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[REC] (2007) vs. Quarantäne (2008)

[REC] (2007)

So richtig Fahrt aufgenommen hat das Sub-Genre der „Mockumentary“ Ende des letzten Jahrhunderts mit dem bekannten BLAIR WITCH PROJECT (THE BLAIR WITCH PROJECT, 1999) von Daniel Myrick und Eduardo Sánchez. Mockumentary, ein sogenanntes Kofferwort aus dem englischen (mock = „vortäuschen“ und documentary = „Dokumentarfilm“). Die sogenannte fiktionale Realität, die durch eine scheinbar dokumentarische Kamera sich dem Rezipienten entfaltet. Das auch dieses Sub-Genre seine Wurzeln in tiefster Vergangenheit der Filmgeschichte hat, wissen dagegen nur die wenigsten: Lange bevor der Begriff Mockumentary erfunden wurde, gab es einige bekannte Beiträge. Der berühmteste unter ihnen ist ganz sicher „Krieg der Welten“ aus dem Jahre 1938. In Form einer fiktiven Reportage im Radio ließ er einen Teil der USA in Panik und Hysterie verfallen. Das Hörspiel von Orson Wells basierte auf dem bekannten Roman von H.G. Wells „The War of the Worlds“, der eine Invasion von Marsmenschen so real darbot, die viele Zuhörer für Echt hielten. [1]

Seit jener Zeit tauchen regelmäßig Filme dieser Kategorie auf, wie der deutsche DAS MILLIONENSPIEL (1970), der US-Film STRAFPARK (PUNISHMENT PARK, 1971), der italienische NACKT UND ZERFLEISCHT (CANNIBAL HOLOCAUST, 1980), oder die belgische Produktion MANN BEISST HUND (C‘EST ARRIVÉ PRÈS DE CHEZ VOUS, 1992), um nur ein paar zu nennen. Mit dem durchschlagenden Erfolg von BLAIR WITCH PROJECT wurden die Kinos, wie auch der Direct-to-Video-Markt, mit den unvermeidlichen Epigonen geflutet. Mit BLAIR WITCH PROJECT wurde zudem die sogenannte Wackelkamera im Horror-Genre salonfähig. Diese ist ein ästhetisches Ausdrucksmittel, dass überwiegend bei Actionfilmen zum Einsatz kommt. Dabei werden besonders dynamische Szenen, mit einer ständig in Bewegung bleibenden Kamera, gedreht. Dazu gibt es meist schnelle Schnitte. Bei einem Großteil der kostengünstigeren Produktionen sollten damit gleichzeitig die schlechten Effekte überspielt werden. Einige bekanntere Beispiele wären PARANORMAL ACTIVITY (2007), CLOVERFIELD (2008), TROLLHUNTER (TROLLJEGEREN, 2010), DEVIL‘S PASS (THE DYATLOV PASS INCIDENT, 2013) oder KATAKOMBEN (AS ABOVE, SO BELOW, 2014). Eine Mischung aus beiden Sub-Genres bildet der Found-Footage-Film, die Grenzen sind hier fließend.

Handlung

Ein zweiköpfiges Reporterteam, Moderatorin Angela Vidal (Manuela Velasco, die auch im realen Leben als TV-Reporterin in Spanien tätig ist) und ihr Kameramann Pablo (Pablo Rosso, der zu keiner Zeit vor der Kamera in Erscheinung tritt), drehen eine neue Episode der bekannten spanischen Fernsehdokumentation „Während sie schlafen“. Dieses Mal zu Gast bei einer Feuerwache in Barcelona. Als endlich der lang erwartete Notruf eintrifft, dürfen die Reporter den Einsatz begleiten. Aus einem Haus in der Stadt wurden schreckliche Schreie gemeldet. Die Polizei befindet sich schon vor Ort. Gemeinsam arbeitet sich das Rettungsteam mit den Reportern im Schlepptau durch das Haus bis zur mutmaßlichen Wohnung. Im Inneren finden sie eine ältere, blutüberströmte Frau, die sofort einen der Polizisten attackiert und durch einen Biss in den Hals verletzt. Bei dem Versuch, den schwer verletzten Polizisten aus dem Gebäude zu schaffen, bemerkt das Rettungsteam, dass inzwischen das komplette Gebäude vom Militär hermetisch abgeriegelt und umstellt wurde. Ein Verlassen ist nicht mehr möglich und die Infektion breitet sich unter den Anwesenden unaufhaltsam aus.

Die Jagd beginnt

Neben den beiden eben erwähnten ästhetischen Stilmitteln nehme man noch etwas Exorzismus und eine kleine Prise Zombiefilm und erhält aus all diesen Zutaten schließlich die spanische Produktion [REC]. Zusätzlich zum bis dahin noch sehr ungewöhnlichen Stil, zeichnet die erste gemeinsame Arbeit von Jaume Balagueró und Paco Plaza eine weitere Besonderheit aus. Die Dreharbeiten zu [REC] wurden in chronologischer Reihenfolge durchgeführt, was in der Regel bei Filmproduktionen nur in Ausnahmefällen passiert. Die Darsteller bekamen zu keiner Zeit das gesamte Drehbuch zu sehen, nur so viel, wie für die nächste Szene erforderlich war. Das erzeugte eine gewisse Grundnervosität bei jedem Einzelnen, ob sie das Ende des Films überhaupt erleben würden. Der Moment, als der Feuerwehrmann Alex (David Vert) im Treppenhaus tödlich verunglückt, geschah, ohne die restlichen Darsteller darüber zu informieren. Der Aufprall des Körpers und der danach erfolgte Schock ist nicht gespielt, sondern echt. Außerdem gab es keinerlei Filmsets, alles wurde an realen Orten gedreht. Dass die Protagonisten in [REC] nicht gegen Zombies kämpfen, wird schnell deutlich. Es handelt sich um einen Virus, der Ähnlichkeiten mit einer Besessenheit zeigt und die vollständige Kontrolle über seinen Wirt erlangt. Er verwandelt die Menschen in schnelle und äußerst blutrünstige Bestien. Die einzige Ähnlichkeit zu den Untoten ist der hochinfektiöse Biss, der das Opfer in kürzester Zeit zu einem der ihren macht.

Und dann gibt es ja noch den Dachboden. Das Ding dort oben erinnert sehr an den Dämon im Keller aus TANZ DER TEUFEL (1981), wie auch der Virus und weitere Punkte starke Reminiszenzen an Sam Raimis Meisterwerk wecken. Zudem macht der Ablauf mehr als deutlich klar, dass diesmal nicht das Böse im Keller (Hölle) lauert, wie so oft in diesem Genre, sondern unter dem Dach (Himmel). Das ganze Gebäude mit seinen dunklen, unübersichtlichen Wohnungen ist wie ein großes Labyrinth, gespickt mit mörderischen Fallen auf dem steinigen Weg zur vermeintlichen Sicherheit – Erlösung. Dort finden sich dann unzählige Zeitungsartikel sowie medizinische Unterlagen, ein Tonbandgerät, aus dem die Reporter erfahren, dass in der Dachgeschosswohnung ein Mitarbeiter des Vatikans wohnt. Dieser Mitarbeiter betrieb umfangreiche Forschungen nach diesem Virus, der womöglich als biologische Ursache für das Phänomen der Besessenheit verantwortlich sein könnte. Bei einem portugiesischen Mädchen wurde dieser Virus das erste Mal entdeckt. Der unbekannte Mann entführte das Mädchen und brachte sie an diesen Ort, um in Ruhe an einem Impfstoff zu arbeiten. Doch das Virus mutierte, der Mann floh und ließ alles zurück.

Der besondere Blick

Fremdenhass und Misstrauen gegenüber anderen, unbekannten Kulturen findet in [REC] vor allem gegenüber den asiatischen Bewohnern statt, als es darum geht, den Ursprung der Seuche zu lokalisieren. Viel ausgeprägter sind dagegen das Misstrauen und die unverhohlene Kritik gegen staatliche Vertreter, die in Gestalt von Polizei und Feuerwehr auf den Plan treten. Ein gemeinsames rotes Tuch haben jedoch alle in der Gestalt der Presse gefunden, was sich sehr schnell in einer äußerst aggressiven Haltung darstellt und immer wieder lautstark kommuniziert wird. Eines haben jedoch alle gemeinsam: Sie stolpern panisch und hilflos durch das Gebäude auf der Suche nach Rettung. Jeder versagt in seinem hoffnungslosen Bemühen den eingeschlossenen Menschen zu helfen. Gerade diese Spannungen innerhalb der bunten Gruppe feuert die beklemmende Atmosphäre zusätzlich an.

Die ungewöhnliche Perspektive der Kamera, der sogenannte Point-of-View-Shot, wird konsequent bis zum Finale beibehalten. Er erschafft das künstliche Fenster in diese uns fremde Welt, damit wir aus sicherer Distanz das schreckliche Geschehen verfolgen können. Wir als Zuschauer stecken quasi in Pablo dem Kameramann. Er ist unser Avatar. So verwundert es nicht, wenn wir im letzten Drittel des Films die visuelle Performance eines Ego-Shooters erreichen. Es fehlt letztendlich nur noch die Waffe. Gerade in den dunklen Wohnungen und dem engen Treppenhaus, wenn die Action am größten ist, erreicht diese Ich-Perspektive ihren Höhepunkt. Am Ende flimmert uns das gleiche, hoffnungslose Szenario entgegen, dass wir schon in Zack Snyders Remake DAWN OF THE DEAD (2004), als Reminiszenz an das Vorbild BLAIR WITCH PROJECT, bekommen haben: der letzte hilflose Blick durch die Linse auf das, was dort im dunklen vor sich geht. Trotz der Tatsache, dass es sich „nur“ um einen Film handelt, entwickelt die Pseudo-Doku einen Sog, der den Betrachter auch heute noch gnadenlos mit sich reist, mitten ins schwärzeste Herz der Finsternis. Nur um ihn dort mit seinen schlimmsten Ängsten zu konfrontieren.

Während [REC] 2 (2009) wenige Minuten nach dem Ende von [REC] startet und die Story konsequent fortführt, wird in [REC] 3: GENESIS (2012) eine Parallelhandlung am anderen Ende der Stadt etabliert. Auf einer Hochzeitsfeier befindet sich der angesprochene Tierarzt aus Teil eins, der den infizierten Hund untersuchte. Er schleppt das Virus ein und sorgt für einen weiteren Ausbruch. Der bisher letzte Teil der Reihe ist [REC] 4: APOCALYPSE (2014), der wiederum die Handlung des zweiten Teiles fortführt und ganz ohne Point-of-View-Shot auskommt. Die voyeuristischen Neigungen werden hier durch unzählige Überwachungskameras befriedigt.

Titel, Cast und Crew[REC] (2007)
Poster
RegisseurJaume Balagueró
Paco Plaza
Releaseseit dem 17.11.2008 auf Blu-ray und DVD

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Trailer
BesetzungManuela Velasco (Ángela)
Ferran Terraza (Manu)
Jorge-Yaman Serrano (Joven)
Pablo Rosso (Pablo)
David Vert (Álex)
Vicente Gil (Adulto)
DrehbuchJaume Balagueró
Luiso Berdejo
Paco Plaza
KameraPablo Rosso
SchnittDavid Gallart
Filmlänge78 Minuten
FSKab 18 Jahren

 

Quarantäne (2008)

Über Sinn und Unsinn eines Remakes lässt sich lange und ausführlich Streiten. Es gibt einige wenige gute und ganz viele schlechte bis grauenhafte (wie wir in den letzten Monaten ausführlich feststellen konnten). Aber worin besteht der Mehrwert bei einem 1:1 Remake, das, bis auf ein paar unwesentliche Kleinigkeiten, die Story und den Ablauf lediglich wiederholt? Eigentlich ist die Bezeichnung Remake schon falsch, es sollte stattdessen als Kopie oder Wiederholung gebrandmarkt werden. Der einzige ersichtliche Sinn darin ist, den aktuellen Trend auszunutzen und dem Kinogänger noch ein paar Extragroschen aus der Tasche zu ziehen. Das sogenannte Remake von John Erick Dowdle hat geschätzte 12 Millionen US-Dollar verbrannt. Im Vergleich zur spanischen Produktion, die gerade mal 1,5 Millionen US-Dollar benötigte. Bis heute ist mir unklar wieso Dowdle sich auf diesen Unsinn eingelassen hat. Denn, dass er Filme machen kann, hat er mehrfach unter Beweis gestellt: DEVIL: FAHRSTUHL ZUR HÖLLE (DEVIL, 2010), KATAKOMBEN (AS ABOVE, SO BELOW, 2014) oder auch NO ESCAPE (2015).

Wie schon erwähnt ist der Ablauf von QUARANTÄNE eine Kopie des spanischen Originals [REC] (2007) und wird hier nicht noch einmal wiederholt. Der auffälligste Unterschied ist der Fahrstuhl im Gebäude, ansonsten sind die restlichen Kulissen identisch, was aber keinen Einfluss auf den Verlauf der Story hat. Kameraeinstellungen und Belichtung sind dem des Originals ebenfalls ähnlich.

Einige für die Story unwesentliche Unterschiede im Verhalten der handelnden Akteure vor Ort gibt es, die dem geneigten Zuschauer ins Auge springen dürften. Sofort nach dem Eintreffen im Haus sind die Spannungen und das Misstrauen der Bewohner untereinander spürbar, offene Konfrontationen treten im Minutentakt auf. Der Rassismus wird hier als Schutzschild offen zur Schau getragen, die Maske der angeblichen Zivilisation ist schnell zerrissen und das wahre Gesicht des modernen Menschen kommt zum Vorschein. Auch von „political correctness“ kann nicht die Rede sein und der Fremde, der Außenseiter, der Ausländer wird umgehend als schuldig gebrandmarkt. Hinzu kommt auch hier, das angeborene Misstrauen gegenüber den Pressevertretern, das jedoch mehr als Karikatur oder Zerrbild auftritt. Die Feuerwehr dagegen wird als ein Haufen sexgeiler Typen dargestellt, die nur darauf aus sind, die Reporterin so schnell wie möglich flachzulegen. Das tief sitzende Misstrauen gegen staatliche Vertreter wie der Polizei ist ein Abbild der aktuellen Situation in den USA. Wie im echten Leben sitzt auch hier die Waffe der Polizisten sehr locker und der moralische Kompass ist vorübergehend außer Betrieb.

Marginale Unterschiede

Ob die hier dargestellte Gewalt etwas härter und direkter ist als bei der spanischen Urfassung, muss jeder für sich entscheiden. Durch das ganze Gewackel mit der Kamera, dass hier viel stärker ausfällt, ist nur sehr wenig zu erkennen. Die Reaktionen der einzelnen Akteure, gerade zu Beginn der Katastrophe, sind relativ gefasst. Beispielsweise wenn der Feuerwehrmann durch das Treppenhaus stürzt – von echter Panik und Angst sind wir hier weit entfernt. Ein wesentlicher Unterschied findet sich in der Begründung der tödlichen Seuche: Der unbekannte Bewohner des Dachgeschosses ist diesmal kein Mitarbeiter des Vatikans. Dafür ist er wohl in ein Labor für chemische Waffen eingebrochen (scheint sehr einfach zu sein in den USA) und hat sich dort einen tollwut-ähnlichen Virus besorgt. Die ganzen Hinweise deuten mehr auf eine terroristische Zelle oder ähnlichem hin. Das Wesen auf dem Dachboden könnte evtl. ein Junge sein, aber näher wird nicht darauf eingegangen.

Eigenständige Interpretationsansätze gehen dem sogenannten Remake vollkommen ab. Besser machte es da schon die Fortsetzung QUARANTÄNE 2: TERMINAL (2011). Sie hat wesentlich mehr zu bieten und punktet mit einer eigenen Story und ganz neuen Ansätzen. Sein Regiedebüt gab hier John Pogue, der hauptsächlich als Drehbuchautor, AUF DER JAGD (U.S. MARSHALS, 1998) und GHOST SHIP (2002), sowie als Produzent in Erscheinung getreten ist. Dort erfahren wir etwas mehr über den mysteriösen Bewohner des Dachgeschossapartments. Wie schon im Vorgänger erhaschen wir auch in seiner Fortsetzung einen letzten Blick durch eine Linse, diesmal ist es aber ein am Boden liegendes Nachtsichtgerät des Militärs.

Fazit

[REC]: Eine Spirale aus Angst, Blut und Klaustrophobie bannt den Zuschauer in seinen Kinosessel. Es bleiben nur einige wenige Momente zum Durchatmen, ehe die erdrückende Spannung mit eiskalten Krallen zupackt. Mit einfachsten Mitteln und einer grandiosen Kombination von Licht- und Schatteneffekten erzeugen die beiden Spanier Balagueró und Plaza eine verstörende Atmosphäre, die seinesgleichen sucht. Das schreckliche Finale auf dem stockfinsteren Dachboden ist eines der Gruseligsten, die das Horror-Genre zu bieten hat.

QUARANTÄNE: Rechtfertigen minimale Unterschiede der politischen Situation in den USA ein Remake dieser Art? Reicht es aus, Terroristen und Rassismus in den Vordergrund zu rücken? Einen Mehrwert für den Zuschauer ist in meinen Augen darin nicht zu finden. Stattdessen dokumentiert es wunderbar die Einfallslosigkeit und die nackte, fast schon panische Angst vor neuen Ideen, die Hollywood seit vielen Jahren befallen hat. Viel lieber wird der kalte Kaffee erneut aufgewärmt, solange sich jemand findet, der dafür die Rechnung bezahlt.

Gesehen im Zuge meiner #FluxHorrorfilmRemakes-Filmchallenge

© Stefan F.

Titel, Cast und CrewQuarantäne (2008)
OT: Quarantine
Poster
RegisseurJohn Erick Dowdle
Releaseab dem 07.05.2009 auf Blu-ray und DVD

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Trailer
BesetzungJennifer Carpenter (Angela Vidal)
Steve Harris (Scott Percival)
Jay Hernandez (Jake)
Johnathon Schaech (George Fletcher)
Columbus Short (Danny Wilensky)
Andrew Fiscella (James McCreedy)
DrehbuchJohn Erick Dowdle
Drew Dowdle
KameraKen Seng
SchnittElliot Greenberg
Filmlänge89 Minuten
FSKab 16 Jahren

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