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Perfect Days (2023) – Filmkritik

Mit Ende Siebzig dreht Wim Wenders gerade so richtig auf und hat quasi parallel zwei Filme fertiggestellt, die beide im Frühling ihre Premieren in Cannes feierten: ANSELM – DAS RAUSCHEN DER ZEIT und PERFECT DAYS.

Kôji Yakusho, in Japan ein Superstar, dem westlichen Publikum eher durch seine Auftritte in BABEL und SHALL WE DANCE? bekannt, spielt einen schon etwas älteren Putzmann extravaganter öffentlicher Toiletten in Tokio. Dieser Hirayama nimmt seine Aufgabe sehr ernst, er macht daraus eine Meditation, fast ein Leben.

PERFECT DAYS ist ein unglaublich langsamer Film. Über einen längeren Zeitraum besteht er aus der ständigen Wiederholung nicht gerade spannender Szenen. Irgendwann beginnt dann eine Handlung, was bedeutet, Dinge geschehen um Hirayama herum, er selbst bleibt sehr passiv. Wenn man sich darauf einlässt, entwickelt der Film aber einen eigenen Zauber.

© 2023 MASTER MIND Ltd

Tatsächlich hatte Wim Wenders Anfang 2022 die Anfrage erhalten, ob er etwas zu vierzehn neuen, von berühmten Architekten entworfenen Toiletten machen wolle, einen Kurzfilm pro Klo sozusagen. Nach den USA gilt Japan Wenders‘ besonderes Interesse. Er hat dort TOKYO-GA und AUFZEICHNUNGEN ZU KLEIDERN UND STÄDTEN gedreht, Yasujirô Ozu ist sein erklärter Lieblings-Regisseur. So nahm er gerne die Einladung an, während der damaligen Lockdowns wieder einmal nach Japan zu reisen.

© 2023 MASTER MIND Ltd

Ein langer Film hat ihn am Ende mehr gereizt als viele kurze. PERFECT DAYS wurde in unglaublichen sechzehn Tagen gedreht – gerade mal so viel Zeit hatte der begehrte Yakusho zwischen zwei anderen Drehs, und auch Wenders unterbrach extra dafür seine Arbeit an ANSELM. (Obwohl ein Dokumentarfilm, hatte der die aufwändigeren Spielszenen.) Das Drehbuch entstand in der ebenfalls rekordverdächtigen Zeit von nur drei Wochen, das merkt man dem Film freilich auch ein wenig an.

© 2023 MASTER MIND Ltd

Ansonsten hat die überaus reduzierte Arbeitsweise aber hervorragend funktioniert. Meistens waren nur Wenders und sein Kameramann Franz Lustig am Set, es gab fast keine Technik. Endlich konnte er wie sein Idol Ozu filmen, die Kamera so tief wie eine hockende Person. Viele Szenen wurden ohne Probe quasi dokumentarisch gedreht. Die alte Frau, die jeden Tag um 6 Uhr früh die Straße fegt und so als Hirayamas Wecker fungiert, war echt und ungeplant.

Auch die Dialoge – nicht gerade Wenders‘ Stärke – sind stark reduziert. Die Hauptfigur spricht fast gar nicht bis an die Grenze zur Lächerlichkeit, soll aber auch ein Sonderling sein. Diese Idee bekommt dem Film sehr gut, die wenigen Dialoge sind dafür sehr prägnant. Die Musik-Auswahl ist wieder mal bemerkenswert, da kann mit Wenders höchstens Tarantino mithalten. (Der Filmtitel spielt natürlich auf „Perfect Day“ von Lou Reed an.)

© 2023 MASTER MIND Ltd

Wenders, sonst oft Verfechter des technologischen Fortschritts, feiert hier die alte analoge Technik: Der Putzmann sammelt die Welt mit seiner alten Kamera, deren Filme er in einem Laden entwickeln lässt, in dem die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Musikkassetten, wie er sie immer noch hört, sind in Tokio inzwischen wieder ein Hype und werden gebraucht für 80 Dollar verkauft.

© 2023 MASTER MIND Ltd

Hirayama träumt in schwarz/weiß von den Bäumen im Park, das funktioniert nicht so ganz. Der Baum ist sowieso sein Freund. Er betrachtet das Sonnenlicht, das durch die Blätter fällt, und den Obdachlosen, der daneben seine Turnübungen macht. In der langen Schlusseinstellung sitzt er im Auto und weint. Früher hatte er wohl üble Erlebnisse mit seinem Vater, den er nicht mehr besuchen will. Die Familiengeschichte wird nur angedeutet, seine reiche Schwester wirkt ein wenig wie eine Behauptung. Hirayamas exzentrisches Wesen ist manchmal (gewollt!) komödiantisch – er rennt erschrocken aus dem Zimmer, als seine Nichte am Morgen ihr Nachthemd auszieht.

© 2023 MASTER MIND Ltd

Yakusho bekam für seine Darstellung in Cannes die Goldene Palme, was großen Jubel daheim in Japan ausgelöst hat. Die Begeisterung dort ist so groß, dass der Film als japanischer Beitrag ins Oscar-Rennen geschickt wird. Zum ersten Mal seit über sechzig Jahren wurde dafür ein Film mit einem nicht-japanischen Regisseur ausgewählt. Und Wim Wenders hat für PERFECT DAYS von den deutschen Kinobetreibern den Preis für den besten ausländischen Film erhalten. Diese kuriose Entwicklung passt sehr gut zu diesem seltsamen Film.

© Franz Indra

Regisseur Wim Wenders spricht auf dem Filmfest Hamburg über PERFECT DAYS.

Titel, Cast und CrewPerfect Days (2023)
Poster
ReleaseKinostart: 21.12.2023
RegieWim Wenders
Trailer
BesetzungKoji Yakusho (Hirayama)
Tokio Emoto (Takashi)
Arisa Nakano (Niko)
Aoi Yamada (Aya)
Yumi Aso (Keiko)
Sayuri Ishikawa (Mama)
Tomokazu Miura (Tomoyama)
Min Tanaka (Obdachloser)
DrehbuchTakuma Takasaki
Wim Wenders
Kamera Franz Lustig
SchnittToni Froschhammer
Filmlänge123 Minuten
FSKab 0 Jahren

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