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Paprika (2006) – Filmkritik

„Anime, die Bewusstseinserweiterung“

Träume sind wohl die älteste Art von Filmen. Was mag unser primitiver Vorfahre wohl geträumt haben? Was mag Christopher Columbus auf dem Weg über den Ozean geträumt haben? Oder was mag der Mensch in der Bahn neben uns wohl träumen? Zu gern möchte man in die Träume anderer hineinblicken. Mit auf Mammutjagd gehen, eine Bronzestatue von sich auf dem Marktplatz enthüllen oder den Jahresurlaub in der Karibik genießen. Aber bei manch abgründigen Illusionen vielleicht  auch lieber nicht. Satoshi Kon wagt es im Anime PAPRIKA dennoch. Er zeigt nicht nur die Welt der Träume als Inkarnation des Unterbewussten, sondern dass die Fantasie im Film noch lange nicht an ihre Grenzen gestoßen ist.

Paprika (2006)
© Sony Pictures

Handlung

Dank des Genies Kōsaku Tokita, hat eine japanische Technologiefirma ein Gerät entwickelt, mit dem es möglich ist, in die Träume schlafender Menschen hineinzusehen. Der „DC Mini“ macht es nicht nur möglich die Träume aufzuzeichnen, sondern ermöglicht auch einer anderen Person in sie einzutauchen und darin zu interagieren.

Die Wissenschaftlerin Atsuko Chiba arbeitet an dieser revolutionären Technik seit Jahren mit und nutzt es bereits illegal, um Menschen bei psychischen Problemen zu helfen. Mit ihrem Avatar namens Paprika träumt sie zusammen mit ihren Patienten und analysiert danach die Erfahrung. Es werden jedoch drei Geräte gestohlen und die Entwicklung des DC Mini ist in Gefahr. In den falschen Händen kann er zu einer gefährlichen Waffe werden, denn der menschliche Verstand ist eine fragile Angelegenheit, für den Wahnsinn geradezu anfällig. Die Suche nach dem Drahtzieher hinter diesem Raub beginnt.

Paprika (2006)
© Sony Pictures

Die Chaos-Parade

PAPRIKA beginnt anspruchsvoll und lässt den Zuschauer gleich an die Kante seiner Sitzgelegenheit rutschen, um keinen Moment oder Hinweis zu verpassen. Ist es eine Kriminalgeschichte, ein Traum oder eine virtuelle Realität? Und was für einen Service bietet dieser lebensfrohe Rotschopf namens Paprika an? Auch wenn man sich dessen bewusst ist, einen Film zu sehen, noch dazu einen Zeichentrick, ist das Gesehene jedoch sofort physisch spürbar. Wenn die erste Figur ihren Verstand verliert und wirren Unsinn von sich gibt, ist man perfekt auf den Rest eingestimmt, denn jetzt beginnt der durchgeknallte Marsch erst richtig.

© Sony Pictures

Es gibt einen kurzen Moment des Durchatmens durch die Öffnung eines Kriminalfalls: Wer hat die DC Minis gestohlen? Ist es ein ehemaliger Kollege oder doch jemand mit viel höheren Ambitionen? Aber dieser Krimi hält nicht lang an, denn der Umzug des Wahnsinns taucht immer wieder farbenprächtig auf. Trompete spielende Frösche, frivol verkleidete Gottheiten, lebendig gewordene Alltagsgegenstände und alles im Konfettiregen bahnen sich ihren Weg durch PAPRIKA und auf unsere Netzhaut. Spätestens zur Filmmitte wissen wir selbst schon gar nicht mehr, was Realität und was Traum ist, da ist INCEPTION wesentlich durchschaubarer. Satoshi Kon, das kreative Animegenie hinter dieser Irrfahrt, hat auch kein Interesse alles bis ins Genauste zu erklären. Viel mehr zeigt er, welch grenzenlose Möglichkeiten Animes bieten und dass Träume untrennbar mit der menschlichen Fantasie verbunden sind.

© Sony Pictures

Die Filme im Film

Nicht nur die Figur des Ermittlers Toshimi Konakawa ist ein Fan von Filmen, sondern auch der Filmmacher von PAPRIKA. Es wimmelt nur so von Filmreferenzen, der Puppenbauer Himuro (Assistent vom übergewichtigen Tokita) ist zum Beispiel bei J.F. Sebastian (William Sanderson) aus BLADE RUNNER (1982) entliehen. Die optische Rahmung zeigt, dass es sich um einen Kinofilm handelt, aber der konstante Fluss des Verwandelns, die Ortswechsel und das Aushebeln von physikalischen Gesetzmäßigkeiten entfesseln förmlich das Genre Anime. Wenn man sich nach dem Filmgenuss versucht an bestimmte Szenen zu erinnern, gelingt dies nur schwer, als ob man selbst den Film nur geträumt hätte. Das liegt vor allem daran, dass sich PAPRIKA keiner Handlung unterwirft, sondern eher mit den Gefühlen und den Gedanken der Figuren voranschreitet. Es gibt immer wieder Szenen, bei denen man am liebsten innehalten möchte, um darüber nachzudenken. Aber in der eignen REM-Phase ist dies auch nicht möglich.

Paprika (2006)
© Sony Pictures

Fragen werden nicht voll und ganz zum Filmende beantwortet sein. Hatte Ermittler Toshimi nun einen verlorenen Schulfreund oder war es sein jüngeres Selbst, dass er mit Beginn seiner Polizeikarriere hinter sich ließ? Ist Paprika ein Teil der schizophrenen Atsuko oder lediglich ein Internet-Traum-Avatar? War die Beziehung zwischen dem Vorsitzenden und seinem Lakaien von sexueller Natur oder wollte dieser nur seinen jugendlichen Körper in Besitz nehmen?

© Sony Pictures

Gemeinsam einen Traum zu träumen, kann auch bedeuten einer Idee zu folgen. Elon Musk will Science-Fiction jetzt möglich machen und Greta Thunberg die Umwelt retten. Auch sie haben eine Gefolgschaft ihres Traums nicht nur auf den Social-Media-Profilen gesammelt, sondern beeinflussen mit ihrem Blickwinkel das Handeln vieler. Martin Luther King hat es noch konkreter formuliert, als er allen von seinem Traum erzählte. PAPRIKA ist ganz klar ein Film, der uns mehr Fragen stellt als zu beantworten, aber dennoch mit seinem positiven Ende beschwingt in die Realität zurücklässt. Ganz ohne Nebenwirkung der Drogen unserer Zeit.

Paprika (2006)
© Sony Pictures

Der Regisseur

Drehbuchautor und Regisseur Satoshi Kon ist bereits 2010 mit 46 Jahren an Krebs gestorben. Mit gerade einmal vier Spielfilmen, PERFECT BLUE (1967), MILLENNIUM ACTRESS (2001), TOKYO GODFATHERS (2003) und PAPRIKA (2006), machte er sich nicht nur in der Animeszene einen Namen. Wer die Filme schon zu oft gesehen hat, dem kann seine Serie PARANOIA AGENT und sein unvollständiger Manga OPUS ans Herz gelegt werden. Immer wieder beschäftigte sich Kon in seinen Werken mit der Grenze von Realität und Vorstellungskraft in Abhängigkeit von psychisch abnormalem Verhalten. Sein letzter Film PAPRIKA war auch sein erfolgreichster. Er arbeitete noch kurz vor seinem Ableben an einem weiteren Projekt namens DREAMING MACHINE, was leider wegen fehlenden Gelder 2013 von seinem Kollegen Masao Maruyama nicht beendet werden konnte. Seit 2015 sucht die Produktionsfirma Mad House nach einem geeigneten Regisseur, der in die großen Fußstapfen des Ideengebers treten kann. Das wird wohl unmöglich sein.

© Sony Pictures

Fazit

Oberflächlich ein Film-Noir, der nicht nur optisch unter die Haut geht, sondern sich ganz tief ins Bewusstsein seiner Zuschauer spielt. Wie das Kinoposter schon verrät: PAPRIKA ist „Dein Hirn auf Anime“. Aber nur für jeden, der es zulässt in die grenzenlose Welt von Satoshi Kon hineinzublicken. Das Filmende sagt vor allem eines, wenn Toshimi seit Jahren wieder ein Ticket für eine Kinovorstellung löst: In fremde Träume kann man bereits seit 1885 blicken, es sind Filme. In PAPRIKA als cineastischen Traum möchte man nur zu gern wieder abtauchen und etwas über sein eigenes Bewusstsein lernen.

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewPaprika (2006)
OT: Papurika
Poster
Releaseauf Blu-ray und DVD

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RegisseurSatoshi Kon
Trailer
DrehbuchSeishi Minakami
Satoshi Kon
FilmmusikSusumu Hirasawa
Art DirectionNobutaka Ike
KameraMichiya Katou
SchnittTakeshi Seyama
Filmlänge90 Minuten
FSKab 12 Jahren

 

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