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Priscilla (2023) – Filmkritik

„Im goldenen Käfig“

Kunst sollte man vom Künstler oder der Künstlerin trennen. Eine Sichtweise, der man ruhig folgen kann, wenn man am Werk an sich interessiert ist. Wenn es jedoch um die Persönlichkeit hinter den Werken geht, darf man gern an den Idolen rütteln und nach Kratzern suchen. Dem „King of Rock ’n‘ Roll“ kommen wir mit der Filmbiografie PRISCILLA besonders nah, näher als es uns lieb ist. Denn wir werden zusammen mit Ehefrau Priscilla Presley in sein christliches und chauvinistisches Verständnis von Familie eingesperrt, unserer Freiheiten beraubt und von seinem Ruhm geblendet. Das alles, ohne dass die Regisseurin Sofia Coppola den Fokus zu sehr auf Elvis legt. Der Film schenkt sein Herz der jungen Priscilla, die früh zu ihrer eigenen Stärke und Emanzipation finden musste.

© A24 Distribution, LLC

Handlung

Ein US-Stützpunkt in Westdeutschland Ende der 1950er Jahre: Der jungen Priscilla (Cailee Spaeny) mangelt es an nichts gegenüber den Mädchen in ihrem Heimatland. Die amerikanischen Streitkräfte sorgen dafür, dass den Familien der stationierten Soldaten nichts an amerikanischem Lebensstil fehlt. Häuser, Schulen und Autos, alles wird importiert. In typischen Diners gibt es Coca-Cola, Milchshakes und Pie. Doch diese kulturelle Insel in der Mitte Europas wirkt auf eine junge Teenagerin noch viel mehr wie ein Gefängnis. An einem Nachmittag fragt ein Soldat, ob sie nicht Elvis Presley (Jacob Elordi) kennenlernen will, er kennt ihn und sie gehen auf die gleichen Partys. Nach kurzer Überredung der Eltern von Prescilla, denn sie ist erst 15 Jahre alt, darf sie hingehen und lernt die wehrdienstleistende Rocklegende am Anfang ihrer Karriere kennen. Sie verknallt sich hoffnungslos in ihn und er muss bald wieder zurück in die Staaten, Karriere machen. Beide scheinen füreinander bestimmt, aber vielleicht bestimmt nur einer die Beziehung.

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Die Regisseurin

PRISCILLLA ist ein leiser und intensiver Film. Die Regisseurin fühlt sich in solchen Stimmungen am wohlsten. Sofia Coppola gehört zu den Regisseurinnen und Regisseuren mit einer starken inszenatorischen Handschrift. Ihre Hauptfiguren sind meist Gefangene an sehr luxuriösen Orten: das Hyatt Hotel in Tokyo (LOST IN TRANSLATION), das Chateau Marmot in L.A. (SOMEWHERE) oder das Schloss Versailles in Frankreich (MARIE ANTOINETTE). Coppola erzählt in solch edlen Räumen von der Langweile, von der Freizeit und vom aufkeimenden Verlangen daraus auszubrechen. In THE VIRGIN SUICIDES gelingt der Ausbruch aus den gesellschaftlichen und familiären Zwängen nur durch den titelgebenden Suizid. Bei PRISCILLA ist es eine sich steigernde Katharsis von Priscilla, der man beiwohnt. In der, ebenfalls typisch für die Regisseurin, feinen stilvollen Heimeligkeit – in diesem Fall Graceland – erleben wir, welchen Zwang Luxus und Liebe haben können.

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Liebe oder Verlangen?

Von einer gleichberechtigten Liebe ist diese Geschichte weit entfernt. Schon zu Beginn kommt einem das „Einladen“ des Freundes von Elvis wie Zuhälterei vor. Die Eltern versuchen ihr Schulmädchen zur Vernunft zu bewegen, doch gegen einen Prominenten dieser Größenordnung, noch dazu mit familiär geführtem Business, haben sie keine Chance. Ein paar Anrufe und ein First-Class-Flugticket später ist es bereits um sie geschehen. Auch wenn Elvis sein religiöses Gebot einhält und Sex erst nach der Hochzeit zum Thema wird, nutzt er früh jede Chance seines Einflusses. Eine junge Frau so dermaßen an den eigenen Geschmack und die eigenen Vorstellungen zu binden, macht uns immer wütender. Aber man muss Rücksicht walten lassen, nicht mit Elvis, aber mit Priscilla, die jung und unerfahren, manipuliert wird.

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Die Wiederholungen der Rituale, das Fremdgehen, die Konzerttourneen ohne Frauen und das ständige Ausgehen von Elvis mit seiner maskulinen Entourage unterstreichen noch viel mehr, welche Möglichkeiten Priscilla verwehrt bleiben. Ihre Aufgabe ist klar: Gut aussehen, keine Verantwortung übernehmen und später Kinder in die Welt setzen. Was Elvis an Modernität für die Musikwelt bedeutet, so stark lebt er in seinem familiären Patriarchat in der Vergangenheit. Und das sind nur die offensichtlichen Kritiken, die neben dem umherwabernden Rauch der Pädophilie zu erkennen sind. Umso besser ist es, dass PRISCILLA mit der Szene endet, die man sich bereits viele Momente vorher herbeiwünschte. Das macht dem Publikum aber umso klarer, welche gesellschaftlichen Veränderungen in den letzten 60 Jahren erreicht wurden und wie viele mehr es hoffentlich noch geben wird. Gerade in diesem zukunftsorientierten Aspekt wirkt der Film stärker nach als erwartet.

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Die Musik

Die Soundtracks von Sofia-Coppala-Filmen sind immer etwas Besonderes: Air, New Order, Phoenix, Kiss oder The Radio Dept. Das gilt auch für PRISCILLA. Elvis ist nur zu Beginn kurz am Klavier zu hören, quasi als Erkennungsmerkmal, dann hört man ihn nie wieder. Diese Show gehört der Lady. Es gibt die Ramones, Frankie Avalon, Spectrum oder The Little Dippers. Stilbewusst erklingen Songs der Zeit, aber auch elektronische Stimmungsmacher und Sofias Haus-und-Hof-Band Phoenix. Was dem Film an Empathie fehlt, gleicht der Soundtrack aus und dass kein einziger Elvis-Presley-Song dabei ist, macht die Anklage umso stärker.

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Fazit

14 Jahre einer Beziehung zwischen einem jungen Mädchen und einer Musikikone, PRISCILLA ist die Emanzipation der Frau in ganz kleinen Schritten und am Ende mit einem tiefen Durchatmen von Freiheit. Sofia Coppolas Filme sind immer im Dazwischen angesiedelt, hier ist es jedoch viel intensiver zu spüren, intensiver als eine ganze Musikkarriere.

© Christoph Müller

 

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