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Promising Young Woman (2020) – Filmkritik

Der typische Rache- und Vergeltungsstreifen ist stets in Männerhand, obwohl meist Opfer und Racheengel eine Frau ist. Abgesehen vom geradlinigen REVENGE (Regie: Coralie Fargeat, 2017) sind die Geschichten von Männern inszeniert wie auch geschrieben. Vielleicht laufen sie auch deswegen nach bekannten Schemata ab. Endlich gibt es erlösende neue Perspektiven im Opfer-Rache-Muster, was Regisseurin und Drehbuchautorin Emerald Fennell, ihrer Hauptdarstellerin Carey Mulligan, aber auch Schauspielerin Margot Robbie auf Produktionsseite zu verdanken ist. Es klingt nach einer Abrechnung mit den Männern. Die Kerle sollen in PROMISING YOUNG WOMAN nun endlich die Quittung für ihren Status, ihr Ausnutzen und ihre Machtausübung bekommen. Die Hauptfigur Cassie zeigt hier ihr Handwerk mit Verstand und vor allem den Mitteln der Kommunikation. Der Thriller-Krimi ist eine quietschbunte Vendetta mit romantischem Mittelteil und einem extrem mutigen Ende, was leider wegen einem nachgeschobenen Mainstream-Ende total fehlschlägt. Aber darauf kommen wir noch zu sprechen.

PROMISING YOUNG WOMAN (2020)
© Universal Pictures

Handlung

In schummrigen Clubs spielt Cassandra Thomas (Carey Mulligan) die Betrunkene. Wie eine Venusfliegenfalle lockt sie mit ihren langen Beinen und einem vorgetäuschten dämmrigen Bewusstsein notgeile Männer an, die eine leichte Nummer wittern. Die geben meist den Helfer, füllen aber dann noch mehr Alkohol in Cassie rein, um sie hilflos für sexuelle Gefälligkeiten zu nutzen. Cassandra ist aber äußerst trinkfest und kurz vorm Schuss konfrontiert sie die grabschenden Typen mit ihrer räudigen Taktik der Vergewaltigung. Cassie bringt schon seit Monaten solchen Typen den Schrecken bei, arbeitet tagsüber in einem Coffee Shop und lebt bei ihren Eltern. Bis eines Tages Ryan (Bo Burnham) in ihren Laden stolpert und als ehemaliger Kommilitone eine direkte Verbindung zu den Menschen darstellt, die für das Schicksal ihrer besten Freundin Nina im Medizinstudium verantwortlich waren. Ryan ist aber direkt auf ihrer Wellenlänge und deswegen wird die biblische Rache erstmal auf Eis gelegt.

PROMISING YOUNG WOMAN (2020)
© Universal Pictures

Zum Brechen

Visuell hätte alles anders kommen können. PROMISING YOUNG WOMAN hätte dreckig, knallhart und nihilistisch bis ins Knochenmark sein können. Ist der Film aber nicht, er ist knallbunt, glossy und stellenweise witzig-romantisch. Das passt zur amerikanischen Oberflächlichkeit mit weißen Gartenzäunen, Plüschteppichen und Kronleuchtern. In dieser glänzenden Bilderwelt wandelt Carey Mulligan wie ein Chamäleon von der braven Tochter, über die Abschleppbraut bis zur bissigen Serviceangestellten. Unweigerlich stellt man sich während des Films die Frage, ob eine solch schöne Glamourwelt im Stile der aktuellen Teenager-Serien themennah ist. Soll sie nicht sein, denn der Schrecken der unbestraften Vergewaltigung wird unter Tonnen aus Glitzer, Make-up und Darling-Geschwafel begraben.

© Universal Pictures

Umso befreiender ist es, wenn die Hauptfigur die Wahrheit anspricht, die Vertuscher zu Rede stellt und den Sadisten auf den Zahn fühlt. Das Spektrum wird popkulturell in vier Kapiteln aufgearbeitet und hier kann man erahnen, welche Dunkelziffern für solche Übergriffe zutreffen. Und wo könnte so etwas besser gedeihen als in den scheinmoralischen USA. Deswegen ist PROMISING YOUNG WOMAN keine brutale, blutige Tour de Force, sondern anstrengend wegen der scheinheiligen Typen, die immer auf Beutejagd sind, um es ihren Kumpels unter die Nase zu reiben, was für potente und harte Hunde sie sind. So muss man auch unweigerlich gegen den eigenen Würgereflex ankämpfen, wenn wieder die Wahrheit verschwiegen oder ein Typ seine klebrigen Finger nicht bei sich behalten kann. Der Gentleman ist nur noch eine Phrase aus der neusten Bagger-Taktik.

© Universal Pictures

Pro

Carey Mulligan ist eine Wucht in diesem Film und zeigt wieder einmal, dass sie zu den besten Darstellerinnen ihrer Zeit gehört. Selbst Kameramann Benjamin Kracun ist ganz verzückt von ihr und findet immer die schönsten Rahmen für ihr Antlitz. Die Handlung wandert auch ganz luftig leicht zu einer süßen RomCom, die etwas zu perfekt geschriebene Dialoge bereithält, aber nette Abwechslung vom harten Thema ist. Hinzukommen immer wieder die fein nuancierten Bilder, wie die Menschen in einer Wohlstandsgesellschaft mit ihren künstlichen Abbildern funktionieren. Ohne zu viel verraten zu wollen, kommt das Drehbuch mit einem der mutigsten Filmenden-Entschlüsse im Mainstreamkino mit einem Schlag um die Ecke, dass man seinen Augen nicht traut. Leider wird der kreative Kniff durch Angst vor Missfallen beim noch verwirrt ungläubig lächelnden Publikum, dem schon in den ersten zwei Dritteln Zuckerguss ums Mündchen geschmiert wurde, mit einem hinterhergeschobenen Gerechtigkeits-Ende verunglimpft.

PROMISING YOUNG WOMAN (2020)
© Universal Pictures

Contra

Ein ganzer Film kann zerstört werden, wenn man mit einem genialen Ende vor der Nase wedelt und aus Angst vor Missfallen alles in ein „Wird-Schon-Alles-Gut-Gehen“ auflöst. Vor allem, wenn die Grundthematik, das Verdrängen von unbestraften Misshandlungen, uns Zuschauern auf der Leinwand dargeboten wird. Wir selbst werden in die Position der Augenzeugen gerückt, zum Mut einer Anzeige ermuntert. Doch dann schaltet die Hollywood-Produktion auf Autopiloten und übernimmt den Rest. Erst jetzt fällt auf, wie wenig sich die Figuren in PROMISING YOUNG WOMAN verändern. Eines der wichtigsten Konzepte im Erzählen ist es, den fiktiven Persönlichkeiten eine charakterliche Entwicklung angedeihen zu lassen und damit auch neue Perspektiven bei den Rezipienten zu schaffen. Da sich hier keine Figur hinterfragt und weiterentwickelt, macht es das Opfer am Ende sinnlos und völlig überflüssig.

© Universal Pictures

Fazit

Schwer nachzuvollziehen, wie der OSCAR für das besten Drehbuch 2021 an PROMISING YOUNG WOMAN gehen konnte. Vielleicht haben alle Juroren die letzten fünf Minuten nicht gesehen. Ein exzellenter Beweis, wie ein wunderbarer Film mit einem Bittsteller-Ende an das Wohlgefühl seiner Zuschauer seine ganze künstlerische Integrität verlieren kann. Ob der Film herausfordert oder als gedankenlose Abendunterhaltung verbucht wird, ist hier umso mehr vom individuellen Betrachter abhängig.

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewPromising Young Woman (2020)
Poster
RegisseurEmerald Fennell
ReleaseKinostart: 19.08.2021
ab dem 18.11.2021 auf Blu-ray und DVD

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Trailer
BesetzungCarey Mulligan (Cassandra)
Bo Burnham (Ryan)
Connie Britto (Dean Walker)
Adam Brod (Jerry)
Ray Nicholson (Jim)
Sam Richardson (Paul)
Timothy E. Goodwin (Monty)
Clancy Brown (Stanley)
Jennifer Coolidge (Susan)
Laverne Cox (Gail)
Alli Hart (Ruby)
Loren Paul (Jeff)
Christopher Mintz-Plasse (Neil)
Alison Brie (Madison)
DrehbuchEmerald Fennell
FilmmusikAnthony Willis
KameraBenjamin Kracun
SchnittFrédéric Thoraval
Filmlänge113 Minuten
FSKAb 16 Jahren

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