„John Frankenheimers spätes Meisterwerk“
Comebacks gab und gibt es in der Kinogeschichte immer wieder. Filmschaffende, deren beste Werke Jahre, gar Jahrzehnte zurückliegen, bündeln entlang eines großartigen Teams noch einmal ihre Kräfte und bringen einen spielfilmlangen Erguss cine-kinetischer Pracht auf die Leinwand. Kathryn Bigelows THE HURT LOCKER (2009) war so ein Fall, da lagen die prägenden Filme der Regisseurin um die 20 Jahre zurück und sie bewies mit 57 Jahren noch einmal eindrucksvoll, was Kino eigentlich (sein) kann – der Lohn: etwas überraschend doch völlig verdient sechs Oscars. Ein prägendes Beispiel meiner Jugendzeit, ein Film, den ich wie fast alle meine Cinephilie fördernden Klassiker im Fernsehen entdeckte, war John Frankenheimers RONIN (1998). Einer der, so wird gern gesagt, letzten rein handgemachten Actionfilme, ein klassisch anmutendes Werk alter Schule, in einer Zeit als bereits CGI und jüngere Köpfe das Antlitz des Genres zu verändern begannen. Ein Film mit einem bis heute faszinierenden All-Star-Cast, gedreht an Originalschauplätzen in halb Frankreich, gegossen in stilvolle Bilder und atemberaubende filmische Bewegungen, wie man es seit dem Kino der 1960er und 1970er nicht mehr schöner gesehen hatte. Damals, 20, 30 Jahre zuvor, drehte Frankenheimer seine entscheidenden Werke: GRAND PRIX (1966), THE MANCHURIAN CANDIDATE (Botschafter der Angst, 1962), SECONDS (Der Mann, der zweimal lebte, 1966) oder die famose Fortsetzung FRENCH CONNECTION II (1975). Natürlich drehte der hocherfahrene Mann in den beiden Folgejahrzehnten weiter Filme und manche haben durchaus ihren Reiz. Doch es war RONIN, der ihm als Filmemacher allgemeine späte Anerkennung bescherte. Wiedergeburt wäre wohl ein angemessener Begriff, leider lebte John Frankenheimer (1930-2002) danach nur noch vier Jahre. Für ihn und sein Publikum sollte RONIN das finale Glanzlicht des Kinos bleiben.
„Es war unglaublich, wie viele Mitarbeiter John schon von früher kannte. Ein Produktionsassistent arbeitete schon seit 30 Jahren mit ihm zusammen. Es war toll, als ich diese Leute zum ersten Mal traf, aber sie kannten John schon eine Ewigkeit. Das steigerte noch die Qualität des Films.“ – In the Editing Room, with Tony Gibbs, Featurette (06:25-06:50)
Moderne Ronin
Ronin sind herrenlose Samurai, Verstoßene, die fortan ohne höheren Zweck, dafür gegen Bezahlung agieren, das wird in kurzen Texttafeln zu Beginn des Films zügig klargemacht. Während der schwarze, mit breitem Pinselstrich gezogene Titelschriftzug vor blutrotem Hintergrund tatsächlich an einen Film von Akira Kurosawa erinnert, offenbart sich innerhalb weniger atmosphärischer Einstellungen im Paris der Gegenwart, dass die wortkarge Gruppe noch nicht näher definierter Figuren als moderne westliche Variante der Ronin zu verstehen ist. Letztlich ist Frankenheimers spätes Großwerk ein Action-Söldnerfilm. Doch sein erstes Interesse liegt nicht vorrangig auf großen Explosionen und filmisch-rasanter Kinese – auch wenn es davon im Verlauf noch reichlich zu spüren gibt –, sondern auf der für lange Zeit undurchschaubaren Stimmung zwischen den Figuren, die sich hier einzig für diesen einen Auftrag zusammentun, sich zuvor nie gesehen haben, nichts voneinander wissen. So agieren sie als Schattenmenschen par excellence: im Dunkeln. Die Darstellung dieser modernen Ronin mit ihrer nuancierten Taktik und emotionalen Reserviertheit ist das sinistre, faszinierende Herz des Films. Wir nähern uns ihnen kaum und nur langsam an, dabei es ist ihre undurchsichtige Aura, die fasziniert. Wenn dann, wie in RONIN phänomenal auf den Punkt gebracht, auch noch die Action stimmt, wir hier zwei Stunden perfektes Spannungskino erleben, das vielleicht sogar noch besser funktioniert wie einst, ja, dann darf man durchaus mit Überzeugung von einem Meisterwerk sprechen.
„John war ein Meister, ein echter Technik-Experte. Er kannte sämtliche Details des Filmemachens und besonders auch des Schneidens. Was mir an John mehr als an allen anderen Regisseuren gefiel, war, dass seine Bilder mehr Informationen enthielten als bei anderen Regisseuren.“ – In the Editing Room, with Tony Gibbs (09:12-09:35)
Robert De Niro, Jean Reno, Sean Bean, Stellan Skarsgård, Jonathan Pryce… sie und einige weitere sind die herrenlosen Männer, die nur sich selbst und dem eigenen Kodex verpflichtet sind. Geld ist das entscheidende Kommunikationsmittel, viel wichtiger als Worte. Entsprechend wenig wird in den meisten Szenen gesprochen, die filmisch-visuelle Dialektik vielmehr über Blicke und Bewegung gestaltet. Die Anfangsszene, in der Sam (De Niro) eine nächtliche Pariser Kleinstraße observiert, die unmittelbare Umgebung um den Bistro-Treffpunkt bis in den verlassenen Hinterhof scheinbar unscheinbar, doch analytisch genau kartografiert, um im entscheidenden Moment und Winkel eine Waffe für den Safe Exit zu deponieren – sie steht prototypisch für den visuellen Code dieses aufmerksam gestalteten Films, der uns so zu aufmerksamen Zuschauern macht. Die Szene nimmt auch die kalkulatorische Professionalität der Hauptfigur vorweg, die nichts dem Zufall überlässt, ebenso wenig wie die anderen Mitspieler in dieser Hatz um einen Koffer, dessen Inhalt ebenso geheim und gehütet bleibt, wie in Quentin Tarantinos PULP FICTION (1994). Ein klassischer, Hitchcock’scher MacGuffin. „What’s in the case?“, fragt De Niros Figur wiederholt, Sam, der systematisch arbeitende Amerikaner, wie ihn der andere Ami im Team, Billy (Skip Sudduth), kurz und direkt ob seiner Herkunft anspricht. In RONIN werden bewusst mehr Fragen gestellt als Antworten gegeben werden. Die Gedanken über Möglichkeiten, über Gesehenes und im Zwielicht Befindliches, lassen im Kopf des Zuschauers eine eigene, faszinierende Vorstellungwelt entstehen. Tatsächlich ist es De Niros Charakter, der an ein paar Stellen doch etwas mehr formuliert als vielleicht nötig gewesen wäre. Man wollte wohl, vorsichtig gesagt, das Mainstreampublikum nicht aus dem Blick verlieren. Das Drehbuch stammt aus der Feder von John David Zeik und David Mamet, der hier unter dem Pseudonym Richard Weisz arbeitete. In seiner Verbindung aus Action- und Schauspielerkino ist RONIN in jedem Fall ein faszinierender Hybrid aus US-amerikanischem bzw. europäischem Actionkino und Arthauskino. Am Ende aber auch einer der schnörkellosesten Thriller, die je auf Zelluloid gebannt wurden.
„Es sollte ein packender europäischer Film werden. Aber nichts, was ein französischer oder englischer Regisseur machen würde. Es hätte zwar all diese Elemente, aber auch eine amerikanische Note.“ – In the Editing Room, with Tony Gibbs (07:00-07:17)
So bietet RONIN, im Gesamten deutlich mehr als die Summe seiner Teile, etliche Szenen und Sequenzen mit Alleinstellungsmerkmal im Kino seiner Entstehungszeit. Konsequent ist die Aktualisierung des handwerklichen Actionkinos, dem ungebrochen der kraftvolle Schub aus Frankenheimers THE TRAIN (Der Zug, 1964) oder GRAND PRIX innewohnt. Virtuos ist die Verknüpfung aus Blicken, Gesten und Handlungsfäden, die den Film als würdigen Nachfolger der besten Agenten-, Spionage- und Paranoia-Thriller der 1960er und 1970er erscheinen lässt. Im Kern geht es darum, dass hier keiner dem anderen vertraut. Die Leitmotive sind Einsamkeit, Traurigkeit und (das letzte) Heldentum, wie auch Komponist Elia Cmiral seine Themenfindung zusammen mit Frankenheimer beschreibt. Geschickt ist die Implementierung damals sehr populärer Schauspieler aus Gangster- und Spionagethrillern (Jean Reno aus LÉON und MISSION: IMPOSSIBLE; Sean Bean und Jonathan Pryce aus den damals beiden neusten 007-Streifen), wobei Robert De Niro mit seiner eindrucksvollen Präsenz einerseits das Geschehen dominiert, sich aber dennoch im Sinne der Gruppendynamik gezielt ein- bzw. unterordnet, was seine Rolle trotz aller Professionalität auf eine angenehm plausible Stufe setzt, auch wenn sie wie erwähnt unnahbar bleibt. Für Fans der älteren Schule geben die Kurzauftritte von Michael Lonsdale (THE DAY OF THE JACKAL, 1974), Amidou (SORCERER, 1977) und Jan Tříska (BIS ZUM LETZTEN ATEMZUG, 1976) mehrfach Anlass zur Freude. Für mich bleibt die vereinnahmende Performance von Natasha McElhone samt ihrem irischen Akzent das geheime solide Zentrum des Films. Am Ende ist es diese eine Frau, die alle Aktionen der Männer wie Fäden zusammenhält, an ihnen zieht, sie in Dinge verstrickt, die sie und wir zunächst nicht ahnen. Sie bildet den mysteriösen Knotenpunkt, den die Wege der Ronin mehrfach kreuzen – manch einer dann auch zum letzten Mal.
„Ich hatte zuvor nie die Möglichkeit, eine eher offensivere Figur zu spielen, die […] selbst jemand ist. Es wird kaum erwähnt, dass ich eine Frau bin. Ich bin es einfach und ich habe diesen Job. Und ich versuche, die Unternehmung zu leiten.“ – Natascha McElhone, Ronin: Filming in the Fast Lane, Featurette (08:14-08:40)
„Ich habe von John gelernt, mit sehr viel Energie und schnell zu agieren. […] Er war großartig mir gegenüber und hat mich sehr unterstützt. Ich war die einzige Frau und auch die Jüngste von allen und hätte mich ausgeschlossen fühlen können. Aber John sorgte dafür, dass ich mich so wichtig fühlte wie alle anderen. […] John war sehr offen gegenüber Vorschlägen von mir und Jonathan Pryce, da unsere Figuren sich kulturell von den anderen unterschieden.“ – Natascha McElhone: An Actor’s Process, Featurette (00:10-03:25)
So bleibt als letzte Empfehlung, bevor wir zu den technischen Spezifikationen und Extras der brandneuen Heimkinoveröffentlichung kommen, RONIN trotz gelungener deutscher Synchronisation einmal (mehr) im Original zu sehen und hören. Die verschiedenen Akzente – amerikanisch, französisch, englisch, walisisch, irisch, schwedisch-deutsch, tschechisch, russisch – sind fester Teil der DNS dieses multikulturellen, wenn auch vor allem westlich geprägten Thrillers. In manchen Nächten träume ich immer noch von einer RONIN-Trilogie aus der Hand von John Frankenheimer, die Folgeteile dann vielleicht auch mit mehr nah- und fernöstlichen Motiven und Charakteren. So bleibt der japanische Titel für diesen Film Motiv und Motivation, was als Einzelfilmkonzept aber ebenso traumhaft ist. Es geht darum, den japanischen Begriff im modernen westlichen Kontext neu adaptiert zu wissen.
Das Mediabook von capelight pictures
Überraschend und ohne jeglichen Vorlauf kam im Dezember die Ankündigung, RONIN sei nun via capelight im 4K-restaurierten UHD-Mediabook sowie im Steelbook erhältlich und sogleich versandbereit. Fans jubelten im Adventsfieber. Der Ton entspricht dabei der HD-Auswertung auf Blu-ray und kommt im satten DTS HD-Master Audio im Original wie auch auf Deutsch daher. RONIN ist, zum einen wegen der bahnbrechenden Autoverfolgungsjagden, zum anderen auch dank Elia Cmirals stimmungsvollem, autarkem Hybrid-Score (aus klassischem Orchester und Computer-Programming) ein auditiv sehr starker Film, der eine gute Surround-Anlage verdient und nicht unbedingt auf einem Stereogerät gesehen bzw. gehört werden sollte. Der immersive Sound, der 1998 auf dem besten Stand der Technik einfangen wurde, klingt heute noch knackiger und mitreißender als vieles, was aktuell in irgendwelchen HD-Soundscapes am Rechner zusammengemischt wird. Ein guter Vergleich wären die Actionszenen in Michael Manns HEAT (1995), die ebenso präzise aus allen Boxen krachen, das man meint, man wäre mittendrin statt nur dabei.
Die neue Bildqualität wird für die meisten wohl der Haupt-Kaufgrund sein. Wir machen es kurz: Nie sah RONIN besser aus. Die 4K-Restaurierung stammt zwar bereits aus dem Jahr 2017 (auch die Arrow Blu-ray basierte darauf), doch kommt der Film nun dank UHD mit HDR und Dolby Vision nochmal deutlich detailreicher im Auge des Betrachters an. Filmkorn ist durchgängig fein erhalten, Nahaufnahmen wurden nur geringfügig nachgeschärft (fällt nicht schlimm auf), die Vorspanntafeln wurden wie das gesamte Material entsprechend den Analogquellen filmisch belassen und nicht digital ausgetauscht bzw. verschlimmbessert. Auffällig ist der Unterschied zur (auch neueren) Blu-ray weniger in den Kontrasten und Farben – denn RONIN war per CCE-Prozess von Deluxe seit jeher von auffällig leuchtenden Farben befreit, die Palette eher grau-braun-grün-grau, fast monochrom, mit hervorragenden Schwarzwerten – als vielmehr hinsichtlich der Körnung, die den Film zuvor zum Verwechseln ähnlich als 1970er-Jahre-Werk durchgehen ließ. Nun ist er doch etwas sauberer und glatter, wobei das Filmkorn wie gesagt weiterhin durchgängig erkennbar ist, nur eben feiner. Der Detailreichtum und die Texturen sind nun brillanter als je zuvor und da sich dies auf den Film als Ganzes bezieht, ist das ein neuer Hochgenuss in Sachen Heimkinoqualität.
Für die Rezension habe ich den Film dreimal hintereinander gesichtet, einmal auf Deutsch, einmal im Original und einmal mit Audiokommentar. Bei der ersten reinen Film-Wiedersichtung auf Deutsch beschloss die UHD, sich bei der Hälfte der Laufzeit aufzuhängen, was tatsächlich erst durch Open/Close und Memory-Replay an derselben Stelle behoben wurde. Beim zweiten und dritten Mal lief das Screening allerdings reibungslos, wodurch ich hier auch keinen Mangel feststellen kann (und mich schon auf die nächste Sichtung in wenigen Jahren freue).
Von den international bisher erhältlichen Extras konnte fast alles lizensiert und auf eine eigene Bonus-Blu-ray gepackt werden. Zwar erscheint die SD-Qualität vieler Archiv-Featurettes nur geringfügig aufgebessert, doch werden hier die audiovisuellen Specials in Gänze in bestmöglich verfügbarer Qualität gebündelt und optimal präsentiert. Dabei ist sogleich anzumerken, dass sämtliche Extras mit neuen deutschen Untertiteln versehen wurden. Der spielfilmlange Audiokommentar mit Regisseur John Frankenheimer befindet sich selbstredend auf den Filmdiscs (1x UHD, 1x Blu-ray im Mediabook; 1x UHD im Steelbook). Im Folgenden zunächst eine Auflistung der Specials der Bonus-Blu-ray, die dann anschließend kurz diskutiert werden. Gesamtlaufzeit der Extras exkl. Audiokommentar: 120 Minuten.
- Im Schneideraum (OT: In the Editing Room, with Tony Gibbs), 2004, 19 Min.
- Riskante Fahrmanöver (OT: The Driving of Ronin, with Stunt-Car Coordinator Jean-Claude Lagniez), 2004, 15 Min.
- Die Komposition der Musik (OT: Composing the Ronin Score), mit Komponist Elia Cmiral, 2003, 12 Min.
- Natascha McElhone: Die Arbeit einer Schauspielerin (OT: Natascha McElhone: An Actor’s Process), 2003, 14 Min.
- Durch das Objekt (OT: Through the Lens, with Director of Photography Robert Fraisse), 2004, 18 Min.
- Interviews in Venedig – mit Robert De Niro, Jean Reno und Natascha McElhone (1998, 21 Min.)
- Filmen auf der Überholspur (OT: Ronin: Filming in the Fast Lane), umfassendes Featurette, u. a. mit John Frankenheimer, Produzent Frank Mancuso Jr., Stunt-Koordinator Joe Dunne und dem kompletten Main Cast; 1998/2004, 18 Min.
- Alternatives Ende (2 Min.)
Zäumen wir das Pferd von hinten auf. Ronin: Filming in the Fast Lane bietet in knapp 20 Minuten einen umfassenden Überblick über die gesamte Produktion, das Thema des Films, die Figuren, die Machart inkl. Regie, Kameraarbeit und Stunts. Ein zeitlos interessantes Feature. Through the Lens bietet in ebenfalls knapp 20 Minuten alles, was man zur Kameraarbeit des Films wissen muss, speziell in der Zusammenarbeit zwischen DoP Robert Fraisse und Regisseur Frankenheimer. Rein auf den Film bezogen bietet da das 2017 produzierte halbstündige Interview mit Fraisse wenig Neues, das bedeutet, auch dieses Archiv-Feature hat sich bestens bewährt. Spätestens hier weiß man, wie gern Frankenheimer mit Weitwinkelobjektiven mit kurzer Brennweite und Tiefenschärfe arbeitet, technische Details werden dabei verständlich mit entsprechenden Bildbeispielen bzw. Szenenausschnitten belegt, sodass dieses lebendige Videofeature/Interview bestes Infotainment bietet.
Die Venedig-Interviews (Premiere) mit Robert De Niro, Jean Reno und Natascha McElhone sind Archiv-Promomaterial aus dem Jahr 1998, immer noch angenehm zu hören und sehen, deutlich besser und tiefgehender jedoch ist das Interview-Feature, das sich ganz auf McElhone konzentriert: Natascha McElhone: An Actor’s Process. Hier berichtet die damals junge Darstellerin von ihrer ersten großen Rolle, ihrer Arbeit im Team und speziell mit Frankenheimer. Die ersten drei Features jedoch, die hier nun zuletzt erwähnt werden, sind unverzichtbar: Montage, Stunt-Koordination und die Komposition der doch sehr eigenständigen Musik von Elia Cmiral. In jeder der drei Kategorien wird schön tief in die einzelnen Funktionsweisen der Arbeit vorgedrungen. Cmirals erster Spielfilm-Score offenbart bereits sein ganzes Können, ohne die perfekt choreografierten Actionszenen wäre RONIN nicht das, wofür wir ihn (und Frankenheimer) kennen. Und Tony Gibbs, jener erfahrene Cutter, der durch einen Zufall erst ab hier mit Frankenheimer zusammenarbeite, erzählt uns unaufgeregt aber mit leuchtenden Augen, wie der finale Film entsteht, wie natürlich und routiniert der Film- und Schneideprozess bei RONIN ablief und wie Details in Aufnahmen (Blicke, Einstellungen) mit weiteren Details einen ganz spezifischen Rhythmus ergeben, der mehr über die Figuren erzählt, als wir zunächst vermuten. Hier werden wir einmal mehr Zeuge klassischer Film-Magie.
Zuletzt sei jedem der Regie-Audiokommentar von Frankenheimer ans Herz gelegt, der noch zu seinen Lebzeiten, also wohl zwischen 1999 und 2001 aufgenommen wurde. Er ist als szenenspezifischer Regie- und Making-of-Kommentar zu begreifen, der – und das ist das Schöne – stets auf die Darstellung und Wirkung der einzelnen Szenen eingeht und nicht auf irgendwelche Anekdoten im Hintergrund, die mit dem sichtbaren Ergebnis unmittelbar nichts zu tun haben. Frankenheimer spricht sehr angenehm ruhig und gewisse Pausen verbessern hier auch das Gesamtergebnis. Letztlich erklärt uns Frankenheimer hochprofessionell, aber unaufdringlich, wie Bilder und Szenen entstehen und funktionieren. Allen, die einen angenehm hörbaren und dabei fokussierten Regiekommentar schätzen, sei dieser von Frankenheimer wärmstens empfohlen.
Die britische Blu-ray von Arrow bot zudem ein weiteres, im Jahr 2017 neu produziertes Interview mit DoP Robert Fraisse sowie eine Huldigung von Quentin Tarantino an Robert De Niro aus dem Jahr 1994. Man kann dabei jedoch ohne Abstriche sagen, dass die zahlreichen von MGM produzierten und nun via capelight versammelten Extras ein umfassendes Paket bilden, mit zahlreichen Beteiligten, die zu Wort kommen, was als interessantes, breites Making-of-Spektrum zu Frankenheimers letzter Großtat keine Fragen zur Machart bzw. Machbarkeit offenlässt. Die Fans der ersten Stunde kennen diese Specials freilich schon seit den DVD-Tagen, denn die 2-Disc-Special Edition von RONIN war damals eine der besten MGM-Editionen auf dem Markt. Diese neuen UHD-Editionen funktioniert nun also getreu dem Motto: Bewährtes beibehalten, Hauptattraktion aufgewertet.
Gesonderte Erwähnung soll natürlich auch der Booklet-Essay von Autorin Kathrin Horster erfahren, der im Falle des Mediabooks dies ja erst zum von so vielen geliebten Medium macht. Horster schreibt dabei kundig und verständlich über die tragischen Agenten von RONIN, über ihre Motivation und Verbindung. In einem überschaubaren Booklet-Text, der dieser auch ist (mehr seitenfüllende Bilder als Text) muss man einen bestimmten Aspekt fokussieren, einen eigenen Tonfall finden, der auch zum Film passt, und dies ist der Autorin durchaus gelungen. Jedoch ist RONIN als spätes Schlüsselwerk eines der begabtesten Regisseure überhaupt doch eine größere Hausnummer, als man es beim vergnüglichen (Wieder-)Sehen vermutet, weit mehr als einfach nur ein sehr gut gemachter Film. RONIN ist einer derjenigen Filme Frankenheimers, bei dem ein grundlegend analytischer Text angebracht wäre; da sollte man tief eintauchen in des Machers glorreiche Frühphase im Kontext von Bewegungskino und Paranoia-Thriller, aus mindestens drei seiner Klassiker fundierte Bezüge herstellen zum aktuellen Film, der in seiner Form an keiner Stelle verbirgt, welchem Kino er entstammt. Ich habe hier zum ersten Mal von der Autorin gelesen und blicke weiteren Texten von ihr positiv gestimmt entgegen. Ihr Stil ist angenehm, sprachlich kundig, wenngleich wie gesagt mehr Tiefe im Falle dieses Films gut gewesen wäre. Im direkten Vergleich ist der britische Booklet-Text von Travis Crawford (für Arrow) deutlich besser, auch wenn dieser letztlich als genauerer Überblick zu verstehen ist. Einmal mehr verpasst capelight die Chance, seine Autorinnen und Autoren auch auf der Umverpackung bzw. in der offiziellen Pressemeldung zu erwähnen. (Im Booklet ist die Nennung vorhanden, soweit bekannt, doch genügt dies nicht. Das Thema schleift sich von Review zu Review, ein offizieller Kurzkommentar von Seite des Labels im sozialen Netzwerk brachte zuletzt wiederholt keine weiterführende Reaktion.) Und anders als Arrow lässt capelight nun auch die Namen der aktiv Beteiligten (Cutter, Komponist, Darsteller) bei den versammelten Specials weg, sondern listet lediglich deren Kurztitel auf.
Die Edition – uns liegt die 3-Disc Mediabook-Edition vor – ist wunderbar und eine echte Kaufempfehlung. Jedoch in wenigen Stichpunkten Vorfazit unsere Begründung, warum es für eine volle Punktezahl in diesem Preissegment doch nicht ganz reicht:
- Stereo-Tonspuren (Englisch, Deutsch) hätte man problemlos integrieren können, da sie bereits existieren
- Das 2017er-Remaster, das bereits auf der 4K-Restaurierung beruht, hätte man im 3-Disc-Mediabook alternativ als Film-Blu-ray anbieten können, um eine Version mit mehr Filmkorn zu präsentieren, was ebenfalls sehr gut zum Film passt (diese Version wurde vor wenigen Jahren von DoP Robert Fraisse „approved“)
- Die Specials versammeln ausschließlich 20 Jahre altes Archivmaterial (das sehr gut und umfangreich ist), doch keinerlei neue Features
- Der Booklet-Text ist gut, aber für dieses Werk nicht ausführlich und tiefgehend genug
Fazit
Mit den Mediabook- und Steelbook-Editionen samt in 4K restaurierter UHD-Disc liegt von einem der besten Filme der 1990er eine neue Hochglanz-Veröffentlichung vor, die mit kleinen Abstrichen als ausdrücklicher Kauf-Tipp im ausgehenden Heimkinojahr 2023 bezeichnet werden darf. Fans von John Frankenheimers RONIN, die den Film bisher nur auf DVD (oder gar nicht) in ihrer Sammlung wissen, sollten sich eine der aktuellen Editionen beschaffen und das Werk neu genießen. Das Bonusmaterial bietet nichts Neues oder analytisch Weiterführendes, doch liefert es gebündelt und umfassend die Substanz in insgesamt vier Stunden (inkl. Regie-Audiokommentar), die seit 20 Jahren kaum mehr Fragen offenlässt. Insgesamt absolute Empfehlung, auch wenn es nicht ganz für die volle Flux-Punktezahl reicht.
Titel, Cast und Crew | Ronin (1998) |
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Poster | |
Release | seit dem 22.09.2023 im Mediabook (UHD + Blu-ray + Bonus-Blu-ray), im Steelbook (UHD +BD) und einzeln auf DVD erhältlich. Direkt beim Label bestellen. |
Regie | John Frankenheimer |
Trailer | |
Besetzung | Robert De Niro (Sam) Jean Reno (Vincent) Natascha McElhone (Deirdre) Stellan Skarsgård (Gregor) Sean Bean (Spence) Jonathan Pryce (Seamus O’Rourke) Skipp Sudduth (Larry) Michael Lonsdale (Jean-Pierre) Katarina Witt (Natacha Kirilova) Féodor Atkine (Mikhi) |
Drehbuch | J. D. Zeik David Mamet |
Kamera | Robert Fraisse |
Musik | Elia Cmíral |
Schnitt | Antony Gibbs |
Filmlänge | 122 Minuten |
FSK | ab 16 Jahren |
Liebt Filme und die Bücher dazu / Liest, erzählt und schreibt gern / Schaltet oft sein Handy aus, nicht nur im Kino / Träumt vom neuen Wohnzimmer / Und davon, mal am Meer zu wohnen