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See How They Run (2022) – Filmkritik

„Well, well, well… “

Der Whodunit-Krimi (Wer-hat-es-getan-Krimi) ist eines der strengsten Genre der Filmgeschichte. Ein Mord zu Beginn, jede Menge Verdächtige mit Motiven, ein extrovertierter Inspektor und eine Verkettung von Beweisen, die zum Mörder führen. Diese Regeln sind nicht verhandelbar, auch wenn es immer wieder neue Produktionen auf die Spitze treiben wollen wie zum Beispiel der famose KNIVES OUT (2019). Wer fällt uns bei besonders strengen Traditionen, eiserner Sturheit und einer gewissen Steifheit ein? Genau, die Briten. Der neuste Streich aus dem Whodunit-Kosmos spielt genau dort. Es wird sogar noch einiges draufgesetzt: London, 1953, ein Mord bei einer der beliebtesten Theateraufführungen (Agatha Christies „The Mousetrap“). Trockener und ehrfürchtiger kann man dem linearen Krimiprinzip nicht begegnen. Jedoch fehlt von einem staubigen Drehbuch und ausgeleierten Figurenrollen jede Spur. SEE HOW THEY RUN ist schnell, witzig, spannend und weiß sogar erfahrene Rätsellöser auf die falsche Fährte zu locken.

© 20th Century Studios

Handlung

Das erfolgreiche Theaterstück „The Mousetrap“ von Agatha Christie feiert seine 100. Aufführung. Die Schauspieler sind beliebt, die Vorstellungen ausverkauft und Hollywood-Produzent John Wolf (Reece Shearsmith) hat bereits seine Fühler für eine Verfilmung ausgestreckt. Drehbuchautor ist der talentierte Mervyn Cooker-Norris (David Oyelowo) und Regie wird Leo Kopernick (Adrien Brody) führen. Beim großen Fest kommt es jedoch zu einer Schlägerei zwischen dem Regisseur und dem aktuellen Star des Stücks: Richard Attenborough (Harris Dickinson). Als Leo seine Kleidung nach dem Handgemenge auf den Toiletten reinigen will, lauert ihm ein Unbekannter auf, der Leos Leben brutal beendet. Alle Partygäste sind hiermit die Verdächtigen und Inspektor Stoppard (Sam Rockwell) soll den Fall lösen. An seine Seite gesellt sich, die noch in der Ausbildung befindliche, Constabole Stalker (Saoirse Ronan), die zum Glück ein Krimifan ist.

© 20th Century Studios

Formsache

Ein Theater als Tatort? Nicht gerade originell, aber unsere Aufmerksamkeit hat SEE HOW THEY RUN im Eilschritt. Außerdem begeht das Drehbuch einen der ironischsten Filmfehler der Geschichte: Das Opfer erzählt die Geschichte, obwohl es bereits nicht mehr am Leben ist. Somit erfreuen wir uns immer wieder am kernigen Slang des Amerikaners, gespielt von Adrien Brody, in der Welt des British Accent. Dass ein Toter aus dem Off erzählt, ist eine Referenz auf den fantastischen SUNSET BOULEVARD (1950) von Billy Wilder. Aber es ist nur eine von vielen.

© 20th Century Studios

Nach den ersten offensichtlichen Verdächtigen lenkt SEE HOW THEY RUN, neben dem wundervollen Szenenbild, vor allem mit dem freudig spielenden Cast ab. Durch die Bank drehen alle extrovertiert am Rad, ohne zu nerven. Im Zentrum dieses Kosmos steht das Duo mit vielen Gesichtern: Inpector und Constable; Lehrer und Schülerin, Kriegsveteran und Mutter; Alt und Jung; Alkoholiker und Kriminerd. Rockwell und Ronan wetteifern mit ihrem trockenen Mimenspiel, ihren theaterhaften Rollen und der zufälligen Situationskomik förmlich miteinander. Wenn man sich zu Beginn noch fragt, warum die Kameraeinstellungen und die Perspektiven so einfallslos sind, dann ist es der Grund dafür, dass eine Bühne sich auch nicht bewegt und die Darsteller noch mehr zeigen können. So etwas reizt jetzt nicht gerade das Handwerk Film aus, passt aber zum Willen des Regisseurs Tom George, wie auch der Filmgattung. Die Inszenierung kann es aber dann doch nicht lassen ein paar modernere Perspektiven zu wagen wie den Split Screen oder den Jump Cut. Im Rückblick sitzt alles wie aus einem Guss, britische Maßanfertigung eben.

© 20th Century Studios

Vergleiche und Neues

Man kann dem Film jetzt vorwerfen sich zu sehr an den Filmen von Wes Anderson zu orientieren. Bunte Farben, ein quirliger Score von Daniel Pemberton, Saoirse Ronan (THE GRAND BUDAPEST HOTEL, 2014) und die typischen Weitwinkel-Einstellungen lassen daran denken. ABER Wes Anderson ist ein aufmerksamer Schüler der Filmgeschichte und die findet ihren Weg massiv in seine Werke. Dass sich Regisseur Tom George für SEE HOW THEY RUN ebenfalls an Filmhistorie bedient, kann man ihm nicht vorwerfen. Außerdem ist die Art wie die Handlung und die Figuren in SEE HOW THEY RUN gezeichnet werden, meilenweit von der Andersons entfernt.

Handlungs-Neuland ist vor allem der kleine Twist in der Filmhälfte, wenn die Figur von Saoirse Ronan die Ermittlung unternimmt. Ihre Rolle als unerfahrene Polizistin in einem Männerberuf weiß sie geschickt zu nutzen und außerdem liebt sie es „voreilige Schlüsse“ zu ziehen. Einen Fehler, den wir Zuschauer auch zu gerne begehen. Aber wir haben das Glück, dass es keine Konsequenzen hat.

© 20th Century Studios

Zum Finale wird noch einmal tüchtig aufgedreht. Es beginnt ein Theaterstück im Theaterstück, die Motive des Killers werden auf Links gedreht, der Butler bekommt sein Fett weg und die Ikone des Krimis lädt zum Teekränzchen. Eine Analogie im Showdown auf die Verwertungskette vom Buch zum Theaterstück und zur Verfilmung lässt den Kenner freudig nicken.

Fazit

Ein tadelloses Stück Krimi, was – dank seiner Schauspieler – die 1950er-Theaterwelt im British Empire gelungen aufpoliert. Das strenge Genre lässt zwar keine besonderen Einträge in die Filmgeschichte für SEE HOW THEY RUN zu, aber dafür verwandelt er einen verregneten Tag allemal in einen vergnüglichen Filmnachmittag. Very loveable!

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewSee How They Run (2022)
Poster
RegieTom George
ReleaseKinostart: 27.10.2022
Trailer
BesetzungSam Rockwell (Inspector Stoppard)
Saoirse Ronan (Constable Stalker)
Adrien Brody (Leo Köpernick)
Ruth Wilson (Petula Spencer)
Reece Shearsmith (John Woolf)
Harris Dickinson (Richard Attenborough)
David Oyelowo (Mervyn Cocker-Norris)
Charlie Cooper (Dennis der Platzanweiser)
Shirley Henderson (Agatha Christie)
Pippa Bennett-Warner (Ann Saville)
Pearl Chanda (Sheila Sim)
DrehbuchMark Chappell
KameraJamie Ramsay
MusikDaniel Pemberton
SchnittPeter Lambert
Gary Dollner
Filmlänge98 Minuten
FSKAb 12 Jahren

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