Zum Inhalt springen

Robotic Angel (2001) – Filmkritik

„Quer durch die Filmgeschichte“

Neue Filmproduktionen versuchen meist die aktuellen technischen Möglichkeiten auszureizen. Keiner würde auf die Idee kommen beim neusten Science-Fiction-Epos nur mit Modellen die Raumschlachten nachzustellen. Für Animationsfilme wie auch Anime gilt das gleiche. Computeranimation ist effizient und flexibel, aufwändige Zeichnungen von Hand werden nur noch selten gemacht. Der Anime ROBOTIC ANGEL, der international unter dem Titel METROPOLIS zu finden ist, verwehrt sich strikt seinem Produktionsjahr 2001. Wenn man heute in diese Mangaverfilmung von Regisseur Rintaro eintaucht, reist man noch viel weiter in der Filmgeschichte zurück, zu den Anfängen als der Manga und Anime zu einem popkulturellen Überflieger in Japan wurde. ROBOTIC ANGEL schlägt aber noch viele Brücken mehr in der Filmgeschichte.

© KSM Anime/Koch Films

Handlung

In der futuristischen Stadt Metropolis leben Menschen und Roboter zusammen, jedoch nicht in Harmonie. Die Menschen wollen ihren Status nicht teilen und so sind Roboter für niedere Arbeiten und hauptsächlich im Untergrund der Stadt zu finden. Aber der Zwist der Menschen sitzt tief, da viele Jobs von Maschinen übernommen wurden. Eine Revolution bahnt sich an. Duke Red, der mächtigste Mann der Stadt, interessiert so etwas aber nur am Rande. Er will Perfektion erreichen. Die beginnt für ihn mit der Fertigstellung des größten Gebäudes der Metropole, dem Wolkenkratzer namens Ziggurat.

© KSM Anime/Koch Films

Reds Sohn Rock ist der kaltblütigste Roboterkiller der Stadt, alles im Auftrag der Sicherheit versteht sich. Als der moralisch fragwürdige Dr. Laughton den perfekten Android erschafft, macht Rock auch nicht vor diesem mit seinem Revolver halt. Jedoch tauchen im richtigen Moment der japanische Privatdetektiv Shunsaku Ban und sein Neffe Kenichi auf und retten die perfekte Roboter-Schöpfung namens Tima. Doch Tima weiß nicht, dass sie „nur“ ein Roboter ist.

© KSM Anime/Koch Films

Visueller Stil

Die Mangavorlage ist aus dem Jahr 1949 aus der Feder von Osamu Tezuka, der wichtigste Vertreter der Manga- und Animewelt in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Seine Werke wie ASTRO BOY, PRINZESSIN SAPHIR und KIMBA haben ihm den Namen „Gott des Manga“ eingebracht. ROBOTIC ANGEL behält die Figurenzeichnung das Mangas aus den 1940ern bei. Das kann für die jetzigen Sehgewohnheiten sehr nostalgisch anmuten, obwohl der Film um die Jahrtausendwende entstanden ist. Die pausbäckigen knubbeligen Figuren sind als Ehrerbietung des Werkes von Tezuka-San zu verstehen.

© KSM Anime/Koch Films

Um dennoch die Optik nicht zu altbacken wirken zu lassen, hat man sich entschieden die Szenen auf der Stadtoberfläche mit 3D-Animation zu erweitern. Schon zu Filmbeginn, mit der Eröffnungsfeier der Ziggurat, gibt es Feuerwerk und Kameraflüge aus dem Computer. Ironischerweise wirken heute die virtuellen Grafiken mit ihren schwachen Texturen älter als die Zeichnungen im Film, die sich ganz deutlich auf vorherige Stile besinnen. Es gibt auch Hinweise, dass die Schöpfer von ROBOTIC ANGEL bei den digitalen Effekten kein gutes Gefühl hatten, denn das eigentliche Leben in der Geschichte spielt sich in Zone 1 im Untergrund ab und hier ist fast ausschließlich mit Pinsel und Farbe gearbeitet wurden. Der Detailreichtum lässt die Welt der Roboter und der unterdrückten Menschen realer erscheinen als die der privilegierten digitalen Traumstadt darüber.

© KSM Anime/Koch Films

ROBOTIC ANGEL ist aber auch eine wilde Mischung aus unterschiedlichsten Moden, Designs und Kunstepochen. Am auffälligsten ist der Jugendstil, der besonders schön im Eisenbahnhotel Coconut aufleuchtet. Monumentale Bauten aus den Goldenen Zwanzigern wie auch europäische Art-déco-Elemente treffen auf fliegenden Oldtimer der 1950er-Jahre. Visuell und künstlerisch ein irres Kaleidoskop.

© KSM Anime/Koch Films

Revolution und Apokalypse

Die futuristische Geschichte will einiges erzählen und auch die typischen Anime-Themen finden in ROBOTIC ANGEL ihren Platz. Neben Fragen zur eigenen Existenz im künstlichen Spiegelbild eines Roboters, gibt es auch die traditionelle japanische Verpflichtung zur Perfektion. Sie findet sich in der Figur von Duke Red wieder, der mit seinem visuellen Look einem Kakadu gleicht. Er will durch seinen „Turmbau zu Babel“, die Ziggurat, die Vollkommenheit erreichen und Tima ist der Schlüssel dazu. Er scheitert damit und auch die Suche nach seiner verlorenen Tochter in der künstlich erschaffenen Tima wird mit ein paar Fotos nur zart angedeutet.

© KSM Anime/Koch Films

Umfangreicher wird die Beziehung zu seinem adoptierten Sohn Rock ersichtlich. Rock sucht die Anerkennung seines Vaters in der Vernichtung der Roboter, dabei sind die Ziele von Duke Red eher in der Kontrolle zu finden als in der Vernichtung. Seinen Adoptivsohn straft er nur mit Abneigung. Im politischen Komplex der Stadt werden auch noch gesellschaftliche Formen reflektiert wie zum Beispiel der Kapitalismus und militärische Diktaturen. Die Kubanische Revolution von Che Guevara findet sich in der Figur des jungen Atlas wieder.

© KSM Anime/Koch Films

Tima kann mit Hilfe ihrer Stärke eine neue Epoche einleiten, zum Guten wie zum Schlechten. Die Menschen sind jedoch schuld daran, dass sie sich für die Zerstörung entscheidet. Ihr Thron wird im Finale zu einer riesigen Wasserstoffbombe mit der sich die japanische Anime-Kultur seit den Atombomben im Zweiten Weltkrieg immer wieder auseinandersetzt. So kann das Ende, da die Geschichte bereits im Jahr 1949 entstanden ist, auch als Metapher für die japanische Machtergreifung im Zweiten Weltkrieg gesehen werden. Der Turm zu Babel, die Ziggurat in Metropolis, ist das Streben Japans zur Kolonialmacht in der Shōwa-Ära (1926-1945), was mit der Vernichtung von Hiroshima und Nagasaki durch die amerikanischen Atombomben beendet wurden.

© KSM Anime/Koch Films

Filmreferenzen und Mangavorlage

Die offensichtlichste Referenz ist der Stummfilm METROPOLIS (1927) von Fritz Lang, was auch der Grund ist, dass der Film nur in Deutschland nicht den Originaltitel trägt. Der Schöpfer Tetzuka ließ sich durch ein Szenenfoto des Stummfilms zur Mangavorlage von ROBOTIC ANGEL inspirieren. Das ist erstaunlich, wenn man überlegt welche Parallelen es zwischen diesen beiden Metropolis-Varianten gibt, vor allem in der Klassengesellschaft. Der Film ROBOTIC ANGEL ist jedoch etwas futuristischer und angepasster auf Fritz Langs Stummfilm als die Vorlage. Im Manga ist der künstliche Mensch ein Junge (Michi) und kein Mädchen. Die Geschichte des Comics ist einfacher gehalten, wohingegen der Anime das Leben und die politischen Konstrukte wesentlich ausbaut. Man kann sagen, dass ROBOTIC ANGEL vielleicht eher die Geschichte geworden wäre, wenn Tetzuka nicht nur ein Foto in einer Zeitschrift von METROPOLIS (1927) gesehen hätte, sondern den ganzen Film.

© KSM Anime/Koch Films

Rock ist der Jäger dieser künstlichen Intelligenzen und erinnert entfernt an Deckard in BLADE RUNNER (1982). Bei seinem Äußeren mit Sonnenbrille, Rollkragen und Hosenträger hat er sich wohl eher von Profikiller LÉON (1994) inspirieren lassen. Der Thron zum Ende von ROBOTIC ANGEL erinnert sehr an den, in dem Tetsuo am Ende von AKIRA (1988) sitzt. Tetsuo wird zur unbändigen, allesverschlingenden Macht als Versinnbildlichung des Aufbegehrens der Jugend gegenüber den Erwachsenen. Tima hingegen ist ein unschuldiger leerer Geist, der erst durch die Nachricht ein Roboter zu sein die Vernichtung einleitet. Im Hintergrund zur Zerstörung der Ziggurat läuft der Ray-Charles-Song „I Can‘t Stop Loving You“. Explosionen in einem Anime wurden nie lieblicher vertont.

© KSM Anime/Koch Films

Fazit

ROBOTIC ANGEL ist wie einer der Filme, bei dem man glaubt, dass die Roman- oder in diesem Fall die Mangavorlage viel umfangreicher ist und deswegen das Drehbuch aus allen Nähten platzt. Aber dem ist nicht so, da die ursprüngliche Geschichte auf 160 Seiten Platz fand. ROBOTIC ANGEL ist vielmehr eine virtuose, filmgeschichtliche Collage mit liebevollen Figuren, die vor allem in der Darstellung der mechanischen Geschöpfe zeigt, wie viel Herzblut in dieses Kunstwerk geflossen ist. Als Anime-Fan sollte man diesen historischen Hybriden nicht verpassen und als Science-Fiction-Fan schon gar nicht.

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewRobotic Angel (2001)
OT: Metropolis
Poster
RegisseurRintaro
Releaseab dem 18.03.2021 im Mediabook (Blu-ray + DVD)

Ihr wollt den Film bei Amazon kaufen?
Dann geht über unseren Treibstoff-Link:


Ein exklusives zweites Cover gibt es direkt beim Label: Anime-Planet oder im Koch Films Shop
Trailer
DrehbuchKatsuhiro Ôtomo
RomanvorlageDer Manga METROPOLIS von Tezuka Osamu
KameraHitoshi Yamaguchi
FilmmusikToshiyuki Honda
SchnittKoji Busaka
Ineko Suzuki
Filmlänge107 Minuten
FSKab 12 Jahren

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert