„Biss in den schwarzen Pfirsich“
Am 21.04.2016 hat es im April geschneit. Dies passiere manchmal, hat uns ein gewisser Christopher Tracy 1986 in betörendem Schwarzweiß verraten. Das The Purple One damit aber ausgerechnet seinen eigenen Tod 30 Jahre verfrüht poetisiert hatte, das haben wir eher nicht gewollt. Und 2016 war ja wirklich ein bedauernswertes Jahr, nahm es uns doch mit David Bowie und eben Prince zwei der facettenreichsten, energetischten und, ganz platt geschrieben, größten Künstler des Jahrhunderts, vielleicht sogar aller Zeiten. Der Unsterbliche und The Purple One nicht mehr auf diesem Planteten, dies würde gewiss musikalisch eine triste Zeit werden. Zum Glück verfügten beide testamentarisch über einen Fünf-Jahres-Releaseplan nach ihrem Tode, der für Fans manch verlorengeglaubten Schatz bereithielt. Im Falle von Prince waren das zahlreiche Live-Mitschnitte (Lauschtipp im Besonderen: The Piano and Microphone Tour) und Deluxe Editionen (bisher) dreier definierender Alben: Purple Rain, 1999 und kürzlich, im Oktober 2020, Sign “O“ the Times, welches unter Fans und Kritikern gemeinhin als mit größter künstlerischer Wurf des Ausnahmetalents gilt. Also, jetzt neben all den anderen großartigen Alben. Passend dazu erscheint nun von Turbine Medien der dazugehörige Konzertfilm. Und wenn nicht die Talking Heads mit STOP MAKING SENSE diesen Platz bekleiden würden, dann würde man diesen wohl als das beste abgefilmte Konzert aller Zeiten bezeichnen.
Prince hatte sich schon zuvor im Medium Film ausgetobt, gepriesen in PURPLE RAIN (1984) und kopfbeschüttelt in UNDER THE CHERRY MOON (1986) (der eine unbedingte Wiederentdeckung wert ist). Ein wenig vom irritierenden Faktum der Schwarzweiß-Idiosynkrasie hat sich auch in SIGN “O“ THE TIMES gerettet, so ist die elektrisierende Konzertperformance in eine, nennen wir es mal nett, Rahmenhandlung gebunden, in der eine Dreiecksbeziehung zwischen Prince, Cat Glover und Greg Brooks mehr angedeutet als erzählt wird. Das Ganze findet in einer PURPLE RAIN nachempfundenen Nachtclubhinterhofwelt statt. Blaue und rote Neonlichter verheißen schnelle Liebe und käufliche Geborgenheit. Hier könnte auch gut ein Jörg Fauser oder Michael Mann Protagonist seinen halbseidenen Geschäften nachgehen, nichts müsste umdekoriert werden. Aber Prince nutzt diese absolut aseptisch-kühle Kulisse lieber, um 80 Minuten pure Ekstase und Lebensfreude abzufeuern. Denn wenn nach dem Eingangsdialog, der, wenn man denn bürgerlich-kultursnobistisch so möchte, das Vorspiel auf dem Theater Goethes parodiert, dieser unvergessliche Synthie-Beat des Titel-Liedes in vollkommener Dunkelheit einsetzt und die Lichter angehen und Prince da überlebensgroß auf der Bühne steht, dann ist das auch 33 Jahre nach Erstveröffentlichung ein Gänsehautmoment der Extraklasse.
„Oh yeah!“, treffender können die ersten Worte eines Songs die Wirkung beim Hören nicht beschreiben und auf den Punkt bringen, Prince wusste eben, was er da tut. Und schon ist das Vorhaben, einen wie auch immer gearteten analytischen Text zu schreiben, dahin und man ergeht sich in der puren Leidenschaft und dem Funk, den dieser Song immer wieder auslöst. Obwohl es ja eigentlich ziemlich düster ist, was der Mann da im Stile eines sardonischen Nachrichtensprechers vor sich hin, darf man sagen, rappt. Wir erfahren von AIDS, von der Challenger-Katastrophe und drogensüchtigen Verwandten. Präsentiert als zum Tanze geradezu befehlende Funk-Pop-Rap Symbiose. Sign O the times eben.
Aus dem Tanzen kommt man auch erstmal nicht mehr raus, denn als nächstes folgen die beiden Überhits Play in the Sunshine (hinreißendes Solo von Drummerin Sheila E.) und Little Red Corvette (schlich sich aus 1999 ins Konzert, Prince demonstriert seine Klavierkünste) und auch der vom filmtitelgebende Banger Housequake (Prince voll in seinem Element mit durchgedrehten Tanzeinlagen, hinreißend: Der Mikrofontanz) heizt ordentlich rein. Zwischenschnitte auf die ebenso ausgeflippte Band und wer beim Anblick der Nonnenkutten tragenden Saxophonspieler nicht in ein breites ekstatisches Grinsen ausbricht, ja wer grundsätzlich jetzt noch auf seinem Stuhl ist, dem ist wohl auch nicht mehr helfen.
Programmatisch können wir, das Publikum auf und vor dem Bildschirm, erstmal ein wenig runterkommen, wenn daran erinnert, warum er eben auch ein Sexsymbol war und unfassbar erotisch-getragen Slow Love zum Besten gibt. Durchatmungspause für ein bisschen Handlungsprogression, aber ganz ehrlich, deshalb sind wir nicht hier. Zum Glück läuft dann auch recht bald I Could Never Take The Place Of Your Man über die Tonspur (mit dieser absoluten Trompete/Saxophon Ohrwurm Melodie). Auf erwartbar hohem Niveau folgen Hot Thing (was Prince und Cat Glover hier veranstalten, darf wohl ohne Untertreibung zum heißesten gezählt werden, was jemals auf einer Konzertbühne zu sehen war), Now’s The Time, U Got The Look (man präsentiert das Originalmusikvideo, in charmant abgeschrabbelter VHS-Qualität) If I Was Your Girlfriend (das als Albumsingleauskopplung eher scheiterte, mit seiner kinky Romantik aber zu den bezauberndsten Tracks seiner Kariere zählt. Zudem weiterer Gänsehautmoment: Das nur noch als Feuerzeuglichtermeer erkennbare Publikum summt die Melodie). Und dann, ja dann ertönt Forever In My Life, eine Liebeserklärung an Susannah Melvoin, dessen Intensität wohl nur noch von der Queen Rio Performance von Love Of My Life übertroffen wird. Prince, vom Spotlight angestrahlt als eine Art Liebesengel im New-York-Kink-Outfit, wieder so ein Bild für die Ewigkeit.
Als ob wir es selbst noch nicht wüssten, verspricht uns Prince im Freddie Mercury Gedächtnisoutfit mit dem nächsten Song: It’s Gonna Be A Beautiful Night (meint er damit vielleicht eines seiner sagenumwobenden After-Show-Konzerte, bei denen Gerüchten zufolge Miles Davis für ein zehnminütiges Gastspiel auftrat?). Hier nimmt The Purple One sogar selbst hinterm Schlagzeug Platz, um Cat Glover den Spot am Mikro zu überlassen. „Will jemand nach Hause?“, fragt er provokant in die Menge:
„Well, then, fuck it, let’s party“
und die gesamte Bühnenbesetzung spielt sich zu einem aberwitzigen letzten Hurrah des Abends auf, dass mit The Cross und einer Instrumentalversion von Sign O The Times derart in Euphorie versetzt, dass man nur noch seinen Mantel schnappen will und raus will, in die Nacht, feiern, sich verschwenden und ein bisschen drauf, vielleicht auch drüber sein, es wird ja eine Beautiful Night, Prince hat es versprochen.
Dann kommt die Melancholie. Prince fehlt, unfassbar doll. Zum Glück hat er uns seine Musik hinterlassen, seine Filme und seine Weisheiten. Und es berührt seltsam zu wissen, dass Prince kurz nach Veröffentlichung von SIGN “O“ THE TIMES von einem religiösen Wahn besessen wurde, der ihm einredete, aus seinem nächsten Album, The Black Album, spräche der Teufel zur Welt.
Aber fuck it, let’s party. Mit dem Konzertfilm SIGN “O“ THE TIMES, dessen physischer Träger in jede gut sortierte Filmsammlung gehört, ist das jetzt auch auf ewig möglich. Wer nach dem Film noch nicht genug hat, findet auf der Turbine-Veröffentlichung eine liebevolle Dokumentation, in der die Bandmitglieder zu Wort kommen, einen fundierten Audiokommentar von Calum Waddel und Naomi Holwill (The Peach and Black Podcast) und einen Anniversary Trailer. Für weitere Hintergrundinfos und Anekdoten sei die Oktober-Ausgabe des Rolling Stone empfohlen, der Prince anlässlich der Deluxe-Veröffentlichung von Sign “O“ The Times eine Titelgeschichte widmete.
Kurzum: SIGN “O“ THE TIMES ist ein Meisterwerk. Und nach STOP MAKING SENSE der beste Konzertfilm aller Zeiten. Wird jetzt mal provokant im Raum stehen gelassen.
Titel, Cast und Crew | Prince - Sign O' the Times (1987) |
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Poster | |
Regisseur | Prince |
Release | ab dem 25.09.2020 Blu-ray und DVD oder seit dem 13.12.2019 im Mediabook (Blu-ray und DVD) Ihr wollt den Film bei Amazon kaufen? Dann geht über unseren Treibstoff-Link: |
Trailer | |
Kamera | Peter Sinclair |
Schnitt | Steve Purcell |
Filmlänge | 85 Minuten |
FSK | ab 12 Jahren |