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Red River (1948) – Filmkritik & Review des Mediabooks

„Absoluter Klassiker“

Machen wir es kurz: RED RIVER (PANIK AM ROTEN FLUSS, 1948) gehört zu jenen absoluten Klassikern, die noch heute hervorragend anschaubar sind. Wer nun Western mag oder nicht – Männerrituale, markige Sprüche, Leiber in Wildleder gepackt und durch den Dreck gezogen – dieser hier zeigt noch 75 Jahre nach seiner Premiere, was das Genre so groß macht. Es ist die Gegenüberstellung oder besser: das Zusammenspiel vom Kampf an der Frontier, die Landnahme, die Suche nach einer Zukunft, mit dem inneren Kampf der Figuren. RED RIVER war derjenige Film, durch den sich John Wayne endgültig als Charakterdarsteller etablieren konnte, der zugleich Held und Bösewicht verkörpert. Zudem ist Hawks’ epischer Western ein Liebesfilm in mehrerlei Hinsicht, wie Booklet-Autorin Ines Walk in dieser neuen Edition treffend hervorhebt.

© Capelight Pictures

Der Western erzählt von einer Zeit, die vergangen ist: von der Erschließung des Landes von Ost nach West, dann vom Bau der ersten Eisenbahnstrecken und häufig gerahmt um die Zeit des Sezessionskriegs 1861-1865. Der Mensch gegen das Unberührte – wilderness – und immer wieder gegen sich selbst. Die Frontier, dieser „Übergang zwischen Zivilisation und Wildnis“, das (noch) nicht Erschlossene, ist essenziell fürs Grundverständnis eines jeden Western. Die echten Western erzählen immer auch von der Historie der Vereinigten Staaten, sind konkret dort verortet. So war es nie überraschend, dass der Western als Genre paradigmatisch für das amerikanische Kino war („American film par excellence“, André Bazin, 1959) und von seinen Machern entsprechend eingefangen wurde: weite Ebenen, majestätische Natur, Flüsse und Gebirge als natürliche Grenzlinien, die einmal mehr die Übergänge zur wilderness beschreiben. Neben vielen zusätzlichen Facetten, die der Western bietet, in Figurengestaltung der späteren Western bewusst als selbstreflexive Aufarbeitung (vgl. Sam Peckinpahs THE WILD BUNCH, 1969 oder, noch viel später, Clint Eastwoods UNFORGIVEN, 1992), dominiert im klassischen Western, in dessen Blütezeit zwischen 1946 und 1962, vor allem die Darstellung der Natur und der enormen Bewegungen, die durch die verbesserten Filmtechniken höchst eindrucksvoll auf die Leinwand gebannt wurden.

© Capelight Pictures

RED RIVER, gedreht Ende 1946, veröffentlicht 1948, bildet mit den Auftakt dieser goldenen Ära des Genres. Noch in Schwarzweiß gedreht – für das Fernsehen wurde nachträglich eine kolorierte Fassung erstellt – und noch nicht im Breitbildformat, wofür u. a. John Fords THE SEARCHERS (1956) mit seinen leuchtenden Monument Valley-Shots berühmt ist, bekommen wir hier bereits die volle Bandbreite epischer Landnahme präsentiert. Farmer Thomas „Tom“ Dunson (Wayne) hat über 14 Jahre lang Rinder gezüchtet, seine „Red River D“s starteten von einem Paar im Jahr 1851 zu knapp 10.000 anno 1865. Der soeben beendete Bürgerkrieg bewirkt für ihn zweierlei: Zum einen ist sein Vieh im Süden kaum einen Cent mehr Wert, zum anderen bieten sich ihm durch die Kriegsheimkehrer viele Freiwillige, um seinen Lebenstraum doch noch umzusetzen. Er heuert einen großen Trupp Männer an und startet einen Treck, will die Masse an Tieren von Texas 1.000 Meilen nordwärts nach Missouri treiben, um sie dort zu gutem Geld zu machen. Seit Beginn der Viehzucht mit an seiner Seite: der junge Matthew „Matt“ Garth (Montgomery Clift), sein Ziehsohn, der damals als Einziger einen Komantschen-Überfall überlebte.

© Capelight Pictures

Man kann über RED RIVER viel lesen und schreiben (aktuelle Empfehlung: das Booklet dieser Edition) – über seine Figuren und die vielschichtigen (Liebes-)Beziehungen, die diese umgibt, was durchaus typisch ist für den Regisseur, der nach vielen auch romantischen Werken hier seinen ersten Western drehte. Zentral bleiben zwei Dinge. Das Erste ist das Unterfangen der Männer, echte Cowboys, die tausende Rinder im großen Treck hunderte Meilen durch die raue Wildnis befördern. Beständig fängt die Kamera von Russell Harlan (RIO BRAVO, 1959) die Schritte und Prozesse ein: koordinierter Viehtrieb, Pausen im Lager, erneute Wegfindung, Zwischenfall („stampade“), Hetzjagd, Einkesseln, Fortgang des Trecks mit Verlusten. Die Natur, sie ist vor allem erbarmungslos und nicht nur schön, das beweist nicht nur die beschwerliche Wegstrecke: „Der Regen macht was mit den Menschen“, spricht Tom Dunsons treuer Gefährte Groot (Walter Brennan), der auch den Erzähler gibt, einmal höchst treffend. Die Männer verändern sich, entwickeln sich auf ihrer langen Reise. Dazwischen immer wieder die Furcht vor weiteren Zwischenfällen und das im Western erhärtete Feindbild der Komantschen (der brennende Pfeil schaffte es bis aufs Originalplakat, obwohl die Angst vor den indigenen Ureinwohnern in RED RIVER eher beständig im Hintergrund umherschleicht). Das Zweite ist die komplexe „Vater-Sohn“-Beziehung zwischen Tom und Matt, den er einst als verwaisten Jungen aufnahm und wie seinen eigenen aufzog. Tom steht für das Archaische, den Erbauer und Erschaffer, dem man sich besser nicht in den Weg stellt. „I am the law“, sagt er einmal ganz deutlich, keine Rivalen duldend. Schöner Satz aus dem Booklet: „Toms Dunkelheit gibt dem Film viel Kraft, seine Figur erinnert nicht umsonst an den tyrannischen Ehrgeiz der Kapitäne Bligh und Ahab.“ (S. 11) Matt steht für das Rebellische, wenngleich er sehr lange treu und gehorsam war. Er liebt Tom, in Hawks finalem Film bis zum Ende (Details dazu in der Edition), doch im dramaturgischen Höhepunkt nach der Hälfte muss er seinen Ziehvater entmächtigen, um den Fortgang des Trecks abseits von dessen zunehmendem Wahnsinn zu gewährleisten. „Königsmord“ hat dies Marcus Stiglegger in seiner Standard-Besprechung in Reclams Western-Lexikon genannt. Auch Ines Walk verweist in ihrem Text kurz auf den Bezug von RED RIVER zur klassischen griechischen Tragödie. In den majestätischen Bildern und im Spiel zwischen Wayne und Clift wird ein ums andere Mal deutlich: Dies ist ein überlebensgroßer Film.

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Dass RED RIVER trotz zunehmender Bedrohung (von innen), die sich dann in Film noir-getränkten Bildern und im Highlight schlechthin – einer Nebelkaskade, in der die Figuren angsterfüllt irren – spiegelt, doch stets dynamisch bleibt und auch ein paar unbeschwerte Schmunzler zulässt, ist der Handschrift des Regisseurs zuzuschreiben. Im Finale, über das sich Hawks mit Drehbuchautor und Storygeber Borden Chase zerstritt, erhält schließlich ein etwas überraschendes, aber im Rückblick durchaus passendes tragikomisches Element Einzug. Was das im Einzelnen ist, soll hier den möglichen Erstzuschauenden nicht vorweggenommen werden. Der Effekt daraus darf und sollte aber genannt werden: Indem man Genrekonventionen unterlief, machte man die komplette Handlung und ihre Figuren noch vielschichtiger. Howard Hawks wusste, was er tat.

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Das Mediabook von capelight

Das Label capelight, das bereits John Sturges’ Kult-Western THE MAGNIFICENT SEVEN (Die glorreichen Sieben, 1960) in einer Ultimate-Box angekündigt hat, legt aktuell eine der schönsten Sammlereditionen eines Western-Klassikers vor, die wir hierzulande erwerben können. RED RIVER kommt auf 2 Blu-rays (plus DVD, wer immer noch nicht auf Full HD eingestellt ist) und enthält sämtliche Fassungen. Da wäre zum einen die bekannte Langfassung, auch Exportfassung genannt (133 Min.), im Original-Bildformat von 1,37:1 und natürlich Schwarzweiß. Sie wurde in 2K neu restauriert und liegt mit englischem O-Ton sowie beiden deutschen Synchronisationen von 1964 und 1968 vor, wobei die spätere für eine kürzere TV-Fassung produziert wurde und für die fehlenden Stellen durch die frühere ergänzt wird. Zudem gibt es auf Extra-Blu-ray die Original-US-Fassung, wie sie, vom Regisseur präferiert, im Heimatland in den Kinos zu sehen war. Sie läuft mit rund 127 Minuten etwas kürzer, statt einigen in Bildern ausformulierten Szenen der Langfassung gibt es hier verstärkt Voice-Over, die laut Hawks immer schon so intendiert gewesen waren (mehr zu den Fassungen im Booklet). Auf dieser zweiten Blu-ray mit der US-Fassung befindet sich zusätzlich die nachträglich kolorierte TV-Fassung sowie ein halbstündiges, produktionsgeschichtliches Videofeature von Mike Siegel, das eigens für diese Edition erstellt wurde. Aufgrund der Datendichte der zweiten Blu-ray ist der jeweilige Filmgenuss geringer als auf Disc 1 mit der Langfassung, wodurch vor allem die neue 2K-Restaurierung sichtbar in Mitleidenschaft gezogen wird. Hier wären eine andere Aufteilung und ggf. der Verzicht auf die DVD (und stattdessen eine dritte Blu-ray) wünschenswert gewesen.

© Capelight Pictures

Das kundige Booklet von Ines Walk ist umfangreich, verständlich und auf den Punkt formuliert und bietet einen (relativ) neuen Zugang zum Film. Die Autorin liest, und das passt in Bezug auf den Regisseur natürlich sehr gut, RED RIVER vorallererst als Liebesfilm. Weniger als Liebesfilm zwischen Mann und Frau (die bereits zu Beginn verlorene Liebe von John Waynes Figur; die spätere erste Liebe von Montgomery Clifts Figur), sondern vielmehr als Liebesfilm unter Männern. Kameradschaft beim Western liegt da auf der Hand, aber RED RIVER geht weiter: die Liebe zwischen Ziehvater und -sohn, die trotz brutaler Rivalität aufrechtgehalten werden kann sowie, noch interessanter, die versteckte echte Liebe unter jungen Männern, wie die Autorin mit der Pistolenvergleichs-Szene und Montgomery Clifts subtilem Spiel treffend analysiert. Walk verzichtet bewusst größtenteils auf die topografischen Dimensionen von Hawks’ epischem Glanzwestern, der (historisch begründete) Viehtrieb wird aufgegriffen, gerät aber nicht in den Mittelpunkt. Zum Aspekt vom „Liebesfilm im Gewand eines Western“ gesellen sich noch einzelne Personenhintergründe, etwa zu Cutter (und späterem Co-Regisseur) Christian Nyby oder Kameramann Russell Harlan. Und natürlich zu Hawks, Wayne und Clift. Über die von Joanne Dru gespielte wichtige Frauenfigur, die zwar erst im letzten Drittel den Film betritt, aber zur Schlüsselfigur wird, wird indes gar nichts geschrieben.

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An dieser Stelle sei noch eine kurze Zwischenbemerkung gestattet, die ich mir bisher zu Besprechungen des Labels verkniffen habe. Es wäre schön, nein richtig, wenn fortan endlich auch die Autorinnen und Autoren der (meistens) sehr guten Booklets des Labels auch auf der Umverpackung bzw. dem offiziellen digitalen Datenblatt lautstark genannt würden. So ziemlich alle Labels handhaben dies entsprechend, warum nicht auch hier, zumal die Texte wahrlich einen Mehrwert bieten. Bei der überzeugenden Veröffentlichung von IM WESTEN NICHTS NEUES (2022) hat man – einmalig – genauestens darauf geachtet, auch bei den ausgewählten Ultimate-Boxen wird dies gemacht. Nur eben nicht bei den Mediabooks. Diese Inkonsistenz ist, nicht zuletzt für die vielen fleißigen Schreibenden, wahrlich nicht schön. Werk ohne Autor – das muss nicht sein.

© Capelight Pictures

Fazit

Mit der wertigen Mediabook-Edition zu Howard Hawks’ RED RIVER liegt zweifellos ein Pflichtkauf für alle hiesigen Western-Fans vor. Inhalt und Ausstattung lassen zunächst kaum Wünsche übrig, wobei man aber genauer hinschauen darf. Volle Punktzahl gibt es für die Verfügbarkeit sämtlicher Filmfassungen sowie beider deutscher Synchronisationen, auch das Bonusmaterial ist mehr als zufriedenstellend, wenngleich nicht überwältigend (hier bietet die UK-Scheibe noch mehr). Abzug gibt es für das Authoring (suboptimale Datenverteilung auf den Discs) sowie die erneute Nichtnennung der Booklet-Autorin auf dem Datenblatt. Insgesamt eine sehr empfehlenswerte Edition, die das grundlegend hohe Niveau des Labels bestätigt.

© Stefan Jung

Titel, Cast und CrewRed River (1948)
Poster
Releaseseit dem 28.04.2023 im Mediabook (Blu-ray + Bonus-Blu-ray + DVD) erhältlich.

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RegieHoward Hawks
Trailer
BesetzungJohn Wayne (Thomas „Tom“ Dunson)
Montgomery Clift (Matthew „Matt“ Garth)
Joanne Dru (Tess Millay)
Walter Brennan („Groot“ Nadine)
Coleen Gray (Fen, Dunsons Geliebte)
Harry Carey, Sr. (Mr. Melville)
John Ireland (Cherry Valance)
Noah Beery Jr. (Buster McGee, Cowboy)
Harry Carey Jr. (Dan Latimer, Cowboy)
Chief Yowlachie (Quo, Cowboy)
Paul Fix (Teeler Yacey, Cowboy)
Hank Worden (Simms Reeves, Cowboy)
DrehbuchBorden Chase
Charles Schnee
KameraRussell Harlan
MusikDimitri Tiomkin
SchnittChristian Nyby
Filmlänge133 Minuten
FSKab 12 Jahren

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