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Peeping Tom (1960) – Filmkritik

„Augen der Angst“

Einige der wichtigsten Klassiker der Filmgeschichte sind zu ihrer Veröffentlichung gefloppt. PEEPING TOM ist nicht nur an der Kinokasse schlecht angekommen, sondern auch bei den Kritikern. Die Skopophilie (Voyeurismus) und der Sadismus waren zu viel für die noch jungen 1960er-Jahre. Manches braucht eben Zeit und in unserem Fall eine Empfehlung. Die kommt von keinem geringeren als Martin Scorsese. PEEPING TOM gehört zu seiner Liste der einflussreichsten Werke auf seine Filmbildung. Als der Film in die Kinos kam, war Scorsese 18 Jahre alt und entdeckte hinter der Geschichte eines Serienkillers, dass Kunst und Besessenheit zusammengehören. Und vielleicht entdeckte er darin auch sein Verlangen Filme zu drehen, die manchmal haarscharf an den Grenzen der Sicherheit vorbeischrammen. Aber wir wollen nicht so viel über den Filmemacher reden, der es uns mit ermöglichte PEEPING TOM nach neuer Restaurierung in fantastischer Qualität auf Blu-ray und Ultra HD Blu-ray zu sehen. Wir wollen wissen, warum dieser Thriller so besonders ist.

© 1960 Micheal Powell (Theatre) Ltd. All rights reserved.

Handlung

Mark Lewis (Karlheinz Böhm) führt verschieden Leben. Tagsüber ist er Kameraassistent in einem Filmstudio. Nach der Arbeit fotografiert er junge Damen in lasziven Posen, damit der Betreiber eines Kiosks noch einen kleinen Nebenerwerb hat. Im Prinzip hat Mark diese Jobs finanziell nicht nötig, aber es sind gute Möglichkeiten an junge Frauen heranzukommen. Er ist davon besessen sie in Angst zu versetzen und sie während er sie umbringt dabei zu filmen. Im Alltag ist er verschlossen, erst seiner Nachbarin Helen (Anna Massey) und ihrer blinden Mutter (Maxine Audley) gelingen es, Mark mit seinem diabolischen Selbst zu konfrontieren. Aber irgendwann ist auch die Polizei dem Mörder auf den Fersen.

© 1960 Micheal Powell (Theatre) Ltd. All rights reserved.

Mörderische Perfektion

Bevor wir zu der Interpretationsebene der Kunst kommen, ist PEEPING TOM zuallererst ein Serienkiller-Krimi. Besonderheit ist, vor allem für die damalige Zeit, dass gleich zu Beginn klar wird, wer der Killer ist. Doch es wird noch beunruhigender, denn es gibt keine andere Hauptfigur, keinen cleveren Detektiv oder Polizisten, der Stück für Stück die Indizien aneinanderreiht und den Mörder überführt. Die Hauptfigur ist Mark und das Publikum bleibt die ganze Zeit bei ihm, ob es das nun will oder nicht. Damit nicht nur einem psychotischen Killer gefolgt wird, gibt es noch die Figur von Helen, die sich etwas naiv in ihn verliebt. Was heißt naiv? Für sie ist Mark ein schüchterner Nachbar, der gern filmt und fotografiert. Von seiner dunklen Passion weiß sie nichts. Mit ihr lernen wir die Person hinter dem Killer kennen, welchen Einfluss sein Vater – Psychologe und Angstforscher – auf ihn hatte. Die Spannung rührt in diesem Film nicht daher, wer der Mörder ist, sondern, ob das nette Mädchen, was sich offensichtlich in der Falschen verliebt hat, bis zum Ende überlebt. Helen ist eines der ersten Final Girls der Filmgeschichte und PEEPING TOM legt neben dem Giallo auch die ersten Grundsteine für den Slasher. Aber auch in Mark seiner Persönlichkeit scheint sich eine Kluft aufzutun, er weiß zu was ihn seine Besessenheit geführt hat. Doch er kann nichts dagegen tun, außer seinem Leben ein kunstvolles Ende zu bereiten.

© 1960 Micheal Powell (Theatre) Ltd. All rights reserved.

Kunst als Zwang

Die Mordwaffe ist ein Messer im Fuße eines Kamerastativs. Doch ist es wirklich das, was seine Opfer tötet? Mark filmt die Frauen im Moment ihres Todes, doch da ist noch etwas anderes, was wie eine Reflexion auf den Gesichtern der Opfer erscheint. Das erfährt das Publikum erst zum Ende des Films und erkennt, auf welch grausame Weise er seine blutigen Kunstwerke erschafft. Die Angst wird für die Opfer in ihrer Wahrnehmung verdoppelt, in dem sie sehen, wie sie sterben. Es erinnern auch ein bisschen an den Science-Fiction-Film STRANGE DAYS (1995), in dem es eine Technik erlaubt, die Erlebnisse eines anderen Menschen erneut zu durchleben, sogar den Tod. Das Thema Snuff-Film zieht sich auch wie ein roter Faden durch die Filmgeschichte.

© 1960 Micheal Powell (Theatre) Ltd. All rights reserved.

In PEEPING TOM ist Regisseur Michael Powell wie seine Hauptfigur permanent auf Kameras und Blicke fixiert. Hauptfigur Mark filmt immer wieder, was er gern sehen will, und redet sich damit heraus, dass er gerade eine Dokumentation dreht. Powell geht mit seiner Inszenierung ähnliche Wege. Der Blickwinkel ist hin und wieder ein versteckter, hinter einem Regal oder einem Fenster. Zu Beginn schauen wir direkt durch die Linse der Kamera und verfolgen mit dem Sucher-Fadenkreuz das erste Opfer. So werden wir als Zuschauerinnen und Zuschauer ebenfalls zum „Spanner“ dieser Geschichte. Der Fetisch für die Technik, Kameras und Linsen wird geradezu offensiv gefilmt, wie auch das sorgfältige Entwickeln der Bilder in der Dunkelkammer. Für Fans des Analogen ist PEEPING TOM auch in dieser Hinsicht ein leidenschaftlicher Film.

© 1960 Micheal Powell (Theatre) Ltd. All rights reserved.

Es mag durchgehend ein männlicher Fokus sein, der hier fetischisiert wird, aber PEEPING TOM befasst sich auch als erster Film mit dem Aspekt der Selbstinszenierung durch die Medien. Jeder Smartphone-Nutzer weiß, wie man ein gutes Selbstportrait erstellt und junge Menschen setzen sich permanent inszeniert in Szene, so dass die künstlichen Bilder ihrer Persönlichkeit immer mehr zu einem digitalen Avatar der Sozialen Medien verarmen. Wer heute in jungen Jahren nicht weiß, sich digital darzustellen, hat bereits schlechte Chancen auf Ansehen, Freunde und Beziehung. Powell zeigt das in der Szene mit dem weiblichen Lichtdouble, die er mit Aufnahmen ihres Talents noch nach Drehschluss ins Studio lockt. Sie weiß sich tanzend in Szene zu setzen, denn sie will endlich eine richtige Rolle im Film haben. Ironischerweise gelingt ihr das erst als Leiche in einem Requisitenkoffer. Mark sucht sich selbstständige Frauen, die ihr Leben selbst bestreiten wollen. Ihnen will er die ultimative Angst einjagen. Ein brutaler und chauvinistischer Film, der mit einem ultimativen Performance-Selfie endet.

© 1960 Micheal Powell (Theatre) Ltd. All rights reserved.

PEEPING TOM fürs Heimkino

Die neue 4K-Resturierung vom 35-mm-Filmnegativ wurde in Zusammenarbeit von The Film Foundation, BFI National Archive und Studiocanal erstellt. Künstlerisch standen Martin Scorsese und Thelma Schoonmaker (langjährige Filmeditorin und Gewinnerin von drei Oscars) dem Projekt zu Seite. Das Bild spiegelt die damalige Aufnahmetechnik wider. Man erkennt mit welcher Mühe Regisseur Powell die Szenen wie Hochglanzfotos stilisierte. Aber auch bei dem wichtigsten Farbton, dem Rot, wurde genau gearbeitet. Die Audiospuren sind glasklar, bei der deutschen Synchronisation ist sogar die Original-Kinosynchronisation von 1960 wählbar. Studiocanal stellt nun dieses hervorragende und akkurate Ergebnis auf physischen Medien bereit. Entweder als Blu-ray-Edition oder als Ultra-HD-Blu-ray/Blu-ray Kombi gibt es PEEPING TOM mit jeder Menge Bonusmaterial.

© 1960 Micheal Powell (Theatre) Ltd. All rights reserved.
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Hervorheben möchte ich das 32-seitige Booklet mit zwei sehr lesenswerten Texten. Jane Crowther nähert sich der Hauptfigur mit den Augen des Publikums und wendet den damaligen Voyeurismus auf unsere Social-Media-Zeit an. David Parkinson befasst sich mit der Produktion und dem Fall und Aufstieg dieses anfangs ungeliebten, aber wichtigen Films. Außerdem bettet er PEEPING TOM filmhistorisch informativ ein. Ein Vorwort von Scorsese und Abbildung des damaligen Promomaterials runden dieses Heftchen ab. Die Extras sind mit knapp zwei Stunden sehenswert und informativ. Vom Restaurierungsprozess über Filmgesprächen bis hin zu einem Interview mit Thelma Schoonmaker von 2007 ist alles dabei. Eine durchweg gelunge Veröffentlichung wie auch sehr gutes Preis-Leistung-Verhältnis.

Fazit

Zum Schluss bedienen wir uns der Worte von Scorsese, der im The Guardian die Aktualität von PEEPING TOM auf den Punkt bringt: Nach sechs Jahrzehnten ist Michael Powells Karrieretod aktueller denn je. Heute filmen die Menschen Ereignisse lieber mit ihren Smartphones als es selbst mit eigenen Augen zu sehen. Ein Mark Lewis würde ungesehen in der Menge der Filmenden untertauchen.

© Christoph Müller

Gesehen im Zug der Filmchallenge #FLUXScorseseMasterclass.

 

Titel, Cast und CrewPeeping Tom (1960)
Alternativ AUGEN DER ANGST
Poster
Releaseseit dem 25.01.2024 auf UHD/Blu-ray, Einzel-Blu-ray und DVD erhältlich.

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RegieMichael Powell
Trailer
BesetzungKarlheinz Böhm (Mark Lewis)
Anna Massey (Helen)
Maxine Audley (Helens Mutter)
Moira Shearer (Vivian)
Shirley Anne Field (Pauline Shields)
Esmond Knight (Arthur Baden, Regisseur)
Pamela Green (Milly, Model)
Martin Miller (Dr. Rosar)
Jack Watson (Chief Insp. Gregg)
Nigel Davenport (Detective Sergeant Miller)
Michael Goodliffe (Don Jarvis)
Brenda Bruce (Dora, Prostituierte)
Miles Malleson (Älterer Fotokunde)
DrehbuchLeo Marks
KameraOtto Heller
MusikBrian Easdale
SchnittNoreen Ackland
Filmlänge103 Minuten
FSKab 12 Jahren

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