„Nichts ist fair“
Bei einem Urlaub in Thailand wird die Tochter des Hong-Konger Polizisten Lee Chung-chi (Louis Koo) entführt. Der alleinerziehende Vater begibt sich sofort auf die Suche und erhält dabei Unterstützung vom einheimischen Kollegen Chui Kit (Wu Yue). Beide wissen jedoch nicht, dass ihre Zeit, um das Mädchen zu finden, extrem knapp bemessen ist.
PARADOX lässt sich wohl schnell und werbeträchtig als eine Art chinesischer TAKEN/96 HOURS beschreiben. Hier wie dort, wird ein junges Mädchen im Ausland entführt und ihr Vater nutzt seine Reihe ganz besonderer Fähigkeiten (Schnauzen polieren!), um seinen Spross zu retten, bevor ihr noch Schlimmeres widerfährt. Im old-schooligen Liam Neeson-Reißer ist das nur eine Entschuldigung, damit haufenweise Leute spektakulär das Zeitliche segnen, für die richtige Sache und so. Das macht Bock, wenn man nicht vergisst das Hirn danach wieder anzuschalten. Reichlich Kloppe und Tote gibt’s hier ebenfalls. Doch wie schon in KILL ZONE S.P.L. von 2005 begründet, kann man sich auch im dritten Teil der SHA PO LANG-Reihe nie gewiss sein, dass die „Helden“ am Ende unversehrt und sprücheklopfend gen Sonnenaufgang spazieren. Die inhaltlich nicht direkt zusammenhängenden Filme des Heroic Bloodshed-Genres erzählen durchweg von schicksalshaften Überschneidungen der Lebenswege ihrer ambivalenten Figuren. Unwahrscheinliche Verkettungen bedeutender Ereignisse, die in anderen Filmen als konstruierter Zufall moniert werden müssten, sind hier meist elementarer Bestandteil des erzählerischen Unterbaus.
Mehr noch als seine Vorgänger verfügt PARADOX über ein komplexes emotionales Gefüge und eine psychologische Tiefe, die viele andere Genre-Vertreter maximal vorgaukeln. Nach einer Produzentenrolle für den zweiten Teil, nahm Wilson Yip (hier als Yip Chu-wai kreditiert) das Regie-Zepter wieder selbst in die Hand. Und man merkt wie sein Können über die Jahre gereift ist. Er entlockt seinem prinzipiell simplen Plot eine dichte Spannung und versteht es ausgezeichnet brachiale Szenen mit getragenen Phasen brodelnder Unterschwelligkeiten zu balancieren.
In einem der vier kurzen Making of-Features der Blu-ray/DVD (so ziemlich die einzigen Extras) bezeichet Wilson Yip PARADOX als seinen besten Film. Ich weiß nicht, ob ich das unterschreiben kann. Vermutlich hat er vor Nervosität einfach vergessen, dass er selbst auch IP MAN gedreht hat. Wo ich ihm aber vollkommen zustimmen muss, ist seine Einschätzung, dass Louis Koo (DRUG WAR, CALL OF HEROES) hier herausragend ist. Zu behaupten seine Darstellung würde den Film tragen, wäre dem übrigen Cast gegenüber ungerecht. Doch wie er gefühlt das Seelenleben seiner Figur vollkommen eingesogen hat und oft allein durch Blicke die Intensität des Geschehens geradezu schmerzhaft anschraubt gehört mit Sicherheit zu den Karrierebestleistungen des Superstars. Sein Lee ist ein von Kummer und Schuld geplagter, der Außenwelt entgegen erkalteter Vater, dem einzig und allein die Liebe zu seiner Tochter noch Antrieb gibt, welche er jedoch nur noch in einer Weise zum Ausdruck bringen kann, die auch diesen letzten Strohhalm zu zerbrechen droht. In vielen seiner dialogfreien Momente kann man es aus seinem Innern förmlich schreien hören.
Wie angedeutet spielt an seiner Seite aber eine ähnlich überzeugende Schauspiel-Riege. Wu Yue (LITTLE BIG SOLDIER, POLICE STORY – BACK FOR LAW) als Chui Kit, der mit seiner Frau (Siraphan Wattanajinda) gerade voller Vorfreude ein Kind erwartet, zeigt uns praktisch einen Spiegel des jüngeren Lee, dessen Idealismus und lebensbejahende Einstellung immer mehr von der Realität verschlungen zu werden drohen. Besonders deutlich wird dieses Gleichnis in einem der letzten Bilder des Films. Yue spielt diese aufkeimende Desillusionierung mit der nötigen Feinfühligkeit. Auch Tony Jaa (ONG-BAK, TRIPLE THREAT) überzeugt, trotz kurzer Screentime, mit einer subtilen Performance. Man spürt eine natürliche Integrität und Ehrlichkeit in seiner Rolle und kauft ihm sofort den besten Freund ab. Gordon Lam (INFERNAL AFFAIRS, ELECTION) als Strippenzieher im Hintergrund schafft es schließlich seine Skrupellosigkeit als ungeliebte Notwendigkeit zu verkaufen und lässt dahinter Anzeichen innerer Resignation durchscheinen. Sein Spiel ist eine starke Ergänzung zu Koo. Beide agieren wortkarg und distanziert. Doch während Lee Chung-chi zu Emotions- und Gewaltausbrüchen neigt, bleibt Lam’s Politiker Cheng Hon-sau stets beherrscht und unverrückbar, zeigt damit jedoch nicht weniger seine seelische Erosion. Lediglich Ken Lo (SHOCK WAVE, LETHAL WARRIOR) und mehr noch Chris Collins (IP MAN 4) werden zu einseitigen Hassfiguren degradiert, die Schläge verdient haben, was in entsprechend übertriebenen Darstellungen resultiert. Sie sind einfach feige, sadistische Ärsche, ohne nuancierte Charakteristika.
Stichwort „Schläge“: KILL ZONE S.P.L. setzte Mitte der 2000er, unter der Kampf-Direktion von Donnie Yen (IP MAN-Reihe, IRON MONKEY), wieder ein Ausrufezeichen hinter das Hong-Kong-Action-Kino. Wer solche Standards schafft, der schraubt natürlich auch die Erwartungshaltung enorm hoch. Da erfreut es umso mehr, dass Martial Arts-Legende Sammo Hung Höchstselbst diesmal für die Choreographie der Kampfszenen verantwortlich zeichnet. Doch was zuvor natürlicher Bestandteil der Reihe war, wirkt im Falle von PARADOX wie brave Pflichterfüllung – die Action ist da, weil sie erwartet wird, nicht weil sie unbedingt passt, oder vielmehr passt ihr Stil nicht.
Drahtseilaktionen, welche Zeit und Gravitation dehnen und andere übertriebene Moves, wie der Kampf mit einem riesigen Sonnenschirm, fühlen sich in einem solch geerdeten, ernsten, emotional anspruchsvollen Thriller deplatziert an. Dabei sind die teils ausufernden Sequenzen ansprechend und einfallsreich in Szene gesetzt. Tony Jaa darf wieder, wenn auch nur kurz, in den Vollgasmodus schalten und hinterlässt dabei paradoxerweise (Yepp, ich hab‘ nur drauf gewartet.) einen deutlich nachhaltigeren Eindruck, als im kürzlich besprochenen TRIPLE THREAT, wo er in einer der Hauptrollen zu sehen ist. Wu Yue war mir bislang unbekannt und dementsprechend auch seine Kampffertigkeiten. Er zeigt hier aber eindrucksvoll, dass für ihn nichts kaschiert werden muss und übernimmt sogar den Löwenanteil des Faustgewitters. Louis Koo hat sich nicht nur mimisch, sondern auch körperlich voll in seine Rolle reingehangen und ebenfalls den Großteil seiner Actionszenen selbst übernommen. Seine nahezu unaufhaltsame Kampfkraft wirkt im Vergleich mit den anderen beiden zwar etwas bemüht, doch vereint er sie effektiv mit den Wesenszügen seiner Figur, erscheint fokussiert und gefährlich.
Schlussendlich ist PARADOX auch eine Empfehlung für alle, die nur wegen der Action kommen. Sie ist jedoch nicht der Grund, warum ich verlockt bin, immer wieder zum Film zurückzukehren. Das erreichen vielmehr die komplexen, toll gespielten Charaktere und die eindringliche Handlung. Qualitäten, mit denen man im Genre auch nicht übermäßig oft konfrontiert wird. Wäre die Action etwas realistischer und beherrschter, anstatt überlebensgroß und selbstzweckhaft umgesetzt worden, PARADOX hätte das Potential zu einem Thriller-Klassiker haben können, der vielleicht in einem Atemzug mit Vertretern wie INFERNAL AFFAIRS oder THE CHASER genannt würde – was ich hiermit getan habe.
Fazit
Der vielleicht beste Teil der SPL-Reihe ist ein emotional herausfordernder Entführungsthriller, mit einer absolut durchdringenden Performance von Louis Koo. Die tendenziell showhaften Action-Szenen wollen nicht recht ins Gesamtbild passen, schmählern aber kaum eine weitere starke Arbeit von Wilson Yip, der seine Fähigkeiten als Regisseur hier konsequent verfeinert.