt sich und Anna hat Probleme mit Jungs in der Schule. Mutter Jackie lebt in einem herrschaftlichen Anwesen, britischer Kolonialstil mit mehr Fenstern als man zählen kann, mitten in der Natur der schönen amerikanischen Ostküste. Das Ganze nur eine gefühlte Highway-Abfahrt von New York entfernt. Ausgeritten wird am Wochenende, Anna ist beim Frauenfußballteam und Ben ist ein kreativer Zauberkünstler. Der Vater wohnt mit „der Neuen“(Isabel) in einer weitläufigen Maisonette-Wohnung mit Bogenfenstern im schicken Brooklyn. Summa summarum: Flauschiges Familienleben auf einem dicken Finanzpolster. Was Vater Luke arbeitet, wird nie erwähnt, es reicht aber für den American-Dream-Of-Family-Life, wäre da nicht diese lästige Scheidung und die Probleme der Kinder.
Schauspieler
Den einen stören solche unwirklichen Szenerien vielleicht, die anderen lassen sich vom guten Schauspiel ablenken, wie ich. Auch wenn die junge Jena Malone schon deftig in die Pubertätskiste greift und somit all ihre Sympathie verspielt, sind vor allem die drei Schauspielgrößen (Sarandon, Roberts, Harris) wie gemacht für ihre Rollen. Julia Roberts darf modisch glänzen und süß an der Erziehung scheitern. Lieber einen Welpen schenken als Zeit mit den Kids verbringen. Keine Ahnung wer den Hund erzieht.
Kleine Anmerkung beim Thema Hundesitter: Warum der Film auch hier gänzlich Anspruch an Echtheit verliert. Es gibt keinerlei Personal bzw. es wird vehement ausgeblendet. Selbst der Hund verschwindet zum Filmende. Isabel parkt auch in einer Szene mit ihrem New-York-Abenteuer-Land-Rover vor dem Schulbus im Halteverbot, um die Kinder einzusammeln und Jackie, die wohl gut von den Alimenten lebt, kocht und näht selbst in ihrem Zehn-Zimmer-Landsitz. Die Eltern geben vor, alles noch selbst zu machen. Die tausend Quadratmeter Wohnraum reinigen sich von allein, zum Bolognese-Dienstag wird zusammen gekocht, Kostüme werden selbst geschneidert und die Kinder müssen von der Schule abgeholt werden. Na, kommt ihr Eltern da draußen noch mit?
Ich schweife ab. Susan Sarandon passt perfekt in die Rolle der Übermutter. Sie kennt jedes Detail ihrer Kinder, lässt nichts unversucht, Isabel bei ihnen schlecht zu machen und wartet auf den Krach mit Ex-Mann Luke. Vor allem bei den Streitereien zeigen sich die Qualitäten von Harris und Sarandon, die sich innerhalb eines Wimpernschlags routiniert anschreien, ohne dass man noch weiß, wie alles begonnen hat. Ed Harris spielt ohne Zweifel den Coolsten von allen. Mit wenigen Worten bringt er Dinge auf den Punkt, beruhigt die Gemüter und ist nie zu gestresst, um einen Weihnachtsbaum auf seinem 7er BMW vorbeizubringen. Deswegen muss Luke unweigerlich nach ca. 80 Minuten von der Bildfläche verschwinden, denn es geht um die beiden Frauen auf dem Kinoplakat: Die Mutter der Vergangenheit und die Mutter der Zukunft.
Auftritt: Drama
Ein erfülltes Leben ohne finanzielle Ängste schützt nicht vor allem, schon gar nicht vor der Krankheit unserer Gegenwart: Krebs. In allen Arten eine heimtückische Art des Körpers, sich gegen sich selbst zu wehren und dabei zugrunde zu gehen. In SEITE AN SEITE trifft es Jackie, die Mutter der vorherigen Generation, die nun den Staffelstab an Isabel, die junge Generation, weitergeben muss. Selbst wenn man sich mit allen Mitteln dieser oberflächliche Hollywood-Krankenwelt entgegenlehnt und immer wieder zetert: Das ist nicht echt. Es trifft mich, wie auch die Zuschauer, mitten ins Herz. Willkürlich beendet die Krankheit ein Leben, auch wenn es ein fiktives Dasein ist, und wir sind in den traurigsten Momenten dabei, wenn die Kinder Abschied nehmen. Und dabei hatten sich die beiden Frauen auf einmal – nach einem unerklärlichen Zeitsprung – gut verstanden. Jede hatte ihre Roller erkannt: Jackie die verlässliche Basis und Isabel die erwachsene Freundin. Die rührseligen Momente sind meist drüber – Ausritt bei Mondschein – aber was will man einer Mutter verübeln, die gern ein paar schöne letzte Erinnerungen ins Gedächtnis ihrer Tochter pflanzen will.
Fazit
Die Tragödie des Dahinscheidens eines Familienmitglieds kratzt am Spielfilm-Familienglück und es ist von unserer Empathie abhängig, ob es Spuren hinterlässt. Das Thema der Fotografie zieht sich beständig durch den Film und es bleibt die Erkenntnis, dass SEITE AN SEITE eben nur das ist. Es sind Aufnahmen emotionaler Momente innerhalb des echten Dramas. Man kann sogar noch weitergehen und sagen, es sind nur die Erinnerungen daran, die mit Fotos lebendig gehalten werden. Die Trauer, die Hilflosigkeit und die Schmerzen sind nicht zu sehen. Es bleiben die Gespräche und das letzte Weihnachten einer Mutter mit ihren Kindern. Vielleicht hätten wir auch gar nicht mehr ausgehalten.
Kleine Anmerkung: SEITE AN SEITE, der im Original STEPMOM heißt, ist im Jahr 1998 am ersten Weihnachtsfeiertag mit einer Kinderfreigabe in den amerikanischen Kinos gestartet. Das muss man sich mal vorstellen, was da schluchzend vor den Leinwänden los war. Zum Glück hat man auf die KEVIN – ALLEIN ZU HAUS Referenz des Regisseurs auf dem Kinoplakat verzichtet.
Titel, Cast und Crew | Seite an Seite (1998) OT: Stepmom |
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Poster | |
Release | ab dem 03.12.2021 erstmalig auf Blu-ray Ihr wollt den Film bei Amazon kaufen? Dann geht über unseren Treibstoff-Link: |
Regisseur | Chris Columbus |
Trailer | Englisch |
Besetzung | Julia Roberts (Isabel Kelly) Susan Sarandon (Jackie Harrison) Ed Harris (Luke Harrison) Jena Malone (Anna Harrison) Liam Aiken (Ben Harrison) Lynn Whitfield (Dr. P. Sweikert) Darrell Larson (Duncan Samuels) Mary Louise Wilson (Mrs. Franklin) |
Drehbuch | Gigi Levangie Jessie Nelson Steven Rogers Karen Leigh Hopkins Ronald Bass |
Kamera | Donald McAlpine |
Musik | John Williams |
Schnitt | Neil Travis |
Filmlänge | 125 Minuten |
FSK | ab 6 Jahren |
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter