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Porno (2019) – Filmkritik

„Kino wird zum Höllentor“

Manchmal ist der Film, den wir nicht gesehen haben, besser als der, der gezeigt wurde. Der gesehene Film kann also als Inspiration für den Film dienen, den wir eigentlich sehen wollten. Ein solcher Wunschfilm ist PORNO geworden.

An der Seite eines ambitionierten Horrorfilms schauen wir hinter die Leinwand eines lustfeindlichen Amerikas und blicken mitten in die puritanische Seele Hollywoods.

Die Handlung

Noch vor dem ersten Bild löst zumindest die Tonebene das Versprechen des provokanten Filmtitels durch lautes Stöhnen ein. Daraufhin sehen wir ein leidenschaftliches Paar, dass sich bei offenem Fenster einem ekstatischen Höhepunkt entgegenvögelt. Verlegen erregt, beobachtet der schüchterne Highschool-Schüler Abe (Evan Daves) seine liebestollen Nachbarn. Leider kann er nicht bis zum entscheidenden Moment des lautstarken Liebesaktes bleiben. Und auch der Zuschauer bekommt hier nicht mehr zu sehen als es ein Post-70er-Jahre-Hollywood-Kino zulassen kann. Spätestens hier läuft der Filmtitel auch schon ins Nirvana einer leeren Versprechung.

PORNO 2019
© Evoke

Der voyeuristische Abe wird nun von seinem noch schüchterneren Freund Dave (Larry Sapperstein) zur Arbeit im örtlichen Kino abgeholt. Dort arbeiten sie im Team eines christlich ausgerichteten Servicepersonals. Zusammen mit Schönling Ricky (Glenn Scott) und der kessen Chaz (Jillian Mueller) werden sie vom missionarischen Kinoleiter Mr. Pike (Bill Philipps) im Gebet auf eine weitere tugendhafte Abendschicht eingestimmt. Wegen ihrer vorbildlichen Arbeit dürfen sie heute nach der letzten Vorstellung das Kino für eine Privatvorstellung nutzen. Während sie noch zusammen mit Filmvorführer Jeff (Robbie Tan) überlegen, welchen der beiden Programmfilme sie sehen sollen, stürmt plötzlich ein verwirrter Mann (Peter Reznikoff) den großen Kinosaal. Als sie ihn bitten zu gehen, stürzt er durch eine vernagelte Wand im Foyer. Dahinter führt eine geheime Treppe in einen darunter liegenden, schon seit langem verlassenen Kinosaal mit angrenzendem Filmarchiv. In diesem ehemaligen Exploitation-Kino fällt ihnen statt des Mannes eine alte Filmrolle in die Hände. Die wandert nun in neugieriger Erwartung in Jeffs Projektor und direkt ins Sehzentrum der verstörten Belegschaft. Auf der Leinwand entwickelt sich eine artifiziell psychedelische Blutorgie zwischen einem satanischen Priester und einer nackten Frau (Katelyn Pearce).

Ist das Kunst?

fragt einer der naiven Hauptfiguren. Das ist nicht nur eine sehr situationskomische Frage, sondern gleichzeitig auch ein richtiger Kommentar zu dem angeblich so verwerflichen Film auf der Leinwand. Was wir da sehen hat zwar den typischen Snuff-Underground-Filmlook, ist aber inhaltlich eher im Bereich moderner Tanzperformance angesiedelt. Was für uns wenig Schockierendes aufweist, ist für die Helden von PORNO jedoch harter Stoff.

PORNO 2019
© Evoke

Kurz vor dem Finale beendet Filmvorführer Jeff den Film. Dabei gibt der Projektor den Geist auf und das Kino seine Unschuld. Das Abspielen der Filmrolle hat die nackte Frau im Film lebendig werden lassen. Doch anders als in Woody Allen´s PURPLE ROSE OF CAIRO (1985), will hier die Leinwandfigur nicht nur am echten Leben riechen. Die Leinwandschönheit stellt sich schnell als ein schwarzhumoriger Sukkubus heraus, die es nun auf ihre christlichen Befreier abgesehen hat. Immer in der Gestalt, die ihr tugendhaftes Gegenüber tief im Inneren begehrt, erscheint sie ihren Opfern mal als Frau und mal als Mann. Ihre Macht kann am Ende nur durch ein besonderes Ritual gebannt werden.

Der Film

Die Grundidee von PORNO hat wirklich satirischen Charme: Eine bigotte Gesellschaft wird durch einen predigenden Kinobetreiber symbolisiert. Dieser unterdrückt durch seinen religiösen Eifer die natürlichen Bedürfnisse junger Menschen und kann so erst einer pervertierten Sexualität Einlass in unsere Welt gewähren. Das förmlich begrabene Underground-Sex-Kino unter dem tugendhaften Lichtspielhaus steht auch räumlich für die Puritanisierung Amerikas. Was man nicht (mehr) sieht, existiert auch nicht (mehr). Schön auch die Idee, diesen Konflikt rein mit Attributen des Kinos zu erzählen. Neben liebevoll gestalteten Filmplakaten im Bauch des versunkenden Undergroundkinos kommt dem pre-digitalen Medium Filmrolle eine besondere Bedeutung zu.

Die verschollene Filmdose mit dem satanischen Machwerk entspricht hier in gewisser Weise dem Ring aus Tolkiens HERR-DER-RINGE-Trilogie. Auch sie überdauert dunkle Zeitalter, um durch ihre Rückkehr zu den Menschen die Weltmacht eines höheren/niederen Wesens vorzubereiten. Die Räume des Kinos werden zu einem Mikrokosmos zwischen Gut und Böse. Altes, zerkratztes Zelluloid wird zu einer Art antiker Schriftrolle mit okkulten Zeichen aus vorchristlichen Zeiten.  Am Ende betreten wir eine Fegefeuer-Twilight-Zone, in der die fiktive Handlung sogar das reale Filmmaterial beeinflusst.

PORNO 2019
PORNO (2019) © Evoke

An der Stelle lässt PORNO mal kurz aufblitzen was aus ihm hätte werden können. Doch statt einem durchgängig bizarren Genrebastard irgendwo zwischen David Lynchs Traum-Ästhetik, Russ Meyers Bahnhofskino-Romantik und BUFFY, IM BANN DER DÄMONEN-Kindergeburtstag sehen wir ein puritanisch, verängstigtes Horrorhäschen, welches seiner eigenen Courage am Ende nicht konsequent über den Weg traut. Fast wirkt es, als sei Keola Racela, mit seinem Debüt als Regisseur, selbst in die Fänge des überfrommen Kinobetreibers geraten und habe sich so quasi gleich selbst zensiert.

Neben viel unnötigem Leerlauf und einem absurden Gagafinale (was rein visuell jedoch wirklich Spaß macht) gewährt er uns unterschwellig einen entwaffnenden Blick in das angeblich so aufregende Kino Hollywoods.

Das Genre der Moralisten?

Denn trotz einiger Schwächen verfolgt PORNO eine erfrischende Umkehrung des eher lustfeindlichen Grundprinzips im amerikanischen Horrorfilm. Während dort Sex weitestgehend bestraft (FRIDAY THE 13TH-Reihe) oder wie in LAST HOUSE ON THE LEFT (Wes Craven, 1972) als vergewaltigende Waffe eingesetzt wird, wendet sich hier das sogenannte Böse gegen die Tugendhaften. Am Ende fungiert sogar ein befreiender Geschlechtsakt als Instrument, um dieses Böse wieder zu bannen. Das ist insofern originell, da sich das Horrorgenre in der Regel, trotz innovativster Erzählformen, moralisch eher altmodisch präsentiert.

Das erotisch Lustvolle ist gemeinhin böse und muss wie in DRACULA – seit seiner dramatischen Erweckung durch Bram Stoker die personifizierte Lust – vernichtet werden. Die Lust ist zwar fast immer Ausgangspunkt der Handlung und zeigt sich häufig auch in offener Nacktheit, sie muss aber am Ende durch jungfräuliche Helden besiegt werden. So wird Sexualität unterschwellig mit einer negativen Energie aufgeladen, die am Ende denjenigen in die Hände spielt, die man eigentlich nicht im Dunstkreis dieses Genres vermuten würde: puritanische Moralisten. Dieses Paradoxon lässt sich weder eindeutig erklären noch wirklich entkräften. Es ist aber eindeutig ein wichtiges Element, welches sich wie ein roter Faden durch die Geschichte eines scheinheiligen Hollywoods zieht. Ein Hollywood, der puritanischen Gründerväter Amerikas.

Die Zerstörung der Sinnlichkeit

Das Kino ist immer schon ein Ort gewesen, an dem sich Menschen mit ganz unterschiedlichen Erwartungen getroffen haben. Während sich die einen von einem arbeitsreichen Tag mit familienfreundlicher Unterhaltung berieseln lassen möchten, wollen andere wiederum herausgefordert werden. Was für die einen zu seicht ist, ist für die anderen zu brutal, sexistisch oder schlicht zu unbequem. Ein Konsens zwischen all jenen ist in einem einzigen Film nicht zu erzielen. Doch genau das wollte Hollywood schon sehr früh durch einen besonderen Codex erreichen.

Dieser hatte seinen Ursprung Ende der 1920er-Jahre als eine Art freiwillige Selbstkontrolle gegen zu viel Gewalt und vor allem sexuell aufgeladenen Handlungen in Filmen. Da diese aber kaum eingehalten wurde, kam es bis Ende der 1960er-Jahre zu einem streng konzipierten Regelwerk für eine moralische Leinwand. Mit starken Fürsprechern aus Politik und Kirche entwickelte sich tatsächlich eine auf einen republikanischen Wahlkampfhelfer zurückgehende Zensur.

Der Hays Code

William H. Hays (1921)

William H. Hays wurde so zum Vater des Hays Code, einem mächtigen Instrument gegen jegliche Form individueller und vor allem sinnlicher Erzählkunst im Kino. Ein gerade für die Mächtigen in Hollywood interessanter Nebeneffekt war, dass mit diesen reglementierten Filmen nun die gesamte Familie, samt Kindern ins Kino gehen konnte. Und das brachte jede Menge zusätzliche Dollars in die Kassen der großen Studios. Der puritanische Geist der Gründerväter war nun endgültig auch in der Traumfabrik angekommen. Geld und Frömmigkeit, Reichtum und Sittlichkeit waren nun auch im amerikanischen Kino die treibende Kraft. Während sich Gewalt aus den „richtigen Gründen“ über die Jahre langsam auf die Leinwand zurückkämpfen durfte, waren nackten Haut und sichtbarer Sex weiterhin tabu.

Zwar fanden kluge Filmemacher kreative Wege, um in ihren Werken dennoch die natürlichste Sache der Welt verschlüsselt unterzubringen. Eins ging dabei aber dennoch verloren: der natürliche Umgang mit Nacktheit und einer natürlichen Sinnlichkeit. Die jahrzehntelange Codierung von geschlechtlicher Liebe in symbolische Ersatzhandlungen führte letztendlich zu einer Entfremdung vom eigenen Körper. Durch diese permanente Indoktrination einer pervertiert interpretierten Tugendhaftigkeit musste das Geschlechtliche zwangsläufig eine teuflische Note erhalten. Was daraus entstehen kann, sehen wir an Abscheulichkeiten wie Kindesmissbrauch durch Geistliche, Verhaftungen von 5-Jährigen, weil sie andere Kindern durch bloße Umarmung bereits in den Bereich der Hölle gezwungen haben sollen oder alltägliche Sexualstraftaten durch Männer, die ihre Triebe durch ungesunde Unterdrückung von Kirche und Religion nicht mehr kontrollieren können. Das sogenannte Böse findet so erst seinen fruchtbaren Boden.

Die Rückkehr der Lust

Die verloren gegangene Körperlichkeit konnte erst durch das europäische Kino und seine Künstler behutsam nach Hollywood zurückgelangen. Tatsächlich waren es dann in erster Linie europäische Filmemacher, die in amerikanischen Filmen die Ganzheit dem menschlichen Körper zurückgaben.  Befruchtet vom Freigeist der Hippie- und Jugendbewegung gegen ein erstarrtes Washington wurde so auch ein unabhängiges New Hollywood geboren, welches das konformistische Studiosystem der alten Herren für kurze Zeit ablöste. Durch Filme wie ZABRISKIE POINT (Michelangelo Antonioni, 1970) konnte sich nun endlich auch im amerikanischen Kino natürliche Nacktheit auf der Leinwand entfalten.

Sogar harte Pornofilme wie DEEP THROAT oder BEHIND THE GREEN DOOR schnupperten Anfang der 70er am Kinomainstream. Die Grenze zwischen Underground und Hollywood wurden fließend. So entstand aus heutiger Sicht die fruchtbarste Phase des amerikanischen Films. Die natürliche Erotik erhielt in der Zeit ihre Unschuld zurück. In politisch ambitionierten Filmen wie COMING HOME (Hal Ashby, 1978) war es kein Widerspruch, dass die Heldin (Jane Fonda und ihr Köperdouble) sich einerseits für soziale Gerechtigkeit einsetzen und dennoch ein sichtbares Sexualleben haben durfte. Dieser allumfassende Blick in das Leben von Filmfiguren hatte in Großproduktionen zwar immer noch Grenzen, wurde aber von Seiten der Produzenten und Regisseure deutlich entspannter angegangen. Als eins der prägnantesten Beispiele dieser Zeit, wenn auch nicht direkt aus Hollywood, hat mit WENN DIE GONDELN TRAUER TRAGEN (Nicolas Roeg, 1973) immer noch Referenzcharakter. Wie hier mit Sexualität als natürlichem Erzählelement umgegangen wird, lässt einen an heutigen, amerikanischen Produktionen fast verzweifeln. Wenn hier jemand Sex hat, passiert das scheinbar bei geschlossenen Augen. Denn danach können sich Mann und Frau nicht schnell genug eine Bettdecke vor den Körper halten oder sich ad hoc in ihre Unterwäsche beamen. Da kann man aus heutiger Sicht einem Paul Verhoeven (BASIC INSTINCT, SHOWGIRLS) für seinen frech entspannten Umgang mit Sex und Gewalt in seinen Hollywood-Filmen nicht dankbar genug sein.

Die Zerstörung der Lust

Doch was hat das alles mit einem Horrorfilm zu tun, der gerade unter dem gewagten Titel PORNO auf dem Fantasy-Filmfest in Deutschland gezeigt wurde?

Traurigerweise eine ganze Menge. Denn die Befreiung von Zensur und Prüderie hielt nicht lange an. Das gelobte Land der USA konnte man nicht den jungen Wilden überlassen. Was würden die Urväter der Verfassung dazu sagen? Mit Ronald Reagan eroberten sich „die Alten“ ihre Macht zurück. Als eine Art Rache der Konservativen eroberte ausgerechnet ein Vertreter der Hays-Code-Welt das Weiße Haus zurück. Als verlängerter Arm eines erzkonservativen Hollywoods nach der McCarthy Ära wurde Reagan erneut zum tugendhafte Marshal gegen einen allzu libidinösen Liberalismus und indirekt zum Repräsentanten eines geschlechtslosen Kinos.

Es ist schon auffällig, dass sich parallel zu SDI-Reagan die amerikanische Pornoindustrie zur größten Medienmacht im benachbarten San Fernando Valley entwickeln konnte. Während immer weniger amerikanische Filme den Mut fanden, sich unverkrampft mit sinnlicher Körperlichkeit auseinanderzusetzen, entstieg das XXX-Kino durch Fluten millionenfacher VHS-Kassetten wie ein Dämon seinem von Moralisten provozierten Schattendasein bis ins heutige digitale YouPorn-Zeitalter. Hatte das 60er-/70er-Jahre Softsex- und Pornogenre wenigstens noch den Hauch eines erzählerischen Anspruchs, warf ein entfesseltes Hardcore-Monster nach und nach sämtliche narrativen Ansätze über Bord und präsentiert bis heute seine sinnentleerte Fratze profitorientierter Geilheit. Wie der weibliche PORNO-Dämon entstieg es unaufhaltsam seinem fegefeuerartigen Undergrounddasein.

Vielleicht konnte sich nur so eine oft menschenverachtende Interpretation körperlicher Liebe als einzige Möglichkeit medial interpretierter Sexualität ihren Weg bahnen. Im immer stärker reglementierten Mainstreamkino fand die Hardcoreindustrie kein ernst zu nehmendes Gegengewicht. Wenn im US-Kino schon mal Sexualität thematisiert wurde, dann als Teil kindischer Komödien à la AMERICAN PIE (1999) oder als abschreckende Sozialstudien im Stil von FATAL ATTRACTION (Adrian Lyne, 1987). Sex ist entweder etwas über das man lacht oder eine Bedrohung der amerikanischen Familie.

Bezeichnenderweise passiert genau das in PORNO. Zwar huldigt er in Teilen der freigeistigen Filmkunst der 70er, letztendlich nimmt er seine eigene Thematik aber nicht wirklich ernst. Das omnipräsente Thema sexueller Befreiung mündet wieder in altbackenen Pennälerwitzen und verstörender Verstümmelung. Wenn Geschlechtsteile gezeigt werden, werden sie entweder ins Lächerliche gesteigert oder schlichtweg zerstört. Zwar darf die entfesselte Dämonin gerade noch ihre Brüste zeigen, alles andere verschwindet jedoch hinter einem monströsen Schamhaartoupet. Nichts gegen eine grundsätzlich „haarig natürliche“ Sicht der Dinge, aber warum dann wieder ins Lächerliche ziehen? Spätestens hier traut sich der eigentlich frech ambitionierte Film selbst nicht mehr über den Weg.

PORNO 2019
PORNO (2019) © Evoke

Blut statt Sperma

Die prägnanteste Szene zeigt sich in einer auf den ersten Blick wirklich mutigen Szene. Ohne zu viel zu verraten: so möchte Mann seine eigene Männlichkeit nicht zu lange in Erinnerung behalten. Hier findet die Detailtreue im Bereich Exploitation plötzlich keine Grenzen mehr. Wenn es darum geht das Geschlechtliche zu zerstören oder muppethaft zu entfremden, ist PORNO hier die perfekte Entsprechung eines von langer Hand entsinnlichten Hollywoods. Gewalt ist kein Problem. Sex schon. Da liegt es nahe, Sex durch Gewalt in seine kleingeistig puritanischen Grenzen zu verweisen.

Auch eine weitere spannende Grundidee bleibt in einem letztendlich verklemmten Erzählansatz stecken.

Interessante Figuren – schüchterne Umsetzung

Die Gruppe der Helden besteht aus religiös unterdrückten Sexualinvaliden. Da ist Filmvorführer Jeff. Gegen seine Alkohol- und Nikotinsucht hat er sich einer Gebetstherapie von Kinobesitzer Pike unterziehen lassen, die nun auch alle weiteren Lustbereiche seines Lebens ausradiert zu haben scheint. Dafür wird er von der Dämonin wirklich hart bestraft.

Abe hat seine nicht ausgelebte Sexualität in pervertierten Voyeurismus umgewandelt, während Dave gar nicht weiß, was er eigentlich will.

PORNO 2019
PORNO (2019) © Evoke

Platzanweiserin Chaz ist eigentlich eine an Sex interessierte junge Frau, die sich ihr erstes Mal durchaus mit Schönling Ricky vorstellen könnte. So erscheint ihr der weibliche Dämon als halbnackter Baseball-Ricky, der ihr auch gleich an die abstreifwillige Wäsche geht.

Ricky wiederum ist eigentlich schwul und gerade von einer christlichen Freizeit zurück, bei der ihm seine Homosexualität durch Gebete „ausgetrieben“ werden sollte. Auch hier hatte Kinobesitzer Pike seine „heilenden“ Finger im Spiel.

Am Ende überredet die tolerante Chaz ihren geouteten Traummann zu einem schwulen Schäferstündchen mit der Dämonin in Leatherboy-Gestalt, um den Bann zu brechen. Dieser allumfassende Akt der Befreiung wird vom Regisseur leider mit stark angezogener Handbremse in Szene gesetzt. Statt einem wirklich mal provokanten Finale verkommt dieser im Kern hochoriginelle Handlungscoup zu einer spätpubertierenden Slapsticknummer. Sehr schade, denn hier war der Film an einer bahnbrechenden Grenze, die wir gerne mit den Helden überschritten hätten. Chaz und Ricky werden so als klug angelegte Figuren am Ende durch die schüchterne Inszenierung nicht mehr wirklich ernst genommen. Zu heldenhaften Befreiern eines von puritanischen Zwängen exorzierten Horrorkinos reicht es so am Ende nur in der Theorie.

Kein Film für Erwachsende

Einen erwachsenen Blick auf natürliche Sexualität traut man hier seinem Publikum wie so oft nicht wirklich zu. Sex als gleichberechtigtes Erzählinstrument scheint also auch in einem unabhängigen, amerikanischen Horrorfilm nicht wirklich umsetzbar zu sein. In diesem doch so freiheitsliebenden Genre hätte ein bisschen mehr Pioniergeist doch eigentlich ein gutes zu Hause. Gerade der Horrorfilm würde sich für eine Befreiung vom immer noch einflussreichen Hays Code anbieten. Ist doch der Ursprung allen Horrors fast immer eine unterdrückte Sexualität. Wäre es dann nicht endlich mal Zeit sie auch wirklich aus ihrer bisherigen Symbolhaftigkeit zu befreien?

PORNO (2019) © Evoke

Ernsthafte Körperlichkeit wie im britisch französischen Beziehungsdrama INTIMACY (Patrice Chèrau, 2001), dem spanischen Liebesreigen LUCIA UND DER SEX (Julio Medem, 2001), dem Goldene Palme Gewinner von 2013, BLAU IST EINE WARME FARBE (Abdellatif Kechiche, Frankreich)  oder dem vom Ansatz her erfrischend unverkrampften 9 SONGS (Michael Winterbottom, 2004) findet man im US-Kino lediglich im Undergroundbereich. Hier darf man durchaus Larry Clark (KIDS, KEN PARK) zu seiner mutigen Sonderstellung beglückwünschen.

Und genau an dieser Schnittstelle geht leider dieser PORNO Film verloren.

Fazit

Am Ende bleibt lediglich ein provokanter Titel, ein wirklich verstörender Splattermoment, eine viel zu kurze Bizarro-Szenerie, erfrischend agierende Jungdarsteller und eine Art intelligenter Blaupause für einen Film, den wir leider so nicht sehen durften.  Und doch hat dieser Film, trotz seiner nicht eingehaltenen Versprechen, eines sehr deutlich gezeigt: Wir haben längst noch nicht alles gesehen.

Also warte ich immer noch auf einen verspielten Horrorfilm, in dem Menschen für Sex nicht bestraft werden, sondern das Böse am Ende gerade durch einen natürlichen und vor allem sichtbaren Umgang mit der Lust besiegt werden kann. Das wäre dann mal wirklich innovativ und aufregend. Sollte es so einen Film tatsächlich in der Ausrichtung bereits geben, freue ich mich auf sachdienliche Hinweise aus der Bevölkerung, denn im Untergrund wabert nicht nur das Böse.

© Andreas Ullrich

Titel, Cast und CrewPorno (2019)
Poster
ReleaseMunich International Film Festival: 28.06.2019
Fantasy Filmfest: 09.09.2019
RegisseurKeola Racela
Clip
BesetzungEvan Daves (Abe)
Jillian Mueller (Chaz)
Katelyn Pearce (Lilith)
Bill Phillips (Mr. Pike)
Peter Reznikoff (Lord Beekman)
Larry Saperstein (Todd)
Glenn Stott (Ricky)
Robbie Tann (Jeff)
DrehbuchMatt Black
Laurence Vannicelli
KameraJohn Wakayama Carey
MusikCarla Patullo
Filmlänge98 Minuten
FSKunbekannt

Ein Gedanke zu „Porno (2019) – Filmkritik“

  1. Eine sympathisch nachvollziehbare Kritik, ABER wie kann man das Sakrileg begehen, in einer Kritik nahezu jeden Twist zu beschreiben und vor allen Dingen ungekennzeichnet das Ende zu spoilern , nachdem man erst „großzügig“ darauf verzichet hat, eine Verstümmelungsszene genauer zu beschreiben???

    Sowas geht nicht in Ordnung…Selbst wenn man sich beim Schreiben am eigenen Formulieren ergötzt und die Sache rund machen möchte. Buh…

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